Kategorie: New Work

Wie organisationale Resilienz in Sozialen Organisationen gestaltet werden kann: Ansätze, Herausforderungen und Lösungen

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Die Herausforderungen, denen Soziale Organisationen gegenüberstehen, sind enorm. Spannend ist, dass die sich überlagernden gesellschaftlichen Probleme und Polykrisen nicht nur akut sind, sondern sich gegenseitig verschärfen (vgl. hier). Dramatisch dabei ist, dass sich aktuell kaum erkennbare politische Lösungen abzeichnen. Vor dem Hintergrund dieser mehr als herausfordernden Situation ist es entscheidend, dass Menschen in und – hier liegt mein wesentliches Interesse in der Organisationsentwicklung – Soziale Organisationen übergreifend resilient bleiben. Die Frage, die sich hierbei stellt, ist, wie organisationale Resilienz erreicht werden kann.

Dazu findest Du im Folgenden einige Ideen und Ansätze. So wird einführend der Begriff der organisationalen Resilienz definiert. Daran anschließend werden die aktuell diskutierten Ansätze organisationaler Resilienz skizziert und ein Blick auf die besonderen Herausforderungen sozialer Organisationen geworfen. Abschließend wird ein Vorgehensmodell zur Gestaltung organisationaler Resilienz beschrieben, dass Dir in Deiner Organisation helfen kann, Schritte in Richtung „Krisenfestigkeit“ und damit organisationaler Resilienz zu gehen.

Der Beitrag basiert auf einer Ausformulierung eines meiner IdeeQuadrat Newsletter, den ich vor Kurzem verfasst habe. Falls Du Lust hast, regelmäßig Ideen und Gedanken rund um New Social Work, rund um Organisationsentwicklung sozialer Organisationen, Tipps, Links, Infos und mehr zu bekommen, kannst Du den Newsletter hier abonnieren.

Und als Transparenzhinweis: Ja, ich habe die Gratisversion von ChatGPT für erste Ideen zum Text genutzt und verwende auch einige Abschnitte davon hier im Text.

Was ist organisationale Resilienz?

Organisationale Resilienz bezieht sich auf die Fähigkeit einer Organisation, sich an Veränderungen, Störungen, Krisen und unerwartete Herausforderungen anzupassen und dennoch effektiv zu funktionieren. Dabei wirken verschiedene Aspekte und „Qualitäten einer Organisation auf der Mikro-, Meso- und Makroebene [zusammen], die das Unternehmen widerstandsfähig und flexibel für die Handhabung von Belastungen und Krisen machen“ (vgl. Heller, J. (Hrsg.) (2019). Resilienz für die VUCA-Welt. Heidelberg: Springer, 134).

Der Begriff der organisationalen Resilienz ist eng mit dem Konzept der Resilienz in der Psychologie verbunden. Dort beschreibt es die Fähigkeiten einer Person, in schwierigen Zeiten widerstandsfähig zu bleiben und sich von Rückschlägen zu erholen.

Im organisatorischen Kontext geht es bei Resilienz inbesondere um:

  1. Anpassungsfähigkeit: Eine resiliente Organisation kann sich schnell auf neue Situationen einstellen und flexibel auf Veränderungen reagieren. Dies kann bedeuten, dass sie Geschäftsmodelle, Entscheidungswege, Prozesse oder Strategien verändern kann, um sich an veränderte Bedingungen anzupassen.
  2. Krisenbewältigung: Resiliente Organisationen sind in der Lage, mit Krisen und unvorhergesehenen Herausforderungen effektiv umzugehen. Sie haben bspw. Notfallpläne und -verfahren, um in Krisensituationen zu reagieren und den Betrieb aufrechtzuerhalten.
  3. Lernfähigkeit: Eine resiliente Organisation lernt aus Erfahrungen und Fehlern. Es werden regelmäßig Restrospektiven und Nachbetrachtungen durchgeführt, um zu verstehen, was schief gelaufen ist. Darauf basierend werden Maßnahmen zur Verbesserung erarbeitet und umgesetzt.
  4. Kommunikation: Effektive, effiziente und transparente Kommunikation ist ein wichtiger Faktor für organisationale Resilienz. Die Fähigkeit, Wissen und Informationen innerhalb der Organisation zu teilen und mit internen wie externen Stakeholdern zu kommunizieren, hilft, Unsicherheit zu reduzieren und Vertrauen aufzubauen.
  5. Ressourcenmanagement: Resiliente Organisationen verwalten ihre Ressourcen sorgfältig, um sicherzustellen, dass sie in schwierigen Zeiten ausreichend Kapazitäten und Mittel haben, um weiterhin funktionieren zu können.
  6. Risikomanagement: Eine wichtige Komponente der organisatorischen Resilienz ist die Identifizierung und Bewertung von Risiken. Durch die proaktive Erkennung von potenziellen Bedrohungen können Organisationen Maßnahmen ergreifen, um sich besser darauf vorzubereiten.

Kurz: Organisationale Resilienz trägt dazu bei, das Überleben und damit auch den langfristigen Erfolg von Organisationen sicherzustellen. Dabei geht es nicht allein darum, auf unmittelbare Herausforderungen zu reagieren, sondern proaktiv auf eine langfristige Fähigkeit zur Anpassung und Überwindung von Schwierigkeiten hinzuarbeiten.

Bei der Befassung mit organisationaler Resilienz ist es hilfreich, die Ebenen „Mitarbeitende“, „Teams“ und die „Organisation als Ganzes“ zu unterscheiden.

So ist a) „organisationale Resilienz aus Sicht der Beschäftigten (…) dann gegeben, wenn das resiliente Verhalten durch organisationale Ressourcen unterstützt wird. Diese Ressourcen umfassen Aspekte wie etwa: Handlungsspielraum Unterstützung durch Vorgesetzte, angemessene Arbeitsmenge und Arbeitsintensität“ (vgl. ebd., S. 104, Hervorhbg. durch den Verf.).

Aus b) der Perspektive von Teams ist organisationale Resilienz dann gegeben, wenn folgende Facetten berücksichtigt sind (vgl. ebd.):

  • Die Organisation hält die Mitarbeitenden über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden.
  • Die Organisation schafft ein Verständnis der Strukturen und Prozesse innerhalb der Organisation.
  • Die Organisation stellt Ressourcen flexibel bereit, um eine Reaktion auf unvorhergesehene Probleme zu ermöglichen.

Und übergreifend, aus c) der Perspektive der Organisation, gibt es sogar eine ISO-Norm zu organisationaler Resilienz (22136:2017), in der die folgenden 9 Elemente organisationaler Resilienz beschrieben werden (vgl. näher dazu bspw. hier):

  1. Gemeinsame Vision und Klarheit über den Zweck: Eine resiliente Organisation zeichnet sich durch die gemeinsame Vision, klare Ziele und gemeinsame Werte aus. Dies wird auf allen Hierarchieebenen geteilt.
  2. Verständnis des internen und externen Umfelds und Einflussnahme: Eine resiliente Organisation verfügt über ein tiefes Verständnis der internen und externen Systeme, in denen sie agiert. Dies ermöglicht der Organisation, aktiv Einfluss zu nehmen und Möglichkeiten zur Anpassung zu schaffen.
  3. Führung, die Unsicherheit und Scheitern akzeptiert und ermutigt: In einer resilienten Organisation herrscht eine Führungskultur, die es den Mitarbeitenden erlaubt, Unsicherheiten und Veränderungen anzunehmen und zu bewältigen.
  4. Festlegung von relevanten Einstellungen, Werten und Verhaltensweisen: Eine resiliente Organisation verankert gemeinsame Überzeugungen und Werte, positive Einstellungen und Verhaltensweisen fest in der Kultur, die für jeden Einzelnen von Bedeutung sind.
  5. Teilen von Informationen und Wissen: Die Mitglieder einer resilienten Organisation teilen aktiv Informationen und Wissen. Das Lernen aus Erfahrungen, einschließlich Fehlern, wird unterstützt und gefördert.
  6. Verfügbarkeit von Ressourcen: Eine resiliente Organisation verfügt über Ressourcen wie qualifizierte Mitarbeitende, finanzielle Mittel, Gebäude, Informationen und Technologie, um die anfälligen Bereiche der Organisation abzusichern und eine schnelle Anpassung an sich ändernde Umstände zu ermöglichen.
  7. Entwicklung und Koordination der Unternehmensbereiche: In einer resilienten Organisation werden die verschiedenen Unternehmensbereiche (bspw. Personalwesen, Qualitätsmanagement, Betriebliches Gesundheitsmanagement, Krisenmanagement und Informationstechnologie), definiert, entwickelt und koordiniert. Dies geschieht im Einklang mit den strategischen Zielen der Organisation.
  8. Evaluierung und Unterstützung kontinuierlicher Verbesserung: Eine resiliente Organisation bewertet ihre Ergebnisse und lernt aus Erfahrungen, um Chancen für kontinuierliche Verbesserung zu identifizieren.
  9. Fähigkeit, Veränderungen zu antizipieren und zu managen: Eine resiliente Organisation erkennt frühzeitig zukünftige Veränderungen, kann angemessen darauf reagieren und diese erfolgreich bewältigen.

Organisationale Resilienz und die besonderen Herausforderungen sozialer Organisationen

Meine erste Überlegung war, jeden der einzelnen Aspekte organisationaler Resilienz aus der ISO-Norm herauszugreifen und in Bezug zu den Besonderheiten sozialer Organisationen zu reflektieren. Der Aufwand dahinter ist jedoch enorm und der Mehrwert für Dich wahrscheinlich eher begrenzt… Entsprechend habe ich aus den drei Bereichen a) Mitarbeitende, b) Teams und c) Organisationen jeweils einen Aspekt herausgegriffen, die ich als besonders beachtenswert empfunden habe: 

  1. Auf Ebene der Mitarbeitenden ergeben sich spätestens durch den Fachkräftemangel Herausforderungen bezogen auf die angemessene Arbeitsmenge und Arbeitsintensität. Es ist keine Raketenwissenschaft, festzustellen, dass bei gleichbleibender Arbeitsmenge (bspw. zu betreuende Kids in der Kita) und abnehmendem Personal die Arbeitsmenge für die verbleibenden Mitarbeiter:innen steigt. In den Kernprozessen Sozialer Organisationen fehlt die Möglichkeit der Automatisierung (fast) vollständig.
  2. Auf Ebene der Teams sind zum einen die Ressourcen für Unvorhergesehenes (sog. Slack Ressources) fraglich: Gibt es sowas überhaupt oder sind soziale Organisationen „komplett auf Kante genäht“? Spannender finde ich aber, dass, so die obigen Ausführungen, Resilienz in Teams gefördert wird durch ein klares Verständnis der Strukturen und Prozesse innerhalb der Organisation. Mein Blick in soziale Organisationen zeigt jedoch immer wieder, dass nicht nur das Verständnis der Strukturen und Prozesse, sondern Strukturen und Prozesse überhaupt fehlen. Da fällt es dann entsprechend schwer, ein Verständnis dieser zu entwickeln.
  3. Auf Ebene der „Organisation als Ganzes“ könnte ich vieles, will aber nur das erste Element herausgreifen: Resiliente Organisationen antizipieren Veränderungen. Dazu braucht es die Fähigkeit, sog. irritationsrelevante Informationen überhaupt wahr- und dann auch noch aufnehmen zu können. Das klingt einfacher, als es ist, denn: Organisationen als soziale Systeme grenzen sich – sehr verkürzt – bewusst von ihrer Umwelt ab. Sie ignorieren bewusst viele Informationen, die vielleicht wichtig sein könnten, um mit der Komplexität überhaupt umgehen zu können: Hochschulen schauen auf das Hochschulsystem, soziale Organisationen beobachten die Entwicklungen der Sozialgesetzgebungen, Krankenhäuser beobachten die Entwicklungen im Medizinsektor und so weiter… Würden alle Informationen einfließen, wäre das System überlastet. Wenn man sich aber bspw. die Entwicklungen rund um KI oder AI anschaut (ich empfehle gerade diese Podcast-Episode sehr), stellt sich die Frage, welche Auswirkungen diese haben? Dabei reicht es nicht aus, dass einzelne Menschen in der Organisation sich mit diesen Fragen befassen. Vielmehr muss gegeben sein, dass es zu „anschlussfähigen Kommunikationen“ in der Organisation kommt.

Noch einmal: Ich hätte auch andere Aspekte herausgreifen können, die die Entwicklung organisationaler Resilienz in sozialen Organisationen erschweren. So wäre bspw. die Herausforderungen durch die Abhängigkeit von Kostenträgern (vgl. das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis) ebenso erwähnenswert wie die Frage, ob und wie es gelingen kann, die Lernfähigkeit als Mitarbeiter:in, Team und Gesamtorganisation zu steigern.

Und trotz dieser Herausforderungen müssen wir uns angesichts der skizzierten Veränderungen damit befassen…

…wie die Stärkung der organisationalen Resilienz auch in sozialen Organisationen gelingen kann!

Abschließend möchte ich einen Schritt-für-Schritt-Ansatz zur Stärkung der organisationalen Resilienz in Sozialen Organisationen empfehlen. Und ganz ehrlich: Es geht um die Gestaltung und Entwicklung zeitgemäßer und bedarfsgerechter Organisationen. Nicht mehr und nicht weniger. Aber der Reihe nach:

Zu Beginn der Entwicklung resilienter Organisationen steht a) eine umfassende Bestandsaufnahme, gefolgt von b) einer gründlichen Resilienz-Diagnose und endet schließlich mit c) gezielten Maßnahmen zur Stärkung der relevanten Fähigkeiten.

Bestandsaufnahme und Resilienz-Diagnose

Hilfreich für die Bestandsaufnahme bzw. die „Ist-Analyse“ ist die Orientierung an einem Management-Modell, das hilft, alle Bereiche einer Organisation in den Blick zu nehmen. Denkbar ist bspw. eine Befassung mit dem St. Galler Management Modell. Aber etwas Eigenwerbung darf hier ja ruhig sein…

Deswegen empfehle ich das – aus meiner Sicht natürlich – hilfreiche Werkzeug zur Bestandsaufnahme – die IdeeQuadrat New Work Canvas.

In diesem Werkzeug finden sich zahlreiche Fragen, die dazu beitragen können, die Organisation zu analysieren und über Vorgänge in der Organisation zu reflektieren, um dann auf der Reflexion basierend Entscheidungen treffen zu können, die zur Gestaltung der organisationalen Resilienz dienen.

Kategorien, die in der Arbeit mit dem IdeeQuadrat New Work Canvas in den Blick genommen werden, sind:

  • Vision, Zweck und Identität
  • Sachmittel und Ressourcen
  • Optimierung, Innovation und Exnovation
  • Strukturen und Entscheidungswege
  • Interne und externe Stakeholder
  • Prozesse und Regeln
  • Strategien und Konzepte
  • Mandate und Funktionen
  • Kommunikation

Bei der Bestandsaufnahme und der damit einhergehenden Resilienz-Diagnose wird der Blick zunächst auf die bestehenden Herausforderungen in der Gegenwart gerichtet. Der Blick auf die Herausforderungen ist insofern relevant, da zum einen oftmals unklar ist, wie die Vorgänge in meist hochgradig dezentralen sozialen Organisationen gestaltet sind und zum anderen nur über die wahrgenommene Notwendigkeit der Entwicklung ausreichend „Veränderungsenergie“ erzeugt werden kann, um (sofern notwendig) tiefgreifende Anpassungen vorzunehmen.

Gezielte Maßnahmen zur Stärkung der organisationalen Resilienz

Der dritte Schritt ist die Entscheidung und Umsetzung gezielter Maßnahmen zur Stärkung der Organisationalen Resilienz. Diese sind je nach Herausforderung der jeweiligen Organisation hochgradig individuell. Entsprechend ist es schwierig, hier „für alle passende Maßnahmen“ zu beschreiben.

Der Blick auf die in der ISO-Norm aufgeführten Aspekte jedoch eröffnet zumindest eine Orientierung dessen, was für eine resiliente Organisation gegeben sein sollte. Orientiert an den Kategorien des IdeeQuadrat New Work Canvas ist es entsprechend relevant…

  • …sich über die Vision und (vor allem) die Mission der eigenen Organisation(seinheit) bewusst zu werden: Die Mission, der Zweck, von mir aus auch der „Purpose“ der Organisation ist relevant, damit allen Beteiligten klar ist, woran die Organisation arbeitet. Die Fokussierung auf eine erstrebenswerte Mission (und Vision), in der auch die emotionalen Aspekte innerhalb der Organisation berücksichtigt werden, bietet eine klare Ausrichtung, an der sich gemeinsame Strategien und Prozesse orientieren können.
  • …sich den vorhandenen Ressourcen bewusst zu sein und diese krisenfest zu entwickeln. Dabei sind es in dieser Kategorie vornehmlich finanzielle und personelle Ressourcen und Sachmittel. Hinzu kommen aber auch Gebäude oder die digitale Infrastruktur ebenso wie die Kompetenzen und Fähigkeiten der Mitarbeiter:innen. Krisenfest entwickeln heißt übrigens nicht ausschließlich, die Ressourcen auszubauen und um jeden Preis zu wachsen. Auch der Blick auf Ineffizienzen und damit einhergehende Ressourceneinsparungen ist relevant.
  • …Prozesse zu gestalten, die es ermöglichen, aus Erfahrung zu lernen. Lernen ist umfassend zu verstehen. So sind zum einen regelmäßige Möglichkeiten zu schaffen, hypothesenbasiert Bestehendes (bspw. Prozesse, Abläufe, Angebote, Geschäftsmodelle) zu optimieren und weiterzuentwickeln. Hinzu kommt die Entwicklung der Innovationsfähigkeit, unterstützt durch ein passfähiges Innovationsmanagement. Nicht außer acht gelassen werden darf aber auch hier die Möglichkeit, explizit zu exnovieren und das Bestehende auf allen Ebenen infrage zu stellen. Hierbei ist relevant, internes und externes Wissen in den Prozess der Optimierung, Innovation und Exnovation zu integrieren.
  • …Strukturen zu gestalten, die Anpassungsfähigkeit ermöglichen. Das klingt leichter, als es in der Realität ist. Denn: In sozialen Organisationen geht es nicht immer um die Gestaltung „agiler Organisationsstrukturen“. Diese sind – in ihrer Grundstruktur – oftmals aufgrund der Dezentralität gegeben. So kümmern sich (kleine) Teams um die Wertschöpfung vor Ort, in Wohngruppen, Beratungsstellen, regionalen Einrichtungen. Anpassungsfähigkeit kann hier auch bedeuten, Klarheit (auch in der Krise) über die Gestaltung transparenter Entscheidungswege (Hierarchien) zu schaffen, anstatt Hierarchie ausschließlich „zu verteufeln“.
  • …zukunftsfähige Lern- und Entwicklungswege für die Menschen in der Organisation zu schaffen. Das Personal ist das wesentliche Kapital sozialer Organisationen. Dies gilt nicht nur, aber deutlich verstärkt in Zeiten des Fachkräftemangels. Entsprechend gilt es, sicherzustellen, dass die Kompetenzen der Mitarbeitenden mit aktuellen und zukünftigen Anforderungen korrelieren! Dies erhöht zum einen die Mitarbeiter(ver)bindung und sichert zum anderen das Überleben der Organisation. Hier sind aus meiner Sicht die Ansätze des New Learnings enorm hilfreich.
  • …transparente und funktionale Regeln und Prozesse zu schaffen, die Zusammenarbeit sicherstellen. So fällt mir immer wieder auf, dass Kern-, Unterstützungs- und Managementprozesse entweder gar nicht sind definiert oder nicht bekannt sind. Diese sind jedoch insbesondere in Krisenzeiten hilfreich, um den Betrieb verlässlich aufrechtzuerhalten. Es gilt jedoch auch, bestehende Vorgaben und Prozesse im Sinne der Exnovation zu hinterfragen und nicht funktionale Prozesse abzuschaffen.
  • …klare und sinnvolle strategische Stoßrichtungen für die (nahe) Zukunft zu definieren. Denn: Sofern nicht klar ist, wo die Entwicklungsrichtung der Organisation liegt, worein heute und in Zukunft investiert werden soll (und muss), bleibt auch in der Krise unklar, wo strategische Änderungen vorgenommen werden müssen. An dieser Stelle ist noch relevant, dass nicht nur die Entwicklung, sondern vor allem die Umsetzung der Strategien aktiv gestaltet wird. Im Sinne der adaptiven Strategie gilt es, auch aktuelle Entwicklungen in die Strategie zu implementieren, um auch hierüber die Anpassungsfähigkeit sicherzutellen.
  • …in der Organisation und in den Teams klare Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten zu definieren. Hierbei recht es oft nicht aus, allein unflexible und wenig aussagekräftige „Stellenbeschreibungen“ zu erstellen. Vielmehr geht es um die Unterscheidung von Rollen (im Sinne von Stellen) und den Verantwortungsbereichen (Mandaten). So haben bspw. in einem Team einer stationären Einrichtung alle die gleiche Stellenbeschreibung. Dies führt jedoch dann zu Problemen, wenn (nicht nur) in der Krise selbstbestimmt agiert und Verantwortung übernommen werden muss.
  • …die Art und Weise, wie in der Organisation miteinander umgegangen wird, in den Blick zu nehmen. Die Interaktionen und Kommunikationen haben großen Einfluss auf den Geist, die Atmosphäre, die Kultur, das emotionale Wohlbefinden und die Effektivität der Teams und der Organisation als Ganzes. Und gerade in Krisenzeiten sind dies hoch relevante Aspekte, die das Überleben (oder auch nicht) einer Organisation massiv beeinflussen können. Wie auch in der ISO-Norm angeführt, geht es hier bspw. auch um die Frage, wie und ob Wissen in der Organisation geteilt wird.

Fazit, oder: Wir sind besser als wir denken!

Klar ist, dass in einer Zeit, in der der soziale Sektor vor immer neuen Herausforderungen steht, die Entwicklung organisationaler Resilienz von entscheidender Bedeutung ist. Und es wurde auch deutlich, dass organisationale Resilienz Anpassungen und Entwicklungen auf individueller, auf Team- und auf Organisationsebene erfordert. Und da haben soziale Organisationen sowieso spezifische Herausforderungen. Kurz:

Oh man, wer soll das bitte wann und wie machen?

Ja, das ist richtig. Aber! Aber ich habe oben des Öfteren die hoch diversen, dezentralen Strukturen sozialer Organisationen betont. Ja, auch diese bringen einige Herausforderungen mit. Aber sie bieten auch enorme Möglichkeiten, sofern die Vorteile berücksichtigt werden.

Und die Vorteile liegen in der Diversität. Wenn soziale Systeme wie Ökosysteme betrachtet werden, dann zeigt sich, dass insbesondere Monokulturen hochgradig krisenanfällig sind. Reine Fichtenmonokulturen sterben durch einen kleinen Käfer sowie Geschäftsmodelle, die ausschließlich auf ein Produkt bzw. Angebot setzen, durch eine kleine Gesetzesänderung oder Innovation am Ende sein können.

P.S.: Das Bild zu diesem Beitrag zeigt den Garten meines Vater. Ich finde, es zeigt sehr gut, was Resilienz bedeuten kann (auch wenn hier der Wildwuchs etwas überwiegt 😉


Wie aber steht es um die Resilienz Deiner Organisation, Deines Teams oder Deiner ganz persönlichen Resilienz? Hinterlasse dazu gerne einen Kommentar – hier oder auf den verschiedenen, anderen Kanälen…

Quellen

  • Heller, J. (Hrsg.) (2019). Resilienz für die VUCA-Welt. Heidelberg: Springer.

Adaptive Strategiearbeit in Sozialen Organisationen – Ansätze, Herausforderungen und Lösungen

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Der Beitrag „Adaptive Strategiearbeit in Sozialen Organisationen – Ansätze, Herausforderungen und Lösungen“ ist mein Skript bzw. eine Verschriftlichung meiner Gedanken, die ich zur BEB Fachtagung Dienstleistungsmanagement mitgebracht habe. Mein Impuls befasste sich mit „adaptiver Strategiearbeit“, agiler Strategieentwicklung und Strategieumsetzung (und irgendwas mit New Work ;-). Hier (und entsprechend in meinem Impuls bei der Tagung) habe ich dazu vier Fragen beantwortet, die ich hier gerne teilen will:

  1. Wozu brauchen wir ein neues Verständnis von Strategiearbeit – und was ist das eigentlich?
  2. Wie entwickelt man adaptive Strategien in Zeiten des Wandels?
  3. Warum ist Strategieumsetzung in sozialen Organisationen so schwierig?
  4. Was Sie trotzdem tun können!

Wozu brauchen wir ein neues Verständnis von Strategiearbeit – und was ist das eigentlich?

Der erste Teil der ersten Frage ist eigentlich schnell beantwortet:

Wir befinden uns in einer Krisenzeit, in der der Krisenbegriff an die Grenze kommt:

Eine Krise, so findet man in Wikipedia, „ist im Allgemeinen ein Höhepunkt oder Wendepunkt einer gefährlichen Konfliktentwicklung in einem natürlichen oder sozialen System, dem eine massive und problematische Funktionsstörung über einen gewissen Zeitraum vorausging und der eher kürzer als länger andauert.“

Wenn die Krise zum Normalzustand wird, ist es keine Krise mehr, sondern das „neue Normal“, unsere geteilte Wirklichkeit, in der wir uns befinden.

Diese neue Normal besteht aus einer Aneinanderreihung, mehr noch, aus einer Überlagerung von Krisen und damit von gefährlichen Konfliktentwicklung in verschiedenen natürlichen oder sozialen Systemen.

Hier muss man nicht mehr in die Tiefe gehen, allein die Aufzählung der Begriffe Demokratiekrise, Fachkräftemangel, Haushaltskürzungen, Klimakatastrophe, Krieg, und Künstlicher Intelligenz (in alphabetischer Reihenfolge) reicht aus, um das Problem zu skizzieren.

Aber es bleibt nicht bei der Überlagerung von Krisen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass durch die Synchronisation der Krisenphänomene von deren gegenseitiger Beschleunigung und Verstärkung ausgegangen werden kann (vgl. Homer-Dixon et. al, 2022).

Vor diesem Hintergrund kommt der klassische Strategieegriff massiv an seine Grenzen. Wobei: Was ist eigentlich Strategie?

Was ist eigentlich Strategie?

Interessanterweise wird in der Literatur über Strategie sehr viel vermischt:

Da wird kaum zwischen den Begriffen Plan, Taktik, Strategie unterschieden (vgl. auch Kühl, 2016, 8). Es geht aber um die Verwirklichung von (längerfristigen) Unternehmenszielen bzw. – etwas theoretischer formuliert – um die „Suche nach geeigneten Mitteln zur Realisierung eines vorher definierten Zwecks“ (ebd., 9), soviel scheint klar zu sein.

Aus dieser Perspektive wäre „Strategieformulierung (oder Strategieentwicklung) (…) der Prozess der Suche nach dem geeigneten Mittel (…). Strategieumsetzung (oder Strategieimplementation) wäre der Prozess des Einsatzes der als geeignet identifizierten Mittel, um den vorher definierten Zweck zu erreichen“ (ebd.).

Es ergibt sich ein zweckrationales Strategieverständnis, das von einem Oberzweck der Organisation ausgeht und dann nach geeigneten Mitteln gesucht wird, diesen Zweck zu erreichen. Dieses zweckrationale Verständnis ist wunderbar nach unten zu skalieren, indem auch die Bereiche, Abteilungen und einzelnen Teams Ziele und Zwecke definieren, für deren Erreichung dann geeignete Mittel gesucht werden.

Spätestens angesichts der skizzierten Polykrisen jedoch kommt dieses alleinig zweckrationale Vorgehen massiv an seine Grenzen. Die langfristige Planung von Unternehmenszielen und die darauffolgende Suche nach Mitteln, um die definierten Zwecke zu erreichen, funktioniert nicht mehr, da sich das neue Normal so schnell ändert, dass eine alleinige Fokussierung der Organisation auf die Erreichung strategischer Ziele nicht mehr gelingen kann.

Es kommt heute und zukünftig darauf an, Strategieprozesse aus beiden Perspektiven zu denken und so anzulegen, dass für strategische Ziele geeignete Mittel gesucht werden können und Organisationen gleichzeitig offen dafür bleiben, für existierende Mittel, Problemlösungen, vorhandene Ressourcen geeignete Ziele, Probleme, Einsatzmöglichkeiten zu suchen.

Beim zweiten Ansatz wird gefragt, „welche Mittel in der Organisation vorhanden sind, auf deren Basis man verschiedene, unterschiedliche Ziele anstreben kann“ (ebd., 64).

Die Kombination beider Perspektiven wird dann zur „adaptiven Strategiearbeit“ (oder auch zur agilen, iterativen oder anpassungsfähigen Strategiearbeit).

Dieser Ansatz klingt in der Beschreibung einfach, kehrt jedoch die klassische Denkweise der Strategiearbeit um. Es gilt, mit
kleineren Maßnahmen (Inkremente, Experimente) zu beginnen, noch bevor die Bewertung von zig Alternativen stattgefunden hat.

Dazu bedarf es die kontinuierliche, ganzheitliche Einbeziehung der Organisation in die Strategiearbeit und – wie gesagt – eine Abkehr des Denkens der Strategie „von nach unten“.

Die ganze Organisation kontinuierlich in den Blick nehmen

Was ist aber „die ganze Organisation“?

Hierzu lohnt ein Blick auf verschiedenen Management-Modelle – hervorzuheben ist aus meiner Sicht das St. Galler Management Modell. Und trotzdem habe ich, wie es sich für einen guten Berater gehört ;-), die „IdeeQuadrat New Wort Canvas“ erarbeitet – eine Kombination verschiedener Ansätze, die mir hilfreich erschienen. Hier findest Du mehr zur „IdeeQuadrat New Wort Canvas“ (inkl. Download und Co.).

Dieses Modell betrachtet eine Organisation aus den Kategorien:

  • Zweck: Wofür treten wir an?
  • Ressourcen: Was und wen haben wir zur Verfügung?
  • Optimierung und Innovation: Wie lernen wir?
  • Strukturen, Prozesse und Mandate: Wie organisieren wir uns?
  • Umweltsphären: Wo spielen wir?
  • Kultur: Wir sind wir (und wie wollen wir sein)?
  • Stakeholder: Wer hat Interesse an und Einfluss auf uns?

Wichtig ist vor allem, dass in jeder Kategorie strategische Entscheidungen im klassischen Sinne (Wo wollen wir hin? Wie kommen wir dahin?) getroffen werden können. Und gleichzeitig können in jeder Kategorie Entscheidungen in der anderen Richtung getroffen werden (Was haben wir? Was können wir damit erreichen?).

Und zur Orientierung lassen sich auf all diesen Ebenen „Markierungen“, „Optionen“ und „Arbeit“ finden.

„Markierungen“, „Optionen“ und „Arbeit“

Die Unterscheidung von „Markierungen“, „Optionen“ und „Arbeit“ findet sich bei Darkhorse (vgl. 2023).

  • Markierungen lassen sich als Erzählungen über die Identität einer Organisation in einer zu gestaltenden Zukunft beschreiben. Sie sind vergleichbar mit (aber nicht gleich) „der einen Vision“ oder „dem einen Nordstern“ einer Organisation. Sie sind deutlich breiter gedacht und liefern damit einen Rahmen für Entscheidungen über die Optionen.
  • Optionen sind die Möglichkeiten, die einer Organisation in einer bestimmten Situation zur Verfügung stehen. Optionen sind nicht alternativlos, sondern bieten Möglichkeiten, Korrekturen auch im laufenden Geschäft vorzunehmen. Und diese Korrekturen sind es, die zeitgemäße und damit anpassungsfähige Organisation brauchen.
  • Und die Thesen, die die Optionen versprechen, werden durch Arbeit überprüft. Hier zeigt sich die Parallele zu den „Inkrementen“ von oben ebenso wie zu Überlegungen rund um agiles Arbeiten oder der Denkhaltung „Effectuation“.

Strategie wird damit über drei Perspektiven gedacht, an denen adaptive Startegiearbeit in den einzelnen Kategorien ansetzen kann.

Dabei aber ist wiederum zu bedenken, dass adaptive Strategiearbeit nicht nur top-down (von Markierungen zur Arbeit), sondern eben auch von der Arbeit zur Entwicklung der Markierungen gedacht und gelebt wird.

Aber wie sieht das etwas konkreter aus, oder:

Wie entwickelt man adaptive Strategien in Zeiten des Wandels?

Die Entwicklung adaptiver Strategien erfolgt aus zwei Perspektiven, die im Folgenden skizziert werden:

Vorgehen aus beiden Perspektiven

Zunächst wird (klassisch) überlegt, welche Ziele und Zwecke die Organisation in den nächsten Jahren erreichen soll. Hier dienen die Markierungen als Ausgangspunkt für Fragen wie „Wer sind wir heute und in Zukunft?“

Aus diesen Markierungen, die die Zwecke der Organisation beschreiben, lassen sich dann Optionen gestalten, die für die Erreichung der Zwecke notwendig sind.

Ein Beispiel:

Die Mitarbeitenden einer Einrichtung aus der Eingliederungshilfe erzählen stolz über die innovativen Lösungen, die sie immer wieder für ihre Bewohner:innen finden. Eine Markierung im Bereich der „internen Stakeholder“ wäre damit bspw. „Wir sind innovativ im Sinne unserer Bewohner:innen“.

Angesichts des Fachkräftemangels stellt sich entsprechend die Frage, wie es gelingen kann, diesen innovativen Anspruch trotz Personalengpässen zu halten. Daraus ergeben sich verschiedene Optionen: Verstärkte Suche nach Fachkräften, Bindung der bestehenden Fachkräfte, Reduzierung des Angebotsspektrums, um die Kernleistungen bestmöglich zu erfüllen, Überdenken der Formalstruktur der Organisation, um darüber klare Orientierung für die Mitarbeiter:innen zu schaffen usw… Jede dieser Optionen kann dann im Sinne iterativen Vorgehens vor dem Hintergrund des Zwecks (aufrechterhalten der innovativen Qualität) getestet werden. Die erfolgsversprechendsten Experimente (Arbeit) lassen sich dann in das regelhafte Angebot der Organisation übernehmen. Kurz: Für den angestrebten Zweck werden geeignete Mittel gesucht.

Die umgekehrte Perspektive ist, über die Arbeit, das Tun, über die vorhandenen Mittel und Ressourcen zu gehen und zu überlegen, welche Optionen sich daraus ergeben, die zu einer Neuorientierung der Organisation führen können.

In unserem Beispiel ist denkbar, dass Mitarbeiter:innen in einem Team der Organisation aus der Not des Fachkräftemangels eine Tugend gemacht haben und neue Wege gehen, die für dieses Team sehr erfolgsvorsprechend sind. Das Denken und Handeln aus den vorhandenen Möglichkeiten des Teams, sichtbar in der geleisteten Arbeit, führt zu neuen Optionen wie bspw. der Rekrutierung von Quereinsteiger:innen, der Verbindung der Einrichtung mit der Kita im Ort, der Entwicklung neuer, ressourcenschonender Dienstplanlösungen, der Reduzierung der Beschäftigung mit internen Prozessen zugunsten echter Arbeit an und mit den Menschen usw. Aus den Optionen ergeben sich dann – mittelfristig – neue Markierungen, die die Gesamtorganisation prägen (bspw. Stärkerer Einbezug des Sozialraums der Organisation).

Und wer hat den Hut auf?

Aus der beschriebenen Logik folgt, dass Strategiearbeit nicht mehr reine „Chefsache“ ist. Top-Down allein reicht nicht mehr (und reichte ehrlich gesagt noch nie wirklich).

Darkhorse (vgl. 2023) unterteilt hier sinnvollerweise in „Strategietreibende“ und „Strategiestakeholder„.

  • Strategietreibende sind Teams oder Mandate (Rollen, Verantwortungsbereiche), die explizit bezogen auf die jeweiligen Optionen gebildet werden und sich um die Optionen kümmern und deren Umsetzung vorantreiben! In unserem Beispiel wäre es ein Team (oder Arbeitsgruppe „Fachkräftemangel“).
  • Strategiestakeholder sind Mandatsträger:innen, die bei Feedbackschleifen involviert werden. Sie bieten Leitplanken für die Strategietreibenden. Idealerweise sind die Gruppen der Strategiestakeholder besetzt mit Mandaten, die nicht nur aus der „Ebene der Markierungen“ (Vorstand, GF, Leitung) bestehen, sondern auch die „Ebene der Arbeit“ miteinbeziehen (Mitarbeiter:innen). Spannend im Sinne einer Open Stategy (und der Teilhabe der Klient:innen Sozialer Organisationen) ist natürlich auch die Einbeziehung von Nutzer:innen in die Gruppen der Strategiestakeholder.

Das konkrete Vorgehen der adaptiven Strategiearbeit orientiert sich damit an einer Verbindung aus Top-Down und Bottom-Up Ansätzen. Wer sich mit Effectuation oder auch mit OKR – Objectives an Key Results – beschäftigt, erkennt die Nähe dieser Modelle zum adaptiven Strategieansatz.

Probleme der Strategieumsetzung in sozialen Organisationen

Die vorherigen Ausführungen sind aller Wahrscheinlichkeit nach nachvollziehbar, oder? Sie machen auch Sinn, oder? Naja, zumindest für mich 😉 Aber die Realität in sozialen Organisationen zeigt, dass es mit der Umsetzung von Strategien nicht so einfach ist.

Das hat viele verschiedene Ursachen (unter anderem Abhängigkeit von Gesetzen und Kostenträgern, enorme Komplexität der Arbeit mit Menschen usw.). Eingehen will ich hier aber insbesondere auf eine These, die ich in einem anderen Beitrag ausdifferenziert habe. Die These lautet (angepasst auf Strategiearbeit in sozialen Organisationen):

„Weil in sozialen Organisationen die Informalität dominiert, ist Strategiearbeit ungleich schwieriger als in privatwirtschaftlichen Organisationen.“

Um den Beitrag noch halbwegs lesbar zu halten, gehe ich hier nicht in der Tiefe darauf ein, was Informalität ist und warum diese in allen Organisationen vorkommt. Nur soviel:

Die Informalität der Organisation meint die Aspekte in einer Organisation, über die keine formale Entscheidung getroffen wurde – sog. unentschiedene Entscheidungsprämissen.

„Von Informalität als Teil der Organisationsstruktur kann man sprechen, wenn eine nicht in der Formalstruktur erwartete Handlung mit einer gewissen Regelmäßigkeit auftritt. Erst wenn ein Deutungsmuster sich nicht nur bei einem einzigen Mitglied findet, sondern sich in Teilen der Organisation als erwartbar eingeschlichen hat, hat es den Status einer informalen Erwartung. Erst wenn die kurzfristige Abstimmung mit der Kollegin in der Nachbarabteilung nicht ausnahmsweise vorgenommen wird, sondern wiederkehrend als ‚kurzer Dienstweg‘ zur Abstimmung genutzt wird, hat man es mit einer informalen Struktur zu tun“ (Kühl, 2016).

Diese personenorientierten Routinen und Gewohnheiten werden oft und etwas verkürzt als Organisationskultur definiert: „So machen wir das hier eben, damit es funktioniert.“

Die Herausforderung besteht jetzt darin, dass bewusste, zielgerichtete Gestaltung einer Organisation nur über das Treffen formaler Entscheidungen gelingt.

Wenn jedoch die formalen Entscheidungen vergleichsweise wenig Gewicht haben und die eingeschliffenen Muster unabhängig von den formalen Entscheidungen weiterleben (bspw. durch die Einarbeitung von neuen Mitarbeiter:innen, denen die eingeschliffene Kultur mit auf den Weg gegeben wird), ist Arbeit an den sich aus der Strategiearbeit ergebenden Aufgaben, die ja formale Entscheidungen sind, schwieriger.

Dazu schreibt Rudolf Wimmer, dass es nicht funktional ist, in der Gestaltung von Organisationsdesigns auf die Personenorientierung (gemeint ist die Orientierung an den Mitarbeiter:innen) zu setzen, da das Organisationsprinzip „Personenorientierung“ „nur bis zu einem gewissen Komplexitätsgrad erfolgreich ist“ (Wimmer, 2019).

Dem folgend „wird damit auf der Personenseite die Illusion genährt, dass die Organisation sich um die eigenen Anliegen und Wünsche herum entwickelt – d. h. die Organisation tritt in den Dienst der Bedürfnisse ihrer Beschäftigten. Diese Illusion hat katastrophale Auswirkungen auf die Organisation“ (ebd.).

Wimmer schließt die Ausführungen mit dem Bezug zu Non-Profit-Organisationen, die aus seiner Perspektive „per se veränderungsresistent [sind], weil sie keinen Aufgabenfokus jenseits der persönlichen Bedürfnisse mobilisieren können“ (ebd.).

In sozialen Organisationen zeigt sich jedoch die Personenorientierung (zu verstehen aus Perspektive der Mitarbeiter:innen und im Gegensatz zur Aufgabenorientierung) an vielen Stellen – von der Gründungsgeschichte sozialer Organisationen basierend auf individuellen Erlebnissen der Gründer:innen über die auf ehrenamtliche Beteiligung angewiesenen Rechtsformen sozialer Organisationen bis hin zur auf die intrinsische Motivation setzende professionelle Identität der in den Sozialen Berufen Beschäftigten.

Im Vorfeld des Vortrags hatte ich ein kurzes Gespräch, in dem ein Mitarbeiter einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung die Hauptproblematik bzgl. gelingender Organisationsentwicklung darin gesehen hat, dass „vor allem die langjährigen Mitarbeiter:innen nicht von ihrem „Expertenstatus“ („Ich weiß, was für die Menschen richtig ist!“) abweichen können!“ Auch dies ist ein wunderbares Beispiel für die vor der Aufgabenorientierung (in diesem Fall Teilhabe ermöglichen) stehende Personenorientierung („Ich weiß, was für dich richtig ist!“).

Noch einmal etwas überspitzt zusammenfasst:

Die Arbeit an den mit der Strategiearbeit verbundenen Aufgaben, das Verfolgen von Zielen, das Suchen nach innovativen Lösungswegen, die klassische ebenso wie die „adaptive Strategiearbeit“ kommen an ihre Grenzen, wenn jede:r macht, was er:sie will.

Wie adaptive Strategiearbeit in sozialen Organisationen gelingt

Abschließend lege ich Handlungsoptionen dar, wie adaptive Strategiearbeit trotz (oder gerade wegen) der skizzierten Herausforderungen gelingen kann.

Den Menschen aus dem Mittelpunkt nehmen

Adaptive Strategiearbeit

Das klingt komisch (und ist bewusst provozierend formuliert). Es ist aber recht einfach erklärt:

Wenn auch soziale Organisationen damit beginnen, die Menschen aus und deren Verantwortungsbereiche (Rollen oder Mandate) in den Mittelpunkt zu stellen, wird deutlich, dass es in Organisationen um die Erfüllung von Zielen und Zwecken geht. Das ist auch nicht „unmenschlich“, im Gegenteil:

Wenn der:die Mitarbeiter:in als „ganzer Mensch“ in die Organisation inkludiert wird, besteht keine Grenze mehr. Burnout ist vorprogrammiert und völlig logisch. Wenn aber zwischen Mandat und ganzem Mensch unterschieden wird, kann zum einen über die Aufgaben im Mandat und zum anderen – an anderer Stelle, zu anderen Zeiten – über das individuelle Befinden und die „menschliche Seite“ gesprochen werden.

Organisationsbewusstsein entwickeln

Selbstverständlich gehört auch der erste Aspekt – die Trennung zwischen Person und Verantwortungsbereich – zur Entwicklung eines Organisationsbewusstseins. Hier will ich aber weitere Punkte aufführen, die zur Entwicklung eines Organisationsbewusstsein beitragen:

Dazu ist es a) zunächst wichtig, Ziel und Zweck der Organisation bzw. des Bereichs oder der Abteilung bzw. des Teams zu klären und transparent zu machen! Wozu ist die Organisation da? Was ist Kernaufgabe der Organisation? Erst daran orientiert kann „klassische Strategiearbeit“ gelingen. Wenn Ziel und Zweck nicht klar sind, kann nicht daran gearbeitet werden, diesen über die Suche nach geeigneten Mitteln zu erreichen.

Außerdem sollten b) die Entscheidungswege der Organisation geklärt sein und für alle Mitarbeiter:innen verständlich dargelegt werden (dabei muss es sich übrigens nicht nur um „Vorgesetzte“ handeln. Auch selbstbestimmt agierende Teams haben über die Festlegung von Mandaten klare Entscheidungswege). Wer darf was entscheiden? Solange dies unklar ist, kommt es zu einer Verantwortungsdiffusion, die aller Wahrscheinlichkeit nach darin endet, dass keine Entscheidungen getroffen werden.

Ebenso sind c) die Prozesse der Organisation transparent zu definieren, die kausal bearbeitet werden können. Was passiert, wenn in einer Organisation ein bestimmter Impuls auftritt? Zu diesen Prozessen gehören bspw. viele Verwaltungsprozsse, aber auch Prozesse wie die Neuaufnahme von Klient:innen, die Festlegung des Ablaufs von Teamsitzungen oder die Dauer von Iterationen bezogen auf bestimmte Projekte. Wichtig ist, dass erst dann, wenn klar ist, wie Prozesse ablaufen, kann an deren Weiterentwicklung gearbeitet werden.

Sicherlich nicht unbedingt beliebt ist d) die Definition von Konsequenzen, die regeln, was passiert, wenn im jeweiligen Verantwortungsbereich der definierten Verpflichtung nicht nachgekommen wird. Und auch hierbei geht es nicht um willkürliche Sanktionierung, sondern um Transparenz und Klarheit.

Über die Aspekte a – d wird deutlich, was die Organisation von den Mitarbeiter:innen will und was – aus der anderen Perspektive – der:die Mitarbeiter:in von der Organisation erwarten kann. Dieser Klarheit, was Organisationen sind und welche Regeln wie durch wen zu befolgen sind, sind sich viele Menschen in sozialen Organisationen nicht (immer) bewusst.

Verbundenheit herstellen um Komplexität zu gestalten

Das Cynefin-Framework (vgl. näher bspw. hier) unterscheidet vier (bzw. fünf) Arten von Aufgaben:

  1. Einfache Aufgaben: Für Aufgaben dieser Domäne sind Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge gut bekannt und klar. Zur Aufgabebearbeitung sind bestehende Best Practices und Standardverfahren, klare Prozesse und Checklisten geeignet.
  2. Komplizierte Aufgaben: Aufgaben dieser Domäne verfügen zwar über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, aber diese sind nicht offensichtlich. Die Bearbeitung dieser Aufgaben benötigt die Expertise von Fachleuten und das Anwenden von analytischem Denken, um eine Lösung zu finden.
  3. Komplexe Aufgaben (worunter auch die agile Strategiearbeit fällt): Komplexe Aufgaben umfassen viele unbekannte Faktoren. Es gibt keine vordefinierten Lösungen. Die Aufgabenbearbeitung erfolgt benötigt iterative Experimente, Lernen und Anpassung. Tragfähige Lösungen für komplexe Aufgaben zeigen sich erst im Laufe der Zeit. Wichtig ist hier, möglichst viele Perspektiven und damit viele Mitarbeiter:innen miteinzubeziehen.
  4. Chaotische Situationen: Chaotische Situationen sind durch völlige Unordnung und fehlende Kontrolle gekennzeichnet. In solchen Momenten ist es notwendig, sofortige Maßnahmen zu ergreifen, um die Situation zu stabilisieren, bevor man in eine der anderen Domänen wechseln kann.

Zwischen diesen vier (Aufgaben-)Bereichen findet sich im Cynefin-Framework der aporetische Bereich (die „fünfte Aufgabenart). In diesem Bereich befinden sich Probleme, die noch so unklar sind, dass nicht entschieden werden kann, in welchen Bereich sie fallen. Entsprechend geht es hier darum, Fragen zu stellen und zu reflektieren, anstatt nach endgültigen Antworten zu suchen.

Deutlich wird, dass vor allem komplexe Aufgaben die Beteiligung von vielen Menschen voraussetzen, um zu neuen Perspektiven, Ideen, Hypothesen usw. zu gelangen, die dann in iterativen Experimenten getestet werden können. Da Strategiearbeit immer komplex ist (sonst wäre sie unnötig), macht es Sinn, die Mitarbeitendenschaft der Organisation möglichst breit zu beteiligen.

Wichtiger als die breite Beteiligung ist aber der Aspekt, dass Krisen, neue Herausforderungen, Wandel und damit komplexe Situationen und Aufgaben immer Unsicherheit erzeugen. Der Blick in „unsere Gesellschaft“, das Wählerverhalten, die Suche nach eindeutigen (und damit in Komplexität immer falschen) Antworten zeigt dies eindrücklich.

Gleiches gilt in Organisationen: Auch hier erzeugt hohe Komplexität Unsicherheit, die sich oftmals im Erstarren und im Widerstand der Mitarbeiter:innen äußert.

Der erfolgreiche Umgang mit Komplexität hingegen erfordert – den Ausführungen des Cynefin-Frameworks folgend – genau das Gegenteil des Erstarrens: Ausprobieren, Innovation, Experimentierlaune, Mut, Neulernen.

Entsprechend ist es relevant, einen sicheren Rahmen in der Organisation zu schaffen, innerhalb dessen die Mitarbeiter:innen gemeinsam, verbunden über Experimente, an neuen Ideen arbeiten und neue Lösungen hervorbringen können.

Fazit – adaptive Strategiearbeit in sozialen Organisationen

Sehr kurz zusammengefasst braucht erfolgreiche adaptive Strategiearbeit Arbeit an der Arbeit ;-), den Optionen und den Markierungen – in beiden Richtungen. Man merkt sofort: Ganz ohne Arbeit wird es nix mit der Strategie.

In sozialen Organisationen gelingt dies, wenn die Aufgabenorientierung in den Vordergrund gerückt wird.

Dazu braucht es Organisationsbewusstsein, eine Stärkung der formalen Seite der Organisation, Klarheit über die Aufgabenarten sowie Sicherheit und Verbundenheit bei der Beteiligung an der Strategiearbeit!

Quellen

  • Dark Horse Innovation (2023): Future Organization Playbook – Die unverzichtbare Anleitung für innovative Unternehmen in der Transformation. Murmann Publishers.
  • Homer-Dixon, T., Renn, O., Rockstrom, J., Donges, J., Janzwood, S. (2021): A Call for An International Research Program on the Risk of a Global Polycrisis. ID 4058592. Social Science Research Network, Rochester, NY, 2021, doi:10.2139/ssrn.4058592 (ssrn.com [abgerufen am 3. Mai 2022]).
  • Kühl, Stefan (2016): Strategien entwickeln. Wiesbaden: Springer VS.
  • Wimmer, R., von Ameln, F. Agilität, Ambidextrie und organisationale Veränderungskompetenz. Rudi Wimmer über Erbe und Zukunft des Change Managements. Gr Interakt Org 50, S. 211–216, 2019. https://doi.org/10.1007/s11612-019-00458-0.

Wie sind Deine Erfahrungen mit der Strategiearbeit (Entwicklung und Umsetzung) in Deiner Organisation? Lass doch gerne einen Kommentar da oder schreib mir auf den Sozialen Medien (oder hier per Mail).

Warum wir verpflichtende Weiterbildung in der Sozialen Arbeit brauchen

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Kontinuierliche Weiterbildung in der Sozialen Arbeit ist und war schon immer relevant, um neue und sich ständig verändernde Anforderungen zu bewältigen.

Gefordert sind übergreifend Kompetenzen zur Zukunftssicherung der Organisationen und der Gesellschaft. Und spezifisch sind der Weiterentwicklung fachlicher Kompetenzen Kompetenzen für die Gestaltung der digitalen ebenso wie der ökologischen Transformation gefordert.

Diese “Future Skills” (s.u.), wie Innovationskompetenz, Transformationskompetenz oder auch Unsicherheitsbewältigungskompetenz, sind schon jetzt und werden zukünftig unabdingbar. Aus der Herausforderung kontinuierlicher Weiterbildung in der Sozialen Arbeit ist insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels eine Notwendigkeit geworden. 

Mit Blick auf das Angebot und der Wahrnehmung von Weiterbildung in der Sozialen Arbeit zeigen sich jedoch einige Paradoxien und Herausforderungen. Diese wollen wir hier skizzieren und Ideen zeigen, wie diesen Herausforderungen begegnet werden kann. Am Ende bleiben aber, wie so oft, mehr Fragen als Antworten.


von Prof. Dr. Berthold Dietz und Hendrik Epe


Paradoxien bzgl. der Wahrnehmung von Weiterbildung in der Sozialen Arbeit

Noch einmal: Weiterbildung in der Sozialen Arbeit ist notwendig. Es zeigen sich jedoch mindestens drei paradoxe Szenarien, die wir im folgenden näher beschreiben:   

1. Schere zwischen der Relevanz und der Wahrnehmung von Weiterbildung

Branchenübergreifend zeigt sich, dass – obwohl die Zustimmung der Arbeitnehmer:innen wie der Arbeitgeber zur Notwendigkeit “lebensbegleitenden Lernens” enorm hoch ist – die Wahrnehmung von Weiterbildungsangeboten hinter den Weiterbildungsbedarfen zurückbleibt (vgl. bspw. cedefop, 2022). 

Es ist davon auszugehen, dass diese Diskrepanz auch in den Sozialen Berufen existiert. Dies ist gerade mit Blick auf die Qualifikation von Leitungskräften interessant: 

Der Weiterbildungsbedarf nimmt auf höheren Qualifikationsebenen eher zu. So sieht – in der Theorie – der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) bzw. der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) für Leitungskräfte bspw. das Level 7 (Master-Niveau) vor. Ähnlich werden Leitungskompetenzen auch im “Qualifikationsrahmen Soziale Arbeit” (vgl. Fachbereichstag Soziale Arbeit, 2016) nicht auf Bachelor-, sondern auf Master-Level verortet.

Unsere (nicht verifizierte) These lautet, dass eine Umsetzung und Anerkennung dieser höheren Qualifikationsstufen in der beruflichen Realität nicht (umfassend) berücksichtigt wird. 

So zeigt die Erfahrung in den Sozialen Organisationen, dass die Besetzung von Führungspositionen (bspw. auf Team- oder Abteilungsebene) nicht zwingend an eine Höherqualifizierung gekoppelt ist. Insbesondere in kleineren und mittelgroßen Einrichtungen fehlen darüber hinaus (aus unterschiedlichen Gründen) interne Qualifizierungsprogramme für Führungskräfte. Eine Verpflichtung zur Wahrnehmung von externen Weiterbildungsangeboten (bspw. des Sozialmanagements) findet sich ebenso wenig. 

2. Der Hype-Effekt und das Dilemma der Themenjagd

Weitergehend zeigt sich mit Blick auf die Weiterbildungsangebote rund um die Soziale Arbeit und das Sozialmanagement, dass deren Vielfalt scheinbar grenzenlos ist. 

Dabei fokussieren viele Angebote jedoch über das Bedienen von “Managementmoden”,   verstanden als “breit geteilte Vorstellungen darüber, wie (…) Verbände besser organisiert werden können” (Kühl, 2022), auf die Jagd nach Teilnehmer:innen, statt grundlegende, wissenschaftlich fundierte Angebote zur Entwicklung moderner, aber basaler Kompetenzen bereitzustellen. 

Ein auffälliger Aspekt der aktuellen Weiterbildungslandschaft lässt sich als „Hype-Effekt“ definieren: 

Themen, die für Aufsehen sorgen und als reißerisch gelten, dominieren oft die Diskussion. Weiterbildungsangebote zu “Managementmoden” werden erfolgreich kommuniziert und es scheint, als wären Weiterbildungsanbieter nur auf der Jagd nach den neuesten Trends zu sein, um Aufmerksamkeit zu erregen.

Während diese Strategie kurzfristig (wirtschaftlich) erfolgreich sein kann, bleiben die oftmals komplexen Grundlagen der Sozialen Arbeit und des Sozialmanagements auf der Strecke. Fundamentale, grundlegende Weiterbildungsthemen geraten in den Hintergrund und werden vernachlässigt.

3. Weiterbildung in der Sozialen Arbeit ist Privatsache

Trotz des Wandels der Arbeitswelt und der Notwendigkeit kontinuierlicher Weiterbildung hält sich mit Blick auf die Sozialwirtschaft – etwas überspitzt formuliert – die traditionelle Ansicht hartnäckig, dass Weiterbildung Privatsache ist. 

Es gibt, und hier bestätigen die Ausnahmen die Regel, kaum systematische Förderung durch Verbände und Organisationen – und dies, obwohl in vielen Arbeitsfeldern Weiterbildungen wie bspw. systemische Beratungskompetenzen explizit vorausgesetzt werden. 

Ein Grund dafür ist, dass “Weiterbildungsaktivitäten in Einrichtungen der Sozialen Arbeit oftmals nur unzureichend in das Managementhandeln von Leitungskräften eingebunden” (Gesmann, 2022, 1f) sind. Daraus resultiert ein Dilemma: 

Obwohl die Arbeitsanforderungen immer komplexer werden, fehlt es oft an Anreizen und formalen Strukturen, um Weiterbildung in den aufgrund des Fachkräftemangels sowieso schon vollen Arbeitsalltag der Fach- und Führungskräfte zu integrieren. 

Gesmann sieht hier die Notwendigkeit der Implementierung eines “systemischen Weiterbildungsmanagements in Organisationen der Sozialen Arbeit” (vgl. 2022). Dieses muss sich explizit “nicht nur an der sich weiterbildenden Fachkraft, sondern zugleich am strukturell gekoppelten sozialen System (i. d. R. dem jeweiligen Team des*der Einzelnen)” (ebd., 164) orientieren mit dem Ziel, “nicht nur (…) einen Transfer I. Ordnung (im Sinne der klassischen Anpassungslogik) zu evozieren, er strebt zudem einen Transfer II. Ordnung an, soll also einen Nährboden schaffen, um individuell erfahrene Irritationen auch zur kontrollierten Destabilisierung vorhandener Kommunikations- und Entscheidungsmuster nutzen zu können (Transfer II. Ordnung)” (ebd.). 

Ein entsprechendes Weiterbildungsmanagement hängt jedoch wiederum an den beiden zentralen Ressourcen Zeit und Geld – im Bilden von Anreizstrukturen (Fachkräftebindung) genauso wie in der Mitarbeitenden- und Organisationsentwicklung. 

Beides ist unserer Meinung nach extrem unterschätzt. Vielmehr besteht der Verdacht (der mangels belastbarer Umfragedaten ein Verdacht bleiben muss, wenn auch “erhärtet”), dass Personalverantwortliche trotz des Fachkräftemangels keine Weiterqualifizierung finanzieren wollen, die danach durch Weggang der Fachkraft anderen Organisationen zugute kommen könnte. 

Und vielleicht wiegt sogar der Aspekt noch höher, dass der Transfer II. Ordnung – die Destabilisierung des bekannten Systems – Ängste hervorruft, die durch die Versagung von Weiterbildung vermieden werden.  

Entweder ist der Personaldruck noch nicht hoch genug und wird noch durch Arbeitsverdichtung kompensiert und an die Mitarbeitenden weitergegeben (was wiederum der Wahrnehmung von Weiterbildung entgegen wirkt), oder aber der Wert von individueller und gleichzeitig organisational gesteuerter Weiterbildung wird unterschätzt. Die Fantasie zur Mitarbeitendenentwicklung reicht noch nicht aus, um sich eine Investition in das eigene Personal mit allen Kosten, aber eben auch Mehrwerten und Gewinnen für die Organisation vorstellen zu können – auch wenn die Mehrwerte und Gewinne nicht kurz-, sondern eher mittel- und langfristig sichtbar werden. 

Den Aspekt der “Weiterbildung als Privatsache” abschließend ist der Blick auf die Möglichkeit, gesetzliche Ansprüche auf Weiterbildung geltend zu machen (bspw. Bildungsurlaub), interessant: 

Eine nicht verifizierte Annahme dazu könnte lauten, dass die tatsächliche Inanspruchnahme dieser Rechte insbesondere in der Sozialen Arbeit weit unter dem europäischen Durchschnitt liegt. Branchenübergreifend ist – trotz schlecht vergleichbarer Datenlage – etwa bei Eurostat bekannt, dass Deutschland im Vergleich eher unterdurchschnittlich in Bildung investiert (Quelle: Eurostat: Online-Datenbank: Öffentliche Ausgaben für Bildung in % des BIP (03/2019), Öffentliche Ausgaben für Bildung in jeweiligen Preisen (09/2018); zitiert nach https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-und-fakten/europa/135809/oeffentliche-bildungsausgaben/). 

Man könnte, etwas überspitzt, formulieren, dass das Land der Dichter und Denker in Wahrheit eher das “Land der schlichten Gelenkten” ist, die sich nicht aktiv, selbstbestimmt und autonom um ihre Entwicklung bemühen. Mit den Worten von Konstantin Sakkas formuliert:

“Denn wir waren nie ein Volk von Dichtern und Denkern, sondern höchstens ein Volk mit überdurchschnittlich vielen Dichtern und Denkern – die sich in Deutschland allerdings (…) nur selten richtig wohl fühlten.” 

(Sakkas 2010)

Und Sakkas ist sicherlich nicht der Erste und nicht der Einzige, der Deutschland Bildungsfeindlichkeit attestiert, womit nicht nur das Fehlen von Kita-Plätzen und der Zustand von allgemeinbildenden Schulen gemeint ist, sondern auch das Bild von Bildung und Lernen und damit auch das Bild von Weiterbildung im Erwachsenenalter. Hierbei spielt wahrscheinlich auch die Unsicherheit über die Durchsetzbarkeit und die fehlende Information und Sensibilisierung von Arbeitnehmenden ebenso wie der Beschäftigenden eine Rolle.

Weiterbildungsverhalten und passgenaue Angebote?

Die Forschung unterscheidet zwischen allgemeiner Erwachsenenbildung (z. B. der klassische VHS-Kurs) und berufsbedingter, betrieblicher Fort- und Weiterbildung (entwickelt und angeboten durch Arbeitgeber oder Verband). Beide Weiterbildungsbedarfe sind nicht steuerbar und sind hier nicht von Interesse, weil sie entweder stark auf persönliche oder betriebliche Belange zugeschnitten sind. 

Was uns insgesamt in der Sozialwirtschaft jedoch interessieren sollte, in Zeiten chronischer Personalprobleme (nicht nur) in Kitas und Pflegeheimen sowie des sich vollziehenden Generationenwechsels durch den demografischen Austritt der geburtenstarken Boomer aus der Arbeitswelt – Antworten auf die schlichte Frage, wie und welche sozialen Angebote aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln sind. 

Seitens der Angebote betrifft es nicht die Orchideenfotografie, die von Bildungsskeptischen gerne als ”Argument” gegen eine flächendeckende, allgemeine Förderung von Fort- und Weiterbildungen angeführt wird. 

Die Leute sollen ihre Arbeit machen, in Zeiten der Bildung fehlen sie in den Teams und kommen nur auf komische Gedanken, die betrieblich für Unruhe sorgen (siehe Transfer II. Ordnung). Machen wir uns nichts vor: Hand hoch, wer nicht auch damit rechnet, dass solche Steinzeit-Einstellungsmuster noch existieren.

Wer die Hand unten behält, macht entweder positivere Erfahrungen mit Personalverantwortlichen und/oder ist mit qualifizierteren Bedenken konfrontiert: “Wie vereinbare ich Arbeitszeit, Familienzeit und Bildungszeit?” Mache ich diese spezielle Fortbildung zu Konfliktmanagement oder zu systemischer Beratung, dann bin ich u. U. in einer erheblich leichteren Verhandlungsposition gegenüber meinen Vorgesetzten. 

Schwierig wird es in der Kategorie “individuelle, berufsbezogene Weiterbildung”, also dem Weiterbildungssegment, welches nicht unmittelbar der aktuellen Tätigkeit, sondern der persönlichen Entwicklung im gewählten Beruf in einem breiteren Sinne entspricht. 

Die Weiterbildungsbeteiligung in diesem Segment ist zugunsten der direkten betrieblichen Fortbildung zwischen 2012 und 2020 deutlich zurückgegangen, anteilig von 13% zu nur noch 8% an allen Weiterbildungsaktivitäten (BMBF 2023:22). Sicherlich kann in der Folge ein Pandemie-Effekt nicht geleugnet werden, der angesichts allgemeiner Verunsicherung alles Zukunftsweisende einer strengen Effizienzbewertung unterzog, aber der Zug in Richtung Vereinbarkeit, Passgenauigkeit und unmittelbarer Verwertbarkeit fuhr schon viel früher ab.

Analysiert man das Weiterbildungsverhalten und fragt nach den Gründen der Nichtteilnahme bei Weiterbildungswilligen, so stehen zwei Hinderungsgründe im Vordergrund: Finanzierung und familiäre Gründe.

Geht man hier weiter in die Tiefe, so zeigt sich ein gravierender Geschlechterunterschied. Während nur 22% der sich nicht weiterbildenden Männer als Hinderungsgrund familiäre Gründe geltend machen, geben diese als Haupthinderungsgrund über 45 % der Frauen an (Quelle: Eurostat, Online Datencode: TRNG_AES_176__custom_7271573; letzte Aktualisierung: 08/06/2023 23:00; Daten für 2016). 

Bei den Kosten als Haupthinderungsgrund ist das Geschlechterverhältnis 27% (m) zu 37% (w) (Quelle: Eurostat, Online Datencode: TRNG_AES_176__custom_7271935; letzte Aktualisierung: 08/06/2023 23:00).

Kurz und vereinfachend gesagt spielen also auch hier Betreuungssituation wie auch Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten bzw. der Gender Pay Gap eine nicht unwesentliche Rolle. Was beides für das Weiterbildungsverhalten mit Blick auf mehrmonatige Programme mit institutionellem Abschluss bedeutet, liegt auf der Hand, wenn man weiß, wie hoch der Anteil von Frauen in sozialen, erzieherischen und pflegerischen Berufen ist.

Handlungsoptionen zur Steigerung der Wahrnehmung von Weiterbildung in der Sozialen Arbeit

Das Darlegen von (teils offensichtlichen) Herausforderungen allein ist selten ausreichend für gelingende Veränderung. Vielmehr braucht es das Aufzeigen von Möglichkeiten, wie den Herausforderungen begegnet werden kann. Einige dieser Möglichkeiten bezogen auf die Weiterbildung in der Sozialen Arbeit werden im Folgenden dargelegt.

Die Vielfalt der Angebote und ihre Grenzen

Trotz der Vielfalt an Weiterbildungsangeboten stellt sich die Frage, ob diese Vielfalt ausreicht, um den aktuellen Anforderungen gerecht zu werden?

Braucht es in einer Zeit, in der sich die Anforderungen rasch ändern, nicht vielmehr ganz neue Herangehensweisen an Weiterbildung, wenn klassische Weiterbildungsmodelle an ihre Grenzen stoßen?

Zum einen ist gegen die Angebotsvielfalt grundsätzlich wenig einzuwenden. Diese “belebt das Geschäft” und fördert das Zustandekommen von innovativen Ansätzen und Inhalten. Hinzu kommt, dass sich die Weiterbildungsnotwendigkeiten aufgrund der eingangs geschilderten gesellschaftlichen und organisationalen Wandlungsprozesse ebenfalls kontinuierlich wandeln und entwickeln. 

Zum anderen ist das oftmals klassisch strukturierte “zur Verfügung stellen” der Angebote zu hinterfragen. Anstatt lang andauernder, mit hohen Kosten und Aufwand verbundener „Komplettpakete“ könnten von Seiten der Anbieter der Weiterbildungen innovative Ansätze wie „Weiterbildungs-Primes“ in Betracht gezogen werden:

Ähnlich wie ein Abonnement oder ein exklusives Angebot könnten Weiterbildungs-Primes auf die Bedürfnisse von Fachkräften zugeschnitten und sofort verfügbar sein.

So liegt, jenseits der gehypten Angebote, die es in einem Weiterbildungsmarkt immer geben wird, das Hauptaugenmerk auf den Kriterien Transparenz, Dauer und Kosten. Weiterbildungswillige wie Beschäftigende wollen wissen, was sie vom Bildungsinvestment haben. Dies gilt umso mehr für Weiterbildungsangebote, die mehr der längerfristigen, individuellen Entwicklung als einer kurzfristigen, unmittelbaren Tätigkeitsverwertung entsprechen. Programme, die von mehrmonatiger Dauer sind und auf Jahre konzipiert und akkreditiert werden, sind nur bedingt in der Lage, darauf zu reagieren.

Wir müssen in kleineren Häppchen – den Weiterbildungs-Primes – denken, auch um damit den Bildungsteilnehmenden die Möglichkeit zu geben, auf ihre Weiterbildung gestalterisch Einfluss zu nehmen und sich ihr individuelles Bildungspaket zusammenzustellen.

Bildung muss wie andere meritorische Güter (wie Information, Gesundheitsversorgung oder Kultur) verfügbar sein, wie und wann ich sie brauche, bzw. wie sie in mein Leben passt. Das klingt nach einem konsumistischen Credo, ist aber in erster Linie ein Anspruch, mehr und positivere Bildungserfahrungen zu ermöglichen. Diese braucht es zwingend, um „lebenslang“ weiterzulernen und weiterzukommen.

New Social Work braucht New Social Learning braucht Organisationsentwicklung

„New Learning“ (vgl. näher dazu Foelsing und Schmitz, 2021) lässt sich als Konzept definieren, das auch in der Sozialen Arbeit aus zwei Perspektiven eine wichtige Rolle spielen sollte. 

New Learning lässt sich a) individuell in der Frage zusammenfassen, wie es gelingen kann, selbstgesteuerte und autonome Ansätze des Lernens und zur Gestaltung der eigenen Lernumgebung und -inhalte zu schaffen. Mehr zum Thema New Learning kannst Du auch hier nachlesen.

Gleichzeitig stellt New Learning die Frage, wie es b) den Organisationen der Sozialen Arbeit gelingen kann, “Lernökosysteme” zu schaffen, die weit über klassische Lernsettings wie bspw. das “Wissensmanagement” hinausgehen. 

New Learning greift die Ideen des oben skizzierten “systemischen Weiterbildungsmanagements” auf und erfordert aus beiden Perspektiven – individuell wie organisational – ein Umdenken: 

Zum einen sind die Beschäftigten der Sozialen Arbeit gefordert, sich mit Lernen, Bildung und damit auch der Weiterbildung zu befassen. Es reicht heute und in Zukunft nicht mehr aus, eine Ausbildung oder ein Studium zu absolvieren und darauf zu hoffen, dass damit dann auch “Schluss mit Lernen” ist. Vielmehr gilt es, ein (neues) Bewusstsein lebensbegleitenden Lernens zu schaffen. Dieses muss über die alle paar Jahre stattfindende Wahrnehmung klassischer, von der Organisation verordneter Weiterbildungsangebote hinausgehen. Es geht darum, eine Haltung zu selbstbestimmtem Lernen und Weiterbildung zu schaffen, die es ermöglicht, selbstbestimmt und autonom eigene Lernoptionen zu finden, zu nutzen und auch zu gestalten. Diese Perspektive könnte die Vermutung nahelegen, dass Weiterbildung damit wieder “ins Private” abgeschoben wird. Das ist aber nicht zielführend.

Entsprechend sind zum anderen die Organisationen der Sozialen Arbeit gefordert, Lernen, Bildung und damit auch Weiterbildung zu einem der heute und in Zukunft wichtig(st)en strategischen Thema zu machen. Organisationen der Sozialen Arbeit sind gefordert, ihren Mitarbeitenden ein Lernökosystem bereitzustellen, das selbstgesteuertes, autonomes Lernen nicht nur ermöglicht, sondern explizit fördert. 

Diese Lernökosysteme gehen jedoch über klassische Maßnahmen – wie bspw. dem Angebot eines Weiterbildungskatalogs – hinaus. Lernökosysteme umfassen bewusst gestaltete, zum Lernen einladende Räumlichkeiten, Möglichkeiten der Wahrnehmung von internen wie externen und digitalen wie analogen Angeboten, das Nachhalten der Wirksamkeit der Lernaktivitäten der Mitarbeitenden ebenso wie eine veränderte Einstellung zur Weiterbildung der Führungskräfte (und vieles mehr, vgl. ebd., 309ff). 

Lernökosysteme betreffen damit das Organisationsdesign sozialer Organisationen, von den Kommunikationswegen über die Gestaltung der Regeln und Prozesse bis hin zur Frage der Einstellung von Personen.

Über die Ausrichtung der Formalstruktur der Organisationen auf die Ermöglichung von Lernen besteht die Hoffnung, perspektivisch eine oftmals gewünschte „Lernkultur“ nicht nur auszurufen, sondern tatsächlich zu ermöglichen.

Die Herausforderung des Ungewissen – oder: Wie lange können wir uns die Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit noch leisten?

Schließlich stellt sich die Frage nach Ausrichtung und Qualität existierender Weiterbildungsangebote. 

Oft basieren viele Angebote auf gesicherten Wissens- und Kompetenzbeschreibungen. Alle Spezialisierungen und unmittelbaren Tätigkeitsverwertungen sind Schritte in eine fachliche Zementierung, in der alle ihren Arbeitsplatz in gut funktionierenden Prozessen haben. 

Die Realität jedoch ist längst eine andere: 

Es herrscht Mangel, Arbeiten am Limit, permanente Improvisation zum Bewältigen von Unterbesetzungen und zunehmender Ausfälle. Wir befinden uns zudem in Transformationsprozessen größerer und größter Art. 

Es sind nicht nur die Bedarfe, mit denen die Strukturen einer “industriellen” Sozialwirtschaft nicht mehr Schritt hält. Es sind die Strukturen der Organisationen wie die Strukturen des Funktionssystems Sozialwirtschaft selber, die sich nicht als zukunftstauglich erweisen. 

In einer sich schnell entwickelnden Welt ist das Lernen am Ungewissen, das Auseinandersetzen mit “Noch-nicht-zu-Ende-Gedachtem”, von entscheidender Bedeutung. Die Fähigkeit, mit Unsicherheiten umzugehen und kreativ zu denken, wird zunehmend wichtiger. 

An dieser Stelle ist wiederum auf die Implementierung der “Future Skills” zu verweisen und zu fragen, wie es gelingen kann, einerseits wissenschaftlich fundierte Angebote bereitzustellen, die zukunftsfähiges Lernen ermöglichen und andererseits notwendige Entwicklungen der Weiterbildungsangebote aufgrund von einem “Festhalten am Alten” nicht zu verschlafen? 

Insbesondere im hochschulischen Kontext – beim Angebot bspw. von Master-Studiengängen – regen wir an, die trotz der Regulierungen durch bspw. die Akkreditierung vorhandenen Freiheiten und Möglichkeiten zu nutzen und das “noch nicht zu Ende gedachte” in die Entwicklung und Umsetzung der Weiterbildungsangebote aufzunehmen. 

Über dieses Vorgehen kann ganz praktisch und hautnah “agiles Arbeiten” erlebt werden: Über Annahmen und Hypothesen lassen sich auch in bestehenden Weiterbildungsangeboten Experimente machen und neue Wege gehen. Diese Experimente sind – das ist relevant – regelmäßig zu reflektieren, um aus den Erfahrungen zu lernen und fundierte Weiterentwicklung zu ermöglichen. 

Fazit: Den Spagat meistern

“Nachtigall, ick hör Dir trapsen!” 

Da schreiben zwei Menschen, die selbst in die Entwicklung und Durchführung von Weiterbildung in der Sozialen Arbeit aktiv eingebunden sind, über das Scheitern des Systems. Sie plädieren für die Notwendigkeit von Weiterbildung und für die Implementierung von “systemischem Weiterbildungsmanagement”. Sie kritisieren die Vielfalt an Hype-Angeboten und bieten gleichzeitig selbst “Schauseiten-Weiterbildungen” zu abgefahrenen Themen wie “New Social Work”, “OKR in der Sozialwirtschaft” oder “Agilem Arbeiten in Sozialen Organisationen” an (ich, Hendrik ;-)) bzw. sind als Leiter eines berufsbegleitenden Masterstudienganges ein klassischer Vertreter klassischer tertiärer institutioneller Angebote, die man sich zeitlich und finanziell erst einmal leisten können muss (ich, Berthold ;-)). 

Da ist doch ein Haken, oder? Das kann doch nicht ganz uneigennützig sein? 

Ja, stimmt. Der wesentliche Haken, den wir sehen, ist, dass es deutlich mehr Fragen als eindeutige Antworten gibt, was sich auch im vorliegenden Beitrag niederschlägt. 

Ein Aspekt liegt uns aber am Herzen, der sich in der folgenden Frage manifestiert: 

“Wie kann es gelingen, die für die Zukunft einer lebenswerten Gesellschaft hoch relevante Soziale Arbeit in all ihren Facetten so zu unterstützen, dass sie ihrem eigenen Anspruch heute und in Zukunft gerecht werden kann?”

Dieser Anspruch zeigt sich in der internationalen Definition Sozialer Arbeit: 

“Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung  von Menschen.” 

(IFSW 2014)

Der Anspruch ist hochgradig komplex und die skizzierten Paradoxien in der Weiterbildungslandschaft spiegeln die Komplexität der Sozialen Arbeit und übergreifend der modernen Arbeitswelt wider. 

Es gilt, die Balance zwischen aktuellen Trends und fundierter Bildung, zwischen individueller Verantwortung und systematischer Unterstützung zu finden. Nur so können Fachkräfte in der Lage sein, den Herausforderungen der Zukunft souverän zu begegnen und ihre Fähigkeiten kontinuierlich weiterzuentwickeln.

Um diesen komplexen Herausforderungen auch zukünftig begegnen zu können, geben wir abschließend noch eine Frage mit: 

Muss, vor dem geschilderten Hintergrund, Weiterbildung in der Sozialen Arbeit verpflichtend sein? 

Wir denken, dass einiges dafür spricht. 


Wie sind Deine Eindrücke bzgl. der Weiterbildung in der Sozialen Arbeit? Schreib uns diese gerne hier in die Kommentare oder per Mail!


Literatur: 

Drei Thesen für gelingende Digitalisierung in Organisationen der Sozialen Arbeit

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Spätestens seit der Pandemie sollte klar sein, dass diese „Digitalisierung“ hilfreich, vor allem aber nicht mehr wegzudenken ist. Videokonferenzen, digitale Kommunikation, Vernetzung, effiziente Prozesse mit daraus resultierender Arbeitserleichterung und vieles mehr sprechen für digitale Entwicklungen auch in der Sozialwirtschaft bzw. spezifischer: in Organisationen der Sozialen Arbeit. Und trotzdem geht es mit der Digitalisierung in Organisationen der Sozialwirtschaft nicht (wirklich) voran. Warum ist das so? Was braucht es für gelingende Digitalisierung in Organisationen der Sozialen Arbeit? Darauf will ich hier eingehen.

Aber muss dieser Beitrag in Zeiten von AI, in Zeiten von augumented intelligence, wirklich sein? Haben nicht wirklich langsam alle verstanden, dass es keinen Weg zurück, an digitalen Entwicklungen vorbei, gibt? Doch, schon, aber trotzdem.

So basiert dieser Beitrag darauf, dass ich in vielen Veröffentlichungen, bspw. in den sozialen Medien, immer wieder lese, dass „Digitalisierung (in) der Sozialen Arbeit helfen kann“, aktuelle und zukünftige Herausforderungen Sozialer Arbeit zu lösen.

Das ist mir deutlich zu undifferenziert, da ich in den Organisationen, Einrichtungen und Teams, in denen ich unterwegs sein darf, an vielen Stellen eine zunehmende „Digitalisierungsskepsis“ wahrnehme.

Echte, tiefgreifende Verbesserungen der eigenen Arbeit durch Digitalsierung haben sich – so die Wahrnehmung vieler Fachkräfte – häufig nicht ergeben. Das Versprechen, mehr Zeit für die Klient:innen zu haben, für die eigentliche Soziale Arbeit, für die Arbeit mit den Menschen, hat sich häufig nicht eingelöst.

Und leider viel zu hautnah musste ich in den letzten Wochen ambulante Pflegekräfte eines modernen Verbands erleben, die sehr bewusst Stift und Papier zur Dokumentation verwenden. Auf die Frage „Warum denn nicht digital?“ kam die sehr nachvollziehbare Rückmeldung:

„Stift und Papier funktioniert immer, schnell und sicher, auch bei sauerländischen Funklöchern“.

Aber:

Was ist Digitalisierung eigentlich?

Boah, echt jetzt? Schon wieder diese Grundsatzdebatte? Ganz ehrlich Hendrik, kauf dir’n Buch.

Zum Beispiel:

  • Beranek, Angelika; Hill, Burkhard & Sagebiel, Juliane Beate (2019): Digitalisierung und Soziale Arbeit – ein Diskursüberblick. In: Soziale Passagen 11(2), 225-242.
  • Hagemann, Tim (Hrsg.): Gestaltung des Sozial- und Gesundheitswesens im Zeitalter von Digitalisierung und technischer Assistenz. Veröffentlichung zum zehnjährigen Bestehen der FH der Diakonie. Baden-Baden: Nomos.
  • Kreidenweis, H. (2018, Hrsg.): Digitaler Wandel in der Sozialwirtschaft. Grundlagen – Strategien – Praxis. Baden-Baden: Nomos.
  • Kreidenweis, H. (2020): Sozialinformatik. Digitaler Wandel und IT-Einsatz in sozialen Organisationen, 3., überarbeitete Auflage. Baden-Baden: Nomos.
  • Kutscher, N. et. Al. (2020, Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit und Digitalisierung. Weinheim: Beltz Juventa.
  • Pölzl, A., Wächter, B. (2019): Digitale (R)Evolution in Sozialen Unternehmen. Praxis-Kompass für Sozialmanagement und Soziale Arbeit. Regensburg: Walhalla.
  • Wunder, M. (2021, Hrsg.): Digitalisierung und Soziale Arbeit. Transformationen und Herausforderungen. Bad Heilbrunn: Verlag Julius Klinkhardt.

Das ist nur eine Auswahl der vielfältigen Veröffentlichungen rund um das Thema „Digitalisierung in der Sozialen Arbeit“ der letzten Jahre.

Und ja, in den Veröffentlichungen stehen wichtige, spannende, richtige Aspekte rund um das Thema. Es lohnt sich, sich auf Basis von Literatur mit dem Thema zu befassen.
Oder anders, deutlich schöner, ausgedrückt:

„Nichts verscheuchte böse Träume schneller als das Rascheln von bedrucktem Papier.“ (Cornelia Funke)

Unklar ist aber immer noch, was denn Digitalisierung jetzt genau ist, oder hast Du Dich erstmal hingesetzt und die Bücher gewälzt? Nein? Ach…

Und damit kommen wir schon zur These 1, was es für gelingende Digitalisierung in Organisationen der Sozialen Arbeit braucht:

These 1: Gelingende Digitalisierung braucht klare Erwartungen

Was ist New Work? Was ist Innovation? Jede:r hat zu diesen Begriffen Bilder im Kopf, jede:r kann etwas zu dem Thema sagen und kann – meinungsstark – seine eigene Position vertreten. Und bei Digitalisierung ist es genauso:

Jede:r hat eine Vorstellung dessen im Kopf, was „Digitalisierung“ bedeutet.

Das ist super, wenn man den Party-Smalltalk am Laufen halten will:

„Und, wie steht es um die Digitalisierung in Eurer Einrichtung?“

Da flutscht das Gespräch!

Und aller Wahrscheinlichkeit nach versteht man sich auch gut, da die Diskussion von A wie Algorithmen bis Z wie Zukunft mäandern kann, ohne an der ein oder anderen Stelle über die Ufer treten zu müssen.

In Workshops zur Entwicklung von Digitalstrategien nutze ich zu Beginn gerne die Übung, dass jede:r einmal „sein“ Digitalisierungsalphabet aufschreibt: A wie Alphabet, B wie Bits und Bytes, C wie Computer, D wie Datenverlust… Dabei wird deutlich, dass jede:r sehr eigene und häufig sehr andere Erwartungen an das hat, was Digitalisierung im Allgemeinen und im Spezifischen bezogen auf die eigene Organisation ist bzw. bringen soll.

Wenn jedoch die einen die Hoffnung von Digitalisierungsbemühungen auf die Vereinfachung bestehender Prozesse (bspw. zur Pflegedokumentation) legen, sich die anderen endlich mal für die Employer Branding Kampagne in Social Media vertreten sehen wollen und die Dritten neue, digitalisierte Geschäftsmodelle oder die sinnvolle Nutzung sog. „künstlicher Intelligenz“ erhoffen, wird es schwierig, ein gemeinsames Verständnis, geschweige denn eine gemeinsame, sinnvolle, umsetzbare Strategie zu entwickeln.

Hinzu kommt, dass die verschiedenen Erwartungen an „die Digitalisierung“ nur zu enttäuschen sind, sofern diese nicht vorab geklärt werden.

Was kann getan werden?

Entsprechend ist dies der erste Schritt: Es sind die Erwartungen an die Digitalisierungsbemühungen zu klären. Darüber kann partizipativ ein gemeinsames Verständnis dessen geschaffen werden, was durch „die Digitalisierung“ ganz spezifisch in der eigenen Organisationen erreicht werden soll und kann.

Dieses „kann“ ist relevant, denn: Möglich ist vieles, realistisch umsetzbar deutlich weniger und funktional für die Organisation sind vielleicht nur wenige, kleine Schritte, die aber echte Veränderung im Kleinen bewirken.

Die kleinen, häufig nicht für alle Mitglieder der Organisation gleichermaßen sichtbaren Fortschritte sind immer wieder zu kommunizieren, damit nicht der Eindruck entsteht, „viel Lärm um nichts“ zu machen.

These 2: Gelingende Digitalisierung braucht ein Verständnis für die Notwendigkeit der Formalisierung durch Digitalisierung

Digitalisierung formalisiert – immer! Klingt komisch, ist aber recht einfach erklärt:

Die Einführung eines Messengers zur Kommunikation mit den Klient:innen kann nicht der Entscheidung einzelner Organisationsmitglieder und ebensowenig der Entscheidung einzelner Teams oder Organisationseinheiten überlassen werden. Genauso kann nicht jedes Team, bspw. in der ambulanten Pflege, individuell entscheiden, ob sie Programm X oder Y zur digitalen Dokumentation nutzen oder ob sie doch lieber weiterhin analog, mit Stift und Papier, dokumentieren.

Digitalisierung erfordert formale Entscheidungen, die Gültigkeit für die Gesamtorganisation besitzen.

Richtig spannend wird es beim Dokumentenmanagement: Sofern die Organisation einheitliche, formal vorgegebene Prozesse der Pflege, Bearbeitung, Ablage usw. von Dokumenten anstrebt, sind alle (!) Mitarbeiter:innen gefordert, die Vorgaben einzuhalten.

Das ist mehr als nervig, wenn es vorab eine „Kultur der dominierenden Informalität“ gab und jede:r irgendwelche Dokumente irgendwie ändern und irgendwo „ablegen“ konnte.

Zur Erläuterung: Informalität lässt sich als das „Netzwerk bewährter Trampelpfade, die in Organisationen immer wieder beschritten werden“ (Kühl, 2010) definieren.

Eine Kultur der dominierenden Informalität bedeutet entsprechend, dass die Einhaltung formaler Vorgaben als weniger wichtig erachtet wird als das Netzwerk der bewährten Trampelpfade bzw. die erwarteten, spontanen, individuellen, nicht formal geregelten und damit eben informellen Entscheidungen von Individuen und Teams.

Meine These ist, dass eine Kultur der dominierende Informalität in sozialen Organisationen vorherrschend ist und diese Kultur Veränderungsbemühungen erschwert.

Überspitzt formuliert wird erwartet, dass Mitarbeiter:innen und Teams spontan, aus Erfahrung und Intuition, basierend auf den eigenen Vorlieben und „gefühlten Notwendigkeiten“, anstatt basierend auf Vorgaben der Organisationen, festgelegten Prozesse oder gar „Ansagen von oben“ zu agieren.

Um nur ein Beispiel zu nennen, zeigt sich die dominierende Informalität in der verhältnismäßig geringen Bedeutung eines standardisierten Qualitätsmanagements in sozialen Organisationen. Ohne hier in die Tiefe zu gehen, weist bspw. Grunwald darauf hin, dass Vorstellungen eines rein standardisierten Qualitätsmanagements dazu führen, dass QM als die notwendigen informellen Handlungsspielräume beschneidend erlebt wird und die Befürchtung besteht, dass Strategien und Verfahren „zu sinnentleerten Qualitätsmanagement-Routinen werden, womit die potentiellen Chancen einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema Qualitätsmanagement und seiner möglichen Bedeutung für die eigene Organisation verspielt werden“ (2018, 618).

Meine These der „dominierenden Informalität sozialer Organisationen“ findest Du tiefer ausgearbeitet unter dem Link.

Aber:

Die Informalität (im Gegensatz zur Formalität) sozialer Organisationen muss nicht immer schlecht sein. In vielen Fällen ist informelles Handeln hoch funktional, insbesondere für soziale Organisationen:

Die Komplexität sozialer Arbeit erfordert spontane Entscheidungen, ein hohes Maß an intrinsischer Motivation, kreatives und individuelles, auf Beziehung setzendes Vorgehen. Entsprechend sinnvoll sind „agile Organisationsdesigns“ oder die Entwicklung selbstbestimmt agierender Teams in und für soziale Organisationen.

Aber eine Kultur, in der die Erwartung des Treffens individueller Entscheidungen vor der Erwartung des Einhaltens von allgemeingültigen, organisationalen Regeln steht, passt eben nicht zur immer formalisierenden Digitalisierung.

Was kann getan werden?

Zunächst einmal ist relevant, Informalität als existente Rahmenbedingung in sozialen Organisationen zu akzeptieren. Ganz allgemein formuliert kann nicht „alles“, jeder Handlungsschritt in Organisationen formalisiert werden.

Und spezifisch in der sozialen Arbeit ist der Versuch, dieses zu tun, an vielen Stellen dysfunktional. Man muss sich nur einmal den „Dienst nach Vorschrift“ in einer stationären Jugendhilfeeinrichtung vorstellen, in der es nur wenige Vorschriften (für die Mitarbeitenden) geben kann.

Ebenfalls notwendig ist es, Digitalisierungsbemühungen aus der Brille der mit der Digitalisierung zwangsläufig einhergehenden Formalisierung zu betrachten. Es können nicht alle Mitarbeiter:innen mitentscheiden, welche Kommunikationsplattform verwendet wird. Ebenso kann, bspw. bei digitaler Dokumentation nicht mehr individuell entschieden werden, wer was wie dokumentiert. Eingabemasken sind vorgegeben und auszufüllen, ob man will oder nicht.

Über diese beiden Vorüberlegungen der Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitsweise sollten die Mitarbeiter:innen informiert werden. Dadurch kann grundlegend ein zumindest besseres Verständnis geschaffen werden, was Digitalisierung sozialer Organisationen im Allgemeinen und im Spezifischen für die eigene Organisation bedeutet und welche Implikationen für die eigene Arbeit mit Digitalisierung einhergehen.

Information allein ist jedoch nicht ausreichend. Es bedarf basierend auf der Information dann der gemeinsamen Auseinandersetzung in der Organisation über die Auswirkungen. Es wird Menschen in der Organisation geben, die die Entwicklung begrüßen, Menschen, die die Entwicklung hinnehmen und Menschen, die sehr kritisch auf die Digitalisierungsbemühungen schauen.

Und nein, ich plädiere nicht dafür, „alle Menschen mitzunehmen“. Das wird nicht gelingen. Aber das Wahrnehmen auch der kritischen Stimmen in der Organisation ist wichtig, um gute Wege sinnvoller Digitalisierung zu beschreiten.

These 3: Gelingende Digitalisierung braucht unternehmerische Kompetenz

Nein, jetzt erfolgt kein Bashing der „ach so innovationsfeindlichen Sozialwirtschaft“ und ebenso kein Verweis auf die Unbeweglichkeit der „großen Tanker“. Das ist nämlich nicht so: Sozialwirtschaft ist und war schon immer hochgradig innovativ. Und unternehmerisch, wenn unternehmerisches Handeln verstanden wird als „mit wenigen Mitteln Großes zu leisten“.

Insbesondere sehe ich unternehmerische Kompetenzen bei den Führungskräften, Vorständen, Geschäftsführungen der Organisationen.

Ja, es mag manche geben, die immer noch an der „guten alten Zeit“ festhängen und die Asche anbeten, anstatt das Feuer weiterzugeben. Aber die Menschen, mit denen ich arbeiten darf, denken nach vorne, wollen etwas bewirken, Dinge im Sinne der ihnen anvertrauten Menschen voranbringen, Neues gestalten. Und das in hochgradig dynamischen, komplexen Umwelten unter den Rahmenbedingungen politischer Begrenztheiten und (zunehmend) bürokratisch agierender Kostenträger.

Ich vermisse hingegen unternehmerische Kompetenzen bei den Mitarbeiter:innen an der Basis.

Aber was genau verstehe ich unter „unternehmerischen Kompetenzen“, was haben diese mit stockenden Digitalisierungsbemühungen zu tun und vor allem: Warum sollten Mitarbeiter:innen an der Basis diese Kompetenzen nicht haben?

Unternehmerische Kompetenzen beziehen sich nicht nur auf die Fähigkeiten einer Person in Bezug auf „geschäftliche“ Aktivitäten, sondern ganz grundlegend auf Fähigkeiten, wie sie „auf die Welt“ schaut und mit dieser interagiert.

Im Gegensatz zu einer reaktiven Defizitorientierung geht es um die Entwicklung von Fähigkeiten, Chancen zu erkennen, kalkulierbare Risiken einzugehen, Innovationen voranzutreiben und Verantwortung zu übernehmen, um auch in Unsicherheit erfolgreich und „proaktiv“ agieren zu können.

Der Blick beispielsweise auf die Ausführungen zu Future Skills von Ehlers (2020) und im Spezifischen auf die Gruppe der „Organisationsbezogene Future Skills“ (Kompetenzen, die sich auf den Umgang mit der sozialen, organisationalen und institutionellen Umwelt beziehen) zeigt für mich das, was unter „unternehmerischen Kompetenzen“ gut gefasst werden kann. Ehlers beschreibt hier Fähigkeiten wie Sinnstiftung und Wertebezogenheit, die Fähigkeit, Zukünfte gestaltend mitzubestimmen, mit anderen zusammenzuarbeiten und zu kooperieren und in besonderer Weise kommunikationsfähig, kritik- und konsensfähig zu sein. So ist – als nur ein Beispiel – Zukunftskompetenz „die Fähigkeit mit Mut zum Neuen, Veränderungsbereitschaft und Vorwärtsgewandtheit die derzeit gegebenen Situationen in andere, neue und bisher nicht bekannte Zukunftsvorstellungen weiterzuentwickeln und diese gestalterisch anzugehen“ (ebd., 94ff).

Unternehmerische Kompetenzen beinhalten Kompetenzen wie Innovations-, Führungs-, Kollaborations- und Kommunikationskompetenz. Aber auch Fähigkeiten wie Finanzwissen, Risikobereitschaft und Durchhaltevermögen lassen sich unter die „unternehmerischen Kompetenzen“ fassen.

Ich will hier nicht zu sehr in die Tiefe gehen, empfehle aber eine Auseinandersetzung mit den Future Skills.

Warum aber braucht es die hier angerissenen Kompetenzen für erfolgreiche Digitalisierung?

Auch dies ist eine große Frage, die sehr kurz beantwortet werden kann: Das sinnvollste Vorgehen zur Gestaltung einer dynamischen und komplexen Welt (egal, ob auf individueller Ebene, auf Ebene von Teams und Organisationen oder auf Ebene der Gesellschaft und der Welt als Ganzes) besteht im Experimentieren und Lernen. Nur durch das Ausprobieren des Neuen und das Lernen aus den gemachten Erfahrungen ist es möglich, sich Schritt für Schritt in die erwünschte Richtung, bspw. hin zur „digitalen Vision“ der eigenen Organisation, vorzutasten. Dieses aus dem agilen Management bekannte, „iterative Vorgehen“ wurde inzwischen an den verschiedensten Stellen ausführlich beschrieben.

Und dieses iterative Vorgehen findet sich auch im Denken und Handeln erfolgreicher Unternehmer:innen. Wiederum ohne zu tief einzusteigen findet sich unter dem Vorgehensweise „Effectuation“ eine anwendbare Logik, wie Unternehmer:innen „ins Handeln kommen“ und gleichzeitig Risiken minimieren, Partnerschaften eingehen und Zufälle nutzen.

Die unternehmerische Logik „Effectuation“ verbindet die unternehmerischen Kompetenzen mit den Notwendigkeiten des iterativen Vorgehens zur Gestaltung der Digitalisierung.

Aber warum vermisse ich diese Herangehensweise bei den Mitarbeiter:innen an der Basis sozialer Organisationen?

Dazu ist vorab zu konstatieren, dass das Problem nicht bei den Individuen liegt, sondern vielmehr als strukturelles Problem verstanden werden muss:

Da Soziale Arbeit im Wesentlichen kostenträgerfinanziert ist, bestehen wenige Anreize, „unternehmerisch“ zu agieren. Nur ein paar Gründe: Es besteht, insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels, nicht die Notwendigkeit, a) durch bessere Angebote neue „Kunden“ zu gewinnen. Außerdem besteht kaum Anreiz, b) „möglichst gute“, wirksame Soziale Arbeit zu leisten, damit die eigene Organisation weiterempfohlen wird. Hinzu kommt, dass c) die Vergütung Sozialer Arbeit in den meisten Fällen auf Tarifverträgen basiert, die wiederum wenig Anreize schaffen, besonders innovativ, überdurchschnittlich gut oder besonders effizient zu arbeiten. Und nein, der völlige organisationale und individuelle Burnout (spannend dazu der aktuelle Bericht der DAK) aufgrund schlechter Rahmenbedingungen (ausgelöst insbesondere durch den Fachkräftemangel) ist keine Effizienz. Hinzu kommt, dass d) das für gelingende Digitalisierung notwendige iterative Vorgehen, das Experimentieren und Lernen, den Finanzierungsbedingungen der Kostenträger zuwiderläuft – in der Regelfinanzierung ebenso wie (zumindest offiziell) in der Finanzierung innovativer Projekte (deren Anschlussfinanzierung oftmals völlig unklar bleibt).

Kurz: Die strukturellen Bedingungen der Sozialwirtschaft laden nicht dazu ein, unternehmerisch zu agieren. Und die angesprochenen Punkte a) – d) sind alles andere als abschließend. Sie verdeutlichen nur, dass fehlende unternehmerische Kompetenzen – wie so oft – kein ausschließlich individuelles Problem sind.

Und der Blick in die Zukunft zeigt aktuell sehr dramatisch, dass die Rahmenbedingungen alles andere als besser werden. Die Kürzungen im Bundeshaushalt 2024 sprechen hier eine deutlich düstere Sprache. Der Paritätische Wohlfahrtsverband bringt es auf den Punkt: „Die Pläne zwingen zu massiven Einschnitten bei sozialen Angeboten: von Freiwilligendiensten über die psychosoziale Versorgung Geflüchteter bis hin zur Unterstützung Arbeitsuchender.“ Marc Groß, Vorstandsvorsitzender der Liga-BW, sagt: „Sollten die Kürzungen wie vorgeschlagen beschlossen werden, trifft dies genau die Menschen, die es jetzt bereits am schwersten haben: Kinder, Jugendliche und Familien, Menschen in Armut, geflüchtete und zugewanderte Menschen“.

Und konkret im Kontext der Digitalisierung sind Einsparungen in Höhe von 3,5 Mio. Euro vorgesehen, die das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aufgesetzte Förderprogramm zur Zukunftssicherung der Freien Wohlfahrtspflege durch Digitalisierung komplett aushebeln: „Hier werden die Verbände mitten im Aufbruch und in wichtigen strategischen Entwicklungen stark beeinträchtigt“, so die BAGFW.

Die Mitarbeiter:innen an der Basis aber sind nicht „geschult“ darin, Probleme „selbst in die Hand“ zu nehmen. Noch einmal: Das ist kein individueller Vorwurf, sondern strukturell bedingt. Und gleichzeitig ist es es relevant, genau hinzuschauen:

Das Jammern über schlechte Arbeitsbedingungen, zu wenig Geld, den Staat, die Politik, die da oben und diesdas hilft (und ist wirklich relevant) für die eigene Psychohygiene, verbessert die Situation aber nicht. Es gilt vielmehr, die eigene Freiheit zu nutzen. Und diese Freiheit ist in Organisationen mit der oben beschriebenen „dominierenden Informalität“ alles andere als klein. Denn gerade in dezentral organisierten, hochgradig komplex strukturierten Organisationen der Sozialwirtschaft ist vor Ort, im Team und oftmals auch völlig individuell zu entscheiden, was notwendig und möglich ist:

Es ist vor Ort zu entscheiden, welche Strukturen, Prozesse, Innovationen, Angebote und Dienstleistungen sinnvoll und machbar sind. Es ist vor Ort zu entscheiden, wie das Team miteinander möglichst gut arbeiten kann. Das für die strategische Ausrichtung der Organisation notwendige Gesamt-Leitbild ist vor Ort zu operationalisieren und anzupassen, damit die konkreten Bedingungen vor Ort in den Blick genommen und bedarfsgerecht im Sinne der Nutzer:innen gestaltet werden können. Die oberste Führungsebene hat – völlig nachvollziehbar – oft keinen Einblick in die notwendigen Bedarfe vor Ort.

Wir waren ja beim Thema Digitalisierung, Du erinnerst Dich? Da gilt das Gleiche:

Trotz der notwendigen Formalisierung durch Digitalisierung ist es nur vor Ort möglich, die für die Digitalisierung notwendigen iterativen Experimente zu starten bzw. gesamtorganisationale Experimente für vor Ort zu adaptieren und aus diesen zu lernen, damit Digitalisierung gelingen kann.

Was kann getan werden?

Der erste Punkt ist der weitere Kampf (leider muss dieser Begriff benutzt werden) um die Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung der strukturellen Bedingungen der Sozialwirtschaft. Lobbyarbeit, die Verständigung mit den Kostenträgern über die komplexen Bedingungen sozialer Arbeit, wirksame Öffentlichkeitsarbeit für die Anliegen und die Bedeutung sozialer Dienstleistungen sind heute wichtig und werden in Zukunft wichtiger.

Aber auch wenn die Rahmenbedingungen das wesentliche Problem darstellen, brauchen wir mehr sichtbare Beispiele von Menschen, die mutig neue Wege beschreiten und unternehmerisch Innovationen vorantreiben.

Mir fallen hier viele Menschen ein, die Beispiel für gelingendes Unternehmertum sein können. Hier nur drei Beispiele:

  • Die Diakonie An Sieg und Rhein entwickelt mit der integrierten Sozialberatung die Sozialberatung der Zukunft. Dabei arbeiten Berater:innen mit verschiedenen inhaltlichen Spezialisierungen kollaborativ in Echtzeit mit Klient:innen zusammen. Patrick Ehmann, Geschäftsführer der Diakonie An Sieg und Rhein berichtet hier im Podcast vom aktuellen Stand der Entwicklungen des neuen Beratungsansatzes.
  • Bei der SozKom GmbH unter Leitung der beiden Geschäftsführerinnen Kathrin Stern und Rita Resch hat ein eigenes organisationales Betriebssystems – die „sozKomKratie“ – entwickelt und strukturiert sich anders. Das führt bspw. dazu, dass sich die Organisation keine Sorgen um Fachkräftegwinnung machen muss. Mehr dazu kannst Du hier im Podcast anhören.
  • Thomas Mampel beschreibt in seinem aktuellen Blogbeitrag das vom Stadtteilzentrum Berlin-Steglitz entwickelte kleine, aber sehr feine Projekt „Mobile Lernwerkstatt Demokratie“. Mit Koffern voll mit Moderations- und Workshopmaterial führen die Kolleg*innen spannende Projekttage zur aktuell mehr als relevanten Demokratieförderung an Schulen und in Kinder- und Jugendprojekten durch.

Ich will damit sagen, dass es die „Intrapreneur:innen“ in sozialen Organisationen braucht und gibt.

Intrapreneur:innen sind Mitarbeitende, „denen die Balance zwischen dem persönlichen Einsatz für die eigenen – von der hegemonialen Norm in ihren jeweiligen Organisationen abweichende (!) – Werte und Ideale auf der einen und der Anpassung an die institutionalisierten Settings, in denen sie agieren, auf der anderen Seite gelingt“, wie Hannes hier im Blog schreibt.

Entsprechend gilt es, in sozialen Organisationen, die Intrapreneur:innen, die Menschen, die neue Wege ausprobieren wollen, lebendig werden zu lassen. Das klingt leichter, als es ist. Einige Taktiken für Intrapreneur:innen beschreibt Hannes hier in diesem lesenswerten Beitrag.

Darüber hinaus ist es relevant, dass in Studium und Ausbildung die Entwicklung neuer Wege in der Unsicherheit, das Experimentieren und Lernen als Voraussetzung für gelingende Digitalisierung, viel stärker und in der Breite verankert werden muss. Nur so lassen sich die heutigen und zukünftigen Herausforderungen meistern.

Der Blick in die Ausbildungslandschaft zeigt, dass es an vielen Stellen in Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen bereits tolle Projekte gibt, die „unternehmerische Kompetenzen“ fördern. Über diese Projekte muss es gelingen, die berufliche Identität der Menschen an der Basis dahingehend zu erweitern, dass sich diese Menschen nicht „nur“ als Anwält:innen für ihr Klientel, sondern auch als Entre- oder Intrapreneur:innen für die Entwicklung der Angebote, der Teams und Organisationen und damit als Anwält:innen des Sozialen verstehen.

Fazit: Digitalisierung muss gestaltet werden

Mal wieder ein viel zu langer Blogbeitrag. Aber vielleicht hast Du bis hierher durchgehalten. Also nur noch einmal kurz:

Jeder und jedem ist inzwischen bewusst, dass gelingende Digitalisierung mehr braucht als Technik. Gelingende Digitalisierung braucht

  • klare Erwartungen,
  • ein Verständnis für die Notwendigkeit der Formalisierung und
  • unternehmerische Kompetenz.

Und noch viel mehr, aber der Beitrag ist sowieso schon viel zu lang…


Wie steht es bei Dir persönlich und in Deiner Einrichtung um die drei hier beschriebenen Thesen? Stimmst Du zu? Oder wo siehst Du es anders? Lass es mich gerne wissen, als Kommentar hier im Blog, als Mail oder als Kommentar in den sozialen Medien. Freue mich, von Dir zu lesen.

Resonanz, Exnovation und Kooperation, oder: Das Ende des Business as usual für die Zukunft der Sozialwirtschaft

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Beendigung der Armut. Beseitigung der eklatanten Ungleichheit. Ermächtigung der Frauen. Dies sind die drei der fünf „außerordentlichen Kehrtwenden“, die laut dem neuen Bericht an den Club of Rome „Earth for All“ (vgl. Dixsons-Declève et al., 2022) notwendig sind, um die Risiken der Klimakatastrophe substanziell zu reduzieren. Angeführt werden darüber hinaus der Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems und der Einsatz sauberer Energie, um die Menschheit zu retten.

Der Anspruch Sozialer Arbeit

Beendigung der Armut, Beseitigung der eklatanten Ungleichheit, Ermächtigung der Frauen – dies könnte gut eine anspruchsvolle Mission einer sozialen Organisation oder eines Wohlfahrtsverbands sein: Welt retten, um die Menschheit zu retten – reduziert auf das Machbare.

Das lässt den Anspruch Sozialer Arbeit erkennen: Soziale Arbeit will die Lebenswelt der Menschen, für die soziale Organisationen die (Mit-)Verantwortung tragen, besser machen, was auch beim Blick auf die Internationale Definition Sozialer Arbeit (vgl. DBSH, 2016) deutlich wird:

Soziale Arbeit fördert „gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit. (…). Soziale Arbeit befähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern“.

Soziale Arbeit hat sich viel vorgenommen! Es stellt sich die Frage, ob wir – jede*r Einzelne, unsere Organisationen und die Soziale Arbeit als Ganzes – diesem Anspruch in der Vergangenheit gerecht wurden und in der Zukunft gerecht werden können.

Vergangenheit und Zukunft, oder: Das Ende des Business as Usual

Der Blick in die Vergangenheit bis zur Gegenwart der Sozialen Arbeit zeigt Licht und Schatten. Die Entwicklung Sozialer Arbeit lässt sich als „wahre Erfolgsgeschichte“ (Merten, 2001, 165) erzählen. Hans Thiersch spricht vom letzten Jahrhundert gar als „sozialpädagogisches Jahrhundert“ (vgl. 1992). Das Wachstum des Sozialwesens, gemessen an Beschäftigtenzahlen oder volkswirtschaftlichem Nutzen, ist beeindruckend.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob das quantitative Wachstum des Sozialwesens mit qualitativen Verbesserungen, mit der Steigerung der Wirksamkeit Sozialer Arbeit und der Annäherung an die in der Definition Sozialer Arbeit dargelegten Vision einherging. Ohne Frage hat sich „die Soziale Arbeit“ weiterentwickelt. Aber fördert sie wirklich gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen, den sozialen Zusammenhalt und die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen? Da können Zweifel aufkommen.

Und der IW-Kurzbericht „Die Berufe mit den aktuell größten Fachkräftelücken“ (Hickmann, Koneberg, 2022) zeigt, dass Berufe in den Bereichen Sozialarbeit / Erziehung / Pflege schon heute besonders vom Fachkräftemangel betroffen sind. Das spüren die Beschäftigten an allen Ecken. Soziale Organisationen bewegen sich in den uns alle betreffenden Polykrisen (vgl. bspw. Scharmer, 2022) am Rande der Belastungsgrenze.

Für die Gestaltung der Zukunft ist da wenig Platz, denn wenn man linear in die Zukunft sozialer Organisationen blickt, ergibt sich folgendes Bild:

Angesichts demographischer Entwicklungen steigt der Gesamtbedarf an personenbezogenen Dienstleistungen bei gleichzeitig abnehmender Anzahl an Erwerbstätigen. Herausforderungen wie Digitalisierung, Energiekrise, Krieg, Klimakatastrophe kommen hinzu.

Wenn es weitergeht, wie bisher, können die Belastungsdämme der Organisationen und der Sozialwirtschaft nicht mehr lange standhalten.

Die triviale Folgerung aus diesem kurzen Überblick muss lauten (und nach Innen und Außen lauter werden):

 Ein „Weiter so!“, ein „Business as usual“ kann und wird nicht mehr funktionieren. Es braucht „Transformation hin zum Neuem“!

Aber wie sieht das Neue aus? Und vor allem: Wie kann die Transformation dorthin gelingen?

Um diese Fragen spezifisch für soziale Organisationen zu beantworten, lohnt es sich, ausgehend von den Kehrtwenden des Club of Rome, den Blick zu weiten: Wie kann Transformation auf globaler Ebene gelingen und was lässt sich daraus für soziale Organisationen lernen und adaptieren?

Gemeinsam Spüren, oder: Echte Transformation braucht neues Lernen

Im Folgenden wird eine von drei notwendigen Veränderungen herausgegriffen, die angesichts der aktuellen Krisen erforderlich sind, um die Forderungen des Club of Rome auf der systemischen Makroebene, also auf globaler, nationaler und/oder der Ebene der Funktionssysteme (Bildung, Politik, Gesundheit, Soziales…) umzusetzen:

Es braucht die Transformation des Lernens – weg von der Leistungs- und Prüfungsorientierung hin zur Entwicklung von Fähigkeiten zum gemeinsamen Spüren und zur gemeinsamen, ko-kreativen Gestaltung der Zukunft (vgl. Scharmer, 2022).

Der Gedanke, dass wir zur Bewältigung der globalen Krisen die Art, wie wir Lernen verstehen, ändern müssen, ist nicht neu: Bereits der im Jahr 1979 im Anschluss an den 1972 veröffentlichten Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ veröffentlichte Bericht des Club of Rome unter dem Titel „No limits to learning“ rückt explizit das Thema „innovative learning“ in den Vordergrund. Darunter ist ein Lernen zu verstehen, das Kreativität und effektive Kooperation ins Zentrum rückt (vgl. Göpel, 2022, 132). Über Neu-Lernen, die Entwicklung kreativer Fähigkeiten und Kooperation kann es gelingen, die Kluft zwischen Wissen und Handeln zu schließen.

So wissen wir, was wir tun sollten, kommen aber oft nicht ins Handeln. Rechtliche, institutionelle und individuelle Abhängigkeiten hindern uns daran, gemeinsam neu zu Lernen und das Business as usual nicht nur ernsthaft infrage zu stellen, sondern wirklich anders zu agieren.

Aber wie können wir neu Lernen lernen und das kollektive Gefühl von „so kann es nicht mehr weitergehen“ transformieren in das Neue?

Dazu braucht es (vgl. Scharmer, 2022):

  • institutionelle Infrastrukturen, die alle relevanten Akteure zusammenbringen, um das System gemeinsam zu gestalten,
  • Führungsinstrumente und -kapazitäten, um das Bewusstsein der verschiedenen Akteure von einer Silo- zur Systemsicht zu verändern und
  • finanzielle Mechanismen zur Finanzierung und Skalierung der oben genannten Maßnahmen.

Resonanz erzeugen, oder: Co-kreative institutionelle Infrastrukturen

Wir sind gefordert, in unseren Organisationen co-kreative institutionelle Infrastrukturen und damit Dialogräume zu gestalten, in denen es gelingt, Resonanz (vgl. Rosa, 2022) zwischen den Themen und den verschiedenen Akteur*innen zu erzeugen.

Resonanz meint a) die Fähigkeit, „sich anrufen zu lassen“ (ebd., 57). Damit ist das Hören und Spüren des dezidiert Anderen, des Neuen gemeint – „und das kann durchaus irritierend sein“ (ebd., 59). Hier ist die Verbindung zur organisationalen Innovations- und damit Lernfähigkeit interessant: Für die Ermöglichung von Innovation ist es notwendig, „irritationsrelevante Informationen“ wahrzunehmen bzw. sich von diesen „anrufen“ lassen zu können.

Aus dem „angerufen werden“ folgt b) die Selbstwirksamkeit: „Ich stelle plötzlich fest, (…), dass ich in der Lage bin auf das Empfangene zu reagieren“ (ebd., 60). In Bezug zur organisationalen Innovationsfähigkeit gilt es, die irritierenden Informationen aus der Umwelt für die Organisation nutzbar machen zu können.

Aus der Fähigkeit, „sich anrufen zu lassen“ und selbst wirksam zu werden entsteht dann c) die Möglichkeit echter Verwandlung bzw. Transformation:

„Da, wo Resonanz zustande kommt, wo ich wirklich aufhöre, und mich mit dem, was mich erreicht, verbinde, verwandle ich mich“ (Rosa, 2022, 62).

Und genau darum geht es: Um Verwandlung, um Transformation, die als Abkehr vom Business as Usual das Neue, echte Innovation und tiefgreifende Veränderung ermöglicht.

Der Moment der Resonanz kann jedoch nicht gekauft, hergestellt oder erzwungen werden. Resonanz ist d) unverfügbar (vgl. ebd., 64). Und genauso ist es in Organisationen:

Appelle an die Mitarbeiter_innen, „jetzt aber mal innovativ zu sein“ oder das Erzwingen nicht resonanzfähiger „New Work Maßnahmen“ werden mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ergebnislos verpuffen, wenn nicht echte, strukturelle Veränderungen erfolgen, die anderes Arbeiten nach sich ziehen.

Auf-Hören, oder: Systemische Führungsinstrumente und -kapazitäten

Im obigen Zitat irritiert das Wort „aufhören“. Rosa verbindet mit dem Auf-Hören das sich „anrufen und erreichen lasse[n] von etwas anderem, von einer anderen Stimme, die etwas anderes sagt als das, was auf meiner To-Do-Liste steht und was sowieso erwartbar ist“ mit dem gängigen Verständnis des Begriffs Aufhören im Sinne von „anhalten, stoppen“ (ebd., 56).

Beides ist wichtig: Zum einen gilt es, aufzuhorchen und sich von den irritierenden Informationen aus der Umwelt anrufen zu lassen, um daraus Neues zu gestalten. Zum anderen gilt es aber auch, aufzuhören und Aktivitäten zu stoppen, die keinen Mehrwert für die Menschen und die Organisation liefern.

Es lohnt die Beschäftigung mit Exnovation – der anderen Seite von Innovation: Exnovation heißt, dass Nutzungssysteme, Prozesse, Praktiken oder Angebote, die getestet und bestätigt wurden, aber nicht mehr wirksam sind oder nicht mehr mit der Strategie übereinstimmen, eingestellt werden (vgl. Epe, 2022). Exnovation heißt jedoch keinesfalls, in der Organisation eine Kultur der Nicht-Innovation zu propagieren. Exnovation, das Aufhören, die Abschaffung, das Beenden, gehört zur Innovation zwingend dazu – wie zwei Seiten einer Medaille.

Und hier sei mit Blick auf das „sozialpädagogische Jahrhundert“ die Frage gestattet: Wo haben wir im Sozialwesen erfolgreich Dinge nicht mehr getan, nicht (mehr) wirksame Angebote nicht weitergeführt und wirklich aufgehört, um so Raum für Neues zu schaffen?

Gleiches gilt institutionell: Anstatt grundlegende, strukturelle Barrieren zu beseitigen, die die Veränderung des Systems blockieren, versuchen wir, Menschen zu motivieren, „sich zu verändern“ und neue Methoden und Angebote zu schaffen, um uns auf die Zukunft vorzubereiten. Echtes Lernen und damit Veränderung komplexer sozialer Systeme geschieht aber nicht, indem wir „mehr des Gleichen“ tun. Die Beseitigung struktureller Barrieren, das Weglassen, das Exnovieren ist oft der wirkungsvollste Hebel, um soziale Systeme und damit Organisationen in Veränderung zu bringen.

Veränderung bedeutet, etwas aus dem gewohnten Trott zu bringen. Es mag zwar oberflächlich beruhigend und entlastend sein, sich an Routinen und Business as usual zu klammern. Sinnvoller ist aber die Frage: Was von dem, was wir in unserer Organisation oder im Team tun, kann weg, womit können wir aufhören?

Bezogen auf Vorgaben in Organisationen hat sich zur Beantwortung der Frage die einfache Methode „Kill a stupid rule“ bewährt:

  1. In Kleingruppen sammeln die Beteiligten regelmäßig bestehende Regeln aus ihrer Organisation, die sie gerne abschaffen/ändern würden und notieren diese.
  2. Die Notizen werden vorgestellt und in ein Koordinatensystem eingruppiert: wenig bis sehr aufwändig und kleine bis große Wirkung.
  3. Ideen mit wenig Aufwand und großer Wirkung können direkt angegangen werden. Ideen mit mehr Aufwand kann man priorisieren und nach und nach umsetzen.

Eigentlich einfach, aber wir wissen auch: Das Auf-Hören fällt schwer – gesellschaftlich, organisational und individuell.

Kooperation, oder: Finanzielle Mechanismen zur Finanzierung und Skalierung der Maßnahmen

So, wie in unseren Organisationen nicht eine Person allein „den Laden am Laufen hält“ lässt sich die Transformation der Gesellschaft nicht durch „den einen Hebel“ und damit losgelöst von anderen sozialen Systemen betrachten. Mehr noch:

„Kooperation war die entscheidende Voraussetzung für die Entstehung des Lebens, und sie ist bis heute ein das Leben in all seinen Varianten begleitendes Phänomen geblieben“ (Bauer, 2006, 221).

Wollen wir die Zukunft des Sozialwesens gestalten und die Abkehr vom Ego- zum Eco-System und Möglichkeiten gestalten, „vom größeren Gesamtsystem aus zu handeln“ (Scharmer, 2013, 220), müssen wir eine Kultur der Kooperation (wieder)beleben, auch wenn dies „ein radikaler Gegenentwurf zum neoliberalen und zum auf Verdrängungswettbewerb und Auslese aufbauenden darwinistischen Menschenbild [ist], das Ökonomie und Gesellschaft seit langer Zeit und heute noch prägt“ (Seliger, 2022, 119).

Kooperation erfolgt in vielen Fällen bereits zwischen sozialen Organisationen und zwischen unterschiedlichen Verbänden (auch wenn es hier ebenfalls Entwicklungsbedarf gibt). Aber gerade mit Blick auf die Finanzierung Sozialer Arbeit ist der Blick auf Kooperation hochgradig relevant:

Soziale Organisationen sind in ihrer Finanzierung im Wesentlichen abhängig von Sozialleistungsträgern. Entsprechend greift der isolierte Blick auf die institutionelle Transformation, auf innerorganisationale Veränderungsnotwendigkeit zu kurz – ohne damit zu sagen, dass innerhalb der Organisationen keine Veränderungen stattfinden sollten – da sie in der Finanzierung ihrer Leistungen abhängig sind von den Sozialleistungsträgern.

Eine Herausforderung der Verbindung von Sozialleistungsträgern auf der einen und sozialen Organisationen als Leistungserbringern auf der anderen Seite besteht aber darin, dass beide Systeme unterschiedliche binäre „Leitdifferenzen“ (Codes) aufweisen, anhand derer sich die Entscheidungen im jeweiligen System orientieren.

Soziale Organisationen wägen ihre Entscheidungen – sehr grob formuliert – anhand der Leitdifferenz „Helfen / nicht helfen“ (vgl. Kleve, 2007, 147) ab, wohingegen die Sozialleistungsträger ihre Entscheidungen anhand der Leitdifferenz „Rechtlich vorgegeben / nicht vorgegeben“ abwägen.

Daraus folgt, dass soziale Organisationen komplexe soziale Probleme anders angehen würden, wenn die Finanzierungsmöglichkeiten dies zuließen. So wird bspw. die Einbeziehung der Klient*innen und die Stärkung ihrer Autonomie und Selbstbestimmung in allen moderneren Methoden Sozialer Arbeit gefordert, deren Umsetzung jedoch in Teilen durch die Notwendigkeit konterkariert, sich an die Vorgaben der Sozialgesetze zu halten, um darüber die Finanzierung sicherzustellen.

Zur zukünftigen Sicherstellung einer sinnvollen Finanzierung ist es also notwendig, die Kooperation zwischen den Leistungsträgern und den Leistungserbringern deutlich zu steigern, um über den Dialog ein gegenseitiges Verständnis der Notwendigkeiten wirksamer Finanzierung herzustellen.

Außerdem ist in sozialen Systemen, großen wie kleinen, alles miteinander verbunden (vgl. Göpel, 2022, 36ff). Entsprechend muss der kooperationsfokussierte Blick über die Grenzen der Sozialwirtschaft hinaus geweitet werden: Kooperation muss auch verstärkt zwischen anderen Unternehmen und Funktionssystemen gestärkt werden, um Transformation zu ermöglichen.

Das Ausweiten der Kooperation vereinfacht wiederum das unverzichtbare „Sich-anrufen-lassen“ von anderen Perspektiven und neuen Möglichkeiten, die ergriffen werden können, um gelingende Zukunft zu gestalten.

Das Ende des Business as usual, oder: Mutige Visionen für die Zukunft der Sozialwirtschaft

Es muss nicht wiederholt werden, dass die Herausforderungen, denen sich soziale Organisationen heute und in Zukunft widmen müssen, massiv sind. Sie werden heute nicht absehbare Veränderungen erfordern. Einfache Antworten und Business as usual werden aber definitiv nicht funktionieren, auch wenn die Suche nach Sicherheit und Beständigkeit in einer hyperaktiven Welt allgegenwärtig ist. Aber es hilft nicht, angesichts der Dynamik und Komplexität der Herausforderungen den Kopf in den Sand zu stecken. Das Gute in der aktuellen Situation: In allen Problemen (ver-)stecken sich auch Chancen, wenn wir lernen, mutige Visionen der Zukunft der Sozialwirtschaft in den Blick zu nehmen:

Mutige Visionen brechen mit dem Business as Usual. Sie helfen uns, die Gegenwart hinter uns zu lassen und damit neue Perspektiven einzunehmen.

Stellen Sie sich vor, Sie wachen morgen auf und gehen an Ihren Arbeitsplatz. Dort muss über Nacht ein Wunder geschehen sein und es ist alles so, wie Sie es sich schon immer erträumt haben:

  • Woran bemerken Sie, dass sich etwas verändert hat?
  • Was sind die größten Unterschiede zu gestern?
  • Wie fühlt sich die Veränderung an? Was ist beglückend?
  • Mit welchem Bild würden Sie die neue Situation Ihrer Organisation darstellen?

Beginnen Sie, Ihre Vision mutig zu malen, denn

„Mut heißt nicht, keine Angst zu haben! Mut heißt nur, dass man trotzdem springt!“ (Sarah Lesch).


Quellen:

  • Botkin, J. W., Elmandjra, M., Malitza, M.: No limits to learning: bridging the human gap. 1st ed. Pergamon international library. Oxford; New York: Pergamon Press, 1979.
  • DBSH. Deutschsprachige Definition Sozialer Arbeit. 2016. Download unter: https://www.dbsh.de/profession/definition-der-sozialen-arbeit/deutsche-fassung.html. Abruf am 16.12.2022.
  • Dixson-Declève, S., Gaffney, O., Ghosh, J., Randers, J., Rockström, J., Espen Stoknes, P.:  Earth for all: ein Survivalguide für unseren Planeten. Übersetzt von Rita Seuß und Barbara Steckhan. 4. Auflage. München: oekom, 2022.
  • Epe, H.: Exnovation, oder: Verlernen allein reicht (oft) nicht! Download unter: https://www.ideequadrat.org/exnovation/. Download am 03.01.2023.
  • Göpel, M.: Wir können auch anders: Aufbruch in die Welt von morgen. Berlin: Ullstein, 2022.
  • Hickmann, H., Koneberg, F.: Die Berufe mit den aktuell größten Fachkräftelücken. IW-Kurzbericht Nr. 67. Download unter https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Kurzberichte/PDF/2022/IW-Kurzbericht_2022-Top-Fachkr%C3%A4ftel%C3%BCcken.pdf. Download am 20.12.2022.
  • Kleve, H.: Postmoderne Sozialarbeit: ein systemtheoretisch-konstruktivistischer Beitrag zur Sozialarbeitswissenschaft. 2. Aufl. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss, 2007.
  • Merten, R.: Wissenschaftliches und professionelles Wissen – Voraussetzungen für die Herstellung von Handlungskompetenz. In: Pfaffenberger, Hans (Hrsg.). Identität – Eigenständigkeit – Handlungskompetenz der Sozialarbeit/Sozialpädagogik als Beruf und Wissenschaft. Münster, Hamburg, London: LIT Verlag, S. 165–192, 2001.
  • Rosa, H.: Demokratie braucht Religion. München: Kösel-Verlag, 2022.
  • Scharmer, O.: Protect the Flame. Circles of Radical Presence in Times of Collapse. 2022. Download unter: https://medium.com/presencing-institute-blog/protect-the-flame-49f1ac2480ac. Abruf am 15.12.2022.
  • Scharmer, O.: Theorie U – von der Zukunft her führen: Presencing als soziale Technik. 3. Aufl. Management. Heidelberg: Carl-Auer-Verl, 2013.
  • Seliger, R.: Systemische Beratung der Gesellschaft: Strategien für die Transformation. Erste Auflage. Systemische Horizonte. Heidelberg: Carl-Auer Verlag GmbH, 2022.
  • Thiersch, H.: Das sozialpädagogische Jahrhundert. In: Rauschenbach, Thomas/Gängler, H. (Hrsg.). Soziale Arbeit und Erziehung in der Risikogesellschaft. Neuwied, Kriftel, Berlin: Luchterhand Verlag, S. 9–23, 1992.

Hinweis: Der Text ist vorab (in leicht angepasster Version) in den „Blättern der Wohlfahrtspflege“, 3/23, veröffentlicht worden. doi.org/10.5771/0340-8574-2023-3-96!


Mein OKR-Set bis Dezember 2023

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What??? Ein OKR-Set und das bis Dezember 2023 bzw. bis zum Ende des Jahres? Manchen OKR-Profis wird es wahrscheinlich die Haare aufstellen, aber ich muss irgendwie realistisch an meine Entwicklungen rund um IdeeQuadrat rangehen. Denn:

Mein Alltag frisst mich auf.

Und – so zumindest mein Verständnis von OKR – der Alltag gehört nicht in die OKR. Die OKR sind dafür da, meine strategischen Entwicklungen voranzutreiben.

Das kann man anders sehen, je nach Autor:in und Verständnis. Für mich zeigt sich aber, dass es überhaupt wichtig ist, meine Strategie – in kleinen Schritten – zu verfolgen (entsprechend gab es schon länger keine wirkliche Strategieplanung). Ich muss kleinere Brötchen backen, als ursprünglich geplant. Aber besser kleine als keine Brötchen.

Vielleicht stehst Du aber gerade vor der Frage, wovon ich überhaupt spreche? OKR??? OKR ist das Framework, das ich zur Strategielplanung und -umsetzung nutze (bzw. zu nutzen versuche). OKR heißt Objectives and Key Results. Und hier findest Du nähere Infos dazu, falls es Dich (vielleicht auch für Deine Organisation) interessiert.

Vorab noch einmal eine kurze Darlegung, wie ich meine OKR für mich strukturiere.

Meine Struktur der OKR

In meiner letzten Strategieplanung und den Veröffentlichungen dazu (hier ein Einblick) findest Du noch die Überlegung, meine Objectives nach Fokusbereichen zu untergleidern.

Fokusbereiche waren a) New Social Work (mein Kerngeschäft bzw. meine Aktivitäten und Angebote rund um die Organisationsentwicklung sozialer Organisationen, außerdem Fragen zum Geschäftsmodell, Marketing, Wertversprechen und Co.), b) New Social Learning (Aktivitäten zum Aufbau von offenen und internen Weiterbildungsangeboten), die ich mit IdeeQuadrat realisieren will), c) New Social Projects (Angebot zur Begleitung von Organisationen bei der Entwicklung, Umsetzung und Evaluation von Projekten und neuen Dienstleistungen und d) Private (meine persönliche Entwicklung im Rahmen der Selbständigkeit). Zu jedem Bereich habe ich versucht, jeweils ein Objective mit entsprechenden Key Results zu definieren.

Kurz: Das System hat nicht funktioniert. Es war zu viel, neben Arbeit, Familie und dem, was sich irgendwie Leben nennt.

Entsprechend werde ich mich bis Ende des Jahres auf ein OKR-Set fokussieren und darüber versuchen, mich zu beschränken und realistisch zu bleiben. Denn, das haben die letzten Wochen eindrücklich bewiesen:

„Leben ist das, was passiert, während Du andere Pläne machst.“

OKR-Set August – Dezember 2023

Objective: Ich habe einen vollständig automatisierbaren Online-Kurs entwickelt und eingeführt.

KR1: Abschluss der Entwicklung und Bereitstellung aller Kursmodule bis zum festgelegten Stichtag.

KR2: Sicherstellung einer positiven Nutzererfahrung (UX) durch die Durchführung von Usability-Tests mit mindestens 10 potenziellen Teilnehmern und einer Bewertung von mindestens 4 von 5 Punkten.

KR3: Implementierung einer automatisierten Test- und Qualitätskontrollstrategie, um sicherzustellen, dass der Kurs reibungslos funktioniert und Fehler minimiert werden.

KR4: Bereitstellung einer klaren und verständlichen Anleitung für die Teilnehmer, um sicherzustellen, dass sie den Kurs problemlos nutzen können.

Und jetzt bin ich sehr gespannt, wie es mit IdeeQuadrat zum Ende des Jahres aussieht, ich werde berichten…


P.S.: Im Beitrag zu den Objectives and Key Results findest Du auch ein OKR Canvas, das ich zur Entwicklung auch meines OKR-Set genutzt habe.

Selbstbestimmt und effizient Lernen, oder: Warum Microlearning in Organisationen der Sozialen Arbeit wichtig wird!

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Es ist eine echte Floskel: In einer sich ständig verändernden und komplexen Welt gewinnt lebenslanges Lernen eine immer größere Bedeutung! Lernen ist eine der bedeutsamsten Future Skills. Dies gilt nicht nur „auch“, sondern insbesondere für Organisationen der Sozialen Arbeit: Die Mitarbeiter:innen sind kontinuierlich gefordert, sich mit komplexen sozialen Herausforderungen und kontinuierlich Neuem auseinandersetzen. Für das „einzige Kapital“ sozialer Organisationen – die Mitarbeiter:innen – ist es entsprechend notwendig, Lern- und Weiterbildungsmöglichkeiten zu nutzen. Hinzu kommt, dass traditionelle Lernmethoden zunehmend von modernen, selbstgesteuerten Lernmöglichkeiten abgelöst werden, die den Bedürfnissen der Mitarbeiter:innen besser entsprechen. Und außerdem geht es nicht nur um die Mitarbeiter:innen: Auch die Organisationen haben Weiterbildungsbedarfe, ausgelöst durch bspw. rechtliche oder organisatorische Veränderungen, die über kleine, schnelle, bedarfsgerechte Lernmöglichkeiten bedient werden können. Aber wie sieht zeitgemäßes und bedarfsgerechtes Lernen, wie sieht „New Learning“ in sozialen Organisationen aus? In diesem Blogbeitrag erfährst Du, was Microlearning ist und warum Microlearning in Organisationen der Sozialen Arbeit Vorteile bringt. Außerdem findest Du Ideen für Inhalte, die „Microlearning-kompatibel“ sind.

Was ist Microlearning?

Microlearning, auch Mikrolernen genannt, bezeichnet das Lernen in kleinen Einheiten und kurzen Schritten. Dabei werden kompakte Lerneinheiten bzw. -module erstellt, die auf das Wesentliche reduziert sind und ein einzelnes, klar abgegrenztes Lernziel oder für die Mitarbeiter:innen relevantes Thema behandeln. Diese Lernmodule sind wirklich kurz – so kurz wie für den Inhalt möglich – und konzentrieren sich auf die Vermittlung nur einer sehr spezifischen Kompetenz bzw. auf die Beantwortung nur einer sehr spezifischen Frage.

Charakteristika von Microlearning:

Im Folgenden findest Du einige allgemeine Charakteristika von „Micro-Learning-Angeboten“:

  • Kompakte Lerneinheiten: Microlearning bricht das Lernmaterial in kleine, leicht verdauliche Bestandteile herunter. Anstatt lange Lernsitzungen zu absolvieren, nehmen Lernende in kurzer Zeit komprimierte Wissensportionen auf.
  • Fokussiertes Lernziel: Jede Microlearning-Einheit verfolgt ein spezifisches Lernziel, das klar und präzise definiert ist. Dadurch wird das Lernen gezielt und effizient gestaltet.
  • Zeit- und ortsunabhängig: Microlearning ermöglicht es den Lernenden, möglichst flexibel zu lernen, wann und wo es ihnen am besten passt. Die Lerneinheiten können über verschiedene Medien wie PC, Smartphone, Tablet oder auch – sofern inhaltlich sinnvoll – in Präsenz vor Ort abgerufen bzw. absolviert werden.
  • Vielfältige Lernformate: Microlearning nutzt verschiedene Formate wie Texte, Videos, interaktive Elemente oder Quizfragen, um das Lernerlebnis abwechslungsreich und ansprechend zu gestalten. Microlearning vor Ort sind entsprechend kurze Einheiten, die zu einem bestimmten Thema in der Organisation angeboten werden.
  • Gezielte Wiederholungen: Durch wiederkehrende Microlearning-Einheiten und Quizfragen wird das Wiederholen von Inhalten gefördert, um das langfristige Behalten zu unterstützen und die benötigten Kompetenzen dann abzurufen, wenn sie wirklich gebraucht werden.

Vorteile von Microlearning:

  • Bessere Aufmerksamkeit: Durch die kurzen und prägnanten Lerneinheiten können Lernende ihre Aufmerksamkeit besser auf das Thema konzentrieren und sind weniger anfällig für Ablenkungen.
  • Effizientes Lernen: Microlearning ermöglicht schnelles und gezieltes Lernen. Es spart Zeit, da Mitarbeiter:innen nicht lange aus dem Arbeitsprozess herausgenommen werden müssen.
  • Flexibilität: Lernende können selbst entscheiden, wann und wo sie lernen möchten. Dies fördert die Selbstorganisation und Eigenverantwortung beim Lernen.
  • Selbstwirksamkeit: Kurze Lerneinheiten sind schneller „durch Erfolg gekrönt“, als lange Workshopeinheiten zu einem bestimmten Thema. Daraus resultieren schnellere Lernerfolge, die wieder „Spaß am Lernen“ vermitteln.
  • Entwicklung einer Lernkultur: Die kontinuierliche Nutzung sinnvoller, die Selbstwirksamkeit steigernder Lernmöglichkeiten kann zu einer „Lernkultur“ in der Gesamtorganisation führen, denn: Die Verhältnisse bestimmen das Verhalten.
  • Besseres Wissensmanagement: Das kompakte Format von Microlearning-Einheiten erleichtert das „Organisieren und Verwalten“ des erlernten Wissens.

Microlearning in Organisationen der Sozialen Arbeit:

Der Fachkräftemangel stellt die aktuell größte Herausforderung für Soziale Organisationen dar. Der Fachkräftemangel in Verbindung mit sich dynamisch verändernden Themenstellungen – Digitalisierung allgemein, KI, IT-Sicherheit, sozial-ökologische Nachhaltigkeit, Demokratiekrise… – vergrößern diese Herausforderung jedoch massiv: Der Wandel der Organisationen muss gelingen bei sich gleichzeitig verringernden Möglichkeiten nachhaltigen Lernens durch weniger und häufig wechselndes Personal.

Stefan Gesmann bringt es auf den Punkt: „Angesichts der aktuellen und zukünftigen Herausforderungen im Feld der Sozialen Arbeit werden sich Leitungskräfte zukünftig noch weniger erlauben können, die betriebliche Weiterbildung ungesteuert nebenherlaufen zu lassen“ (Gesmann, 2022, 170).

Entsprechend kann Microlearning auch und gerade in sozialen Organisationen echte Vorteile bieten:

  • Zeit- und kosteneffizient: Traditionelle Lernformen können zeitaufwendig und damit kostenintensiv sein. Mit Microlearning können Mitarbeiter:innen neue Inhalte in kurzen, flexiblen Einheiten erlernen, ohne ihren Arbeitsablauf (zu) stark zu beeinträchtigen. Dies spart Zeit und ermöglicht den Mitarbeiter:innen, „parallel zum Job“ zu lernen.
  • Flexibilität: Soziale Arbeit braucht Flexibilität. Mitarbeiter:innen müssen oft schnell auf neue Situationen reagieren. Microlearning bietet die Möglichkeit, benötigtes Wissen „just-in-time“ abzurufen, sei es in der Arbeitsstelle, im Home Office oder unterwegs.
  • Individuelles Lernen: Jede:r Mitarbeiter:in hat unterschiedliche Wissensstände und (Lern-)Bedürfnisse. Mit Microlearning können (relativ) einfach individuelle Lernpfade gestaltet werden, die den jeweiligen Anforderungen gerecht werden und eine maßgeschneiderte Weiterbildung ermöglichen.
  • Nachhaltiges Lernen: Kurze und prägnante Lerneinheiten fördern das bessere Behalten von Informationen. Die Möglichkeit, Inhalte in kleinen Häppchen zu wiederholen, stärkt das Langzeitgedächtnis und sorgt für nachhaltiges Lernen.

Chancen von Microlearning in Organisationen der Sozialen Arbeit:

Ich habe mir gerade eine Cajon gekauft (so eine Trommelkiste). Ich will damit meinen Sohnemann beim Gitarre spielen begleiten. Aber ich kann es nicht. Was also tun? YouTube-Videos schauen im Sinne meines eigenen Lernens. Dadurch erhoffe ich mir die Chance, ein Instrument zu lernen. Aber welche Chancen bietet Microlearning in Organisationen der Sozialen Arbeit?

  • Praxisnähe: Microlearning-Module können sich auf praktische Situationen im Arbeitsalltag der Sozialen Arbeit konzentrieren. Mitarbeiter:innen können spezifische Fähigkeiten und Kenntnisse erwerben, die ihnen in ihrer täglichen Arbeit unmittelbar dann, wenn Fragen und Herausforderungen auftreten, zugutekommen.
  • Weiterentwicklung der Mitarbeiter:innen: Durch den einfachen Zugang zu relevantem Wissen und die Möglichkeit, schnell und einfach aktuell notwendige Kompetenzen im Sinne von Future Skills zu erwerben, können Mitarbeiter:innen ihre eigenen Kompetenzen kontinuierlich verbessern und sich den Anforderungen einer sich wandelnden Organisation und übergreifend einer sich wandelnden Gesellschaft anpassen.
  • Multimodalität: Microlearning vereint idealerweise verschiedene Medien wie Texte, Videos, Podcasts oder interaktive Lernmaterialien. Daraus resultiert ein Lernerlebnis, das auf die individuellen Lernbedürfnisse der einzelnen Mitarbeiter:innen abgestimmt und damit vielfältig und ansprechend ist. Nur so gelingt der Kulturwandel hin zu einer echten Lernkultur.

Inhalte für Microlearning in Organisationen der Sozialen Arbeit

OK, die Chancen und Vorteile sind klar und (so meine Meinung, natürlich 😉 ziemlich einleuchtend. Aber was, also welche Inhalte können im Format des Microlearnings vermittelt werden? Um die Spannung nicht zu groß werden zu lassen: Ehrlich gesagt sind nahezu alle Arten von Inhalten für Microlearning geeignet. Vor allem aber lassen sich sich schnell und ressourcenschonend aktuelle Inhalte aufbereiten und den Mitarbeiter:innen zur Verfügung stellen. Wichtig ist aber, dass die Inhalte klar strukturiert und in kurze, leicht verdauliche Einheiten aufgeteilt werden. Die Inhaltsvielfalt ermöglicht es, Microlearning als vielseitiges und effektives Lernformat in verschiedenen Bereichen der Aus- und Weiterbildung einzusetzen. Aber etwas konkreter:

  • Wissenshäppchen: Komplexe Themen können in kleine, leicht verständliche Wissenshäppchen aufgeteilt werden. So können einzelne Konzepte oder Fakten in kurzer Zeit vermittelt werden. Zu denken ist hier bspw. an rechtliche Änderungen (BTHG, KJSG, Grundlagen aus den SGB usw.).
  • Fertigkeiten und Soft Skills: Praktische Fertigkeiten und Soft Skills, wie z.B. Kommunikationstechniken, Zeitmanagement oder Präsentationsfähigkeiten, lassen sich gut in kurzen Lerneinheiten trainieren. Zu denken ist – vor allem auf Ebene der Führungskräfte – auch an Skills zur Verhandlungsführung, zur Führung von Hilfeplangesprächen.
  • Informationen zu definierten Prozessen: Die dominierende Informalität sozialer Organisationen (What??? Hier lesen… 😉 in Verbindung mit dem Fachkräftemangel erfordert zunehmend die Definition von klaren Prozessen über Anforderungen und Arbeitsabläufe. Neue oder veränderte Prozesse können sehr gut über Microlearning-Einheiten verdeutlicht werden.
  • Methoden rund um Führung und Teamentwicklung: Auch wenn Methoden nicht alles sind, helfen kleine Ideen und Anregungen, bspw. zu Methoden der Teamentwicklung, im Alltag schon weiter. Und selbst im Führungsalltag auftretende Fragen lassen sich (sofern passend) in kleinen Einheiten vermitteln.
  • Serviceinformationen: Informationen über neue Dienstleistungen können in kurzen Lerneinheiten präsentiert werden, um (neue) Mitarbeiter:innen (oder auch die Nutzer:innen) schnell auf den neuesten Stand zu bringen. Das ist bspw. rund um das „Onboarding“ bzw. die Einarbeitung von neuen Mitarbeiter:innen hoch interessant und ressourcenschonend.
  • Sicherheits- und Compliance-Schulungen: Richtlinien, Verfahren und Sicherheitsbestimmungen können in kurzen, wiederkehrenden Einheiten vermittelt werden, um das Bewusstsein der Mitarbeiter:innen zu schärfen. Neben Arbeitsschutz oder Datenschutz fallen mir hier insbesondere Schulungen rund um die IT-Sicherheit ein.
  • Sprach- und Vokabeltraining: Fremdsprachen oder Fachterminologie lassen sich ebenfalls gut in kurzen Lernmodulen üben, um die Lernenden kontinuierlich und zum Beginn einer neuen Tätigkeit mit neuen Vokabeln zu versorgen.
  • Mini-Simulationen: Kleine Simulationen oder Fallstudien können verwendet werden, um reale Situationen nachzubilden und die Entscheidungsfindung der Lernenden zu fördern.

Ohne hier zu tief auf die (umfangreichen) Gestaltungsmöglichkeiten einzugehen, macht es Sinn, in den Lerneinheiten Reflexionsfragen oder Feedback-Möglichkeiten am Ende einer Lerneinheit einzubinden, um die Möglichkeit zu schaffen, das Gelernte zu überdenken und den Lernfortschritt zu bewerten.

Noch einmal: Nahezu alle Arten von Inhalten eignen sich für Microlearning – auch in Organisationen der Sozialen Arbeit. Wichtig ist nur, dass sie klar strukturiert und in kurze, leicht verdauliche Einheiten aufgeteilt werden – die Inhalte, nicht die Organisationen. Wobei…?

Aber – das erklärt sich wohl von selbst – Microlearning ist nicht die Lösung für alle Lernnotwendigkeiten. Die Vermittlung von breitem, grundlegenden Wissen zu einem Thema fällt darunter, da die kleinen Lerneinheiten per Definition darauf fokussieren, jeweils genau ein Problem zu lösen bzw. jeweils eine Frage zu beantworten. Es reicht auch nicht, einfach jeden Kurs oder jede Weiterbildung in Mikro-Lerneinheiten umzuwandeln, indem man den Kurs einfach in kleinere Stücke zerlegt. Die Unterteilung größerer Kurse und Lerneinheiten macht vielleicht Sinn, um Informationen in kleinen „Learning Nuggets“ zu organisieren. Der aufgeteilte Inhalt des Kurses muss aber immer mit dem Rest des Lerninhalts kombiniert werden, um einen sinnvolles Lernen zu ermöglichen. Die Strategie hinter Microlearning besteht jedoch daraus, für sich unabhängige Lerneinheiten zu gestalten, die auf einen einzigen Zweck ausgerichtet sind.

Fazit:

Für das Phrasenschwein: In Organisationen der Sozialen Arbeit ist lebenslanges Lernen essenziell, um den vielfältigen sozialen Herausforderungen gerecht zu werden.

Aber Spaß beiseite: Microlearning kann hier eine effektive und zeitgemäße Lernmethode darstellen, die den Bedürfnissen der Mitarbeiter:innen und den Weiterbildungsbedarfen der Organisation entgegenkommt!

Hinzu kommt, dass uns neben aller Effektivität heute und zukünftig nichts anderes übrig bleibt: Wir müssen die Effizienz in den Blick nehmen, auch wenn dieser Begriff nicht so wahnsinnig beliebt ist in der Sozialen Arbeit. Wir benötigen effiziente Möglichkeiten, Lernen und damit „Personalentwicklung“ zu ermöglichen.

Abschließend nur noch ein kurzer Blick auf die schon erwähnte Kulturentwicklung: Diese funktioniert – sehr kompakt ausgedrückt – nicht durch Appelle an eine andere Haltung („Wir sind ab morgen innovativ und kreativ, damit das klar ist!“). Kulturentwicklung funktioniert über die kontinuierliche Anpassung der Verhältnisse, der Strukturen und Abläufe in der Organisation oder dem Team.

Gerade die Gestaltung einer positiven Lernkultur kann mithilfe der Einführung von Microlearning wunderbar gefördert werden. Ach ja, oben hatte ich geschrieben, dass sich selbst im Führungsalltag auftretende Fragen (sofern passend) in kleinen Einheiten vermitteln lassen. Dies finde ich gerade für neue und angehende Führungskräfte spannend, die einen Rollenwechsel vom Teammitglied hin zur Teamleitung vornehmen. Denn Rollenwechsel geht mit der Entwicklung der eigenen Identität einher. Und die Entwicklung der eigenen Identität funktioniert nicht durch ein zweitägiges Führungskräfteseminar, sondern durch eine kontinuierliche Beschäftigung mit den im Alltag auftretenden Herausforderung.


Gibt es in Deiner Organisation entsprechende Möglichkeiten, in kleinen Einheiten selbstbestimmt zu lernen? Schreib dazu doch nen Kommentar oder schick mir gerne eine Mail!


Quellen:

Fünf Schritte zur gelingenden Transformation

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Ein sanfter Wind streicht über eine weitläufige Wiese, als ich mich dort niederlasse. Es ist 08:45 Uhr und ich genieße den lauwarmen Wind. Es ist noch etwas Zeit vor dem nächsten Termin. Diesen kostbaren Augenblick nutze ich, um nachzudenken – über den anstehenden Termin, der sich der Entwicklung einer Weiterbildung zur Transformation in sozialen Organisationen widmet, vor allem aber über Transformation im Allgemeinen. Transformation – ein großer Begriff mit einer tiefgreifenden Bedeutung:

Transformation lässt sich definieren als wesentliche Veränderung des aktuellen Ist-Zustands hin zu einem angestrebten Ziel.

Einige Tage nach meinen ersten Skizzen für diesen Text wird mir klar, dass wesentliche Veränderungen manchmal viel schneller und dringlicher erforderlich sind, als man es sich noch vor einem Tag, einer Stunde, einer Minute vorstellen konnte. Das gilt in der Gesellschaft (bspw. Sonneberg), das gilt in Organisationen und das gilt ganz individuell.

Auf dem Weg zum genannten Termin habe ich den Podcast „Zukunft der Nachhaltigkeit“ der Bertelsmann-Stiftung gehört. Insbesondere die Episoden 13 und 14 haben meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, da sie sich mit den „Grenzen des Wachstums“ und der sozial-ökologischen Transformation befassen.

Dabei ist mir ein Satz besonders im Gedächtnis geblieben:

„Wenn wir jetzt nicht handeln, werden wir nicht mehr handeln können!“

Dieser eindringliche Satz stammt von Prof. Erich Zahn, einem emeritierten Professor und Mitautor der bedeutenden Publikation „Die Grenzen des Wachstums“, die 1972 vom Club of Rome veröffentlicht wurde.

Der Satz erinnert mich auch an die Situation, in der sich soziale Organisationen bald wiederfinden könnten – wenn sie nicht handeln.

Doch wie sollen sie handeln? Wie gelingt Transformation. Und wer trägt die Verantwortung dafür?

Das „Mind-Behavior-Gap“ überwinden

Im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit, insbesondere im Zusammenhang mit der Klimakatastrophe, ist oft klar, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen. Viel erschreckender ist jedoch die Kluft zwischen dem, was wir wissen, und dem, was wir tatsächlich umsetzen – das sogenannte „Mind-Behavior-Gap“.

Im Hinblick auf die sozial-ökologische Transformation scheinen alle Erkenntnisse bereits auf dem Tisch zu liegen. Wir müssen nun „nur noch“ in die Umsetzung kommen, sei es auf individueller, organisationaler, lokaler, regionaler, nationaler oder globaler Ebene.

Meine Überlegungen zur organisationalen Transformation werfen jedoch einige Fragen auf:

Die Change Formel als Framework gelingender Transformation

Was muss getan werden, um neben der ökologischen Nachhaltigkeit auch die soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeit von Organisationen in den Fokus zu rücken? Wer trägt die Verantwortung für die Umsetzung? Wie gelangen wir vom aktuellen Ist-Zustand zum angestrebten Ziel? Und vor allem:

Wozu eigentlich?

Es ist eine komplexe Thematik.

Das Framework der „change formel“ bietet eine wertvolle Orientierung und kann helfen, Transformationskompetenz zu entwickeln.

Es besteht aus fünf Schritten, die bei nahezu allen Transformationsvorhaben – sei es auf individueller, organisationaler oder gesellschaftlicher Ebene – gute Dienste leisten können.

Schritt 1: Transformation braucht echte Probleme

Der erste Schritt besteht darin, die wirklichen Probleme zu identifizieren.

Oftmals werden singuläre Themen isoliert betrachtet, und es scheint klar zu sein, was verändert werden muss. Es werden Forderungen wie „Wir müssen digitaler, schneller, agiler, selbstorganisierter, wirtschaftlicher, effizienter, effektiver, nachhaltiger, wirksamer, attraktiver, whatever… werden“ formuliert.

Doch die reine Forderung der Veränderung, ohne dass diese ein echtes Problem löst, führt lediglich dazu, dass die Begriffe und Bemühungen in diesem Bereich verbrannt sind.

Daher ist es wichtig, die Komplexität zu reduzieren und sich für gelingende Transformation auf echte Probleme zu konzentrieren, mit denen die der Mensch, das Team, die Organisation oder die Gesellschaft konfrontiert ist.

Schritt 2: Transformation braucht Visionen

Nachdem die echten Probleme identifiziert wurden, geht es im zweiten Schritt darum, eine attraktive Vision zu entwickeln:

  • Wie soll der angestrebte Zielzustand aussehen?
  • Wie fühlt sich die Vision an?
  • Wie klingt sie?
  • Wie riecht sie?

Die Spannung zwischen dem realen Problem und der attraktiven Vision erzeugt Veränderungsenergie und motiviert zur Transformation.

Schritt 3: Transformation braucht Ressourcen

Problem und Vision allein reichen nicht aus.

Im dritten Schritt gilt es, Ressourcen zu identifizieren, die für die Transformation genutzt werden können.

Ressourcen sind nicht nur finanzieller oder zeitlicher Natur, sondern auch „Erfolgsgeschichten“ und Netzwerke von Personen – in der Organisation oder dem Sozialraum – die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und mitzugestalten.

In Workshops zur Identifizierung der vorhandenen Ressourcen ist es oft überraschend zu sehen, wie die Mitarbeiter:innen den Blick von den Problemen hin zu den Möglichkeiten der Organisation und damit den Möglichkeiten gelingender Transformation lenken. Es kommen verborgene Schätze ans Licht.

Schritt 4: Transformation braucht next steps

Nun folgen konkrete Schritte, die im vierten Schritt formuliert werden.

Ohne konkrete nächste Schritte, die terminiert werden und für die jemand die Verantwortung übernimmt, wird keine Veränderung stattfinden, weder im Kleinen noch im Großen.

Hilfreich ist es, die nächsten Schritte als Hypothesen zu formulieren:

„Wenn wir XY tun würden, erwarten wir, dass Z passiert!“

Diese Hypothesen können dann in Form von Experimenten umgesetzt, erprobt, verändert, entwickelt und etabliert werden.

Falls ein Experiment nicht erfolgreich ist, kann es auch verworfen werden. Die Entscheidung darüber, was mit einem Experiment im Sinne des nächsten Schritts geschehen soll, erfolgt in Schritt 5.

Schritt 5: Transformation braucht Reflexion

Der fünfte und letzte Schritt besteht darin, regelmäßig zu reflektieren, ob das Experiment und damit die angestrebte Veränderung auf dem richtigen Weg ist.

Es ist wichtig, regelmäßige Retrospektiven durchzuführen, um zu überprüfen, ob die Transformation den gewünschten Effekt erzielt und ob Anpassungen oder weitere Schritte erforderlich sind. Dabei geht es um das Lernen aus dem, was zur Veränderung getan wurde.

Hier findest Du einen Beitrag, in dem ich beschreibe, wie man Retrospektiven durchführen kann und damit gemeinsames Lernen gelingt.

How to transform? Eigentlich einfach…

Damit haben wir 5 Schritte für gelingende Transformation:

  1. Probleme,
  2. Vision,
  3. Ressourcen,
  4. next steps und
  5. Retrospektiven.

Diese „change formel“, angelehnt an die Ausführungen von Ruth Seliger und erweitert durch meine eigene Perspektive, erweist sich bei nahezu allen Transformationsvorhaben auf individueller, organisationaler und gesellschaftlicher Ebene als äußerst hilfreich.

Relevant dabei ist jedoch, zu beachten, dass wir uns – ich hatte das oben erwähnt – in komplexen und dynamischen Systemen bewegen. Auch wenn 5 Schritte gelingender Transformation verlockend einfach und irgendwie nach Rezept klingen, sind die Dynamiken psychischer ebenso wie sozialer Systeme nicht zu vernachlässigen. Widerstände, Beharrungstendenzen, die nächste Krise, der Tag am See verhageln immer wieder die „eigentlich so einfache“ Vorgehensweise.

Entsprechend relevant ist Schritt 5 – die kontinuierliche Reflexion und Anpassung im aller Wahrscheinlichkeit nicht endenden Transformationsprozess.

Zusammenfassend aber ist die Change Formel ein hilfreiches Framework, um Orientierung in der Veränderung zu haben. Sie ermöglicht eine strukturierte(re) Herangehensweise.

Und sie macht deutlich, dass allein ein fehlender Schritt dazu führt, die Veränderungsenergie erlöschen zu lassen.


Falls Du nähere Ausführungen zur Ansatzpunkte für gelingende Transformation wünschst, findest Du hier meinen Beitrag zur IdeeQuadrat New Work Canvas. Darin gibt es auch eine detaillierte Erklärung ebenso wie Beispiele zur Anwendung der „change formel“.

Ach ja, eins noch: Diesen Beitrag gab es – in etwas anderer Form – zuerst als Newsletter, zu dem Du Dich hier anmelden kannst.

New Social Work, eine Zwischenbilanz – Part I: Die Definition!

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Dieser Beitrag ist der Auftakt einer Beitragsserie rund um New Social Work. Und zum Auftakt ist zunächst (m)eine New Social Work Definition darzulegen. Damit umreiße ich, was unter New Social Work zu verstehen ist (Part I). Daran anschließend will ich in Part II zurück, in die Historie, und in Teil III ins Jetzt, den Status Quo rund um New Social Work schauen. Dann, im (vorerst) abschließend in Teil IV, versuche ich, einen Blick in die Zukunft rund um „New Social Work“ zu wagen.

Hintergrund der Beitragsserie ist, dass ich im Jahr 2014 den Blog „IdeeQuadrat“ startete. Der erste Beitrag: Ein Review des Buchs „Reinventing Organizations“. Kurz drauf dann meine „Entdeckung“ des „Bergmannschen New Work“.

Die Verbindung aus neuen Formen der Organisationsentwicklung basierend auf Prinzipien von Selbstorganisation, Ganzheitlichkeit und der Suche nach dem „evolutionären Sinn“, mit den utopischen Gedanken einer Abkehr vom Lohnarbeitssystem haben mich begeistert, gefesselt und das finden lassen, was ich „wirklich, wirklich tun“ will. Das war der Beginn der Geschichte von IdeeQuadrat und der Beginn meiner vertieften Auseinandersetzung mit New Social Work.

Dabei leiten mich Fragen rund um zeitgemäße und bedarfsgerechte Organisationsentwicklung kombiniert mit dem Fokus auf soziale Organisationen, meiner beruflichen Herkunft, ohne gesellschaftliche Entwicklungen und deren Auswirkungen aus dem Blick zu verlieren. Ich habe damit von Beginn an Organisationen, die uns alle von der Wiege bis zur Bahre begleiten – Kitas, Kindergärten, Jugendhilfeeinrichtungen, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, Suchthilfe, Wohlfahrtsverbände, kleine Träger, Komplexträger mit mehreren tausend Mitarbeiter:innen und übergreifend „das Sozialwesen“ als gesellschaftsprägendes System fokussiert.

Und jetzt, nach fast zehn Jahren, ist einiges passiert. Einiges ist auch nicht passiert. Zeit für eine Zwischenbilanz. Und die beginnt mit Part 1 – der…

New Social Work Definition

New Social Work ist Organisationsentwicklung. New Social Work aus Blickrichtung der Organisationsentwicklung ist die Suche nach und das Gestalten von funktionalen, zeitgemäßen und bedarfsgerechten Organisationsdesigns für soziale Organisationen, die es ermöglichen, wirksame Soziale Arbeit im Sinne der Nutzer:innen wie der Mitarbeiter:innen sozialer Organisationen leisten zu können. Wortwörtlich: soziale Arbeit.

New Social Work ist gleichzeitig Arbeit an der Gesellschaft. New Social Work nimmt damit gesellschaftliche Entwicklungen in den Blick. Sie ist politisch – wie Soziale Arbeit schon immer politisch war. Und sie ist zukunftsorientiert, denn New Social Work nimmt „gesellschaftliche Megatrends“, die gesellschaftlichen Veränderungen in den Blick, von der digitalen Transformation, über die Individualisierung, den demographischen Wandel bis hin zu Fragen der ökologischen Nachhaltigkeit uvm.

Vier Ebenen einer New Social Work

Der Definition liegen vier Ebenen zugrunde, die hier skizziert und jeweils in den folgenden Beiträgen dieser Serie in den Blick genommen werden, um eine angemessene Betrachtungstiefe zu ermöglichen:

1. Ebene: Das Individuum

Der „Real New Work“ im Sinne Bergmanns ging es über die Schaffung einer Alternative zum klassisch-kapitalistischen Lohnarbeitssystem darum, Menschen zu befähigen, das zu finden, was sie „wirklich, wirklich tun“ wollen. Darüber rückt automatisch „der Mensch“ als Individuum nach auf die Bühne.

Es geht um die Vorstellungen, die wir in unserer Gesellschaft „vom Wesen des Menschen“ haben. Eas geht um unsere Menschenbilder: Nur dann, wenn die Vorstellung existiert, dass Menschen sich entwickeln, sich verändern können und wollen und damit nach Selbstbestimmung und Autonomie, nach Freiheit und Entfaltung der Persönlichkeit, nach Selbstverwirklichung und Sinn streben, machen Vorstellungen rund um New Work und die Suche nach dem, was Menschen „wirklich, wirklich tun wollen“ Sinn.

Nur aus dem gleichen Menschenbild heraus ist Soziale Arbeit als Profession und Disziplin denkbar. Nur dann, wenn wir als Professionelle davon ausgehen, dass wir einen Beitrag zur Selbstbestimmung und Autonomie der Menschen – egal in welchem Arbeitsfeld – leisten können, macht Soziale Arbeit Sinn.

Fraglich ist aber, wie es bestmöglich gelingen kann, zum einen Rahmenbedingungen in unserer Gesellschaft und unseren Organisationen zu schaffen, die dem Streben nach Selbstbestimmung und Autonomie zuträglich sind? Zum anderen ist fraglich, wie das „auf die Welt bringen des in den Menschen liegenden Potenzials“ bestmöglich gelingen kann. Hier rückt u.a. das Bildungssystem in den Fokus. Und – aus einer bestimmten Richtung – sind auch soziale Organisationen immer Organisationen der Bildung.

2. Ebene: Die Organisationen

Wie definiert umfasst New Social Work als einen Fokusbereich die Organisationsentwicklung und damit einer Veränderung der Arbeitswelt. Denn es wird im Wesentlichen durch die Veränderung der Arbeitswelt möglich, die Gesellschaft als Ganzes zu verändern, hin zu mehr Nachhaltigkeit, Zusammen-Leben, Sinn, Zeit für das wirklich, wirklich Wichtige für jeden einzelnen Menschen.

Das ist übrigens, wenn man die Geschichte betrachtet, schon immer so gewesen: Durch die Entwicklung der Landwirtschaft sind die Menschen sesshaft geworden, durch die Entwicklung der Webstühle und der Dampfmaschine wurde das Industriezeitalter eingeläutet und durch die Informationstechnologie bewegen wir uns immer in einer „Wissensgesellschaft“. Und all diese Veränderungen der Arbeitswelt haben zu neuen Gesellschaftssystemen geführt:

„Wichtige historische Gesellschaftsformationen sind nach Marx die klassenlose Urgesellschaft der frühen Stammesgesellschaften, die von Landwirtschaft und despotischer Herrschaft geprägte ‚asiatische Produktionsweise‘, die Sklavenhaltergesellschaft der Antike, der Feudalismus des Mittelalters und die bürgerlich-kapitalistische Produktionsweise“.

Hinzu kommen natürlich Sozialismus und Kommunismus, deren Bezug zur Arbeitswelt als „Diktatur des Proletariats“ auf der Hand liegt. Damit wird deutlich:

Die Veränderung der Organisationen und damit die Veränderung der Art, wie wir arbeiten, führt zu gesellschaftlicher Veränderung.

Und soziale Organisationen, die „als Vorreiter der gesellschaftlichen Transformation ihren wirkungsvollen Beitrag für eine lebenswerte Gesellschaft nachhaltig leisten„, spielen dabei eine unfassbar wichtige Rolle.

Für New Social Work rückt auf dieser Ebene die Frage ins Zentrum, wie es gelingen kann, Organisationen, deren Zwecke, Prozesse, formale Hierachien und darüber „soziale Arbeit“ so zu gestalten, dass der Zweck der jeweiligen Organisation bzw. des jeweiligen Teams bestmöglich erreicht werden kann.

3. Ebene: Das Sozialwesen

Soziale Organisationen sind eingebunden in ein nach bestimmten Bedingungen funktionierendes „funktionsspezifisches Teilsystem“ der Gesellschaft – das Sozialwesen.

Funktionsspezifische Teilsysteme sind „funktions-, leistungs-, medien-/codespezifische und (re-)programmierbare, sich selbst validierende selbstsubstitutive autopoietische Systeme“ (Krause, 2005, 44), die einerseits mehr oder weniger miteinander und andererseits in der Gesamtheit all dieser gesellschaftlichen Kommunikationen auch übereinander kommunizieren und damit Gesellschaft prägen. Sie sind operativ geschlossen. Der Code bzw. die Leitdifferenz des Sozialsystems ist „helfen/nicht helfen“ (Kleve, 2007, 147). Jedes funktionsspezifische gesellschaftliche Teilsystem übernimmt für die Gesellschaft exklusiv eine bestimmte Funktion (vgl. Krause, 2005, 49).

Auch wenn fraglich ist, ob das Sozialwesen exklusiv eine bestimmte Funktion übernimmt und damit per Definition ein eigenständiges, funktionsspezifisches Teilsystem unserer Gesellschaft ist, gehe ich zur Komplexitätsreduktion einmal davon aus. Soziale Dienstleistungen als öffentliche Güter und damit „das Sozialwesen insgesamt“ ist hochgradig abhängig von der geltenden Sozialpolitik.

Daraus resultieren wiederum Fragen: (Wie) gelang, gelingt und wird es zukünftig gelingen, zum einen der Sozialpolitik, sinnvolle, zukunftsgerichtete Entscheidungen für die Menschen, die auf soziale Dienstleistungen angewiesen sind, zu treffen? Und wie gelang, gelingt und wird es zukünftig den Verantwortungsträger:innen wie bspw. den Wohlfahrtsverbänden gelingen, diese Entscheidungen im Sinne der Anwaltschaft für die Nutzer:innen (und nicht nur zur eigenen Sicherung des Überlebens) zu beeinflussen?

4. Ebene: Die Gesellschaft

Der Blick in die Vergangenheit bis zur Gegenwart der Sozialen Arbeit zeigt Licht und Schatten. Die Entwicklung Sozialer Arbeit lässt sich als »wahre Erfolgsgeschichte« (Merten 2001, S. 165) erzählen. Thiersch bezeichnet das letzte Jahrhundert gar als »sozialpädagogisches Jahrhundert« (vgl. 1992). Das Wachstum des Sozialwesens, gemessen an Beschäftigtenzahlen oder volkswirtschaftlichem Nutzen, ist beeindruckend.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob das quantitative Wachstum des Sozialwesens mit qualitativen Verbesserungen, mit der Steigerung der Wirksamkeit Sozialer Arbeit und der Annäherung an die in der Definition Sozialer Arbeit dargelegten Vision einherging. Ohne Frage hat sich „die“ Soziale Arbeit weiterentwickelt.

Auf der vierten Ebene stellt sich die Frage, ob Soziale Arbeit wirklich gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen, den sozialen Zusammenhalt gefördert hat, aktuell fördert und zukünftig fördern wird?

Fazit Part I: New Social Work Definition

Wenn ich die Ausführungen zur New Social Work Definition so anschaue, könnte es ein ziemlich umfangreiches Unterfangen werden, eine Zwischenbilanz rund um New Social Work zu ziehen. Aber ich denke, es ist an der Zeit, innezuhalten und dies zu versuchen. Entsprechend will ich in den kommenden Beiträgen – für mich, für Dich und vielleicht auch darüber hinaus – auf die oben gestellten Fragen eingehen.

Dabei werden meine Antworten sicherlich immer sehr persönlich gefärbt sein. Ich hoffe, das passt für Dich…

Gespannt bin ich aber schon jetzt, zu hören, was Du von der Definition und den Ausführungen hältst? Lass doch einen Kommentar da und gib eine Rückmeldung dazu. Vielleicht kann ich diese in den weiteren Beiträgen einbauen… Danke schon jetzt!

Quellen

  • Gesmann, S., Merchel, J. (2019): Systemisches Management in Organisationen der Sozialen Arbeit: Handbuch für Studium und Praxis. Erste Aufl. Heidelberg: Carl-Auer Verlag GmbH.
  • Kleve, H. (2007): Postmoderne Sozialarbeit. Ein systemtheoretisch-konstruktivistischer Beitrag zur Sozialarbeitswissenschaft. 2. Aufl., Wiesbaden: Springer.
  • Krause, D. (2005): Luhmann-Lexikon. 4.Aufl., Stuttgart: Lucius & Lucius.
  • Merten, R. (2001): Wissenschaftliches und professionelles Wissen – Voraussetzungen für die Herstellung von Handlungskompetenz. In: Pfaffenberger, Hans (Hrsg.). Identität – Eigenständigkeit – Handlungskompetenz der Sozialarbeit/Sozialpädagogik als Beruf und Wissenschaft. Münster, Hamburg, London: LIT Verlag, S. 165–192.
  • Thiersch, H. (1992): Das sozialpädagogische Jahrhundert. In: Rauschenbach, Thomas/Gängler, H. (Hrsg.). Soziale Arbeit und Erziehung in der Risikogesellschaft. Neuwied, Kriftel, Berlin: Luchterhand Verlag, S. 9–23, 1992.

Vier Schritte zur Veränderung organisationaler Gewohnheiten, oder: Transformation in kleinen Schritten!

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Wir brauchen die große Transformation – in unseren Organisationen, der Gesellschaft und der Welt. Die Notwendigkeit, der Klimakatastrophe zu begegnen, erfordert Veränderungen, die wir bislang nicht absehen können. Diese, zumindest aus meiner Sicht realistische, im Wortsinn radikale Perspektive erzeugt Widerstand. Dadurch werden Lobbygruppen auf den Plan gerufen, die sich mit Händen und Füßen gegen die Veränderung stemmen. Die eroberten angeblichen Freiheiten werden auf keinen Fall aufgegeben. Mit aller Macht wird am Status Quo festgehalten. Das kennen wir auch aus Organisationen. Wie wäre es aber, wenn wir die Veränderungen sozialer Systeme (Organisationen, Gesellschaft…) mit den Möglichkeiten der Veränderung des Verhaltens der Gewohnheiten psychischer Systeme (Menschen) vergleichen und daraus viele neue, kleine Wege zur großen Transformation finden? Die Veränderung der Gewohnheiten psychischer Systeme erfolgt nur in seltenen Fällen durch große Umbrüche. Erfolgsversprechend ist die Veränderung organisationaler Gewohnheiten, die dann, on the long run, zu großen Veränderungen führen. Wie die Veränderung organisationaler Gewohnheiten gelingt, beschreibe ich hier.

Gewohnheiten

Gewohnheiten lassen sich auf individueller Ebene als regelmäßige Verhaltensmuster definieren, die Menschen automatisch und unbewusst ausführen – ohne darüber nachzudenken. Gewohnheiten sind oft tief in unserem Unterbewusstsein verankert und werden durch wiederholtes Handeln verstärkt. Gewohnheiten können sowohl positiv als auch negativ sein und beeinflussen unser tägliches Leben auf vielen Ebenen, einschließlich unserer Gesundheit, Produktivität und Beziehungen. Beispiele für Gewohnheiten sind Zähneputzen, tägliches Training oder das Rauchen (wobei da noch Suchtfaktoren hinzukommen).

Organisationale Gewohnheiten sind regelmäßige Verhaltensmuster und Arbeitspraktiken, die sich innerhalb einer Organisation als sog. „nicht entschiedene Entscheidungsprämissen“ eingeschlichen haben und die Art und Weise beeinflussen, wie Arbeit erledigt wird.

Diese Gewohnheiten können sich auf verschiedene Aspekte einer Organisation auswirken, einschließlich der Arbeitskultur, der Effizienz, der Kommunikation und der Entscheidungsfindung.

Wie auch bei individuellen Gewohnheiten können organisationale Gewohnheiten sowohl positive als auch negative Effekte haben. Sie sind funktional oder dysfunktional für die Organisation. Und sie sind oft tief im „Unterbewusstsein der Organisation“ und damit in deren Kultur verwurzelt.

Beispiele für organisatorische Gewohnheiten im Sinne nicht entschiedener Entscheidungsprämissen sind der Umgang mit regelmäßigen Meetings, das Befolgen bestimmter Arbeitsprozesse, obwohl diese nicht formal geregelt sind, oder das Treffen von Entscheidungen nicht auf Grundlage von Daten und Fakten, sondern auf der Grundlage von „gefühlten Normen“.

Diese organisationalen Gewohnheiten, diese Routinen in Organisationen, entwickeln sich immer. Sie sind – wie gesagt – wesentlicher Bestandteil der Organisationskultur.

Für soziale Organisationen haben „organisationale Gewohnheiten“ im Sinne einer „dominierenden Informalität“ eine besondere Bedeutung. Das habe ich hier beschrieben.

Veränderung organisationaler Gewohnheiten

Ich habe von mir selbst das Bild eines Gewohnheitstiers. Oder anders:

Ich glaube, dass ich nicht gut darin bin, meine Gewohnheiten zu verändern, selbst wenn ich weiß, dass diese keine guten Auswirkungen haben. Das gilt wahrscheinlich nicht nur für mich, sondern für viele Menschen. Denn – wie oben beschrieben – sind Gewohnheiten oft tief in unserem Unbewussten verankert. Die Veränderung von Gewohnheiten erfordert noch dazu Anstrengung und gleichzeitig erzeugt jede Veränderung Unsicherheit. Also: Besser entspannt weitermachen?

Oder noch besser Gewohnheitsveränderung aus einer anderen Perspektive angehen:

Wer willst Du sein?

Clear erläutert in seinem Buch, dass es grundlegend wichtig ist, sich darüber bewusst zu werden, wer wir sein wollen und erst danach die Gewohnheiten anzugehen. Damit geht es um die Identität, um den Kern unseres Seins, von mir aus um unseren „purpose“.

„Every action you take is a vote for the type of person you wish to become“

S. 38

So macht es auf individueller Ebene einen großen Unterschied, ob ich Sport machen will oder ob ich Sportler bin. Dann, wenn ich meine bisherige Identität infrage stelle und mir selbst zuschreibe, jemand anderes als bisher zu sein, gelingt es einfacher, meine Gewohnheiten an diese neue Identität anzupassen. Schreibe ich Blogbeiträge? Oder bin ich Autor? Spiele ich ein Instrument oder bin ich Musiker? Stärke ich meine Mitarbeiter:innen? Oder bin ich Führungskraft? Wurschtle ich vor mich hin? Oder bin ich Unternehmer?

Dem folgend schlägt Clear vor, im ersten Schritt zu entscheiden, welche Identität wir haben wollen, um dann durch unsere alltäglichen Handlungen, unsere Gewohnheiten unsere Identität zu bestätigen.

Organisational fällt die Übertragung leicht. Dann, wenn die bisherige Identität des Teams oder der Organisation wirklich infrage gestellt werden darf, gelingt es, neue Wege zu eröffnen, wie zukünftig zusammengearbeitet werden soll. Wenn ich jedoch an viele Beratungsaufträge denke, wollen Organisationen ihre Identität nicht überdenken, aber hier und da ein wenig anders arbeiten.

Konkret geht es bspw. um die Entwicklung neuer Strategien für die kurz- und mittelfristige Zukunft. Darin stehen dann Sätze wie „personenzentriert“, „anpassungsfähig“, „schnell“ oder „nachhaltig“. Alles fein und wichtig. Aber die Identität der Organisation wird im Kern nicht berührt. Die Mitarbeiter:innen agieren weiterhin in ihren bewährten Gewohnheiten, da sie sich ja immer noch im gleichen Unternehmen wiederfinden und die Führung wundert sich, warum die Strategieumsetzung so zäh ist…

Hinzuweisen ist darauf, dass eine individuelle Anpassung der eigenen Identität schon nicht ganz einfach ist: Selbst wenn ich mir drei Tage lang einrede, dass ich Sportler bin, haut mich an Tag vier eine Erkältung um und ich muss schon viel Energie aufwenden, trotz Rückschlag an meiner Identität festzuhalten.

Gleiches gilt in noch stärkerem Ausmaß für Organisationen als soziale Systeme:

  • Welche Narrative werden wie innerhalb und außerhalb erzählt, die die Identität der Organisation neu schreiben?
  • Wer erzählt diese Geschichten?
  • Wo schlägt sich die neue Identität nieder?

Hier sind insbesondere die Führungskräfte gefragt, die neue Identität über Geschichten und das eigene Vorleben zu festigen. Und das wiederum braucht eine echte Überzeugung, dass die neue Identität mehr ist als lustige Sätze in Hochglanzleitbildern.

Und auf gesellschaftlicher Ebene passt es genauso:

Solange die Politik im Kleinklein und in den Grabenkämpfen zwischen den einzelnen Parteien verhaftet bleibt und keine neue „Identität des Landes“, keine Visionen und Utopien, glaubhaft vermitteln kann, wird sich wenig bewegen. „Wie wollen wir leben?“ ist sicher nicht leicht zu beantworten. Aber so wie aktuell wird die Politikverdrossenheit eher weiter zunehmen, was – bezogen auf die eigentlich dringend anzugehenden Ziele – höchst dramatisch ist.

Also noch mal kurz: Entscheide, wer Du sein willst und bestätige dies mit kontinuierlichen, kleinen Schritten.

Vergiss das Ziel, fokussiere dich auf das System!

Ich komme auf das ganze Thema, da ich gerade „Atomic Habits“ von James Clear lese.

Kurz beschrieben befasst sich das Buch mit der Kunst der Verbesserung des eigenen Lebens durch die Veränderung der kleinen, alltäglichen Gewohnheiten.

Gewohnheiten – unabhängig davon, ob diese positiv oder negativ sind – ergeben sich durch die Abfolge der vier Schritte

  1. Auslöser,
  2. Verlangen,
  3. Antwort,
  4. Belohnung.

Veränderungen in unserem Verhalten lassen sich entsprechend durch kontinuierliche, aber inkrementelle Anpassungen in diesen vier Bereichen erreichen.

Sinnvoll ist es (natürlich), dass wir uns auf die Entwicklung von Gewohnheiten konzentrieren sollten, die uns helfen, unseren Zielen näher zu kommen (das System), anstatt uns auf Ziele selbst zu konzentrieren:

„The purpose of setting goals is to win the game. The purpose of building systems is to continue playing the game“

(S. 27)

Das ist einfach erklärt:

Ich persönlich kann zwar das Ziel haben, mehr Sport zu machen. Wenn aber die Rahmenbedingungen nicht zu meinem Ziel passen, wird sicherlich nichts aus dem Ziel. Wenn die Reifen am Rad kaputt sind, die Jooggingschuhe noch im Laden stehen und mein Alltag vollgeballert ist mit Krams wird es trotz aller Disziplin nicht gelingen, dem Ziel auch nur einen Schritt näher zu kommen – selbst wenn ich mir das noch so vornehme. Erst dann, wenn es gelingt, dass System und damit die Rahmenbedingungen anzupassen, kann ich überhaupt auf den Weg zum Ziel kommen.

Organisational gilt ähnliches: Du kannst zwar die Fehler-, Innovations- oder Lernkultur propagieren und hoffen, dass dadurch irgendwas passiert. Populär aktuell ist natürlich das Ziel „Agilität“ oder das Ziel einer agilen Organisation. Sofern aber das System nicht passt, sich auf den Agilitäts-, Lern- oder Innovationspfad zu begeben, wird mit größter Sicherheit nichts passieren. Wahrscheinlicher ist sogar, dass Deine Mitarbeiter:innen Deine Ideen belächeln, auf die letzte „Change-Reise“ oder den letzten, komplett sinnlosen Innovationsworkshop verweisen und genauso weitermachen wie bisher. Immer öfter höre ich von Kunden Sätze wie:

„Nutzen Sie aber bitte nicht das Wort Agilität, das ist bei uns verbrannt!“

Und gesellschaftlich erleben wir leider an vielen Stellen das Gleiche:

Alle wissen, dass es so nicht weitergehen kann. Das Ziel ist ebenfalls klar – 1,5 Grad, sonst wird’s echt ungemütlich. Aber das System passt nicht: Der Kapitalismus in seiner aktuellen Form verhindert das Einbiegen auf einen Pfad nachhaltigen Lebens.

Kurz gesagt steigen wir auf allen Ebenen nicht auf das Niveau unserer Ziele auf, sondern fallen immer wieder auf das Niveau unserer Systeme zurück (vgl. hier).

Gewohnheiten ändern in vier Schritten!

Wie aber gelingt es, Gewohnheiten zu ändern – individuell, organisational und vielleicht sogar gesellschaftlich?

Clear beschreibt – basierend auf den oben genannten vier Schritten – vier „Gesetze“, die helfen, gute Gewohnheiten aufzubauen:

Das 1. Gesetz (Auslöser): Mach es offensichtlich.
Das 2. Gesetz (Verlangen): Mach es attraktiv.
Das 3. Gesetz (Reaktion): Mach es einfach.
Das 4. Gesetz (Belohnung): Mache es befriedigend.

Schlechte Gewohnheiten werden entsprechend abgebaut durch die Umkehrung der vier Gesetze:

Umkehrung des 1. Gesetzes (Auslöser): Mach es unsichtbar.
Umkehrung des 2. Gesetzes (Verlangen): Mach es unattraktiv.
Umkehrung des 3. Gesetzes (Reaktion): Mache es schwierig.
Umkehrung des 4. Gesetzes (Belohnung): Mache es unbefriedigend.

Soweit, so individuell. Und tatsächlich auch für mich selbst in vielen Lebensbereichen spannend. Nehmen wir das (fast rein fiktive 😉 Beispiel, dass ich selbst zu einem Autor und entsprechend Schreiben zu einer Gewohnheit werden lassen will. Wie muss ich dann mein individuelles System gestalten?

  1. Ich muss den Auslöser zum Schreiben offensichtlich machen. Ich kann mir bspw. jeden Morgen eine Stunde im Kalender markieren, die nur dafür reserviert ist. Außerdem kann ich meinen Schreibtisch von Ablenkungen befreien, um mich direkt auf das Schreiben konzentrieren zu können.
  2. Schreiben muss attraktiv werden: Wo schreibe ich am Liebsten? Ist mein Schreibtisch im Keller immer die beste Alternative? Oder sollte ich nicht lieber ein Zugticket buchen, vier Stunden hin, vier zurück, und im Zug arbeiten? Da ist zumindest kaum Ablenkung…
  3. Ich muss die Zugangsmöglichkeiten zu guten Schreibbedingungen sehr einfach gestalten. Daraus folgen bspw. Die folgenden Fragen: Wo steht mein Computer? Fühle ich mich dort wohl? Wie aufwendig ist es, in den Schreibprozess einzutauchen?
  4. Wie belohne ich mich? Beim Bloggen ist es ziemlich cool positive Reaktionen auf Beiträge zu erhalten. Aber reicht das? Könnte ich Schreibphasen nicht expliziter mit – gesunden – Belohnungen abschließen?

Über die Frage, wie es mir gelingt, Unternehmer zu werden und welche Gewohnheiten ich dafür etablieren muss, denke ich intensiv nach… Falls Du Tipps und Ideen hast, bin ich sehr dankbar, wenn Du diese in den Kommentaren hinterlässt!

Die Ausführungen lassen sich wieder auf Organisationen übertragen. Beispielhaft nehmen wir an, dass Dein Team die Entscheidung getroffen hat, „agil“ sein zu wollen. Diese Entscheidung betrifft die Identität des Teams und sollte gemeinsam sehr bewusst getroffen werden.

Daran schließt sich die Frage an, wie Du im Team die vier „Gesetze“ anwenden kannst, um kleine Schritte in Richtung dieser „agilen Identität“ zu gehen und ihr damit zu dem Team werdet, dass ihr sein wollt?

Bevor ihr daran arbeitet, neue Routinen und Gewohnheiten zu implementieren, macht es Sinn, erstmal zu schauen, welche Routinen in Bezug auf die Identität dysfunktional sind. Dysfunktional im Sinne der „neuen Identität wären ja alle Praktiken, Gewohnheiten bzw. nicht entschiedenen Entscheidungsprämissen, die starre, unflexible, langwierige Arbeitsprozesse bedienen. Was davon kann weg? Entsprechend geht es zu Beginn um die Umkehrungen der vier Gesetze:

  • Umkehrung des 1. Gesetzes (Auslöser): Wie können wir die Auslöser dysfunktionaler Gewohnheiten möglichst unsichtbar gestalten? Beispielhaft war es früher so, dass ihr Teamsitzungen so gestaltet habt, dass Du als Führungskraft die Tagesordnung vorgegeben und die Teamsitzung anhand der vorgegebenen TOPs moderiert hast. Mach es beim nächsten Mal anders: Bestimmt gemeinsam eine:n Moderator:in und legt zu Beginn die Tagesordnung gemeinsam fest.
  • Umkehrung des 2. Gesetzes (Verlangen): Wie können wir die Gewohnheit möglichst unattraktiv werden lassen? Wenn ihr – um im Beispiel zu bleiben – Entscheidungen zu einzelnen TOPs bislang nicht gemeinsam getroffen habt, sondern immer nach der Führungskraft geschaut und auf deren Entscheidung gewartet wurde, wäre denkbar, dass vorab klar vereinbart wurde, Entscheidungen, die alle im Team betreffen, nur noch gemeinsam zu treffen (bspw. mithilfe der Konsent-Methode).
  • Umkehrung des 3. Gesetzes (Reaktion): Selbst wenn Vereinbarungen getroffen wurden, kann es sein, dass die Routine trotzdem zuschlägt und ihr auf die Entscheidung des Vorgesetzten wartet. Wie wäre es, dass die Führungskraft einfach nicht mehr an den Teamsitzungen teilnimmt und es dadurch notwendig wird, Entscheidungen im Team zu treffen?
  • Umkehrung des 4. Gesetzes (Belohnung): Wie können wir den Rückfall in alte Gewohnheiten möglichst unbefriedigend gestalten? Dazu wäre denkbar, dass ihr für jede nicht anhand der Konsent-Moderation gemeinsam getroffenen Entscheidung eine „Team-Strafe“ einführt (auch wenn mir noch nicht klar ist, was das genau sein könnte)…

Allein durch die Bekämpfung und Beseitigung dysfunktionaler Gewohnheiten wird es möglich, Raum zum Atmen, neu Denken und Machen zu schaffen. Welche hilfreichen Gewohnheiten könnten anders, besser, funktionaler für das Team und die Organisation sein? Basierend darauf lassen sich dann die vier Gesetze zur Entwicklung funktionaler Gewohnheiten anwenden:

Die Anwendung des 1. Gesetzes (Auslöser) bedeutet, dass Du den Auslöser für eine neue, funktionale Gewohnheit möglichst offensichtlich gestaltet. Wie kannst Du es möglichst offensichtlich machen, dass neu agiert werden soll? Eine Möglichkeit wäre bspw. das Aufhängen eines einfachen Kanban-Boards im Büro (bzw. digital), an dem die Aufgaben im Team visualisiert werden?

Das 2. Gesetz (Verlangen) stellt die Frage nach der Attraktivität. Gewohnheiten verändern sich dann, wenn wir das, was wir tun wollen, mit dem koppeln, was wir sowieso tun sollen. Im Beispiel wäre denkbar, dass das Kanban-Board unmittelbar zur Planung, Strukturierung und Dokumentation der Teamsitzung genutzt wird.

Und dann muss es – das 3. Gesetz (Reaktion) – möglichst ein einfach nutzbar sein. In meinem vorherigen Job hatte ich die grandiose Idee, im Team Meistertask zur Aufgabensortierung zu nutzen. Das war aber für die Teammitglieder zu kompliziert. Wir sind wieder beim bewährten Word-Dokument gelandet – warum nicht, wenn es funktioniert und auf das Ziel einzahlt?

Beim 4. Gesetz (Belohnung) geht es ein wenig in Richtung Pawlowschem Hund: Wie können Belohnungen im Team geschaffen werden, die das wiederholte Durchführen der neuen Gewohnheit verstärken? Individuell wäre es vielleicht der Kaffee nach der abgeschlossenen Aufgabe oder – bei der Schreibgewohnheit – die kurze Pause nach 2000 Zeichen. Im Team könnte es bspw. das „habit tracking“, das Visualisieren der Tage, an denen das Kanban-Board erfolgreich genutzt wurde, sein.

Neue Wege im organisationalen Dschungel

Die Veränderung von Gewohnheiten lassen sich mit dem Finden neuer Wege im Dschungel vergleichen, individuell wie organisational und gesellschaftlich.

So bestehen im Dschungel bereits breit ausgetrampelte, vielleicht gepflasterte, mit Straßenlaternen ausgeleuchtete Gewohnheitswege. Das Abweichen von diesen erfordert bewusstes Gegensteuern.

Das gelingt aber nicht durch das reine Propagieren der Nützlichkeit neuer oder dem Verlassen alter Wege. Vielmehr braucht es

  1. die Bewusstwerdung über die neue Identität: Wer will ich sein? Wie wollen wir arbeiten? Wie wollen wir leben?
  2. die Veränderung des Systems, damit das Gehen der neuen Wege offensichtlich, einfach, attraktiv und lohnenswert wird.
  3. das Verändern der bisherigen Gewohnheiten.

Wenn es allein gelingt, dysfunktionale Gewohnheiten loszulassen, sind wir individuell, organisational und gesellschaftlich einen großen Schritt weiter.

Und wenn es dann noch gelingt, viele neue, funktionale Wege auf dem Weg gut vorzubereiten und konsequent zu gehen, kann es gelingen, Deine Organisation oder Dein Team in Richtung „neuer Identität“ zu verändern und eine neue Kultur des Teams oder der Organisation nicht nur irgendwohin zu schreiben, sondern tatsächlich zu leben.


Wo und wie ist es Dir gelungen, Gewohnheiten – individuell, in Deinem Team der Organisation zu ändern? Teile doch Deine Erfahrungen in den Kommentaren! Danke!!!