Rezension: Arbeit – Die schönste Nebensache der Welt

Inhalt:

Boahhh, nicht schon wieder so ein Buch über New Work! 

Na gut, ich lese es trotzdem, passt ja irgendwie auch zum Blog und ein paar mehr Methoden, wie Unternehmen denn jetzt bessere Bedingungen für ihre Mitarbeiter umsetzen können, sind nie schädlich!

Und dann zeigen einem schon die ersten Sätze, dass das Buch anders ist:

Markus Väth, der Autor des Buches „Arbeit – die schönste Nebensache der Welt“, führt ein, was New Work denn eigentlich ist, bzw. einmal in seinem ursprünglichen Gedanken von Frithjof Bergmann war.

Und damit wird es spannend.

Damit es aber auch hier spannend bleibt, wieder einmal der Reihe nach:

Zusammenfassung

Kurz zusammengefasst liefert Markus Väth mit dem Buch, das übrigens 2016 im Gabal Verlag erschienen ist, aus meiner Sicht eine Grundlage, an der sich die „New Work“ Bewegung ausrichten kann und sollte.

Im Buch geht es nicht – wie ich anfänglich vermutet oder besser unterstellt habe – um ein paar neue Organisationsentwicklungsmethoden. Es geht um die Fragen, die Bergmann in seinem ursprünglichen Konzept des „New Work“ aufgeworfen hat und es geht darüber hinaus.

  • Welchen Stellenwert hat Arbeit in unserer Gesellschaft?
  • Wo liegen die damit zusammenhängenden Probleme und Herausforderungen?
  • Und wie kann der einzelne Mensch in der sich zumindest am Horizont zeigenden Wolkenwand radikaler Veränderungen so aufstellen, dass die Zukunft trotz oder gerade wegen aller Unsicherheiten und zunehmenden Komplexität als spannende Herausforderung gesehen wird?

Das Buch liefert keine einfachen Antworten. Diese kann es auch nicht geben. Das Buch liefert aber Potential, für jeden selbst, für die eigene Organisation und übergreifend auch für die Gesellschaft die Frage zu stellen: Wie wollen wir leben? Und die Arbeit als Teil des Lebens gehört dazu!

Gliederung

Das Buch ist in drei große Abschnitte untergliedert.

Einleitend wird dargelegt, warum es einen radikalen Wandel in der Art, wie wir heute arbeiten, geben wird und warum dieser Wandel nicht einfach nur hingenommen, sondern gestaltet werden muss. Im Gegensatz zu einer Beschreibung der „üblichen Verdächtigen“ wie der zunehmenden Digitalisierung, Globalisierung, Flexibilisierung etc., die auch angerissen werden, stellt Väth den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt:

Angefangen von den durch die zunehmende Arbeitsverdichtung, Entgrenzung und der schon genannten Flexibilisierung zunehmenden „Psycholeiden“, die gerade die Menschen aus dem Sozialen Sektor schon lange und leider gut kennen, wird auch das Thema der Vereinbarkeit von Person, Familie und Beruf angesprochen. Spannend ist auch ein Blick in die heute immer noch verbreitete Art, wie Organisationen gestaltet sind und welche Probleme dies bereitet.

Für mich ist aber Kapitel 2 deutlich aufschlussreicher:

Was New Work bedeutet!

Hier geht Markus Väth auf das Konzept „New Work“ von Frithjof Bergmann dezidiert ein. Das Konzept fokussiert auf die drei Hauptsäulen

  • Rückbau der Lohnarbeit mit einer Kritik am Kapitalismus in der Form, wie wir ihn kennen,
  • Hightech-Selbstversorgung mit der Überlegung, bis zu 80% aller täglichen Güter nachhaltig und möglichst regional zu produzieren und
  • „Calling“, verstanden als die Arbeit, die man „wirklich, wirklich tun will“.

Das ist sperrig. Das ist sperriger als das, was vom Gros der „New Work Befürworter“ zumeist propagiert wird. So betrifft das Konzept New Work in erster Linie nicht die Frage, wie Organisationen zu gestalten sind.

Es setzt viel grundsätzlicher am Kern des Lebens an, das wir in der heutigen Zeit führen.

Kapitel 3 wird hingegen konkret:

„Wie New Work gelingt!“

Endlich mal Methoden! Aber nein, ganz so einfach macht es sich Markus Väth auch hier nicht.  So überrascht auch Kapitel 3 dahingehend, dass schon wieder keine Methoden der Organisationsgestaltung angeboten werden, sondern ich mich als Leser zuerst einmal mit mir selbst auseinandersetzen muss.

Was kann als Lebensphilosophie in einer Zeit des permanenten Wandels gelten, wenn die Trennung von Work und Life zunehmend an Grenzen gerät? Was sind die Kompetenzen für eine Arbeitswelt für morgen? Wie komme ich zum Calling, also zu dem Beruf oder besser den Tätigkeiten, die ich wirklich, wirklich tun will?

Das sind Fragen, die eine ganz konkrete Auseinandersetzung mit sich selbst und dem eigenen Leben erfordern. Und dann gibt es noch ein, zugegebenermaßen kleines, Kapitel zu den Chancen von New Work für Organisationen, in dem dann auch ein paar Methoden angeboten werden.

Väth schließt die Ausführungen mit einem Ausblick, was das Konzept New Work oder einfacher, was Arbeit für die Politik und die Gesellschaft insgesamt bedeutet.

Bewertung 

Die Bewertung stelle ich in den Kontext der Frage, was ich denn aus dem Buch mitnehmen kann.

Und zu Beginn wieder: Was wurde aus meiner Perspektive nicht so überzeugend dargelegt? Damit meine ich nicht – das schon vorweg – meine kurze, anfängliche Enttäuschung, nein, besser Verwirrung, darüber, dass das Buch meine Erwartung an eine Methodensammlung für Organisationsentwicklung, nicht erfüllt hat 😉

Kompetenzen?

Schwierig, wie es nunmal ist, wenn man ein großes Thema in ein Buch packen will, ist die Frage der Grenzen der Inhalte, die man aufnehmen will. Hier wäre, und das ist schon mein einziger Kritikpunkt, weniger an ein paar Stellen vielleicht mehr gewesen. So habe ich mich in meiner Diplom-Arbeit ebenso wie in meiner Master-Thesis mit Fragen der Kompetenz, einmal aus personenbezogener und einmal aus organisationaler Perspektive, befasst. Hier ein neues Konzept aufzumachen, wie Väth dies in Kapitel 3 mit dem „INSEL-Konzept“ versucht, kann beinahe nur zu kurz greifen, da eine Definition von persönlichen Kompetenzen selbst in wissenschaftlichen Diskursen alles andere als feststehend ist.

Gleichzeitig, und das macht das Konzept wiederum schlüssig, passt sich aber auch dieses Kapitel in die Grundüberlegungen von New Work ein.

Die drei Hauptsäulen von New Work

So geht es bei New Work im ursprünglichen Sinn eben nicht um die Frage, wie Organisationen demokratischer oder hierarchiefreier oder wie auch immer gestaltet werden sollen. Das ursprüngliche Konzept von New Work greift die genannten Hauptsäulen Rückbau der Lohnarbeit, Hightech-Selbstversorgung und „Calling“ auf und bezieht diese auf einerseits die Gesellschaft insgesamt (Rückbau der Lohnarbeit) und andererseits auf den Menschen (Hightech-Selbstversorgung und Calling), bei denen die Frage nach den Kompetenzen für eine Arbeitswelt der Zukunft natürlich mehr als berechtigt ist.

Die „Zwischenstation“ der sozialen Systeme und damit auch der Organisationen werden von Frithjof Bergmann „ausgelassen“ und von Markus Väth geschickt und tiefgehend ergänzt.

Der Kern

Aber noch einmal kurz zu dem, was New Work ist, oder wie es Väth am Ende seines Buches (S. 235f) zusammenfasst:

„Wir sollten uns … fragen, wie wir die Qualität der Arbeit für die Menschen verbessern können. Das ist das Kernanliegen von New Work, seine Vision. Eine echte Vision, kein verkleidetes Zahlenziel. Es geht nicht um zehn Prozent mehr Umsatz pro Jahr, sondern um das menschliche Glück, die persönliche Entwicklung, die „Erhobenheit“ die ein Mensch fühlen kann, wenn er sich an den richtigen Platz gestellt weiß und seine Talente entfalten kann.“

New Work geht damit weit über die Fragen nach Techniken, Methoden, Tools, geht weit über Organisationsentwicklung hinaus. Das macht es so schwierig, Menschen von der Dringlichkeit der Veränderungsnotwendigkeit unserer Arbeitswelt zu überzeugen.

Die Veränderung der Grundhaltung hin zu einer neuen, menschlichen Lebenswelt, von der Arbeit ein Teil ist, ist schwierig. Andererseits liefert New Work in seinem ursprünglichen Sinn auch keine einfachen      Antworten, wo es keine einfachen Antworten geben kann.

Das macht auch das Buch für mich so lesenswert:

Markus Väth gibt keine einfachen Antworten. Vielmehr gibt er Denkanstöße, wo es bei New Work hingehen kann und wie und von wem die Rahmenbedingungen gestaltet werden können.

Und bei dem „von wem?“ sind eben alle Menschen gefordert, über sich und ihr zugrundeliegendes Mindset nachzudenken.

Wie bei Asterix

Alle sollen nachdenken, sich verändern und entwickeln!

Nur die Sozialwirtschaft fungiert als gallisches Dorf und widersetzt sich mit aller Vehemenz den auf sie zukommenden Veränderungen!

Was zunächst lustig klingen mag, stellt sich bei näherer Betrachtung als ziemlich gefährliches Unterfangen heraus: Natürlich ist es so, dass soziale Berufe vor der Gefahr, durch Digitalisierung und Technisierung ersetzt zu werden, relativ gefeit sind. Ausnahmen werden auch hier die Regel bestätigen, da bin ich sicher.

Aber es wird zunehmend deutlich, dass der Versuch vieler Sozialarbeitenden und – sehr pauschal ausgedrückt – der Organisationen der Sozialwirtschaft, sich den Veränderungen zu widersetzen, aktuell eher Gefahr läuft, voll nach hinten loszugehen.

Nur als kleines Beispiel lässt sich der Brandbrief des Jugendamtes Berlin-Steglitz anführen. Hier schreien die Mitarbeitenden auf: Sie können noch nicht einmal mehr die Pflichtleistungen erbringen. Krankenstände, nicht besetzte Stellen, damit einhergehende Arbeitsverdichtung für die wenigen Verbleibenden, was wiederum zu erhöhten Ausfallzahlen führt, bringt die Behörde an ihre Grenzen. Und Berlin-Steglitz, da bin ich sicher, ist kein Einzelfall.

New Work in der Sozialwirtschaft

Es stellt sich für die Menschen in den Organisationen der Sozialwirtschaft die Frage, „wie wir leben und arbeiten wollen“ mindestens genauso dringlich wie für Menschen in „technologischeren“ Branchen.

Fragen, die das Konzept „New Work“ in seinen Ursprüngen aufwirft, treffen voll in den Kern der hoffentlich  vorhandenen sozialarbeiterischen Berufsidentität:

Wie lässt sich die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich verringern? Wie lässt sich Familien-, Pflege- und Arbeitszeit miteinander kombinieren? Wie bleiben Menschen „gesund“ in einer zunehmend komplexer werden (Arbeits-)Welt? Und noch viele Fragen mehr.

Öffnung der Organisationen

Eine interessante Diskussion liefert das Buch hinsichtlich der Möglichkeit, neue Berufsfelder kennenzulernen.

So ist es in unserem System nicht oder kaum möglich, Berufe einmal aufzuprobieren, um seine eigenen Kompetenzen zu entdecken. Das geht in Phasen des Studiums, kurz danach noch in Praktika. Und für Organisationen der Sozialwirtschaft kommt hinzu, dass diese Organisationen teilweise starken Restriktionen unterliegen, was die Möglichkeit angeht, als „Fachfremder“ in die Organisationen einzutreten. Oder kurz:

Ohne eine staatliche Anerkennung als Sozialarbeiter ist es nicht möglich, in bestimmten Einrichtungen und Berufsfeldern zu arbeiten.

Das ist auf der einen Seite gut und wichtig, um damit professionelle Standards zu halten. Auf der anderen Seite verbauen sich die Organisationen aber auch einer wichtigen Resource für Innovation: anders denkende Menschen!

Für mich bleibt damit, dass, sofern eine Öffnung der Organisationen im Sinne der professionellen Weiterentwicklung geschieht, mit dem Ziel, bessere Arbeit zu leisten, erstmal nichts gegen die Öffnung für Fachfremde einzuwenden ist. Sofern mit der Öffnung der Zugangsvoraussetzungen jedoch einzig Ressourceneinsparung verfolgt wird (wie es bspw. im Kita-Bereich und auch in anderen Arbeitsfeldern zunehmend der Fall ist), muss zumindest der vorhandene Standard aufrecht erhalten werden.

Hier ergibt sich für Organisationen der Sozialwirtschaft mit Blick auf New Work das Dilemma, dass sie nicht „frei“ gestalten können, sondern immer in Abhängigkeit von Kostenträgern stehen.

Fazit

Liebe Menschen in der Sozialwirtschaft:

Befasst Euch mit den Entwicklungen, die gesellschaftliche und technologische Veränderungen mit sich bringen. Und bitte:

Befasst Euch damit in einer offenen Haltung, die neben den Schwierigkeiten und Herausforderungen vor allem die Möglichkeiten und Chancen für Euch, Eure Organisationen und die Klientinnen und Klienten in den Vordergrund stellt.

Das Buch „Arbeit – die schönste Nebensache der Welt“ liefert hier tolle Anregungen zur Öffnung des Horizontes hin zu einer gestaltbaren, guten, menschlichen Zukunft (auch) der (Sozialen) Arbeit.

Es lohnt sich!

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