Was wäre, wenn die Rahmenbedingungen sozialer Arbeit kein Problem sind?

Rahmenbedingungen sozialer Arbeit

Inhalt:

Die Finanzierung steht auf wackeligen Beinen? Die Fachkräfte fehlen? Die gesetzlichen Anforderungen sind unerträglich? Der Stress steigt permanent? Veränderung ist sowieso immer da und jetzt auch noch irgendwas mit Digitalisierung? Diese und viele weitere Gedanken kennen Sie vermutlich, wenn Sie sich in Führungsverantwortung sozialer Organisationen befinden. Die Rahmenbedingungen sozialer Arbeit sind – sehr diplomatisch ausgedrückt – schwierig.

Externe Anforderungen

Der genauere Blick auf die angeführten Fragen zeigt jedoch, dass es sich um externe Faktoren der Organisation handelt:

Gesetzliche Anforderungen, Finanzierung durch Kostenträger, Fachkräftemangel, permanente Veränderung und jetzt auch noch Digitalisierung sind Aspekte, die sich zunächst außerhalb der eigenen Organisation, des eigenen Einflussbereichs befinden. Sie sind – zu großen Teilen zumindest – vorgegeben.

Als Beispiel: Sie können zwar über die digitale Transformation lamentieren. Sie findet trotzdem statt. Mit anderen Worten: Es sind die Rahmenbedingungen, unter denen Sie Ihre je spezifische Organisation führen.

Potentialentfaltende Organisationen

Für soziale Organisationen stellt sich somit die Frage, wie es möglich werden kann, unter den gegebenen Rahmenbedingungen so zu arbeiten, dass – so zumindest mein Anliegen – Ihre Organisation die Potentiale entfalten kann, die in der Organisation und damit in den in Ihrer Organisation arbeitenden Menschen liegen.

Dabei ist es selbstverständlich, dass Ihre Organisation wirtschaftlich so arbeiten muss, dass der Zweck Ihrer Organisation langfristig erfüllt werden kann.

Interessenbereich und Einflussbereich

Für Sie als Führungskraft ist dabei relevant, zwischen Ihrem Interessenbereich und Ihrem Einflussbereich zu unterscheiden. Beispielhaft:

Ich interessiere mich sehr für Politik und finde eine Neuauflage der großen Koalition unter der gegebenen Besetzung mehr als schwierig. Darüber könnte ich mich aufregen!!! Politik ist damit mein Interessenbereich.

Aber zum jetzigen Zeitpunkt und meiner jetzigen Position habe ich keinen Einfluss auf die Bundespolitik. Mein Einflussbereich ist jedoch die kommunale Politik in meinem Wohnort, meiner Gemeinde, meiner Stadt, meines Landkreises. Damit macht es wenig Sinn, meinen Fokus, Ärger und Energie auf die Bundespolitik zu richten. Es würde nur Sinn machen, in meinem Einflussbereich zu agieren und diesen Einflussbereich dadurch zu erweitern.

Wieder zurück zu Ihnen:

Ihr Ärger über die Rahmenbedingungen, unter denen soziale Organisationen oftmals agieren müssen, ist berechtigt. Die Finanzierung sozialer Arbeit ist grenzwertig. Die Arbeitsbedingungen sind teilweise katastrophal. Eine Bekannte sagte mir einmal: „Wer noch nie in der Pflege gearbeitet hat, kann hier nicht mitreden!“ Für die stationäre Jugendhilfe gilt wohl das Gleiche, ebenso wie für Kindergärten, die offene Jugendarbeit, Drogenhilfe und viele andere Bereiche mehr.

In Ihrem Alltagsgeschäft entzieht sich eine Beeinflussung dieser Rahmenbedingungen jedoch Ihrem Einfluss. Ihr Einflussbereich bezieht sich auf Ihre Organisation, in und an der Sie arbeiten und Verantwortung tragen.

Einflussbereich gestalten

Damit stellt sich die Frage, wie Sie Ihren Einflussbereich so gestalten können, dass das oben formulierte Ziel – innovationsfähige, das Potential aller Beteiligten entfaltende Organisationen – erreicht werden kann. Über diese Frage hinausgehend ersparen Sie sich mit der Konzentration auf Ihren Einflussbereich auch noch viel Ärger, da Sie sich nicht mehr über Rahmenbedingungen echauffieren müssen, auf die Sie (aktuell noch, zumindest) keinen Einfluss haben.

Wie also müssen Sie Ihre Organisation verändern, damit Ihre Organisation zu einer innovationsfähigen, das Potential aller Beteiligten entfaltenden Organisation wird?

Vielleicht ist die Frage falsch gestellt. So ist eine Steuerung der Entwicklung von sozialen Systemen durch Planung, Vorgaben, Kontrollen etc. nicht möglich. Aus klassischer, plandeterministisch orientierter Sicht verwundert diese Feststellung ein wenig: Keine Planung? Keine Steuerung? Ja, und wie dann, Bitteschön?

Selbstorganisation

Die Antwort liegt im Vertrauen in die Sie umgebenden Menschen und im Vertrauen in die Selbstorganisationsfähigkeit dieser Menschen.

Konkret heißt dies:

Erst dann, wenn Sie beginnen, Regelungen, Rituale, sinnentleerte Prozesse in ihrer Organisation abzuschaffen, wegzulassen und die Steuerung der Organisation auf die Menschen zu übertragen, die sich mit den Problemen wirklich auskennen – Ihre Mitarbeitenden – werden sich Veränderungen ergeben.

Mir ist wichtig, zu betonen, dass die Veränderungen zunächst nicht zu werten sind: Es werden sich Änderungen ergeben. Das soziale System Organisation reagiert auf diese Veränderungen, es reagiert auf das Weglassen.

Chaos?

Jetzt wäre anzunehmen, dass das Weglassen bisher geltender Regelungen, Vorgaben, Dienstanweisungen, Rituale etc. zu Chaos führt. Und ganz ehrlich: Ja, das ist so, wenn, ja wenn Sie die Selbstorganisation nicht auf Werten basieren lassen, die dann in konkreten Prinzipien der selbstorganisierten Zusammenarbeit aufgegriffen werden.

Es müssen neue, selbstorganisierte Entscheidungsprozesse eingeführt werden. Anstatt von oben vorgegebener Entscheidungen sind bspw. Entscheidungen auf dem Konsentprinzip (siehe auch Video unten) denkbar. Es ist auch denkbar, die Menschen in Einstellungsprozesse zu integrieren, die nachher tatsächlich mit dem Menschen in einem Team arbeiten werden, der neu eingestellt wird.

Selbstorganisation kann soweit gehen, dass Sie das Gehalt aller Mitarbeitenden transparent machen oder sogar abstimmen lassen – unter Berücksichtigung der jeweiligen Lebensrealität der Menschen. Oder warum muss jeder das tariflich vorgegebene Gleiche bekommen? Hier sind viele Optionen, neue Prozesse und organisationalen Verhaltensweisen möglich.

Transparenz

Der Begriff der Transparenz jedoch ist wichtig, damit Ihre Mitarbeitenden überhaupt selbst entscheiden können.

Transparenz bezieht sich bspw. auf die Vision Ihrer Organisation, festgeschrieben in Ihrem Leitbild: Wozu existiert Ihre Organisation? Wozu ist die Organisation da? Was ist das große, gemeinsame Ziel? Wie werden die Ziele heruntergebrochen auf die operative Ebene?

Wenn das transparent für die Mitarbeitenden ist und die Mitarbeitenden selbstorganisiert arbeiten können, ergeben sich neue Wege, Innovationen, neue Produkte und Dienstleistungen, fast automatisch, da die Menschen beginnen, ihren eigenen Einflussbereich zu gestalten. Die Menschen beginnen, ihr Potential für die Organisation zu nutzen.

Ihre Organisation

All dies, alle Bedingungen, Prozesse, Strukturen Ihrer Organisation sind Ihr Einflussbereich.

Und hier, in Ihrem Einflussbereich, haben Sie die Möglichkeiten zu gestalten, wie Zusammenarbeit anders, neu, besser aussehen kann – vor dem Hintergrund der gegebenen Rahmenbedingungen. Diese Rahmenbedingungen ändern Sie jedoch nicht von heute auf morgen.

Durch eine Ausrichtung Ihrer Organisation auf selbstorganisierte Arbeitsweisen bekommen Sie jedoch die Möglichkeit, Ihren eigenen Einflussbereich als Führungskraft enorm auszuweiten.

Sie bekommen die Möglichkeit, nicht mehr im Alltagsgeschäft mitzuwuseln und als Feuerwehr von A nach B zu rennen.

Sie bekommen die Möglichkeit, Ihre Organisation zu gestalten, an Ihrer Organisation anstatt in Ihrer Organisation zu arbeiten.

Und ich bin davon überzeugt:

Wenn es uns gelingt, mehr soziale Organisationen zu gestalten, die Vorbild dafür sind, wie echte „soziale Arbeit“ gelingen kann, dann ändern sich auch die Rahmenbedingungen sozialer Arbeit.

Kurz:

Konzentrieren Sie sich auf Ihren Einflussbereich und nicht auf die Rahmenbedingungen sozialer Arbeit und versuchen Sie, in Ihrem Einflussbereich neue Wege zu gehen und die sich Ihnen bietenden Möglichkeiten zu nutzen. Gerne stehe ich Ihnen auf Ihrem Weg zu mehr Selbstorganisation zur Seite.


Zum Weiterschauen:

  • Inspiriert zu diesem Beitrag hat mich das folgende Video von Frederic Laloux:

  • Zum Konsentprinzip zur Entscheidungsfindung finden Sie hier ein kleines Video:

Zum Weiterlesen

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3 comments on “Was wäre, wenn die Rahmenbedingungen sozialer Arbeit kein Problem sind?

  1. Besserwisser am

    Warum muss jeder das tariflich vorgegebene Gleiche bekommen?

    Umsetzung von EU-Recht: Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit! Sprich Bezahlung nach TVÖD SuE. Nicht nur für kirchliche Träger ein grundsätzliches Problem, da Sie meist nur auf Sachbearbeiterniveau bezahlen! Ein echter Skandal!

    Antworten
  2. elkeoverhage am

    Viele gute Ideen für die Soziale Arbeit, finde ich. Es Anfang, dass ein Querdenker, wie Du, Veränderungen anstößt. „Neue Ideen werden erst belächelt, dann bekämpft und schließlich als selbstverständlich angesehen.“

    Antworten

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