Nachhaltigkeit steht derzeit – glücklicherweise – hoch im Kurs. Häufig bezieht sich der Begriff auf ökologische Nachhaltigkeit, die zusammen mit sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit die sogenannte „triple bottom line“ bildet. Und die Beschäftigung mit ökologischer Nachhaltigkeit führt oft zur Permakultur.
Vielleicht sagt Dir der Begriff etwas? Kurz gesagt, handelt es sich bei der Permakultur um ein Konzept für Landwirtschaft und Gartenbau, das darauf basiert, Ökosysteme und Kreisläufe in der Natur zu beobachten und nachzuahmen. In den 1970er Jahren wurde das Konzept von dem Australier Bill Mollison und seinem Schüler David Holmgren entwickelt. Laut Wikipedia hat sich die Permakultur seitdem von einer landwirtschaftlichen Gestaltungsmethode zu einer ökologischen Lebensphilosophie und einer weltweiten Graswurzelbewegung entwickelt. Dabei geht es um eine Kultur der nachhaltigen Lebensweise und Landnutzung.
Vor Kurzem hörte ich in einem Podcast zum ersten Mal vom „Permakultur-Design“. Das brachte mich auf die Idee, zu überlegen, ob und wie die Prinzipien des Permakultur-Designs auf aktuelle Ansätze der Organisationsentwicklung übertragen werden können, um damit auch eine „nachhaltige Organisationsentwicklung“ zu ermöglichen.
Vielleicht können die Überlegungen Organisationen helfen, nachhaltiger und resilienzfähiger zu werden, indem sie die Prinzipien der Permakultur auf ihre Strukturen und Prozesse anwenden. Die Natur bietet zahlreiche Vorbilder für Effizienz, Kreislaufwirtschaft und nachhaltige Entwicklung, die sich auch in der Organisationsentwicklung als wertvoll erweisen könnten.
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Was ist Permakultur Design?
Permakultur-Design lässt sich definieren als „das bewusste Gestalten und Erhalten von landwirtschaftlich produktiven Systemen, die die Diversität, Stabilität und Resilienz von natürlichen Ökosystemen enthalten. Es ist die harmonische Verbindung der Landschaft mit den Menschen, die davon ihre Nahrungsmittel, Energie, Unterkunft und andere materielle und nicht-materielle Bedürfnisse auf nachhaltige Weise beziehen“ (Bill Mollison, „Vater der Permakultur“).
Permakultur-Design strebt also danach, landwirtschaftliche Systeme zu schaffen, die nicht nur produktiv, sondern auch ökologisch nachhaltig sind. Dabei werden die Prinzipien und Eigenschaften natürlicher Ökosysteme nachgeahmt, um eine symbiotische Beziehung zwischen Mensch und Natur zu fördern. Dies führt zu stabilen und widerstandsfähigen Systemen, die langfristig Bestand haben und die Bedürfnisse der Menschen auf eine umweltfreundliche Weise erfüllen.
Bill Mollison legt in seinem Konzept der Permakultur-Designs besonderen Fokus auf Gartenbau und Landwirtschaft. Entscheidend ist dabei die Bedeutung des bewussten Gestaltens und Erhaltens, das uns auffordert, unseren gesunden Menschenverstand zu nutzen. Mollison betont die Wichtigkeit der Beobachtung – beispielsweise von Sonne, Wind und Wasser – um unsere Landschaft besser zu verstehen. Nur durch sorgfältige Beobachtung können wir effektive Planungen vornehmen.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt seiner Definition sind die landwirtschaftlich produktiven Systeme. Permakultur-Design zielt nicht nur darauf ab, die Natur zu schützen, sondern auch darauf, die Landschaft optimal zu nutzen. Dadurch kann die Produktivität erheblich gesteigert werden, ohne die Natur zu schädigen. Vielmehr schafft Permakultur Systeme, die den natürlichen Ökosystemen ähneln. Diese natürlichen Ökosysteme zeichnen sich durch eine hohe Artenvielfalt aus, können sich in begrenztem Maße an Veränderungen anpassen und erfüllen damit wichtige Funktionen auf der Erde.
Weitere Informationen und vertiefende Literatur zu diesem Thema findest Du hier. Und hier findest Du eine Übersicht von Büchern rund ums Thema.
Zusammenfassend geht es beim Permakultur-Design um die Schaffung und Gestaltung vollständiger und produktiver Ökosysteme, im Gegensatz zu Monokulturen. Permakultur ist weit mehr als nur eine Form nachhaltiger Landwirtschaft. Sie stellt eine grundsätzliche Herangehensweise dar, die die Dynamiken natürlicher Prozesse vom Design bis zur technischen Umsetzung konstruktiv nutzt. Permakultur ist zugleich eine Philosophie und eine Reihe sozialer Praktiken, Techniken und ethischer Normen. Ihr Ziel ist es, sicherzustellen, dass alle lebenden Systeme gesund bleiben und gedeihen können (Holmgren, 2015, 124).
Spannend wird es insbesondere bei der Betrachtung „lebender Systeme“, wenn man an Organisationen als „soziale Systeme“ denkt. Hier können die Prinzipien der Permakultur innovative Ansätze für die Organisationsentwicklung bieten, indem sie nachhaltige und resiliente Strukturen fördern.
David Holmgren hat 12 Permakultur-Design-Prinzipien erarbeitet, die helfen, sich mit der Denkweise der Permakultur vertraut zu machen. Diese Prinzipien werden wir nun genauer betrachten und mit der Organisationsentwicklung verbinden. Dabei sei darauf hingewiesen, dass es neben den 12 Permakultur-Design-Prinzipien von Holmgren noch weitere gibt – hier findest Du mehr dazu.
Zu jedem Prinzip werde ich konkrete Methoden vorstellen, die für das Verständnis und die Arbeit mit Organisationen hilfreich sein können. Diese Verknüpfung soll zeigen, wie die Prinzipien der Permakultur innovative und nachhaltige Ansätze in der Organisationsentwicklung unterstützen können.
Nachhaltige Organisationsentwicklung und die 12 Permakultur Design Prinzipien
1. Beobachte und interagiere:
Beim ersten Permakultur-Design-Prinzip geht es darum, sich Ruhe und Zeit zu nehmen und zu beobachten, was ist – zunächst ohne Interpretation. Es gilt, Muster zu erkennen und auf kleine Details und Eigenheiten zu achten sowie mit dem, was uns umgibt, zu interagieren. Dabei spielen vor allem Achtsamkeit und Kreativität eine wichtige Rolle.
Die Beobachtung und Interaktion mit der Umwelt offenbart neue und dynamische Aspekte unserer Umgebung und reflektiert unser Glaubenssystem und Verhalten. Dabei sollen alle Sinne angesprochen werden, da diese ein großes Potenzial haben, uns Informationen zu liefern. Es geht somit um deutlich mehr als das rein rationale, analytische Denken. Viel hängt auch von unseren intuitiven und integrativen Fähigkeiten ab. Wir müssen uns bewusst sein (und werden), dass wir nicht alles verstehen oder kontrollieren können.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Die Übertragung der Erkenntnisse auf die Entwicklung sozialer Systeme und damit auch auf die nachhaltige Organisationsentwicklung fällt leicht. Es ist enorm wichtig, die Kultur, Strukturen und Prozesse einer Organisation in der Tiefe (soweit wie möglich) zu verstehen, bevor Veränderungen eingeführt werden. Durch gründliche Beobachtung und Analyse können fundierte Entscheidungen getroffen werden, die besser auf die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen der Organisation abgestimmt sind.
Zu Beginn und im Verlauf eines OE-Prozesses (Organisationsentwicklung) geht es darum, zu beobachten, zu verstehen, zu spüren und sich in die Organisation einzufühlen. Es gilt, die Interaktionsmuster und die verschiedenen Entscheidungsprämissen (mehr dazu hier) zu erkennen. Diese Phase wird oft als Ist-Analyse bezeichnet und erfolgt durch Methoden der Organisationsdiagnose.
Für eine nachhaltige Organisationsentwicklung ist es essenziell, sich Zeit zu nehmen, um die Organisation und ihre Dynamiken ohne voreilige Interpretation zu beobachten. Diese Beobachtungen sind wichtig, um Muster zu erkennen und die Details sowie Eigenheiten der Organisation aus verschiedenen Perspektiven wohlwollend zu betrachten. Es sollte zunächst mit der Organisation interagiert werden, ohne sofortige Veränderungen durch Gespräche, Workshops oder andere Diagnoseformate zu initiieren. Dabei spielen Achtsamkeit und Kreativität eine wichtige Rolle. Die Interaktionen der Beteiligten untereinander lassen blinde Flecken weniger dunkel erscheinen, offenbaren neue dynamische Aspekte der Organisation und spiegeln das Glaubenssystem sowie das Verhalten der Beteiligten wider.
Ich denke methodisch an die Theory U von Otto Scharmer. Obwohl ich hier nicht in die Tiefe gehen kann, lässt sich die Theory U kurz zusammenfassen: Durch tiefgehende, neugierige Beobachtung und echtes Einfühlen in die Situation, die Menschen und die Organisation können eigene Denkmuster, Haltungen und vorschnelle Lösungsoptionen infrage gestellt werden, wodurch Neues entstehen kann. Wenn es gelingt, sich mit dem „Quellort“ – dem inneren Ort – zu verbinden, von dem aus die „im Entstehen begriffene Zukunft“ wahrnehmbar wird, kann man zukünftige Herausforderungen adäquat und nachhaltig angehen. Dies geschieht durch Praktiken des Prototypings, des Entwickelns und das „ins Leben bringen“ der Optionen, die sich auf der linken Seite des „U-Prozesses“ durch „die Praktiken des Öffnens“ gezeigt haben. Dann geht es darum, die Optionen zu verdichten, um ins Handeln zu kommen, Prototypen des Neuen zu entwickeln und auszuprobieren – das Neue ins Leben zu bringen.
Es wird deutlich, dass OE-Prozesse im Detail nie exakt planbar sind. Überraschungen, Irritationen und Abweichungen vom geplanten Prozess sind immer (!) zu erwarten. Erfolgreicher als starres Festhalten am Plan ist es, wenn OE-Prozesse als hypothesengeleitete Experimente verstanden werden. Dies ermöglicht es, immer wieder innezuhalten, den Fortschritt des „Experiments“ (oder der Experimente) zu betrachten und Anpassungen vorzunehmen.
Die Hypothesen, aus denen Experimente erfolgen, werden jedoch nicht „am grünen Tisch“ erarbeitet, sondern sind das Ergebnis von (teilnehmender) Beobachtung, Gesprächen mit den Beteiligten und der Organisationsdiagnose. Dieses Vorgehen ermöglicht es, die vorab getroffenen Annahmen durch Erfahrungen in den Experimenten zu modifizieren und Anpassungen einzuschließen. Anstatt an die Organisationsmitglieder (oder gar die gesamte Organisation) zu appellieren, wie sie in Zukunft sein sollen, ist das hypothesengeleitete Experimentieren deutlich wirksamer für nachhaltig gelingende Veränderungen.
2. Speichere Energie und verwende Ressourcen effizient
Aus Sicht der Permakultur wandert Energie durch unser natürliches System, die Erde, und wird in verschiedenen Formen gespeichert: in Wasser, Bäumen, Pflanzen, Boden, Samen und mehr.
Das Permakultur-Design zielt darauf ab, natürliche Ressourcen und Energien wiederaufzubauen, indem wir achtsam mit erneuerbaren und nicht-erneuerbaren Energiequellen umgehen. Dabei ist ein erweiterter Blick auf das Konzept des „Kapitals“ interessant – möglicherweise im Sinne eines „alten Verständnisses“ von Kapital:
Kapital ist nicht nur das, was wir auf der Bank haben, sondern umfasst auch alle natürlichen Ressourcen, die uns umgeben. Wissen, Informationen, Fähigkeiten und Traditionen sind aus dieser Perspektive ebenfalls wertvolles Kapital. Indem wir dieses umfassende Verständnis von Kapital fördern, können wir nachhaltiger und verantwortungsbewusster mit unserer Umwelt umgehen.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Die Anwendung dieses Blicks auf Organisationen und deren Entwicklung zeigt – selbstverständlich – dass effiziente Ressourcennutzung grundsätzlich entscheidend ist, ebenso in der nachhaltigen Organisationsentwicklung. „Organisationale Ressourcen“ in Organisationen der Sozialen Arbeit umfassen nicht nur materielle Güter, sondern auch das „Humankapital“ im besten Wortsinn – menschliche Energie – sowie Zeit, Gebäude, Wissen, personelle und organisatorische Kompetenzen und vieles mehr. Effektivität („Tun wir die richtigen Dinge?“) und Effizienz („Tun wir die Dinge richtig?“) spielen hier eine herausragende Rolle. Aus sozialarbeiterischer Perspektive ist es mir besonders wichtig zu betonen, dass OE-Prozesse nicht dazu führen sollten, dass die Organisation von Beraterabhängig wird, sondern vielmehr das Potential der Organisation fördern sollen, um Selbstbestimmung und Autonomie zu stärken.
Methodisch betrachtet rückt der Einsatz von (agilen) (Projekt-)Managementmethoden in den Fokus. Insbesondere Methoden wie Kanban und Scrum fördern eine klare Priorisierung und helfen, Energie zu sparen sowie vorhandene Ressourcen optimal zu nutzen.
Diese agilen Ansätze berücksichtigen auch die hypothesengeleitete Experimentierlogik, die unter Punkt 1 erwähnt wurde. Denn ein zentrales Element agiler Methoden ist das iterative Vorgehen, das durch kurze Zeiteinheiten (Sprints) geprägt ist: Anstatt einen großen Entwurf von Anfang an zu planen, nähert man sich schrittweise und iterativ einem Ziel. Kurz gesagt, man experimentiert, wertet aus und passt an, wobei die Auswertung der erreichten Ergebnisse genauso bedeutend ist wie der Experimentierprozess selbst.
3. Erziele einen Ertrag
Bei der Permakultur geht es nicht nur um reine Naturschutzprojekte. Vielmehr wird klar zwischen Naturschutzprojekten und produktiven Ökosystemen unterschieden. Permakulturen sollten stets mehrere Erträge erzielen, darunter Nahrungsmittel, sauberes Wasser und stabile Gemeinschaften. Ein ökonomischer Ertrag ist ebenfalls ein Ziel der Permakultur. Aus Sicht der Permakultur werden alle Organismen und Lebewesen von ihrer Umgebung versorgt, gemessen an dem, was sie zum Erhalt benötigen.
Dementsprechend sollten unsere Eingriffe und Veränderungen in Systeme sowie die Hinzufügung neuer Elemente produktiv sein. Dies bedeutet jedoch auch, dass diese Veränderungen nicht nur den Menschen dienen sollten, sondern allen Elementen des Systems. Diese Eingriffe sollten in den natürlichen Kreislauf integriert sein, um das Gleichgewicht und die Gesundheit des gesamten Ökosystems zu erhalten.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Der primäre Zweck von Organisationen ist ihr Überleben. Dieses Ziel streben alle sozialen Systeme an, sei es eine Familie, eine Gruppe oder eine Organisation. Die Veränderung einer Organisation durch Organisationsentwicklung zielt daher darauf ab, das Überleben der Organisation langfristig zu sichern. Konkreter geht es dabei um Maßnahmen, die entweder unerwünschte Verhaltensweisen, Muster oder Prozesse, die das Überleben der Organisation gefährden könnten, ablegen oder zukünftig gewünschte Strukturen etablieren sollen, die das Überleben sicherstellen.
Entsprechend mach Organisationsentwicklung aus reinem Selbstzweck keinen Sinn; es bedarf eines Ertrags der Maßnahmen. Dieser Ertrag kann sich in Form erhöhter Produktivität, gesteigerter Mitarbeiterzufriedenheit oder finanzieller Gewinne zeigen.
Ein Perspektivenwechsel, wie er in der Permakultur zu finden ist, verdeutlicht jedoch, dass Veränderungen in einem System nicht nur einem Stakeholder zugutekommen sollten, sondern allen Elementen des Systems. In einer Organisation bedeutet dies, dass die Interessen aller Stakeholder, sowohl intern (wie Eigentümer:innen, Mitarbeitende, Führungskräfte) als auch extern (wie Nutzer:innen, Kostenträger, lokale Gemeinschaften), berücksichtigt werden sollten.
Das St. Galler Management-Modell bietet hierfür eine umfassende Perspektive, die neben Strategien auch Strukturen, Prozesse und weitere Elemente einschließt. Besonders relevant ist dies in Organisationen der Sozialen Arbeit, wo der Ertrag der Organisationsentwicklung auch für Klient:innen, Bewohner:innen oder „Kunden“, sowie für Kostenträger und andere externe Stakeholder, von Bedeutung ist.
Hier wäre ein „open organizational development“ Ansatz denkbar, der ermöglicht, alle Stakeholder im OE-Prozess angemessen zu berücksichtigen. Dies umfasst die Bewertung und Einbeziehung der lokalen Politik, der Nachbarschaft, der Ehrenamtlichen und anderer relevanter Gruppen in den Prozess.
Schlussendlich ist es entscheidend, dass die Maßnahmen im OE-Prozess nachhaltige und messbare Ergebnisse liefern. Dies erfordert die Priorisierung von Hypothesen, klare Zieldefinitionen und regelmäßige Reflexion des Fortschritts durch Retrospektiven.
4. Nutze Selbstregulation und akzeptiere Rückmeldungen
Permakulturen sind komplexe Systeme, da die Natur zahlreiche Verbindungen zwischen Arten schafft, die für uns Menschen kaum zu überblicken sind. Das Ziel des Permakultur Designs besteht darin, Räume zu schaffen, in denen die Natur ihre Komplexität entfalten und selbst regulieren kann. Es gilt, aus den positiven Veränderungen zu lernen, die spontan entstehen. Gleichzeitig bieten negative Veränderungen die Gelegenheit, die Gestaltungsarbeit zu überdenken und notwendige Anpassungen vorzunehmen.
Permakultur Design zielt darauf ab, die Selbstregulation des Systems zu fördern, um nur ein Minimum an Eingriffen und Pflege zu benötigen. Es geht darum, Individuen, Lebensgemeinschaften und lokale Gemeinschaften zu mehr Autarkie und Selbstregulation zu befähigen. Dies stärkt nicht nur die Resilienz des betrachteten Systems, sondern fördert auch dessen autonome Entwicklung.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Für die nachhaltige Organisationsentwicklung ergeben sich hier (mindestens) zwei wichtige Aspekte:
Zum einen gilt es, Organisationen, die ebenfalls als komplexe soziale Systeme zu betrachten sind, in ihrer Selbstregulation zu fördern. Hierzu dienen bspw. die schon angesprochenen regelmäßigen Retrospektiven, Feedback-Schleifen und damit das hypothesenbasierte, iterative Vorgehen in der Organisationsentwicklung. Dabei ist die Offenheit für Rückmeldungen (aus der Umwelt der Organisation, von internen wie externen Stakeholdern usw.) und die Bereitschaft, diese in zukünftige Planungen einzubeziehen, essentiell.
Zum anderen zeigt sich hier die Nähe zum Kern Sozialer Arbeit. Diese will ja nicht ihre „Expertenlösungen“ an die Menschen verkaufen, sondern Menschen und Gruppen in ihrer jeweiligen Lebenswelt auf dem Weg zu mehr Autonomie und Selbstbestimmung fördern (habe hier im Blog schon öfter das Bild der „Hebamme“ verwendet, die dabei begleitet, das Beste im Menschen auf die Welt zu bringen). Und so ist es (zu Teilen) auch in der Organisationsentwicklung. Denn auch da gilt es, die in der Organisation liegenden Möglichkeiten „auf die Welt“ zu bringen, anstatt zu versuchen, hippe, angeblich neue Management-Moden zu verkaufen. Im Sinne der Komplementärberatung ist es jedoch an der ein oder anderen Stelle auch hilfreich, als Berater:in seine fachlichen Ideen einzubringen – immer im Wissen, dass damit unmittelbar in die Organisation interveniert wird.
Diesen Punkt abschließend noch eine sehr aktuelle Frage, die immer wieder in OE-Prozessen auftaucht: „Wie gelingt lernen in Organisationen?“. Hintergrund sind Herausforderungen einer alternden Belegschaft und die (auch) damit verbundene Gefahr, dass „Wissen“, vor allem aber Kompetenzen, aus der Organisation „abfließen“.
5. Nutze und schätze erneuerbare Ressourcen
Ein einfaches Prinzip – eigentlich: Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geliehen. Anders gesagt dürfen wir nicht mehr von dem „Erden-Konto“ abheben, als wir einzahlen. Entsprechend gilt es in der Permakultur, erneuerbare Ressourcen zu nutzen, die uns die Natur in den meisten Fällen kostenlos zur Verfügung stellt. Das Ziel ist, unseren verschwenderischen Verbrauch und unsere Abhängigkeit von nicht erneuerbaren Ressourcen zu reduzieren.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Insbesondere mit Blick auf Organisationen der Sozialen Arbeit lassen sich die Mitarbeiter
als die wertvollste Ressource definieren. Maschinen gibt es keine, Soziale Arbeit lässt sich kaum standardisieren, und die eigentliche Leistung sozialer Arbeit entsteht erst im direkten Kontakt zwischen „Klient:in“ und Sozialarbeiter:in.
Ein Blick in den AOK-Fehlzeitenreport 2023 zeigt jedoch, dass Berufe des Sozial- und Gesundheitswesens seit Jahren an der Spitze der Statistiken rund um psychische Belastungen rangieren (vgl. AOK Fehlzeitenreport 2023, 492). Weitergehend und branchenübergreifend zeigt der AOK-Fehlzeitenreport 2023 auch, dass die Fehltage wegen psychischer Erkrankungen seit 2012 um 48 Prozent gestiegen sind.
Kurz: Die Nutzung der wichtigsten Ressourcen unserer Organisationen erfolgt alles andere als nachhaltig. Das hat viele Ursachen. Für die Organisationsentwicklung stellt sich die Frage, wie es gelingen kann, dass Mitarbeiter:innen trotz aller Anforderungen nicht in den Burnout rutschen. Hier fehlt der Platz, um darauf ausführlich einzugehen, aber beispielsweise werden im Fehlzeitenreport die folgenden sechs Bereiche, die für eine gute und gesunde Arbeit betrachtet werden müssen, hervorgehoben:
- Arbeitsinhalte und -aufgaben
- Arbeitsorganisation
- Arbeitszeit
- Soziale Beziehungen
- Arbeitsmittel
- Arbeitsumgebung
Kurz: Nachhaltige Organisationsentwicklung kann und darf nicht einseitig oder unterkomplex gedacht werden und beispielsweise allein auf Effizienzsteigerung abzielen.
6. Produziere keinen Abfall
Eng verknüpft mit dem vorherigen Prinzip geht es hier darum, nur Dinge zu produzieren, die langfristig nicht zum Entsorgungsproblem werden. Dies lässt sich durch das englische Permakultur-Motto „Refuse, reduce, reuse, repair, recycle!“ zusammenfassen. Es stellt stets die Frage, ob es wirklich notwendig ist, etwas neu zu produzieren. Sollte dies der Fall sein, muss darüber nachgedacht werden, wie Produkte repariert, getrennt oder recycelt werden können, um so wenig Abfall wie irgend möglich zu produzieren.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Oben habe ich bereits erwähnt, dass das ausschließliche Streben nach Effizienz in Bezug auf Ressourcen keine gute Idee ist. Effizienz kann jedoch auch positiv betrachtet werden, wenn man die Frage „Tun wir die Dinge richtig?“ stellt. In vielen Organisationen, die ich berate, fällt mir immer wieder auf, dass Prozesse sowie finanzielle und personelle Ressourcen nicht effizient genutzt werden. Angesichts des Fachkräftemangels wird deutlich, dass wir so nicht weiterkommen.
Ich habe vor einiger Zeit die Notwendigkeit betont, weniger zu tun, unnötige Bürokratie abzubauen, Prozesse zu optimieren und Ressourcenverschwendung zu vermeiden. Dies habe ich unter dem Begriff „Exnovation“ zusammengefasst, der aus der Nachhaltigkeitsbewegung stammt. Übertragen auf die Organisationsentwicklung bedeutet dies: Von der Auftragsklärung über die OE-Prozessarchitektur und das Design bis hin zu den konkreten Maßnahmen zur Veränderung muss genau überlegt werden, was wirklich notwendig ist und wo Vereinfachungen sinnvoll sind. Die Minimierung von Verschwendung ist ein Schlüssel zur nachhaltigen Organisationsentwicklung und zur effektiven Gestaltung der Organisation selbst.
Methodisch orientiere ich mich an Konzepten des „Lean-Managements“. Lean Management umfasst Denkprinzipien, Methoden und Verfahrensweisen zur effizienten Gestaltung der gesamten Wertschöpfungskette einer Organisation und lässt sich – in angepasster Form – auch auf Organisationen der Sozialen Arbeit übertragen.
Abschließend möchte ich auf Buurtzorg, die berühmte niederländische Pflegeorganisation, hinweisen. Jos de Blok betont immer wieder, dass der Erfolg von Buurtzorg darauf basiert, die Formalstrukturen der Organisation „small and simple“ zu halten. Ich finde, dass dies hervorragend passt.
7. Gestalte vom Muster zum Detail
Ulrike Meißner schreibt, dass die ersten sechs Permakulturprinzipien Systeme aus der inneren Perspektive von Elementen, Organismen und Individuen betrachten. Die folgenden sechs Prinzipien hingegen richten den Blick von außen auf Grundmuster und Beziehungen, die durch Selbstorganisation und Co-Evolution in Systemen entstehen.
Prinzip 7 betont, dass man mit einem Gesamtbild beginnen und sich dann zu den Details vorarbeiten sollte. Es ist notwendig, einen Schritt zurückzutreten, um in Natur und Gesellschaft übergeordnete Muster wahrzunehmen. Diese Muster können dann „zum Rückgrat unserer Entwürfe werden, die wir anschließend Stück für Stück mit Details ausgestalten“ (klick). Anstatt sich von Beginn an in detaillierten Analysen zu verlieren, ermöglicht der Blick auf die Muster eines Systems, übergeordnete Gestaltungsmöglichkeiten zu erkennen.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Das Prinzip mag zunächst abstrakt klingen, doch bei genauerer Betrachtung der ersten Schritte eines OE-Prozesses wird klar, dass viele Aspekte übertragbar sind. Der wohl wichtigste Aspekt zu Beginn einer Organisationsentwicklung ist die Auftragsklärung. Diese hilft dabei, innezuhalten und sich ein möglichst gutes Bild der Situation zu machen. Es ist denkbar, dass der vom Auftraggeber vorgeschlagene „Weg“ oder die bereits angedachte Lösung, die in den ersten Gesprächen vorgestellt wird, nicht die einzig mögliche Lösung ist.
Interessant ist auch die Frage, ob das von der Organisation geschilderte Problem nicht eher ein Symptom eines zugrunde liegenden Problems auf einer ganz anderen Ebene ist. Was wäre, wenn alles so bliebe, wie es ist, und wir nichts unternehmen?
Die Auftragsklärung dient dazu, zu Beginn einen Konsens über die bestehende Not, die Treiber der Veränderung und das bestehende Problem zu erreichen, bevor man mögliche Lösungen erarbeitet. Dabei müssen verschiedene Bereiche oder „das große Ganze“ betrachtet werden, um dann schrittweise zu den Details überzugehen.
Das bedeutet auch, dass die Muster der Organisation oder des Bereichs in den Blick genommen werden müssen, um ein klares Verständnis der übergeordneten Ziele und Strategien zu entwickeln. Dies hilft, das Prozessdesign der Organisationsentwicklung passend auszurichten.
8. Integriere anstatt zu trennen
Das achte Prinzip verdeutlicht, dass viele verschiedene Elemente, die zusammenarbeiten, nützlicher sind als einige wenige, die in Konkurrenz zueinander stehen. Stabilität und Resilienz entstehen aus der Verbindung vielfältiger, komplexer Systeme, in denen Beziehungen zwischen den Elementen entstehen. Diese Beziehungen gewährleisten, dass jede lebenswichtige Funktion von vielen Elementen unterstützt wird und jedes Element viele Funktionen erfüllt.
Durch diese enge Zusammenarbeit wird die Resilienz des gesamten Systems gestärkt, da Ausfälle einzelner Elemente leichter kompensiert werden können.
Kurz gesagt: Monokulturen sind anfällig und auf Dauer nicht lebensfähig. Der Blick auf Wälder, Felder und die meisten unserer natürlichen Ökosysteme zeigt genau das. Ich habe in diesem Blog bereits den Vergleich zum vom Borkenkäfer befallenen Sauerländer Wald herangezogen, um die Problematik zu verdeutlichen und mit Organisationen der Sozialen Arbeit zu verknüpfen.
Kooperation und Vielfalt, nicht Konkurrenz und Monokultur, führen zu nachhaltigeren und robusteren Strukturen – sei es im Garten, im Wald, in der Wirtschaft oder in der Gesellschaft.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Aktuell begleite ich einen OE-Prozess, in dem das Thema Vielfalt groß geschrieben wird. Es wurde beispielsweise eine Vielfaltsvision erarbeitet und Maßnahmen abgeleitet, die die Diversitätssensibilität steigern sollen.
Interessanterweise lautet eine der leitenden Fragen im Prozess: Wie individuell können die einzelnen Arbeitsbereiche und Teams agieren und wo, an welchen Stellen, in welchen Strukturen und Prozessen, bedarf es organisationaler Vorgaben, die für alle gelten?
Unter Berücksichtigung des achten Prinzips ergibt sich organisationale Resilienz und damit Robustheit und Anpassungsfähigkeit dann, wenn verschiedene Abteilungen und Teams eng zusammenarbeiten und ihre individuellen Kompetenzen und Ressourcen bündeln.
Jede wichtige Funktion wird von vielen Elementen unterstützt, und jedes Element erfüllt viele Funktionen, was die Resilienz der Organisation erhöht. Bei Ausfällen oder Veränderungen einzelner Teile der Organisation können diese leichter kompensiert werden.
Kooperation und Diversität innerhalb einer Organisation fördern nicht nur die Innovation, sondern auch die Fähigkeit, sich an neue Herausforderungen anzupassen. Für eine nachhaltige Organisationsentwicklung ist es daher entscheidend, ein Umfeld zu schaffen, das Zusammenarbeit und Vielfalt fördert, um langfristig erfolgreich und stabil zu bleiben.
Ein Blick in die Sozialwirtschaft zeigt, dass Wohlfahrtsverbände ebenso wie große Komplexträger nicht als eine einzige Organisation oder als Konzerne fungieren. Vielmehr lassen sie sich als „Fraktalorganisationen“ definieren.
Eine Fraktalorganisation verbindet entweder mehrere zunächst unabhängige Organisationen, die unter einem gemeinsamen (Primär-)Zweck vereint sind („Nah. Am Nächsten!“), oder mehrere Zweigstellen, Abteilungen oder Projekte innerhalb einer Organisation. Die Einzelorganisationen bzw. unabhängigen Bereiche, Abteilungen oder Zweigstellen nutzen mehrere funktionale Domänen (z.B. Buchhaltung, IT, Produktmanagement oder Entwicklung) gemeinsam. Entscheidungen werden in solchen Fraktalorganisationen nicht ausschließlich an der Spitze getroffen, sondern auch und insbesondere in den Einzelorganisationen (bspw. Erziehungsberatungsstellen oder unabhängigen Wohngruppen).
Deutlich wird hier, dass die oftmals als Problem beschriebenen Strukturen sozialer Organisationen („Die in der Jugendhilfe machen immer ihr eigenes Ding!“) insbesondere in Zeiten, in denen Herausforderungen die Regel sind, als eine der Stärken von Organisationen der Sozialen Arbeit betrachtet werden können. Anstatt Vielfalt einzuschränken, gilt es, trotz der durch Vielfalt entstehenden hohen Komplexität, „rekursive Strukturen“ zu schaffen, die möglichst hohe Orientierung und Sicherheit in der Komplexität bieten.
9. Nutze kleine und langsame Lösungen
Prinzip 9 mag auf den ersten Blick ungewöhnlich klingen – brauchen wir nicht radikalere, also an die Wurzel gehende Lösungen? Doch aus der Permakultur wird klar, dass kleine, kontinuierliche Veränderungen weniger Zeit und Energie benötigen, überschaubarer sind und vor allem langfristig lebensfähiger.
Ein Beispiel aus der Lebensmittelproduktion ist das grausame „Gänsestopfen“. Dabei werden Gänse und Enten zwangsgefüttert, sodass ihre Leber auf das bis zu Zehnfache ihres Normalgewichts anschwillt. Auch die Produktion von billigem Fleisch folgt einem ähnlichen Prinzip: Möglichst schnell, möglichst fett, und oft nur essbar durch den Einsatz massiver Mengen an Antibiotika. Das ist einfach verrückt.
Im Gegensatz dazu geht die Permakultur davon aus, dass kleine und langsame, damit aber natürliche Veränderungen, Systeme langfristig produktiver machen als große Veränderungen, die einen hohen Energie- und Zeitaufwand erfordern.
Kurz gesagt: Indem man die Dinge Schritt für Schritt angeht, behält man die Kontrolle, und die Ergebnisse sind nachhaltiger und stabiler.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Aus meiner Perspektive sind alle Aspekte rund um die „agile Organisationsentwicklung“ besonders hervorzuheben:
Agile Organisationsentwicklung kann als ein dynamischer Ansatz zur Gestaltung und Verbesserung von Unternehmensstrukturen und -prozessen beschrieben werden, der sich an den Prinzipien und Methoden der Agilität orientiert.
Ein zentraler Bestandteil ist dabei die Hypothesenbildung und die darauf basierende iterative bzw. experimentelle Umsetzung dieser Hypothesen. Anstatt die gesamte Organisation auf einmal umzustellen, werden Pilotprojekte in ausgewählten Bereichen gestartet. Diese Projekte bzw. Experimente dienen als Lernfelder, und die gewonnenen Erfahrungen fließen in die weitere Entwicklung ein.
Agile Organisationsentwicklung erfolgt in kurzen Iterationen oder Sprints. In regelmäßigen Abständen werden die Fortschritte der Projekte überprüft und notwendige Anpassungen vorgenommen. Dies ermöglicht eine schnelle Reaktion auf Veränderungen und eine kontinuierliche Verbesserung der jeweils getesteten Hypothesen.
10. Nutze und schätze die Vielfalt
Prinzip 10 der Permakultur-Design-Prinzipien betont die hohe Relevanz von Vielfalt, die wesentlich zur Widerstandsfähigkeit eines Systems beiträgt.
Diese Idee findet sich auch in anderen Bereichen wieder, beispielsweise in der Finanzwelt, wo der Begriff „Diversifikation“ verdeutlicht, dass es riskant ist, „alles auf ein Pferd“ zu setzen. Vielfalt sorgt für Stabilität und Ausfallsicherheit, indem die unterschiedlichen Elemente eines Systems sich gegenseitig unterstützen und absichern.
In der Praxis der Permakultur bedeutet dies, dass bestimmte Pflanzenkombinationen nicht nur den Boden verbessern, sondern sich auch gegenseitig vor Schädlingen und Krankheiten schützen können. Diese Synergien reduzieren den Bedarf an externen Eingriffen und schaffen ein robusteres, nachhaltigeres System.
Ein praktischer Tipp (auch wenn ich ehrlicherweise keine Ahnung habe): Die Kombination von Ringelblumen und Tomaten kann dazu beitragen, Schädlinge fernzuhalten, während Bohnen und Mais zusammen gepflanzt ihre jeweilige Bodenfruchtbarkeit und Stabilität erhöhen.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Schon bei Prinzip 8 habe ich dargelegt, dass durch Diversität in Teams und Führungsebenen unterschiedliche Perspektiven und Ideen eingebracht werden, was zu kreativeren und robusteren Lösungen und damit zur Stärkung der organisationalen Resilienz führt. Vielfalt sollte daher aktiv gefördert und wertgeschätzt werden.
Beim Befassen mit Prinzip 10 und dem Begriff Diversifikation kam mir die Entscheidungslogik „Effectuation“ in den Sinn. Das zweite Effectuation-Prinzip, „leistbarer Verlust statt erwarteter Ertrag,“ zeigt, dass erfolgreiche Unternehmer:innen entgegen dem gängigen Klischee nicht durch eine überdurchschnittlich hohe Risikobereitschaft glänzen. Im Gegenteil: Sie riskieren nur das, was sie verschmerzen können, ohne ruiniert zu werden. Sie handeln also anders, als oft angenommen.
Bezogen auf OE-Prozesse bedeutet dies, genau abzuwägen, wo und wie Änderungen vorgenommen werden. Anstatt einen „Big Bang“ zu verfolgen und von heute auf morgen alles auf den Kopf zu stellen, stoße ich immer wieder auf die „Schmerzgrenzen“ in der Veränderungsmöglichkeit sozialer Systeme. Ein Blick in die Sozialwirtschaft zeigt wortwörtlich jahrhundertealte Organisationen, deren Kultur nicht über Nacht entstanden ist. Diese Kultur wird Wege finden, allzu schnelles Vorpreschen, radikale Veränderungen und extreme Vorstellungen einer zukünftigen Organisation zu verhindern.
11. Nutze die Ränder und schätze das Marginale
Prinzip 11 ist für mich das Überraschendste, da ich bisher bewusst noch nicht über diese Perspektive nachgedacht habe. Das Prinzip besagt aus der Sicht der Permakultur, dass an den Grenzen, also dort, wo verschiedene Bedingungen aufeinandertreffen, Übergänge entstehen.
Diese Übergangsbereiche liegen oft nicht im Aufmerksamkeitsbereich, obwohl sie besonders vielfältig und produktiv sind. Anstatt also zu trennen, sollten diese Bereiche als Chance gesehen werden. Ein konkretes Beispiel sind Waldränder, die unglaublich vielfältige Biotope darstellen, da dort verschiedene Bedingungen aufeinandertreffen. Diese Übergangsbereiche sind besonders vielfältig, produktiv und wertvoll. Ebenso sind Grenzstreifen oft wunderbare, unberührte Lebensräume.
Indem wir diese Übergangsbereiche bewusst wahrnehmen und nutzen, können wir von ihrer Vielfalt und Produktivität profitieren und nachhaltigere Systeme schaffen.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Mir kommen zu diesem Prinzip die Ausführungen von Groth und Richter (2023) rund um das Thema Führung in den Sinn:
„Wirksame Führung – ob Selbstführung oder Fremdführung (…) – betreibt Grenzmanagement zwischen einer Einheit (von uns häufig und synonym auch »System« genannt) und den relevanten Einheiten ihrer Umwelt. Es geht um Fragen wie: Wie soll eine Einheit reagieren, wenn sich die Umwelt verändert? Kann eine Einheit ihre Position in Relation zur Umwelt verbessern oder absichern? Oder kann die Einheit sogar Impulse in die Umwelt geben, d. h. andere Einheiten in ihrem Sinne beeinflussen? Immer geht es um Grenzziehungs- und Beziehungsfragen und damit um Arbeit an gegenseitigen Abhängigkeiten und Unabhängigkeiten, ohne dass eine Seite die Beziehung dominiert oder eine Seite ganz weggedacht werden kann. Systeme und ihre Umwelten »irritieren« sich gegenseitig und ihr Zusammenspiel, ihre Kopplung, entwickeln ein Eigenleben“ (ebd., 15).
Führung ist demnach „weder allein das, was eine einzelne Einheit tut, noch allein das, was zwischen Einheiten passiert. Führung ist beides, sie sitzt gewissermaßen auf dieser Grenze zwischen einer Einheit und ihrem Außen, beobachtet also ein System und seine Bezugnahme auf die relevanten Umwelten“ (ebd., 16).
Führung (womit hier nicht nur die eine „Führungskraft“ bzw. der:die Vorgesetzte gemeint ist) spielt sich also immer dort ab, wo Systeme aufeinandertreffen. Wenn dazu die Definition von Führung als „erfolgreiche Einflussnahme in kritischen Momenten“ (Muster, 2020) hinzugezogen wird, wird deutlich, dass es für gelingende Führung notwendig ist, den Blick nicht allein auf das eigene System, sondern zusätzlich immer auch auf das „Dazwischen“ zu richten.
Wenn die Entwicklung des jeweiligen Systems (Person, Mitarbeiter, Team, Organisation) als ein Kernaspekt von Führung definiert wird, kann auch die Organisationsentwicklung nie „abgetrennt“ von der Entwicklung der Menschen und Teams innerhalb und anderer sozialer Systeme in der Umwelt und damit außerhalb der Organisation erfolgreich gelingen. In den fraktalen Organisationsmodellen vieler Organisationen der Sozialen Arbeit rücken dann zum einen die anderen Organisationseinheiten in den Blick, aber auch externe Stakeholder wie die Kostenträger, die bei gelingenden OE-Prozessen mitzudenken sind.
Neben all dem findet auch die Entwicklung innovativer Ideen oft an den Rändern bzw. in Bereichen statt, die nicht im Hauptfokus stehen.
12. Reagiere kreativ auf Veränderung
Achtung, Binse: Das einzig Konstante auf der Welt ist der Wandel.
Dieser Gedanke ist zwar logisch und nicht neu, dennoch stellt Prinzip 12 die entscheidende Frage:
Wie gehen wir mit dem Wandel um?
Der Blick in die Zukunft kann entweder verstörend und deprimierend sein oder neue Möglichkeiten eröffnen. Kreativität bedeutet in diesem Kontext beispielsweise, dass klimatische Veränderungen den Anbau neuer Pflanzenarten ermöglichen können. Es geht darum, unvermeidliche Veränderungen positiv zu beeinflussen, indem wir sie aufmerksam beobachten und zum richtigen Zeitpunkt eingreifen. Dadurch entsteht Anpassungsfähigkeit, die durch vorausschauende Planung entscheidend ist, um in einer sich ständig verändernden Welt erfolgreich zu sein.
Ein flexibles System kann langfristig überleben, da es Umweltveränderungen gibt, auf die wir keinen Einfluss haben. Nur diejenigen, die sich anpassen, sichern ihr Fortbestehen.
Praktische Konsequenzen für die nachhaltige Organisationsentwicklung:
Organisationen insgesamt und die Sozialwirtschaft im Speziellen kennen den Wandel als einzige Konstante. Hier stellt sich immer wieder die Frage, wie wir mit den bevorstehenden und oft unvermeidlichen Veränderungen umgehen und mit welchem Blick wir auf die Herausforderungen schauen. So habe ich beispielsweise in einem Blogbeitrag versucht, den Fachkräftemangel als Chance zu betrachten und zehn Möglichkeiten für die Soziale Arbeit beschrieben, wie dieser „positive Blick“ gelingen kann.
Und auch in Organisationsentwicklungsprozessen sind Veränderungen unvermeidlich. So verlässt in einem OE-Prozess in einer Altenhilfeeinrichtung die Pflegedienstleitung die Einrichtung, in einem anderen Prozess wird die Geschäftsführung aufgrund von Unstimmigkeiten mit dem Vorstand plötzlich entlassen. Zeiten verschieben sich, neue Menschen kommen hinzu oder eine unerwartete Pandemie tritt auf. Immer wieder stellt sich die Frage:
„Wie gehe ich jetzt damit um?“
Ehrlich gesagt, habe ich oft einen „Plan“ im Kopf, eine Prozessarchitektur, die idealerweise mit begrenzten Ressourcen zu signifikanten Veränderungen führt. Ja, es frustriert mich manchmal, wenn der Prozess plötzlich auf wackligen Füßen steht, Anpassungen notwendig sind und ich den Plan über den Haufen werfen muss.
Doch auch hier – wie schon bei Prinzip 10 – lohnt ein Blick in die Entscheidungslogik „Effectuation“. Das dritte Prinzip der Effectuation (Umstände und Zufälle nutzen statt vermeiden) zeigt explizit, dass Veränderungen immer hinzukommen, egal wie gut wir planen. Es macht wenig Sinn, viel Energie darauf zu verwenden, Veränderungen vorzubeugen. Stattdessen sollten wir versuchen, das Unerwartete, Zufälle und sich verändernde Umstände als Chancen und Hebel zu nutzen und in Innovation und Möglichkeiten zu transformieren.
Nachhaltige Organisationsentwicklung, oder: Ein-Mini-Fazit!
Puh, das war ein ganz schön langer Text. Und ehrlich gesagt, könnte man bei jedem einzelnen Prinzip viel tiefer einsteigen.
Bei den meisten Prinzipien habe ich auf Fachliteratur verzichtet. Vielleicht nehme ich mir später die Zeit, die kurzen Ausführungen mit entsprechenden Belegen zu untermauern. Aber für den Moment betrachte ich den Beitrag als „gut genug für jetzt und sicher genug, um es auszuprobieren“.
Klar ist, dass die Prinzipien der Permakultur wertvolle Einsichten bieten, die auf Fragen der nachhaltigen Organisationsentwicklung übertragen werden können.
Indem wir natürliche Systeme als Vorbild nehmen, können wir Strukturen schaffen, die nicht nur effizient und produktiv, sondern auch nachhaltig und harmonisch sind. Durch die Anwendung dieser Prinzipien können Organisationen aller Branchen nachhaltiger, widerstandsfähiger und anpassungsfähiger werden.
Aber was waren die für dich interessantesten Prinzipien? Schreib es doch gerne in die Kommentare oder teile es in den sozialen Medien.
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