Warum wir dringend Management-Innovationen in der Sozialwirtschaft brauchen

Management-Innovation

Inhalt:

Oha, Führung und Management! Jetzt begibt er sich auf dünnes Eis.

Eigentlich kann man in diesem Kontext nur alles falsch machen: So wurde über „gute“ Führung und entsprechendes Management bereits viel geschrieben, veröffentlicht, gesprochen. Und wenn man die Literatur zum Thema betrachtet, kommt man relativ schnell zu dem Schluss, dass sich keines der angebotenen Konzepte irgendwie als wirklich funktional durchgesetzt hat und wirklich funktioniert.

Angefangen von dem „Vier Minuten Manager“ über Führung mit Zielen (wobei das ein größeres Thema ist) und den XY Wegen, um endlich eine gute Führungskraft zu werden, bis hin zur Beschreibung unterschiedlichster Management- und Führungsstile, gibt es es einen Haufen Literatur zum Thema Führung und Management, der sich – als beinahe einziger Effekt – verwunderlich gut verkauft.

OK, eigentlich müsste man spätestens an dieser Stelle zwischen „Management“ und „Führung“ unterscheiden. Diese Unterscheidung spare ich mir aber jetzt. Es geht um Führungskräfte in Organisationen der Sozialwirtschaft und damit Menschen, die Management- ebenso wie Führungsaufgaben wahrnehmen müssen, auch wenn die operative Aufgabe des Managements von der strategischen Aufgabe der „Führung“ zu unterscheiden ist.

Vor allem aber geht es darum, warum, ob und wie die Führungskräfte ihr eigenes Handeln hin zu einer neuen Art von Führung und Management weiterentwickeln, sozusagen ihre Grundhaltung an die sich zukünftig stellenden Anforderungen entwickeln können. Die Anforderungen, die in einer VUCA-Welt an Führung und Management gestellt werden, unterscheiden sich aufgrund gesellschaftlicher Entwicklungen radikal von dem, wie bislang Führung und Management verstanden wurde und immer noch wird. Es lässt sich von für sinnvolle Zusammenarbeit notwendigen „Management-Innovationen“ sprechen.

Warum brauchen wir Management-Innovation in Organisationen der Sozialwirtschaft

Zunächst noch einmal zu dem, warum sich Führungskräfte auf neue Herausforderungen in ihrem Führungshandeln einstellen müssen.

In einem lesenswerten Artikel in dem Blog „Nonprofits Vernetzt“ zeigt Frau Dr. Brigitte Reiser die aktuell größten Herausforderungen der Führungskräfte in Organisationen der Sozialwirtschaft auf.

Zusammenfassend sind dies (ich zitiere):

  • „Finanzielle Einbrüche und Schieflagen müssen durch neue Geschäftsmodelle aufgefangen werden, die partizipativer und kollaborativer aufgestellt sind, als dies in der Vergangenheit der Fall war
  • Die gute Zusammenarbeit mit anderen Akteuren über Sektorengrenzen hinweg muss eingeübt werden
  • Im Dritten Sektor muss ein innovationsfreundliches Klima geschaffen werden. Derzeit ist dieses nicht überall vorhanden, so dass es erheblich an neuen Ideen fehlt. Intrapreneure sollten unterstützt werden: „there is a need to liberate innovators“ (Hodges/Howieson , 74)
  • Es muss mehr in die Führungskompetenz der bestehenden und nachwachsenden Führungsgeneration investiert werden. Auch braucht es mehr Möglichkeiten für Partizipation
  • Die politische und gesellschaftliche  Legitimation der Dritte-Sektor-Organisationen ergibt sich durch die veränderten Verhältnisse nicht mehr automatisch, wie dies in der Vergangenheit der Fall war, sondern muss gezielt hergestellt und gefördert werden.“

Das Ganze findet sich nicht irgendwo oder ist der Gedankenwelt von Frau Reiser beim Duschen entsprungen. Das Ganze ist das Ergebnis eines Beitrags mit dem Titel „challenges of leadership in the third sector“ (in: European Management Journal 35) vom Februar 2017. 

Die genannten Herausforderungen sind für mich ehrlich gesagt wenig verwunderlich: zunehmender finanzieller Druck, nicht hinreichende Vernetzung, fehlende Innovationskultur, wenig ausgebildete Führungskompetenzen und dazu noch Megatrends wie die Digitalisierung.

Zackedizack, ein Haufen Herausforderungen, über den ich hier schon lange schreibe und der durch Studien wie die oben genannte noch einmal eindrücklich unterstrichen wird.

Führung mit Fragezeichen

Die Studie zeigt eine Momentaufnahme.

So wäre es sicherlich spannend, den zeitlichen Verlauf der Entwicklung der Herausforderungen der Führungskräfte in der Sozialwirtschaft zu beleuchten.

Konkret denkbar wäre es, Führungskräfte in sozialen Organisationen über viele Jahre zu begleiten oder auch bereits pensionierte Führungskräfte zu Führung vor 40 Jahren zu befragen und dann zu vergleichen. Ich gehe eine ziemlich hohe Wette ein, dass es zwar auch Herausforderungen gab, diese jedoch deutlich weniger Druck, Stress etc. bei den Führungskräften erzeugt haben. Hinzu kommt, dass sich die Geschwindigkeit des Wandels in unserer VUCA-Welt (LINK) enorm erhöht hat.

Unabhängig davon bleibt bei den obigen Studienergebnissen ein großes Fragezeichen! Das Fragezeichen steht hinter den Worten:

Und jetzt?

Führungskräfte stehen vor enormen Herausforderungen. Die Mitarbeitenden, sofern es denn überhaupt noch qualifizierte Mitarbeitende gibt, machen blöd oder kommen aufgrund von Überlastung gar nicht mehr. Und der Druck von außen steigt.

In meinen Augen fehlt mit Blick auf die Frage „Und jetzt?“ die Auseinandersetzung mit sich selbst!

Bitte gehen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen!!!

So schreibt Frau Reiser bzw. die Autoren der Studie weiter, dass es in Organisationen der Sozialwirtschaft einen „lack of leadership“ gibt, der erst einmal im Sektor selbst anerkannt und offen diskutiert werden muss, bevor Maßnahmen getroffen werden können, diesem lack zu begegnen.

Führungskräfte in Organisationen der Sozialwirtschaft beschäftigen sich nicht mit sich selbst. Eine Beschäftigung mit oder das Hinterfragen der eigenen Führungs-Arbeit liefert hier einen möglichen Ansatz, Management und Führung auf ein neues Level zu heben, also Management-Innovation zu ermöglichen.

Das ist insofern spannend, als dass es bspw. im St. Galler Management Modell – branchenübergreifend – heißt, dass „Innovation zwar als zentraler Bezugspunkt von Management gesehen wird, aber nicht als etwas, was die Management-Praxis selbst zu einem Innovationsthema macht“ (Rüegg-Stürm/Grand, 2015, 256, Hervorhebung i. Orig.) – oder mit anderen Worten:

Es gibt keine Management-Innovation.

Unter Management-Innovation ist zu verstehen, dass die Management-Praxis, also das Führungs- und Leitungshandeln, selbst systematisch und konstruktiv-kritisch reflektiert werden sollte, um Innovation, also neue Wege, im Management selbst ermöglichen zu können. Dabei muss die Wertschöpfung der Management-Praxis selbst auf den Prüfstand gestellt werden: „Inwieweit kann die etablierte Management-Praxis (…) den aktuellen und absehbaren Herausforderungen gerecht werden, die sich aus der Ko-Evolution von Umwelt und Organisation ergeben?“ (ebd., 258).

Bislang stehen vor allem Maßnahmen auf Team-Ebene im Vordergrund: Supervision, Konfliktlösung im Team, kollegiale Fallberatung und vieles mehr ist gerade im Sozialbereich etablierte und für bestimmte Themen wichtige Praxis. Auf Ebene er Leitungskräfte hingegen ist da noch Luft nach oben.

Management-Innovation bedarf jedoch spezifischer Ressourcen, wobei insbesondere Möglichkeiten für die gemeinschaftliche Reflektion „und für ein sorgfältiges experimentelles Weiterentwickeln der etablierten Management-Praxis“ (ebd., 259) wesentlich sind.

Management-Innovation konkret

Konkret geschieht Management-Innovation (auch) in Organisationen der Sozialwirtschaft aktuell beinahe ausschließlich über den Versuch der Aus- und Weiterbildung von „High Potentials“ mit einem Fokus auf aktuelle Management-Praktiken. Konkret sind dies vor allem Master-Studiengänge, die versuchen „den Praktikern“ einen Methodenkoffer für die Führung und Leitung von Organisationen der Sozialwirtschaft an die Hand zu geben. Hier findest Du eine Übersicht entsprechender Studiengänge.

#lonesomecowboyDiesen Aus- und Weiterbildungen liegt jedoch „ein individualistisches Organisations- und Management-Verständnis“ (ebd., 260) zugrunde. Management-Innovation hängt aus dieser Perspektive von einzelnen „Leadern“ ab, die heldenhaft die Organisation auf dem Weg halten. #lonesomecowboy

Für echte Management-Innovation muss hingegen ein „gemeinschaftlicher kommunikativer Effort unterschiedlichster Management-Communities“ (ebd., Hervorhebung i. Orig.) vorliegen, man muss sich gegenseitig „befruchten“, sich über seine Führungstätigkeit in Netzwerken austauschen.

Als Maßnahmen, um Management-Innovation zu ermöglichen, führen Rüegg-Stürm/Grand (vgl. ebd., 262ff) verschiedene Möglichkeiten an. Genannt werden:

  • Praktiken kreativer Fremd- und kritischer Selbstbeobachtung,
  • eine gemeinsame Reflexions-Sprache,
  • die Erfahrungen der verantwortlichen Manager-Communities,
  • stabilisierende Rahmenbedingungen,
  • maßgeschneiderte Bildungsprogramme,
  • die Nutzung gesellschaftlicher Kontroversen für Management-Innovation.

Die angesprochenen Ressourcen sind voraussetzungsreich und damit schwer zu realisieren. So sind zum einen „sorgfältig konzipierte Kommunikationsplattformen für die erforderlichen Reflexionsanstrengungen und zum anderen langfristig angelegte Reflexions- und Innovationspartnerschaften zwischen unterschiedlichen Organisationen“ (ebd., 264, Hervorhebung i. Orig.) notwendig, um die Voraussetzungen realisieren zu können.

Netzwerke sind vorhanden, aber…

In Gesprächen mit befreundeten Führungskräften, die ich zur Vorbereitung des Artikels hier befragt habe, wurde deutlich, dass es die Netzwerke der Führungskräfte untereinander bereits gibt. Diese sind entweder institutionalisiert als „Netzwerktreffen“ von Führungskräften unterschiedlicher Organisationsteile (Häuser, Abteilungen…) eines Trägers organisiert oder informell über „Menschen, die man kennt und mag“.

Das sind aus meiner Perspektive wunderbare Voraussetzungen für eine Implementierung der o.g. Maßnahmen. Problematisch ist jedoch, dass – so meine These – vornehmlich – mit Blick auf Management-Innovation – über „das Falsche“ gesprochen wird.

M. a. W. beschäftigen sich die Netzwerke mit für die Führungsarbeit bedeutsamen Sachthemen: Was sind die nächsten Schritte zur Umsetzung der Strategie, wie reagieren wir auf den Fachkräftemangel, wer plant die nächste Weihnachtsfeier (etwas kurz, vielleicht).

Ein intensiver, reflektierender Austausch über die Führungsarbeit findet jedoch nicht statt: Wie führe ich? Wo sind Potentiale meiner Führungsarbeit? Welche neuen Wege der Zusammenarbeit in unserer Organisation können wir gehen? Wer kann mich dabei unterstützen? Wie geht es mir in meiner Führungsrolle? Was macht mir Angst? Wo sind meine persönlichen Grenzen? Wie kann ich mich auf die neuen Anforderungen intensiv und angemessen vorbereiten? Welche sind dies überhaupt für meinen und unseren Bereich? Und so weiter…

Oder wie es im Beitrag von Frau Reiser so passend heißt:

[Tweet „Es ist einfacher über öffentliche Finanzierungsdefizite zu sprechen als über Führungsdefizite.“]

Management-Innovation geht damit hin zu einem intensiven, kollegialen Coaching.

Dies bedarf wiederum Vertrauen der Führungskräfte untereinander. Es bedarf offener Räume und Möglichkeiten, in denen auch unangenehme Themen angesprochen und (ggf. mit einer externen Begleitung) diskutiert werden können. Dadurch werden aber auch mögliche blinde Flecken, offene Flanken und schwarze Löcher sichtbar.

Das muss man aushalten und nutzen wollen.

Und noch ein wesentlicher Punkt: All die angesprochenen Maßnahmen kosten Zeit und die schon angesprochenen Ressourcen, die im operativen Management-Alltag der Manager (ich nutze das Wort bewusst) kaum vorhanden sind. Hier bedarf es einer Einsicht in die Notwendigkeit, vom Management zur Führung, zu Leadership im Besten Sinne zu kommen um damit verstärkt an der Organisation und weniger in der Organisation zu arbeiten.

Damit kann Management-Innovation in der Prioritätenliste nach oben rücken.

Raum für Selbstorganisation

Ich sehe noch einen bedeutsamen Nebeneffekt:

Wenn Führungskräfte auch in Organisationen der Sozialwirtschaft damit beginnen, weniger in und mehr an der Organisation zu arbeiten, entstehen notwendigerweise (Frei-)Räume für die Selbstorganisation innerhalb der Organisationen. Neben dem, dass sich dadurch das Potential der Mitarbeitenden entfalten kann, besteht die begründete Hoffnung, dass mit der zunehmenden Komplexität auch auf operativer Ebene besser umgegangen werden kann.

Bitte um Mithilfe

Wie aber steht es um Management-Innovation in Deiner Einrichtung? Kannst Du meine Ausführungen nachvollziehen und bestätigen? Oder sind wir im sozialen Bereich schon viel weiter und Management-Innovation im Sinne eines kollegialen Austauschs der Führungskräfte ist schon längst etablierte Praxis.

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