Schlagwort: Sozialwirtschaft

Die 11 besten Blogs rund um agiles Management, Organisationsentwicklung und Co. – und warum es sich lohnt, sie zu lesen

Tags: , , , , ,

Wie lernst Du? Diese Frage tangiert die aus meiner Sicht wichtigste Kompetenz für die Zukunft: Lernen! Lernen heißt in Zukunft vor allem selbstgesteuertes Lernen – Lernen also, das nicht formal vorgegeben, sondern frei gewählt ist. Ich lerne sehr gerne selbstgesteuert, je nach meinen individuellen Bedürfnissen, Interessen und Herausforderungen, die ich bewältigen muss. Dazu nutze ich – neben Büchern und Podcasts – Blogs. Hier will ich Dir die für mich 11 besten Blogs rund um agiles Management, Organisationsentwicklung und Co. vorstellen. Vielleicht ist da ja was für Dich Neues dabei, wenn Du im Sommer ein wenig Zeit hast, die Ferien genießt oder einfach sinnvolle Ablenkung auf Arbeit brauchst 😉

Toms Gedankenblog

Thomas Michl ist ne Maschine! Er haut jeden Montag in seinen Links der Woche kuratierte Beiträge, Blog- und Podcastempfehlungen raus. Dabei beschäftigt er sich mit Produktivität, Lean Management, agilem Arbeiten und übergreifenden Management-Themen. Ich weiß gar nicht, ob es überhaupt einmal vorkam, dass die Links der Woche nicht erschienen sind. Und falls doch, war Thomas wahrscheinlich wirklich krank oder er hat das Internet ausgeschaltet… Ach ja, es lohnt sich übrigens, Thomas auf Twitter zu folgen.

Agile Verwaltung

Wo wir schon bei Thomas Michl sind… Er ist (noch) Vorsitzender des Forums Agile Verwaltung. Und die Macher*innen betreiben ebenfalls einen richtig guten Blog, in dem regelmäßig Beiträge zu unterschiedlichen Themen rund um Agilität erscheinen. Für mich ist es insofern spannend, die Beiträge zu lesen, weil es einige Parallelen zwischen der öffentlichen Verwaltung und den oftmals ähnlichen Strukturen sozialer Organisationen gibt. Und noch dazu ist die öffentliche Verwaltung ja auf Seiten der Kostenträger eng mit der Sozialwirtschaft verbandelt. Was auch in dem häufig als „verstaubt“ angesehen Verwaltungskontext möglich ist, wenn ein paar kreative Köpfe zusammenkommen und neu denken, ist beeindruckend.

Führung erfahren

Der Blog „Führung erfahren“ wird von Dr. Marcus Raitner betrieben. Marcus beschäftigt sich – wie der Name schon sagt – mit allen Themen rund um das große Wort „Führung“. Für mich ist der Blog insbesondere deshalb lesenswert, weil Marcus zum einen aus einem reichhaltigen Erfahrungsschatz schöpft und zum anderen richtig gut schreiben kann. Und falls Du was von Marcus in der Hand halten willst: Er hat das „Manifest für menschliche Führung“ verfasst – ein kleines, aber sehr hilfreiches Buch, das Führung für eine neue Arbeitswelt beleuchtet.

Versus Magazin

Seit einigen Jahren gibt es das „Versus Magazin“ – ein Online-Magazin mit tiefgehenden Texten rund um die Herausforderungen und Lösungen in Unternehmen, Verwaltungen und anderen Organisationen. Das Magazin gehört zu Metaplan, einer systemtheoretisch und organisationssoziologisch orientierten Beratungsagentur. Und das merkt man: Die Aufbereitung der Inhalte ist auf den ersten Blick oft verwirrend, irritierend und anders, manchmal kühl, manchmal theoretisch. Aber die Beiträge eröffnen einen realistischen Blick auf Organisationen, Agilität, New Work und alles, was sich in dem Kontext so bewegt. Das ist erfrischend anders und hilft mir sehr, meine eigenen Beratungsprojekte zu reflektieren und nicht (zu sehr 😉 den Management-Moden zu verfallen.

Komfortzonen

Auf Komfortzonen schreiben Dirk Bathen, Valentin Heyde und Jörg Jelden zu Haltungen, Denkmodellen und Workshop-Tools, die sie in Workshops, der Prozessbegleitung von Unternehmen und Initiativen und Beratungsprojekten nutzen. Ich finde auf dem Blog immer wieder tolle neue Herangehensweisen und Methoden für Fragestellungen, die in meinen Workshops auftauchen. Logo: Jede Methode muss zum Zweck, zur Gruppe, den Rahmenbedingungen… passen. Aber als Inspiration ist der Blog für mich Gold wert. Danke für Eure Arbeit!

kommunikato

kommunikato ist die Seite von Kato aka Karin Gildner. Neben ihrem großartigen Schreibstil, der mich immer wieder begeistert (sie hat nen ziemlich witzigen Newsletter), finde ich bei ihr immer wieder Buchrezensionen und Ideen für meine eigene Freiberuflichkeit. Und außerdem betreibt sie https://erzaehldavon.de/ – eine Website, die Vereine und Ehrenamtliche dabei unterstützt, mehr Sichtbarkeit für ihre sozialen Projekte zu schaffen. Und ja, da finden kleine wie große soziale Organisationen Ideen und Anregungen, wie sie ihre Kommunikation richtig geil (sagt man nicht mehr, oder?) machen.

Intrinsify

In der Liste nicht fehlen darf der Intrinsify Blog. Auch wenn ich immer wieder etwas über die Art der Kommunikation stolpere (so richtig Augenhöhe fühlt sich anders an…) sind die Anregungen von Mark Poppenborg und Lars Vollmer (ich lasse den Dr. und den Prof. mal weg, OK? ;-)) richtig gut, um einen differenzierten Blick auf Arbeit, Organisationen und die Menschen darin zu bekommen. Schaut mal rein, dann könnt ihr euch ja einen eigenen Eindruck verschaffen 😉

Corporate Rebels

Ah ja, neue Arbeit gibt es nicht nur in Deutschland. Für einen Blick über den Tellerrand hinaus empfehle ich die Corporate Rebels. Die beiden aus den Niederlanden stammenden Beteiber des Blogs – Joost Minnaar und Pim de Morree – schreiben schon lange zu den Themen New Work und der Veränderung der Arbeitswelt. Dabei liefern sie immer wieder inspirierende Einblicke in die Funktionsweisen anderer Organisationen in anderen Teilen der Welt. Auch hier wieder: Abkupfern von irgendwelchen Organisationsmodellen auf die eigene Organisation macht keinen Sinn, aber die Inspiration, wie es auch anders gehen kann, ist mehr als hilfreich.

Mampels Welt

Vielleicht gelingt es mir, mit diesem Post den lieben Thomas zu inspirieren, wieder mehr zu schreiben? Das ist ein wenig meine Hoffnung, denn ich habe seine Einträge in seinem Blog aka „Geschäftsführertagebuch“ sehr geliebt. Thomas ist Geschäftsführer des Stadtteilzentrums Berlin-Steglitz und außerdem Geschäftsführer der .garage Berlin – beides sehr inspirierende soziale Organisationen. Und ja, ich bin in meiner Lobhudelei vielleicht etwas befangen: Thomas hat mich vor Jahren dazu angeregt, meinen Blog zu starten. Danke dafür – unglaublich, was daraus geworden ist… Ach, und noch was: Es lohnt sich, auch in die älteren Beiträge reinzulesen.

Sozial-PR

Christian aka sozial-pr.net ist ebenfalls langjähriger Begleiter und Inspirator (sagt man das so?). Christian ist mein, nein, Christian ist DER Ansprechpartner, wenn es um digitale Kommunikation in sozialen Organisationen geht. Er bietet aber nicht nur gute Beratung, sondern immer wieder auch spannende Inhalte auf seinem Blog, in seinem Podcast und (da kann ich noch was lernen) in seinem Videocontent. Aktuell befasst er sich bspw. mit der Frage, ob und wie die Soziale Arbeit eine positive Systemveränderung unterstützen kann. Allein der Beitrag hat mich ziemlich zum Nachdenken gebracht und aller Voraussicht nach werde ich mich damit noch mal tiefer befassen…

Zeitzuteilen

Last but not least darf der Blog von Sabine hier nicht fehlen: Sabine ist aktuell Landesleitung Schleswig-Holstein bei der Caritas im Norden. Sie arbeitet damit nicht nur im, sondern vor allem am System der Sozial- und Gesundheitswirtschaft. Und in ihrem Blog setzt sie sich mit „Sozialer Arbeit im Wandel“ auseinander. Es geht um die übergreifenden Themen rund um soziale Organisationen, die Herausforderungen und Möglichkeiten der Digitalisierung im sozialen Sektor, neue Arten von (Zusammen-) Arbeit und vieles mehr. Dieser übergreifende Blick hilft mir immer wieder, mich zu verorten und meine eigene Arbeit zu reflektieren.

Blogs, Podcasts und Co.: Was inspiriert Dich?

Ich hoffe, bei den 11 besten Blogs rund um agiles Management, Organisationsentwicklung und Co. waren ein paar Anregungen für Dich dabei?

Aber hast Du noch Blogtipps, die es zu lesen lohnt? Oder noch übergreifender gefragt:

Welche Blogs, Beiträge, Podcasts rund um die Themen agiles Management, Organisationsentwicklung, Führung und Co. liest oder hörst Du?

Was und wie lernst Du dabei?

Lass doch gerne nen Kommentar hier oder schreib mir – dann lernen wir alle 😉

Hach, es bleibt spannend… Und jetzt:

Hab nen guten Sommer!

Organisationsanalyse: Wie die Taylorwanne zur Betrachtung sozialer Organisationen genutzt werden kann

Tags: , , , , , , ,

Kennst Du die Taylorwanne? Dahinter verbirgt sich ein Modell von Gerhard Wohland, das den groben historischen Verlauf der Marktdynamik und die jeweils dominierenden Produktionstypen sowie die Anforderungen an Kompetenzen der Menschen darlegt. Ich nutze das Modell gerne zur Erläuterung der Notwendigkeit zur Organisations- und Kompetenzentwicklung, die auch für soziale Organisationen von Bedeutung sind. Hier, in diesem Beitrag, will ich den Aufbau der Taylorwanne nicht erläutern, das kann viel besser bspw. hier kurz und übersichtlich nachgelesen werden. Vielmehr will ich das Tool zur Organisationsanalyse „missbrauchen“. Denn ich glaube, dass es hierzu gute Dienste leisten kann.

Der Anlass dieses Beitrags ist die Anmerkung einer Teilnehmerin in einem meiner letzten Führungskräfteworkshops. Sie bezog die Taylorwanne auf die Arbeit in ihrer Organisation. Konkret: Ihre Aussage war, dass sie das Gefühl hat, dass die Mitarbeiterinnen „in der vorindustriellen Zeit“ hängen geblieben sind. Mit Blick auf die Arbeit mit den Klient_innen war die Aussage:

„Wir arbeiten in einem „Meister-Lehrling-Modell“. Wir betrachten uns als die Meister, die bezogen auf die Klient_innen schon wissen, was richtig ist.“

Dieser für mich neue Blick auf die Taylorwanne hat dann zu einer intensiven Diskussion der Teilnehmer_innen geführt.

Organisationsanalyse – Betrachtungsebene 1: Soziale Arbeit aus der Meister-Lehrling-Perspektive

Die eine Gruppe konnte dieser Aussage sehr gut zustimmen:

Die Sozialarbeiter_innen agieren als Expert_innen für die Bedarfe der Klient_innen. Das ist ein grundlegendes Problem Sozialer Arbeit an der Basis: Die Professionellen agieren häufig als Expert_innen für die Belange ihrer Klient_innen. Die wirklichen, vielleicht von den Bedarfen der Sozialarbeiter_innen abweichenden Bedarfe der Menschen geraten dadurch leicht aus dem Blick bzw. werden bewusst nicht wahrgenommen, da sie für die Professionellen deutlich anstrengender, anders, neu… sind, als den gewohnten Stiefel zu fahren.

Übergreifend gedacht eröffnen sich für mich hier auch spannende Parallelen zu Fragen der Führung: Wo agieren Führungskräfte in einer „Meister-Lehrling“-Perspektive ala „Ich weiß schon sehr genau, was hier, in dieser und jener Situation richtig ist“? Auch die oftmals alles blockierende Aussage „Das haben wir hier schon immer so gemacht!“ fällt in diese Kategorie: Ohne alles Alte schlecht reden zu wollen, werden durch diese Haltung neue Entwicklungen, neue Bedarfe der Mitarbeiter_innen, Teams und der Organisation als Ganzes gar nicht in den Blick genommen. Die Orientierung am echten Bedarf der „Nutzer_innen“ findet nicht statt.

Organisationsanalyse – Betrachtungsebene 2: Soziale Arbeit als Fließbandarbeit

Andere Teilnehmer_innen hatten mit Blick auf die Taylorwanne jedoch eher den Eindruck, dass in ihrer Organisation versucht wird, die Arbeit mit den Klient_innen „tayloristisch“ zu gestalten. Es wird versucht – auch ausgelöst durch externe Anforderungen der Kostenträger – die Einrichtung auf Effizienz – auf eine Fließbandlogik – zu trimmen und in einer zweckrationalen Denkhaltung alle, alles und jedes in transparente, kausale Prozesse zu pressen.

Auch hier lässt sich wiederum ein etwas distanzierterer Blick einnehmen und auf „die Sozialwirtschaft“ als Ganzes schauen:

Es ist der Funktionslogik Sozialer Arbeit inhärent, tagtäglich Komplexität gestalten zu müssen. Organisationen der Sozialen Arbeit befassen sich in der Regel mit der sozialen Wertschöpfung der Ausnahme.

Hingegen sind die Finanzierungsstrukturen auf die Einhaltung von Vorgaben und Regeln und damit auf die Wertschöpfung der Norm bedacht.

Kurz zur Unterscheidung der beiden Begriffe:

Die Wertschöpfung der Norm fokussiert auf Probleme, für die bereits Lösungen erarbeitet wurden. Das Wissen über diese Lösungen kann per Vorgaben oder per Anweisung weitergegeben werden. Es werden „Prozesse oder Regeln eingerichtet, in die das Wissen so eingearbeitet wird, dass es bei dessen Befolgung zur Anwendung kommt. Auf dieser Idee basiert die gesamte tayloristische Organisationsführung“ (vgl. näher hier) und die Denk- und Handlungsweise der Kostenträger.

Die Wertschöpfung der Ausnahme ist hingegen die Lösung von Problemen, für die es noch kein Wissen gibt. In der Sozialen Arbeit ist jede_r Klient_in individuell zu betrachten, es lassen sich kaum Standardprogramme einrichten. Entsprechend braucht es „Ideen und damit Mitarbeiter, die in bestimmten Problemsituationen ein besonders gutes Gefühl für die passenden Ideen entwickeln“ (ebd.).

Zu dem Dilemma der beiden unterschiedlichen Systemlogiken von Sozialen Organisationen und den Kostenträgern habe ich hier bereits einen Beitrag verfasst.

Hinzu kommt noch, dass die für die Bedienung der Anforderungen der Kostenträger notwendigen Prozesse, Regeln und Vorgaben in die Organisationen übertragen werden und dort zu unfassbar umfänglichen Prozessbeschreibungen, QM-Handbüchern und der irrealen Vorstellung der Führungskräfte führen, die Organisation zweckrational steuern zu können.

Historisch lässt sich die Entwicklung hin zu klassisch betriebswirtschaftlichen Prinzipien sowie tayloristischen Denk- und Handlungsweisen und damit zur Ökonomisierung und Managerialisierung der Sozialen Arbeit (vgl. bspw. Michael Meyer/Florentine Maier, 2018, 207) wunderbar nachzeichnen, sprengt hier aber den Rahmen des Beitrags.

Organisationsanalyse – Betrachtungsebene 3: Soziale Arbeit als Co-Creation

Wenn man sich die Taylorwanne in der Ausführung von Bernd Oestereich anschaut, wird auf der dritten Ebene deutlich, dass es in der aktuellen Zeit um Innovation, Experimentieren, um gemeinsames Neugestalten und um die Ko-Kreation neuer Lösungen geht. Die Frage nach dem „Wer“ (im Gegensatz zum „Wie“) und damit die Frage nach den individuellen Fähigkeiten rückt in den Vordergrund.

Übertragen auf die direkte Arbeit mit den Klient_innen in sozialen Einrichtungen eröffnet sich über die Ko-Kreation (näher dazu bspw. in dem Beitrag der Neuen Narrative) eine andere Sichtweise:

(Wo) sind wir in unseren Organisationen soweit, dass Klient_innen zu Co-Creator_innen werden?

In dem oben genannten Workshop, in dem das Thema aufkam, gab es bereits einige Führungskräfte, die ihr Team und ihre Organisation zumindest „auf dem Weg zur kokreativen Arbeit mit den Klient_innen“ beschrieben haben.

Erstmalig begegnet ist mir der Gedanke, dass die Nutzer_innen Sozialer Arbeit die KoKreator_innen ihrer Leistungen sind, bei Otto Scharmer in einem Video zur Theorie U begegnet:

Auf der von ihm beschriebenen vierten Ebene wird die Klientin zur „Co-Creatorin“ und der Sozialarbeiter zur Hebamme.

Hebamme? Klingt gewöhnungsbedürftig, oder?

Aber die Übertragung dieser Denklogik passt für mich ziemlich gut:

Eine Hebamme hilft dabei ein Kind, ein Wunder, etwas Unglaubliches auf die Welt zu bringen. Und im übertragenen Sinne geht es in der Sozialen Arbeit ja auch darum, dabei zu helfen, die in den Klient_innen verborgenen Stärken, die Möglichkeiten, das bislang Verborgene auf die Welt zu bringen. Es geht nicht darum, was die_der Sozialarbeiter_in im Bild des „Meisters“ für die Klient_innen als „Richtig“, als „sinnvoll“ oder „erstrebenswert“ oder gar „gesellschaftlich passend“ ansehen. Es geht – so heißt es in der Definition der Sozialen Arbeit – um die Förderung von Selbstbestimmung und Autonomie der Menschen.

Hebamme ist dazu ein sehr schönes, passendes Bild.

Exkurs: Die Führungskraft als Hebamme zur Ermöglichung von Co-Creation

Photo by Pixabay: https://www.pexels.com/photo/grayscale-photography-of-baby-holding-finger-208189/

Lässt sich das Bild der Hebamme aber auch übertragen auf die Führungsarbeit in Organisationen? Dazu ein kurzer Gedankenexkurs, weg von der Taylorwanne:

Organisationen sollten so gestaltet sein, dass sie ihren Zweck bestmöglich erfüllen können.

Führungskräfte sind aus dieser Perspektive in der Verantwortung, die Strukturen, Rahmenbedingungen, formalen und informellen Regeln und Rituale so zu gestalten, dass wiederum der Zweck bestmöglich erfüllt werden kann. Führungskräfte sind in meinen Augen jedoch nicht dazu da, an den ihnen anvertrauten Mitarbeiter_innen herumzubasteln (und trotzdem können sie gerne Vorbild sein ;-).

Zur bestmöglichen Erfüllung des Zwecks insbesondere sozialer Organisationen sind die Mitarbeiter_innen jedoch unabdingbar. „Der Mensch ist Werkzeug“ in allen Arbeitsfeldern Sozialer Arbeit. Wir haben keinen Hammer, keine Maschinen und keine Roboter, um die immer wieder individuellen Interaktionen mit den Klient_innen zu gestalten.

Entsprechend gilt es für Führungskräfte, Hebamme in Bezug auf die Kompetenzen und Fähigkeiten der Mitarbeiter_innen zu sein, um sie bestmöglich anhand ihrer Fähigkeiten einsetzen zu können.

Und insbesondere dann, wenn es um die zeitgemäße Entwicklung und Gestaltung der Teams oder Organisationen geht, sind Führungskräfte gefragt, als Hebamme das Neue, das Unerwartete, das Zukünftige auf die Welt zu bringen.

Fazit: Die Taylorwanne als Modell zur Organisationsanalyse sozialer Organisationen

Alle beschriebenen Ebenen sind – zumindest aus meiner Perspektive – nachvollziehbar und die Realität in den Organisationen zeigt, dass alle drei Betrachtungsebenen in sozialen Organisationen vorkommen. Teilweise lassen sich die Betrachtungsebenen unmittelbar im Sinne der Organisationsanalyse auf eine Gesamtorganisation beziehen, teilweise finden sich alle drei Ebenen mehr oder weniger ausgeprägt in einer Organisation, teilweise auch in einem Team.

Wenn Du die drei oben beschriebenen Betrachtungsebenen in den Blick nimmst: Wo steht Deine Organisation? Wo steht Dein Team? Und wo stehst Du?

  • Agierst Du und Deine Organisation in einem hochgradig individuellen, ausschließlich auf eine_n Klient_in zugeschnittenen Meister-Lehrling-Setting? Agieren Deine Mitarbeiter_innen als „Expert_innen“ für die Anliegen ihrer Klient_innen?
  • Oder herrscht in Deiner Organisation ein maschinelles, zweckrationales Denken vor? Wird versucht, alles in Prozesse zu pressen? Kommt Dir Deine Organisation wie ein bürokratisches Monster vor?
  • Oder betrachtest Du Dich als Hebamme und versuchst, gemeinsam mit den Dir anvertrauten Menschen – Mitarbeiter_innen wie Klient_innen – deren Potentiale in einem ko-kreativen Prozess auf die Welt zu bringen?

Logo:

Ein Modell – und sei es noch so eingängig – kann nie die komplexe Realität abbilden, aber für mich ist es hilfreich, diese drei Ebenen anzuschauen und mit der Realität in der Organisation und dem Team abzugleichen. Vielleicht hilft es Dir auch zur Organisationsanalyse oder für die Arbeit in Deinem Team? Freu mich auf Deine Einschätzung dazu (gerne in den Kommentaren)!

Plädoyer für die eigene Freiheit, oder: Die Rolle des mittleren Managements im organisationalen Wandel

Tags: , , , , , , ,

In Vorträgen und Impulsen habe ich in den letzten Jahren immer wieder postuliert, dass es für echte, tiefgreifende Veränderung in Organisationen das Committment der obersten Führungsebene braucht. Meine These war, dass nur dann, wenn die oberste Führungsebene, Vorstand oder Geschäftsführung, die Veränderung mitträgt, Veränderung und Transformation gelingen kann. Auf meiner Folie stand meist „Ohne oben geht es nicht!“ Aber ist das wirklich so? Blockieren wir durch das Warten auf die große Transformation oder die Entscheidungen der obersten Führungsebene nicht vielmehr den nötigen Wandel? Macht es nicht vielmehr Sinn, in seinem eigenen Spiel- und Handlungsraum zu schauen, welche Veränderungen angegangen werden können? Oder anders formuliert: Welche Rolle spielt das untere und mittlere Management im organisationalen Wandel? Darum geht es in diesem Beitrag.

Dazu werde ich zunächst auf die Rolle der obersten Führungsebene in Veränderungsprozessen eingehen um dann zu argumentieren, warum den unteren und mittleren Führungsebenen eine besondere Verantwortung im kontinuierlichen Wandel zukommt. Der Beitrag schließt mit einem Plädoyer für die eigene Freiheit.

Die Rolle der obersten Führungsebene in Veränderungsprozessen

Laloux schreibt in seinem immer noch beeindruckenden Buch „Reinventing Organizations“ (vgl. Laloux, 2014, 237ff), dass es zwei notwendige Bedingungen für echte Veränderung gibt:

„The research behind this book suggests that there are two ― and only two ― necessary conditions, in the following two spheres:

  1. Top leadership: The founder or top leader (let’s call him the CEO for lack of a better term) must have integrated a worldview and psychological development consistent with the Teal developmental level. Several examples show that it is helpful, but not necessary, to have a critical mass of leaders operating at that stage.
  2. Ownership: Owners of the organization must also understand and embrace Evolutionary-Teal worldviews. Board members that “don’t get it,” experience shows, can temporarily give a Teal leader free rein when their methods deliver outstanding results. But when the organization hits a rough patch or faces a critical choice, owners will want to get things under control in the only way that makes sense to them―through top-down, hierarchical command and control mechanisms.“

Andere Veröffentlichungen zum Thema Change und Veränderung sprechen ebenfalls vom „Erfolgsfaktor oberste Führungsebene“ (vgl. beispielhaft Eberhardt, 2013, 95). Und auch der Blick auf die Gestaltungsmöglichkeiten von Organisationskultur zeigt, dass, wenn „der einzige Hebel des Managements, die Organisationskultur zu verändern, (…) Veränderungen der Formalstruktur“ sind (Kühl, 2018), die Veränderungen der Formalstruktur formal zu beschließen sind. Und wer kann das tun? Die obere oder oberste Führung.

Wie häufig habe ich eine kleine Umfrage auf Twitter gestartet, die ebenfalls danach fragt, wer denn ausschlaggebend ist für gelingende Veränderungen in Organisationen:

https://twitter.com/HendrikEpe/status/1533375098576568320

Und, auch wenn die Frage zu unterkomplex ist, die Rückmeldungen zeigen wieder die besondere Bedeutung des obersten Managements (lest auch mal die Antworten unter dem Tweet, daraus ergibt sich ein differenzierteres Bild).

Wenn aber Laloux und viele andere Veröffentlichungen (und sogar Twitter!!!111!!!) die oberste Führungsebene als „make – or break factors“ (ebd., 238) definieren, ist zu fragen: Was genau ist das Ziel der dargestellten Veränderungen, was ist die Perspektive auf Veränderung?

Die Perspektive auf Veränderung

Laloux spricht – wenn er von „teal organizations“ spricht – von grundlegenden, tiefgreifenden Veränderungen in der Art, wie Organisationen funktionieren. Seine Ausführungen und die Beispiele wie Buurtzorg in den Niederlanden sind mehr als beeindruckend und – für mich zumindest – als erstrebenswerte Vision einer Arbeitswelt der Zukunft in jedem Veränderungsprozess als Hintergrundfolie mitzudenken.

Aber diese Hintergrundfolie einer erstrebenswerten „New Work“ zeigt das Bild großer Veränderungsprojekte, das Bild der Transformation der Grundlogik, wie wir in Organisationen arbeiten. Es geht in vielen Veröffentlichungen zum Thema Change, New Work und Transformation um enorme, langwierige und aufwendige Veränderungsprozesse, die die „DNA der Organisation“ verändern. Es geht um Veränderungen zweiter Ordnung – Systemveränderungen. Und auch eine Antwort auf meinen o.g. Tweet verdeutlicht dies.

So schreibt Alexander Krause:

Ich will diese Veröffentlichungen, Tweets und Berichte an dieser Stelle gar nicht Kleinreden: Die große Perspektive ist wichtig, hilfreich und notwendig, um eine Vorstellung von dem Möglichen, von dem zu bekommen, was erstrebenswert ist. Mit anderen Worten: Ohne die Arbeit an den Grundlogik unseres Arbeitens und Wirtschaftens werden wir keine tiefgreifenden Veränderungen erreichen.

Aus dieser Perspektive heraus erlebe ich jedoch mindestens zwei Herausforderungen:

Zum einen bleibt oft unklar, wo jenseits von einer Entwicklung des angestrebten Zielzustands genau angesetzt werden kann bzw. was im stressigen Arbeitsalltag – und hier spreche ich insbesondere aus der Perspektive oftmals völlig überlasteter sozialer Organisationen – zur großen, tiefgreifenden Veränderung geleistet werden kann.

Daraus wiederum resultiert ein mehrseitiges Problem: Mitarbeiter_innen und Führungskräfte auf unteren und mittleren Ebenen werden zwar in partizipativen Prozessen eingeladen, sich an Veränderung zu beteiligen. Sie bekommen hier und da auch Einblicke durch spannende Keynotes und Veranstaltungen zum Thema New Work – meist verbunden mit den Herausforderungen, Möglichkeiten und Notwendigkeiten der digitalen Transformation – und dann bleibt unklar, was sie denn wie konkret umsetzen müssen.

Zwar sehen die Kaninchen die Schlange, aber bewegen fällt schwer.

Und die oberste Führungsebene kennt zwar die Schlange beim Vornamen, weiß also genau Bescheid, dass dringend der kulturelle, technologische und nachhaltige Wandel angegangen und umgesetzt werden muss, wartet aber zunehmend frustriert auf die Bewegung der Kaninchen aka der Mitarbeiter_innen und unteren und mittleren Führungsebene.

Und damit bewegt sich – nichts! Es bewegt sich nicht im Kleinen an der Basis und nicht im Großen an der „Spitze“. Alle machen weiter wie bisher.

Alle sind nur etwas frustrierter, da eigentlich jedem und jeder in der Organisation bewusst ist, dass es so nicht mehr lange weitergehen kann und wird! Die Digitalisierung kommt nicht voran, die Veränderungen hinsichtlich des Fachkräftemangels nehmen keine Gestalt an, die Geschwindigkeit der Entscheidungen in der Organisation nimmt ab, die dringend nötigen Anpassungen bzgl. des Wegs zu mehr ökologischer Nachhaltigkeit werden nicht angegangen, die Arbeitskultur bewegt sich weiter auf Ebene von Command and Control, die Konkurrenz schläft nicht und so weiter und so fort…

Zum anderen haben wir es in der Sozialwirtschaft nicht nur mit „uns selbst“ zu tun, sondern mit gesetzlichen Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich die Organisationen mehr oder weniger bewegen können. Das soll keine Ausrede im Sinne von „Wir würden ja, dürfen aber nicht!“ sein. Es erschwert jedoch entweder den Anstoß zur Veränderung oder zwingt durch gesetzliche Anpassungen (bspw. BTHG, KJSG) zur Veränderung – gewollt oder nicht!

Perspektivwechsel, oder: Die Rolle des mittleren Managements im organisationalen Wandel

Wie wäre es aber, wenn wir die Perspektive wechseln. Wie wäre es, wenn wir nicht mehr das Warten auf die große Vision, die großen Entscheidungen, die radikale Transformation, die tiefgreifenden Wandel in der Art, wie wir arbeiten, in den Mittelpunkt stellen?

Was wäre, wenn wir selbst, jede_r auf seiner Ebene beginnt, Veränderungen zu initiieren?

Und wenn wir agile Management-Konzepte ernst nehmen, geht es doch nicht um den langfristig geplanten Wandel und das Erreichen eines vorab definierten Zielbilds. Es geht genau nicht darum, eine „agile Organisation“ oder „teal“ zu werden oder „unser Betriebssystem nach Holocracy“ zu strukturieren. Es geht um die „bewusste kontinuierliche Gestaltung organisationalen Wandels“ (Grunwald, 2022, 78).

Wenn Agilität für die anpassungsfähige, zeitgemäße, bedarfsgerechte und bewusste Gestaltung von Organisationen steht, dann ist immer wieder – kontinuierlich – zu prüfen, was denn auf welcher Ebene der Organisation notwendig ist, um anpassungsfähig, zeitgemäß und bedarfsgerecht agieren zu können.

Und hier kommen insbesondere die unteren und mittleren Führungsebenen, die Abteilungs- und Teamleitungen in den Blick:

Gerade in dezentral organisierten, hochgradig komplex strukturierten Organisationen der Sozialwirtschaft ist vor Ort, im Team, zu entscheiden, was notwendig und möglich ist.

Es ist vor Ort zu entscheiden, welche Strukturen, Prozesse, Innovationen, Angebote und Dienstleistungen sinnvoll und machbar sind. Es ist vor Ort zu entscheiden, wie das Team miteinander möglichst gut arbeiten kann. Das für die strategische Ausrichtung der Organisation notwendige Gesamt-Leitbild ist vor Ort zu operationalisieren und anzupassen, damit die konkreten Bedingungen vor Ort in den Blick genommen und bedarfsgerecht im Sinne der Nutzer_innen gestaltet werden können.

Hier kommt hinzu, dass die oberste Führungsebene – völlig nachvollziehbar – oft keinen Einblick in die notwendigen Bedarfe vor Ort hat bzw. aufgrund der Komplexität der Organisation haben kann.

Zur Einordnung ist relevant, dass ich nicht den kleinen, freien Träger mit 20 Mitarbeiter_innen im Blick habe, sondern Komplexträger sozialer Dienstleistungen, die oftmals mit vielen hundert, teilweise auch mit mehreren tausend Mitarbeiter_innen lokal, regional und auch national die soziale Landschaft in unserem Land gestalten.

Aber selbst – um ein konkretes Beispiel zu nennen – bei einem Kita-Träger mit einigen Kitas und Kindergärten arbeiten an jedem Standort unterschiedliche Menschen unter unterschiedlichen Bedingungen. Während ein produzierendes, mittelständisches Unternehmen erwarten kann und muss, dass – egal an welchen Standort – die gleichen Produkte in gleicher Qualität hergestellt werden, ist es in sozialen Organisationen so, dass die Rahmenbedingungen und damit die Umwelt der Organisation enorm relevant sind und nicht außer acht gelassen werden dürfen: Eine Kita in Freiburgs Nobel-Stadtteil Herdern unterliegt völlig anderen Herausforderungen als ein Kindergarten in einem Dorf im Schwarzwald oder einer Einrichtung in einem Brennpunkt-Viertel, obwohl alles Kindergärten sind.

Unter diesen Bedingungen darauf zu warten, dass die oberste Führungsebene die richtigen Entscheidungen trifft, um die Zusammenarbeit in jedem Team, in jeder Organisationseinheit zukunftsfähig zu gestalten, ist naiv und überfordert die Führung. Viel wichtiger ist, vor Ort, im Alltag, in der Vielfalt, Komplexität und Dynamik zu entscheiden, wie die jeweilige Einrichtung, der eigene Arbeitsbereich, das eigene Team, die Menschen bestmöglich den angestrebten Zweck erfüllen können. Und hier sind vor allem die Menschen auf den unteren und mittleren Führungsebenen, die Abteilungs- und Teamleitungen entscheidend.

Was es braucht

Die Ausführungen zur Rolle und Bedeutung des unteren und mittleren Managements sind – so hoffe ich doch – nachvollziehbar. Und gleichzeitig sehe ich in meiner Arbeit mit Organisationen und Menschen auf der unteren und mittleren Führungsebenen, mit Team- und Bereichs- oder Abteilungsleitungen einige Herausforderungen, die es anzugehen gilt, um kontinuierlichen Wandel zu ermöglichen.

Übergreifend fällt mir immer wieder auf, dass sich Führungskräfte auf der unteren und mittleren Führungsebenen, Team- und Bereichs- oder Abteilungsleitungen im operativen Alltag verlieren. Sie wurschteln und rödeln vor sich hin, oft mit dem bitteren Ergebnis des Burnouts oder dem Verlassen der Organisationen und des Arbeitsfeldes. Hinzu kommt, dass es zunehmend schwerer wird, überhaupt Führungskräfte für diese Ebenen zu gewinnen, wodurch wiederum der operative Druck steigt und die Menschen alles andere als erfüllende Arbeit machen. Der Anspruch von #RealNewWork – die Gestaltung einer Arbeit, die Menschen stärkt – wird zur Farce.

Was aber braucht es, damit Führung auf unterer und mittlerer Ebene zum einen wieder zu einer Arbeit wird, die die Menschen „wirklich, wirklich tun wollen“ und Führung zum anderen dazu beiträgt, den Zweck der Organisation bestmöglich zu erfüllen?

Hier könnte ich jetzt in eine detaillierte Beschreibung benötigter Kompetenzen für gesellschaftliche Entwicklungen, benötigtem Bewusstsein für die Besonderheiten sozialer Organisationen, benötigter sozialpolitischer Kompetenz, benötigter Dilemmatakompetenz, benötigtem systemischem und systemtheoretischen Denken und Handeln, benötigter Methodenkompetenz zur Gestaltung agiler Arbeit, benötigter Selbstkompetenz und damit übergreifend in die Beschreibung von Kompetenzen für zeitgemäße und bedarfsgerechte Führungskompetenz einsteigen. Das ist aber zu lang für einen Blogbeitrag.

Plädoyer für die eigene Freiheit

Vielmehr will ich den Beitrag mit einem „Plädoyer für die eigene Freiheit“ schließen.

Wenn Du Führungskraft auf unterer und mittlerer Führungsebene, Team-, Bereichs- oder Abteilungsleitung bist, plädiere ich dafür, dass Du Deine eigene Freiheit nutzt. Du entscheidest, wie die Zusammenarbeit vor Ort, in Deinem Team und mit den Dir anvertrauten Menschen ausgestaltet sein kann und sollte. Du hast Handlungsspielraum und Freiheit, zu entscheiden, immer. Sonst wärst Du keine Führungskraft.

Und selbst dann, wenn Du keine offiziell übertragene Führungsverantwortung trägst, selbst dann, wenn Du „nur“ Mitarbeiter_in in einer sozialen Organisation bist, hast Du die Freiheit, Impulse zu setzen, das System zu irritieren und Dinge anzuregen – und wenn sie noch so klein sind.

Freiheit setzt Mut voraus. Freiheit setzt den Mut voraus, Bestehendes anders zu sehen, neu zu denken und im Sinne des Zwecks der Organisation anders zu machen. Die Nutzung der eigenen Freiheit geht damit immer mit der Übernahme von Verantwortung einher.

Meine Erfahrung zeigt, dass die Übernahme von Verantwortung mehr als gewünscht wird. Die Angst also, von der oberen Führung „einen auf den Deckel zu bekommen“ ist unbegründet. Im Gegenteil wünschen sich die Verantwortlichen in allen mir bekannten Organisationen Mitarbeiter_innen, die Eigenverantwortung übernehmen.

Und selbst, wenn einmal etwas schiefgehen sollte: Was kann passieren? Denn ganz ehrlich: Du wirst nicht gekündigt, weil Du mutig warst und – begründet! – etwas Neues im Sinne Deiner Organisation, Deines Teams oder der Nutzer_innen ausprobiert hast. Falls doch:

Sei froh!

Denn Arbeit unter Bedingungen, die Autonomie und Selbstbestimmung nicht zulässt, macht keinen Sinn. Vor allem dann nicht, wenn Ziel jeglicher Sozialer Arbeit die Förderung von Autonomie und Selbstbestimmung ist.

Quellen:

  • Eberhardt, D. (Hrsg., 2013): Unternehmenskultur aktiv gestalten. Praxisfälle aus Wirtschaft, öffentlichem Dienst, Kultur & Sport. Wiesbaden: Springer.
  • Grunwald, K. (2022): Management sozialwirtschaftlicher Organisationen. Eine Einführung. Wiesbaden: Springer.
  • Kühl, S. (2018): Organisationskulturen beeinflussen (German Edition) (S.57). Springer Fachmedien Wiesbaden. Kindle-Version.
  • Laloux, F. (2014): Reinventing Organizations. Brüssel: Nelson Parker.

Unternehmenskultur gestalten, oder: 19 Culture Hacks für soziale Organisationen

Tags: , , , , , ,

Unternehmenskultur gestalten – das will irgendwie jedes Unternehmen und es ist auch was dran: So gibt es immer wieder Anfragen zur „Kulturentwicklung“, etwa mit den folgenden Wortlauten: „Unsere Kommunikationskultur ist schlecht!“ „Wir brauchen eine neue Kultur der Verbindlichkeit!“ „Wir haben keine gute Fehlerkultur!“ „Unsere Kultur der Zusammenarbeit passt nicht zu unserem Auftrag!“ Weitere Anfragen lauten auf die Entwicklung einer offenen Organisations- bzw. Unternehmenskultur, einer agilen Unternehmenskultur, auf die Entwicklung guter, starker, dialogischer oder whatever Unternehmenskultur. Aber was ist Unternehmenskultur eigentlich? Und wie geht Kulturentwicklung? Dazu findest Du hier Antworten, die Du schnell und einfach in Deiner Organisation umsetzen kannst. Denn dazu sind „Culture Hacks“ hilfreich. Aber der Reihe nach:

Was ist Unternehmenskultur?

Zu dieser Frage gibt es X-tausend Veröffentlichungen. Diese will und kann ich hier nicht vollständig wiedergeben. Entsprechend halte ich mich hier an die Ausführungen aus Wikipedia. Demnach beschreibt der Begriff Organisationskultur die Entstehung und Entwicklung kultureller Wertmuster innerhalb von Organisationen.

„Die Organisationskultur wirkt auf alle Bereiche des Managements (…). Jede Aktivität in einer Organisation ist auf Basis ihrer Kultur entstanden und dadurch kulturell beeinflusst. Das Selbstverständnis der Organisationskultur erlaubt es Organisationsmitgliedern, Ziele besser verwirklichen zu können. Außenstehende können durch diese Kenntnis die Organisation besser verstehen.“

Zur Komplexitätsreduktion hier die Definition von Unternehmenskultur von Edgar H. Schein:

Organisations- bzw. Unternehmenskultur zeigt sich demnach als „ein Muster grundlegender Annahmen – erfunden, entdeckt oder entwickelt von einer vorgegebenen Gruppe, während diese lernt mit den Problemen der externen Adaption und internen Integration umzugehen – die gut genug funktionierten, um [von dieser Gruppe] als gültig angesehen zu werden, und die deshalb neuen Mitgliedern vermittelt werden als richtige Methode der Wahrnehmung, des Denkens und des Fühlens bezüglich dieser Probleme.“ (1985, 9)

Schein entwickelte das Kultur-Ebenen-Modell, wonach sich Organisationskultur auf den folgenden drei Ebenen zeigt (aus Wikipedia):

  • „An der Oberfläche liegen die sichtbaren Verhaltensweisen und andere physische Manifestationen, Artefakte und Erzeugnisse. Beispiele sind Kommunikationsverhalten mit Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten, Logo, Parkplätze, Bürolayout, verwendete Technologie, das Unternehmensleitbild aber auch die Rituale und Mythen der Organisation.
  • Unter dieser Ebene liegt das Gefühl, wie die Dinge sein sollen; kollektive Werte sind beispielsweise „Ehrlichkeit“, „Freundlichkeit“, „Technik-Verliebtheit“, „spielerisch“, „konservativ“ usw. also Einstellungen, die das Verhalten von Mitarbeitern bestimmen.
  • Auf der tiefsten Ebene sind die Dinge, die als selbstverständlich angenommen werden für die Art und Weise, wie man auf die Umwelt reagiert (Grundannahmen). Diese Grundannahmen (engl. basic assumptions) werden nicht hinterfragt oder diskutiert. Sie sind so tief im Denken verwurzelt, dass sie von Mitgliedern der Organisation nicht bewusst wahrgenommen werden.“

Soweit, so gut.

Aber interessant ist ja vor allem die Frage, wie sich Unternehmenskultur gestalten lässt.

Wie lässt sich Unternehmenskultur gestalten?

Unternehmenskultur lässt sich „nicht (…) durch die Verkündigung neuer organisationskultureller Werte verändern“ (Kühl, 2018).

Anders ausgedrückt:

Das Ausrufen von einer „neuen Fehlerkultur“, die Durchführung eines Innovationsworkshops und die Hoffnung, dass am Montag alles innovativ wird oder die Festschreibung neuer Werte zur Verbesserung der Kommunikationskultur bringen – kurz – nix!

Was aber dann? Dazu bringt es Kühl auf den Punkt:

Der einzige Hebel des Managements, die Organisationskultur zu verändern, sind Veränderungen der Formalstruktur. Nicht so, wie es sich ein steuerungsbegeistertes Management vielleicht wünschen mag – nämlich, dass mit der Verkündigung der formalen Struktur auch gleichzeitig die passenden Veränderungen der Organisationskultur mitangeregt werden könnten, sondern vielmehr dadurch, dass jede Veränderung in den offiziellen Berichtswegen, jede Verkündigung eines neuen offiziellen Ziels, jede Einstellung, Versetzung oder Entlassung Auswirkungen auf die informalen Prozesse in den Bereichen, Abteilungen oder Teams hat.“

Das wiederum sagt, dass egal, was getan wird, alle Veränderungen, die die Formalstruktur betreffen, Auswirkungen auf die Kultur haben.

Unter der Formalstruktur lassen sind die expliziten, in der Regel verschriftlichten Vorgaben innerbetrieblicher Abläufe und Strukturen in einer vorgegebenen Ordnung zu verstehen. Das können z.B. die Definition der Arbeitsteilung, die Beschreibung der Prozesse und Arbeitsabläufe oder die Festlegung von Weisungsbefugnissen sein.

Unklar bei der Veränderung der Formalstruktur bleibt jedoch, welche Auswirkungen genau diese Entscheidungen und damit Veränderungen auf die Kultur haben.

Und daraus wiederum folgt, „dass jede Entscheidung zur Veränderung der formalen Strukturen auf der Seite der Organisationskultur nicht nur antizipierte und gewollte, sondern auch ungewollte Nebenfolgen mit sich bringt“ (ebd.).

Schwierig, oder?

Egal, was in der Organisation an der Formalstruktur geändert wird, hat irgendwelche Auswirkungen auf die Kultur der Organisation. Und da soll man als Führungskraft durchblicken, Entscheidungen treffen und entspannt bleiben? Gibt es keine Möglichkeit, Kulturveränderungen „sicher“ anzugehen?

Doch, gibt es, zumindest „halbwegs sicher“:

Culture Hacks!

Unternehmenskultur gestalten: 19 Culture Hacks (nicht nur) für soziale Organisationen

Culture Hacks lassen sich als kleinen Interventionen und Impulse definieren, die einfach, schnell und „sicher“ getan werden können, um eine positive, sich idealerweise verstärkende Veränderung der Formalstrukturen herbeizuführen.

Culture Hacking ist damit die bewusste Gestaltung, Umsetzung und Bewertung kleiner Maßnahmen, um einen positiven kulturellen Wandel in der Organisation herbeizuführen.

Jetzt aber los.

Hier folgen 17 Culture Hacks für die Gestaltung der Unternehmenskultur sozialer Organisationen, die ich aus der eigenen Arbeit und natürlich aus dem Netz zusammengetragen habe. An dieser Stelle ganz lieben Dank an Maike Kueper, die unter dem Link hier einen tollen Thread versammelt hat, der sich ebenfalls mit kleinen Interventionen auf die Kultur befasst. Lohnt sich…

#1: Besprechungen nur im Stehen

Nicht umsonst heißen Daily StandUps StandUps: Sie finden im Stehen statt. Damit soll ausgedehnten Beschwerdesitzungen vorgebeugt werden. Dazu müssen idealerweise alle Möbelstücke aus dem Raum entfernt werden. Denn wenn man sich nirgends anlehnen oder den Ellbogen aufstützen kann, kann man sich auch nicht bequem (bspw. im eigenen Gejammer) niederlassen.

#2: Harte Fragen

Es wird keine Teamsitzung beendet, bevor nicht jede_r drei wirklich schwierige, harte Fragen gestellt hat. Damit sind Fragen gemeint, die man sich normalerweise im informellen Raum an der Kaffeemaschine nach dem Ende der Sitzung gegenseitig unter den Mitarbeiter_innen stellt. Dies setzt psychologische Sicherheit voraus und erfordert auch von der Führungskraft die Bereitschaft, sich auf die schwierigen Fragen offen einzulassen.

#3: Keine verpflichtende Teilnahme an Teamsitzungen

In meinem letzten Beitrag habe ich von der Idee geschrieben, Teamsitzungen zu gestalten, zu denen die Menschen kommen dürfen und nicht müssen. Probier das doch mal bei Dir aus: Es ist kein Problem, wenn jemand nicht kommt. Wenn Teamsitzung einladungsbasiert gestaltet werden, stellst Du fest, ob sie wirklich sinnvoll sind. Alternativ denkbar ist auch, Meetings wie Barcamps zu gestalten und das Gesetz er zwei Füße walten zu lassen: Wenn es Dir nicht passt, stehe auf und gehe aus der Sitzung!

#4: Keine Sitzungen und Meetings

Etwas radikaler als der vorgenannte Hack ist es, einfach mal für eine bestimmte Zeit alle Sitzungen nicht stattfinden zu lassen und zu schauen, was passiert. Vielleicht können endlich mal alle wirklich arbeiten.

#5: Nutzer*innen einbeziehen

Wie wäre es, bei allen (!) zu treffenden Entscheidungen die Nutzer*innen Deiner Organisation, die Zielgruppe, einzubeziehen? Und ja, egal welche Entscheidung – bei allen!

#6: Tabus benennen

Installiere ein Whiteboard im Eingang Deiner Organisation und schreibe nur eine einzige Frage drauf: „Was ist das größte Tabu hier ?“ Und dann lege jede Menge PostIts und Stifte daneben. (Danke an Nicolas Korte für die Idee) Alternativ könntest Du auch die Frage draufschreiben: „Wenn du eine Sache hier ändern könntest, was wäre das?“

#7: DUzen

Keine Ahnung, wie es in Deiner Organisation gehandhabt wird, aber wie wäre es, einfach alle zu duzen – wie gesagt, zumindest für einen begrenzten Zeitraum?

#8: Menschen zum Lern Coffee einladen

Selbst getestet und für gut befunden: Kennst Du alle Menschen in Deiner Organisation? Naja, alle ist vielleicht etwas viel. Aber gestalte doch eine Einladung zu einem Leon Coffee und verteile diese an Menschen, von denen Du denkst, dass ein Austausch weiterhelfen kann. Leon Coffee kennst Du nicht? Dann schau doch mal hier. https://agile-verwaltung.org/2016/08/18/aus-der-agilen-methodenkiste-lean-coffee-kollegialer-wissensaustausch-leicht-gemacht/

#9: Barcamp veranstalten

Ja klar, etwas aufwendiger, aber warum muss die nächste Veranstaltung in Deiner Organisation so wie immer (Kaffee, Vorstand spricht, Pausen sind das Beste) ablaufen? Wie wäre es stattdessen mit einem organisationsinternen Barcamp?

#10: Menschen auf Barcamps schicken

Wenn es schon kein eigenes Barcamp ist, warum nicht einfach festlegen, dass jede*r im Team mindestens ein Barcamp pro Jahr besuchen muss? Ja, muss! Um zu erleben, welche Kraft die Ideen der vielen entfalten kann und wie singhaft es ist, mitzugestalten.

#11: 10% Arbeit an eigenen Projekten ermöglichen

Ja, ich weiß, in unserem Kontext ist das oft schwierig, da sowieso alle zu 110 % ausgelastet sind und freie Zeit schon mal gar nicht finanziert wird. Aber vielleicht gelingt es ja für einen begrenzten Zeitraum: Jede_r darf 10% seiner_ihrer Arbeit für eigene Ideen, Projekte oder auch für das eigene Lernen aufwenden, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Am Ende wird vorgestellt, wer sich mit was befasst hat.

#12: Montags keine Meetings

Oben hatte ich ja vorgeschlagen, gar keine Meetings zu machen. Aber wie wäre es, wenn zumindest ein Tag in der Woche meetingfrei wäre? Gerne in Verwaltungs-, Führungs- oder Referent_innenpositionen muss man neben den Meetings ja auch irgendwann mal arbeiten…

#13: Geld für die Kündigung

Wie wäre es, jedem_r Mitarbeiter_in 5.000 EUR anzubieten, wenn er oder sie sofort kündigt? Klingt komisch, bringt aber zum Nachdenken über die Passung zum Unternehmen… Ja, ich weiß, unter Bedingungen des Fachkräftemangels nicht so einfach. Und gleichzeitig ist es so, dass die Menschen in der Organisation die Kultur prägen, immer.

#14: Feheler feiern

Oben hatte ich was von Fehlerkultur geschrieben. Aber mal ernsthaft: Geben wir Fehler gerne zu? Eher nicht, oder? Wir sind es vielmehr gewohnt, dass Fehler mit Sanktionen geahndet werden, was dazu führt, dass man neue, vielleicht etwas riskante Dinge gar nicht erst angeht. Wie wäre es stattdessen, Fehler explizit zu belohnen (Fehler des Monats?) und – das ist wichtig – daraus zu lernen?

#15: Befassung mit dem Wie der Zusammenarbeit

Anstatt dauernd über das Was (Aufgaben, Zeiten, Telefondienst…) zu sprechen, eine Teamsitzung explizit zur Festlegung von Leitlinien der gemeinsamen Zusammenarbeit nutzen und das gemeinsame Wie der Zusammenarbeit festlegen. Diese Leitlinien immer wieder anpassen (bspw. bei MA-Wechsel).

#16: 1 – 2 – 4 – all in Teamsitzungen nutzen

Irgendwie ist es doch immer so, dass die Lautesten am meisten sprechen?! Dagegen hilft es, die Methode 1 – 2 – 4 – all aus den liberating structures zu nutzen und somit alle (!) Beteiligten zu Wort kommen zu lassen.

#17: Lesen

Jede*r im Team muss ein (Fach-)Buch im Monat lesen und darüber berichten. Was??? Es gibt Fachbücher? Ja, sogar für das Sozialwesen. Aber leider ist es so, dass Fachliteratur nach dem Studium kaum noch in die Hand genommen wird. Das solltest Du ändern. Und wer nicht gerne liest: Wie wäre es mit Podcasts oder Youtube-Videos, die dann gemeinsam reflektiert werden und deren Ideen für die gemeinsame Arbeit genutzt werden?

#18: Bewerbungsverfahren abschaffen

Oben hatte ich den Fachkräftemangel schon mal erwähnt. Dieser ist real in unserer Branche. Und wie wäre es vor dem Hintergrund, einfach auf die oft sinnlosen Bewerbungsverfahren zu verzichten und nur die notwendigsten Dokumente einzufordern? Und dann gemeinsam zu arbeiten und die Probezeit wirklich als Probezeit – für beide Seiten – zu verstehen?

#19: Die Mitarbeiter_innen nach weiteren Culture Hacks fragen

Yoah, warum eigentlich nicht? Da kommt sicherlich etwas Spannendes zustande. Und dann einfach mal ausprobieren, was wie wirklich wirkt…

Experimentieren, oder: Der Culture Hacking Prozess

Im letzten Punkt habe ich „einfach mal ausprobieren“ geschrieben. Ein Prozess, der Sicherheit im Neuen gibt, macht jedoch Sinn. Denn um Culture Hacks einzuführen und zu testen ist ein experimentelles, aber trotzdem geleitetes Vorgehen hilfreich. Das geht so:

Der erste Schritt ist, sich im Team für einen Culture Hack, den man für einen bestimmten Zeitraum testen will, zu entscheiden. Hier hilft ein hypothesenbasiertes Vorgehen: „Wenn wir XY testen, passiert Z!“

Dann wählt man idealerweise eine_n Beauftrage_n, die den Prozess organisiert und am Laufen hält.

Zum Prozess ist relevant, einen Zeitraum bzw. eine Häufigkeit der Durchführung des Hacks festzulegen. Der Zeitraum sollte nicht zu lang und nicht zu kurz sein. Bewährt haben sich Zeiträume zwischen einem und drei Monaten, so dass genug Lernmöglichkeiten bestehen, das Durchhalten möglich ist und nicht vorzeitig abgebrochen wird.

Relevant ist außerdem, dass Feedback und Rückmeldungen zur Intervention gesammelt und nicht direkt diskutiert werden. Denn dazu sind die Retrospektiven da:

In der Retrospektive wird dann geschaut, was gut lief und wo Schwierigkeiten aufgetreten sind. Wichtig ist hier die Teamentscheidung, ob man den Hack fortsetzen oder wieder einstellen will. Darauf folgt dann entweder der nächste Schritt oder eine Pause.

Übergreifend macht es dann Sinn, die Erkenntnisse und Erlebnisse im Sinne des Co-learnings in der Organisation weiterzutragen.

Zum Abschluss ist mir noch wichtig, dass es sich bei den hier skizzierten Hacks um Culture Hacks auf Teamebene handelt. Es lohnt sich aber auch, zu überlegen, was Du ganz individuell ändern kann, um Impulse zu setzen und Veränderung zu bewirken. Wie wäre es bspw. damit, jeden Tag jemandem ganz explizit Danke zu sagen und die Arbeit einer_s Kolleg_in zu wertschätzen? Oder noch einfacher: Setz Dich einfach mal in der nächsten Teamsitzung auf den Platz, an dem normalerweise der_die Chef_in sitzt… 😉


Und jetzt Du: Welche Hacks kennst Du noch? Welchen Hack willst Du bei Dir vielleicht sogar testen? Und wenn Du schon getestet hast: Welche Erfahrungen hast Du gemacht? Lass uns teilhaben an Deinen Erfahrungen.

Quellen:

  • Herget, J. (2021): Culture Hacks strategisch einsetzen – Mit gezielter Irritation zur gewünschten Unternehmenskultur. Springer. Download.
  • Kühl, S. (2018): Organisationskulturen beeinflussen (German Edition) (S.57). Springer Fachmedien Wiesbaden. Kindle-Version.
  • Schein, E.H. (1985): Organizational Culture and Leadership. A Dynamic View, San Francisco etc. (Jossey-Bass).

Teamsitzungen gestalten – aber sinnvoll!

Tags: , , , , , , , ,

Die Corporate Rebels fragen in einem netten Beitrag, was passieren würde, wenn man einfach mal alle „Meetings“ aus dem Kalender streicht. Sie fordern „A Super-Strict Meeting Lockdown. Now!“. Was würde bei Dir in einem Meeting Lockdown passieren? Wahrscheinlich nicht so viel, oder? Und das ist schon spannend: Meetings, Teamsitzungen und Besprechungen sind Teil unserer Arbeitskultur. Sie gehören dazu. Und gleichzeitig kenne ich viele Menschen, die nicht nur genervt sind, sondern regelrecht Bauchschmerzen vor der nächsten Teamsitzung haben. Aber woran liegt das? Und was kann man ändern? Wie können wir Teamsitzungen sinnvoll gestalten? Darum geht’s hier!

Warum sind Teamsitzungen oft unbeliebt?

Diese Frage habe ich kürzlich auf Twitter gestellt:

https://twitter.com/HendrikEpe/status/1528385722641678336

Da es etliche Antworten gab, will ich diese hier nicht alle wiedergeben. Ich versuche vielmehr eine kurze Zusammenfassung zu machen:

#ThiscouldHaveBeenAnEmail

Wie oft bist Du schon aus einer Sitzung gegangen mit dem Gefühl, dass dieses Treffen besser eine Email gewesen wäre? So ist ein Problem, das immer wieder aufgezeigt wird, Teamsitzungen als reine Informationsveranstaltungen zu gestalten. Informationsweitergabe gelingt besser und einfacher in einer Email, von mir aus auch in einem kurzen Video oder in einem internen Podcast. Noch dazu sind reine Infoveranstaltungen langweilig und langwierig. Ebenso machen reine Veranstaltungen zur Organisation keinen Sinn, sofern die Organisation von was auch immer nicht alle Teilnehmer*innen betrifft.

Mehr als ein Thema

Immer wieder wurde auch genannt, dass Teamsitzungen viele verschiedene Themen reinnehmen, wodurch der Fokus auf ein Thema und die Lösung von einem Problem verloren geht. Kurz: Es wird zu viel in ein Meeting gepackt.

Keine Agenda

Ein weiteres Problem scheint immer wieder zu sein, dass man sich trifft, um sich zu treffen. Eine vorab definiert Agenda fehlt. Ohne Agenda leidet natürlich auch die Vorbereitung: Worauf soll man sich vorbereiten, wenn niemand weiß, was dran kommt? Ich kann mich noch gut an einige Teamsitzungen erinnern, in denen zu Beginn gefragt wurde, wer denn etwas hätte. Außer der Chefin waren das nie viele Personen.

Keine Zielsetzung

Das Ziel ist doch klar! Oder? ODER? Oder eben doch nicht? Wozu treffen wir uns eigentlich? Ganz so einfach zu beantworten ist das oft nicht. Vor allem dann nicht, wenn Teamsitzungen mehr als Informationsveranstaltungen sein sollen.

Push statt Pull

Themen werden aufgedrückt, anstatt diese durch die Teilnehmer*innen anhand von Notwendigkeiten und Prioritäten ziehen zu lassen. Hier werden fehlende agile Werthaltungen deutlich: Ich (als Chef) weiß doch, was wichtig ist – und darüber sprechen wir jetzt!

Ego first

Vor allem bei dominanten Personen in der Gruppe wird es schnell so, dass diese Person, genau, dominiert. Das Ego steht vor der gemeinsamen Zielsetzung und es geht nicht um die Ergebnisse, sondern um ein Präsentieren der dicksten…

Warum bist du dabei?

Ein Problem, das ebenfalls immer wieder genannt wurde, ist, dass die falschen Personen am Meeting teilnehmen. Klingt in unserem sozialen Kontext komisch, aber wenn die Zielsetzung und die Agenda klar ist, macht es Sinn zu überlegen, ob ich überhaupt einen nennenswerten Beitrag zur Teamsitzung leisten kann. Falls nicht, warum bin ich bzw. sind dann alle dabei? Denn: Wenn die, die da sind, die richtigen sind, dann wird es auch was mit dem Ergebnis.

Bei dieser kurzen Auflistung will ich es belassen. Mehr dazu findet ihr unter dem Tweet – das lohnt sich wirklich. Und bevor Du weiterliest, lohnt sich, über das Zitat von Peter Drucker nachzudenken:

„Meetings sind ein Symptom für schlechte Organisation. Je weniger Meetings, desto besser.“

Peter Drucker

Wie kann man Teamsitzung gestalten – aber sinnvoll?

Kommen wir aus der Problemfokussierung hin zur Lösungsorientierung:

Was kannst Du tun, um Deine Sitzung in Zukunft besser, anders, neu gestalten?

Logo, einfach das, was auf Twitter als Problem angesprochen ist, NICHT machen 😉 Aber ich will das etwas strukturieren, im Wissen, dass es auch im Netz und sonstwo tausende Hinweise und Tipps gibt, gute Meetings zu gestalten.

Hier ein Hinweis, dass die Befassung mit Meetings schon damals nicht neu war 😉

Thanks @hirndummy für das Bild 😉

Wozu treffen wir uns?

Vorab ist zu definieren, was Zweck des Meetings ist. So braucht jedes Meeting einen klares Zweck und ein klares Ziel. Entsprechend solltest Du Dich immer fragen: Warum braucht es diese Zusammenkunft? Was soll mit unserem Treffen erreicht werden? Zweck und Ziel sind entsprechend in der Einladung zum Teamsitzung zu kommunizieren.

Dieses Vorgehen macht auch bei regelmäßigen Sitzungen sind: Besprecht einmal im Team, wozu es die regelmäßigen Treffen gibt und welche Ziele ihr damit verfolgt. Haltet Zweck und Ziel fest und reflektiert diese dann regelmäßig (bspw. einmal im Jahr neu). Hierzu bieten sich Leitlinien für Teams an, in denen festgehalten ist, warum es bestimmte Treffen gibt.

Diesen Punkt abschließend will ich auf die Möglichkeit verweisen, Teamsitzungen hinsichtlich ihres Zwecks zu unterscheiden: Wie wären

a) wöchentliche, kurze Sitzungen, in denen der operative Alltag thematisiert wird,

b) monatlich aber mindestens ein Treffen zu absolvieren, in denen bspw. die Fallarbeit explizit im Vordergrund steht und

c) jedes Quartal die Ausrichtung, Weiterentwicklung und die Strategie in den Fokus der Teamsitzung zu nehmen?

Welches Format wählen wir?

Wie soll die Teamsitzung stattfinden? Welches Format macht für den Zweck des Meetings Sinn? Hier gibt es ja – auch durch die Pandemie vorangetrieben – Gott sei Dank inzwischen mehr Optionen als ausschließliche Treffen vor Ort. Warum machst Du nicht bspw. einmal monatlich ein Präsenztreffen und die restlichen Wochen finden die Teamsitzungen online statt? Oder hybrid (was eine Herausforderung darstellt)? Persönlich frage ich mich immer mal wieder, warum meine Frau den Weg zu ihrer Arbeitsstelle auf sich nehmen muss, um nicht unbedingt begeistert aus der Sitzung zurück zu kommen (und über Ressourcenverbrauch sprechen wir noch nicht mal…).

Über die Frage nach online und/oder Präsenz hinaus geht die Frage des sinnvollen Aufbaus: Welche Methoden, welche Formen der Dokumentation machen Sinn? Dazu aber wieder zur Frage vorher zurück: Wenn klar ist, welcher Zweck verfolgt werden soll, kann auch das Format gewählt werden.

Aus meiner Perspektive gehört zu einem guten Format immer auch ein „CheckIn“ (im Sozialen besser bekannt als „Befindlichkeitsrunde“ 😉 und ein CheckOut. Ich nutze immer gerne das Tool „CheckIn Fragen Generator, das auch CheckOut-Fragen generieren kann – einfach, schnell und öffnend.

Wer muss dabei sein?

Thomas Mampel schreibt, dass sie im Stadtteilzentrum Steglitz einen Versuch starten wollen, testweise auf Freiwilligkeit bzgl. der Teilnahem umzustellen. Das klingt erstmal nett: Ich bin dabei, wenn ich Bock habe?! Aber Thomas ergänzt, dass die Verbindlichkeit der Ergebnisse auch für die Menschen gewahrt bleiben muss, die nicht teilnehmen wollen (oder können):

https://twitter.com/TMampel/status/1528419110991937536

Aber sich die Fragen zu stellen, wer gebraucht wird, um das Ziel der Teamsitzung zu erreichen, ist hochgradig spannend. Vielleicht gibt es auch Personen, die unbedingt teilnehmen sollten? Und insgesamt macht es natürlich Sinn, so wenige Personen wie möglich und so viele, wie nötig einzuladen. Einfachheit ist essentiell, wie es im agilen Manifest so schön heißt.

Wie ist das zeitliche, räumliche und technische Setting?

Passen Raum und Zeit für den Zweck des Meetings? Hier treten immer wieder Probleme auf: Haben die Beteiligten bei Online-Meetings die notwendigen, technischen Voraussetzungen zur guten Teilnahme? Das ist in der Sozialwirtschaft nicht selbstverständlich. Und auch bei Teamsitzungen in Präsenz:

Ist der Raum so gestaltet, dass ein gutes Meeting stattfinden kann? Und darunter verstehe ich nicht, dass jede*r einen Tisch hat, es Kaffee und trockene Kekse gibt. Eher im Gegenteil: Muss der ganze Schnickschnack betrieben werden, oder machen Teamsitzungen ohne Tische, um Stuhlkreis, nicht oft vielmehr Sinn, wenn es um echten Austausch gehen soll? Und die Teamsitzungen heißen Teamsitzungen, weil man sitzt. Aber warum eigentlich? Macht stehen Sinn? Vielleicht sogar liegen?

Unter dem technischen Setting verstehe ich, dass es relevant ist, das benötigte Material vor Ort zu haben und nicht erst während der Sitzung nach der Flipchart, den Stiften und den PostIts zu suchen. Und im Online-Setting finde ich es immer noch faszinierend (beängstigend), dass es Menschen gibt, die während und auch nach der Pandemie noch nie mit einem Whiteboard gearbeitet haben (mein Tool ist hier Conceptboard). Frage mich dann immer, wie die Sitzungen in den letzten Jahren (!) gelaufen sind?!

Kurz noch zur zeitlichen Gestaltung: Versucht, Teamsitzungen so kurz wie möglich zu gestalten. Führt klare Zeiteinheiten ein, die dann auch eingehalten werden. Oftmals ergeben sich durch den Zeitdruck enorm gute Ergebnisse, da die Länge des blabla begrenzt ist. Hilfreich ist die Nutzung eines Timers, der anzeigt, wann die angesetzten 10 Minuten vorbei sind. Auch in Kleingruppen hat sich für mich die Methode 1 – 2 – 4 – all extrem bewährt (auch wenn sie sich anfänglich etwas gehetzt anfühlt).

Wer moderiert?

„Keine Meeting ohne Moderation.“ Das schreibt die Neue Narrative auf ihrer Meeting Canvas. Ich kann mich noch gut an Teambesprechungen erinnern, in denen unklar war, wer die Moderation übernimmt. Katastrophe. Meist wird die Rolle dann durch die Teamleitung übernommen. Ebenfalls Katastrophe.

Vielmehr ist vorab zur klären, wer für die Moderation verantwortlich ist. Ohne eine Klärung vorab ist eine Vorbereitung auf die Moderation nicht möglich. Nur im äußersten Notfall ist es hilfreich, die Moderation im Meeting zu übernehmen. Vielleicht schreibe ich mal noch einen Beitrag dazu, wie eine Moderation idealtypisch abläuft, denn: Einfach so voraussetzen, dass jede*r eine Teamsitzung (und dann auch noch ohne Vorbereitung) moderieren kann, können wir nicht!

Wie wollen wir die Ergebnisse transparent dokumentieren?

Wie wird sichergestellt, dass die Ergebnisse des Treffens festgehalten werden? Ja, klar, Protokoll! Das wird dann im Anschluss rumgeschickt… Aber Hand aufs Herz: Wer hat in seinem Leben schon jemals ein Protokoll gelesen? 😉

Nein, ernsthaft: Macht die Doku im Protokoll Sinn? Wirklich transparent ist das nicht. Macht es vielleicht vielmehr Sinn, die Ergebnisse auf einem (digitalen oder analogen) Teamboard festzuhalten (check this link für eine gute Vorlage für ein Teamboard)? Und macht es dann noch vielmehr Sinn, unmittelbar zu den aus den Ergebnissen folgenden Aufgaben Verantwortlichkeiten und Zeiträume für alle einsehbar festzuhalten? Aber hallo… Daraus resultiert dann auch die immer wieder bemängelte Verbindlichkeit in der Umsetzung der Aufgaben und Themen, die festgehalten wurden.

Relevant ist die transparente Gestaltung der Doku auch, da es gerade in der Sozialwirtschaft Teams gibt, die sich kaum gemeinsam treffen können. So behindern Arbeitsfelder, in denen die Betreuung der Bewohner*innen 24/7 an 365 Tagen im Jahr sichergestellt sein muss, die Möglichkeit, gemeinsam und kontinuierlich an Themen zu arbeiten.

Ja, tatsächlich, so etwas gibt es…

Wie sammeln wir die Themen für die nächste Teamsitzung?

Eine kurze Mail 30 Minuten vor der Teamsitzung, ob noch irgendwer Themen hat, macht keinen Sinn. In meinen Augen braucht es so etwas wie einen für alle immer leicht zugänglichen Ort, an dem Themen, neue Ideen, Fragen etc. gesammelt werden. Hier bietet sich wiederum das Teamboard (s.o.) an. Hilfreich kann eine Aufteilung der Themenbereiche in „Persönliche Themen“, „Beziehungsthemen (Konflikte…)“, „Fachlich-inhaltliche Themen“ und „organisational-strukturelle Themen“ sein. Mit dieser „Vier-Felder-Tafel“ (was würden Berater*innen ohne Vier-Felder-Tafeln machen?) sind alle wesentlichen Themenfelder abgedeckt.

Und aus einer guten, kontinuierlich laufenden Themensammlung kann dann auch das oben angesprochene „Push- statt Pull-Prinzip“ gelöst werden: Anstatt (angeblich) wichtige Themen (durch den*die Vorgesetzte) aufzudrücken (push), werden die anstehenden Themen nach Priorität gezogen (pull) und damit adäquat und zeitgerecht bearbeitet.

Falls es dann aber doch nicht möglich war, sich auf die Themen angemessen vorzubereiten: Warum nicht am Anfang (nach dem CheckIn 😉 kurz 10 Minuten Zeit zum Einlesen (in das letzte Protokoll oder was auch immer) zu geben, damit alle auf dem richtigen Stand sind?

Wann reden wir über uns?

Habt ihr Teamsitzungen (oder zumindest Zeiten in der Teamsitzung) reserviert, um Euch über Euch zu unterhalten? Falls noch nicht, versucht es mal: In sog. „Clear the air“ Meetings kann explizit (aber bitte strukturiert und respektvoll) Dampf abgelassen und Feedback gegeben werden. Außerdem macht es Sinn, hier die Art der Zusammenarbeit in den Fokus zu nehmen: Wie wollen wir arbeiten? Passt unsere Kommunikation untereinander? Leben wir die Werte, die irgendwo mal verschriftlicht waren? Usw…

Geben Dir Teamsitzungen Kraft?

Noch einmal: Das hier ist alles nicht neu oder besonders innovativ. Aber ich wollte es einmal für mich sammeln (und Dir damit vielleicht auch eine Handlungsanweisung mitgeben). Hier will ich aber noch einen Kernpunkt ansprechen:

So ist mein Gefühl (aus eigener Erfahrung, aus familiärer Erfahrung, aus der Erfahrung auf etlichen Elternabenden und basierend bspw. aus der Abfrage auf Twitter), dass Meetings, Teamsitzungen, Treffen… alles andere als „beliebt“ sind.

Oftmals rauben sie uns Zeit (sowieso). Oftmals rauben sie uns aber auch Kraft und Energie. Wenn das bei Dir so ist, solltest Du dringend an der Änderung der Gestaltung der Meetings arbeiten.

Damit die Frage an Dich: Wie wäre es, wenn Teamsitzungen Energie geben, die Motivation stärken, Begeisterung für die gemeinsame Arbeit wecken? Und was musst Du in Deinem Team dafür tun? Vielleicht fragst Du einmal nach, wie ein anderes, neues Setting der Teamsitzungen aussehen würde, das Kraft und Energie gibt anstatt klaut?

Teamsitzungen als Lernraum der Organisationsentwicklung

Abschließend erachte ich die Zeiten und Räume, in denen die Teamsitzungen stattfinden, als ideale Lern- und Experimentierräume um im Kleinen zu testen, wie iterativ größere Veränderungen in der Organisation ins Leben können. So wird immer wieder gefragt, wie man denn anfangen soll mit der Organisationstransformation.

Mein Tipp: Beginnt in den Teamsitzung mit iterativer, hypothesengestützter Arbeit an den für Euch wichtigen Veränderungen. Das geht wie folgt:

  1. Besprecht Herausforderungen, und haltet die Erkenntnisse aus den Gesprächen fest.
  2. Geht dann in die Frage, welche Hypothesen sich daraus ableiten lassen: „Wenn wir XY ändern, passiert Z!“
  3. Und legt dann konkrete Handlungsschritte fest, wie die Hypothese angegangen und getestet werden kann.
  4. Reflektiert dann mithilfe einer Retrospektive in einer der nächsten Sitzungen, ob ihr tatsächlich eine Veränderung erreicht habt, wo Hindernisse sind und was auch nicht funktioniert hat. Hier hilft die Methode „What, So What, Now What? W³“ aus den Liberating Structures schnell, einfach und zielführend. Aber wie gesagt: Ohne Reflexion über das, was sich geändert hat, macht alle Veränderung keinen Sinn.

Jetzt bin ich sehr gespannt auf Dein Feedback zur Gestaltung Deiner Teamsitzungen! Wie geht ihr vor? Was sind hilfreiche Tipps und Formate? Lass doch gerne nen Kommentar hier im Blog!

Ach ja, und zu den Leitlinien im Team findest Du hier nen Beitrag und hier einen kleinen Online-Workshop, der am kommenden Montag, 30.05.2022 via Zoom stattfindet und zu dem ich Dich gerne begrüßen würde…

Social Work Future Skills, oder: Welche Kompetenzen brauchen wir in der Zukunft?

Tags: , , , , , ,

Puh, so viele englische Wörter, da wird einem ganz schwummrig. Aber im Zuge eines Workshops befasse ich mich gerade mit der Frage, welche Zukunftskompetenzen, welche Future Skills, für die Soziale Arbeit notwendig sind und wie es gelingen kann, diese zu entwickeln.

Hier will ich versuchen, meine Gedanken dazu etwas zu sortieren und Ideen zu generieren, die – aus meiner Sicht – zukünftig für die Soziale Arbeit relevant sind. Dazu werde ich auf die Diskussion rund um den Begriff der Future Skills eingehen, die Diskussionen zusammenführen und daran anschließend den Übertrag auf die Soziale Arbeit versuchen.

Hintergrund ist auch, dass mein Beitrag zu den „14 wichtigsten Kompetenzen für Soziale Arbeit und was das mit der Zukunft der Gesellschaft zu tun hat“ der mit Abstand meistgelesene Beitrag auf meinem Blog ist. Die Befassung mit den für Soziale Arbeit benötigten Kompetenzen scheint somit hoch relevant zu sein. Das könnte – so eine These – auch daran liegen, dass Sozialarbeiter_innen immer das Gefühl haben, „nichts so richtig“ zu können (was ich im Übrigen für ziemlichen Quatsch halte, im Gegenteil sogar).

Mit Blick auf die Future Skills ist schon zu Beginn darauf zu verweisen, dass die Diskussionen um Future Skills umfänglich und alles andere als einheitlich, empirisch gesichert und damit abschließend sind. Als weitere Herausforderung kommt hinzu, dass auch „die Soziale Arbeit“ kaum fassbar ist, da wir über eine Disziplin sowie Profession (really?) sprechen, die enorm ausdifferenziert ist.

Somit: Lass Dich auf eine Reise ein, die vielleicht spannend, vielleicht verwirrend und sicherlich nicht zu einem für alle gleichen Ziel führt. Es gilt vielmehr, immer wieder, in Schleifen, für Dich zu reflektieren, was in Zukunft für Dein Arbeitsfeld und Deine persönliche Entwicklung relevant werden wird. Denn – frei nach Tiger und Bär:

„Die Zukunft ist nie dort, wo man sich befindet.“

Future Skills – was ist das eigentlich?

„Future Skills werden definiert als Fähigkeiten, die in den nächsten fünf Jahren für das Berufsleben und/oder die gesellschaftliche Teilhabe deutlich wichtiger werden – und zwar über alle Branchen und Industriezweige hinweg.“

Dann ist alles klar, oder?

Nicht ganz, glaube ich, denn diese Definition oben ist „nur“ die Definition des Stifterverbands, die in einer gemeinsamen Arbeit mit McKinsey (you know, Konkurrenz von mir) entstanden ist. Das zeigt bereits ein Problem:

Future Skills werden vornehmlich aus der Perspektive von Unternehmen gedacht. „Was brauchen wir perspektivisch für Fähigkeiten unserer „Humanressourcen“, damit unser Laden weiter läuft?“ Der Stifterverband selbst schreibt, dass deren Arbeiten zu Future Skills davon ausgehen, dass „für Future Skills zwar bereits eine Reihe von Kompetenzkategorisierungen entwickelt wurden (…), aber die aktuellen Kompetenzbedarfe der deutschen Unternehmen dort bislang kaum adressiert sind.“

Schon in diesem Satz zeigt sich – neben der Unternehmensfokussierung – eine Paradoxie: Wenn die aktuellen Kompetenzbedarfe kaum adressiert sind, hat das wenig mit Future zu tun, oder übersehe ich etwas?

Die angesprochenen weiteren Kompetenzkategorisierungen im Bezug zu Future Skills finden sich übrigens unter anderem bei der OECD, dem World Economic Forum oder dem McKinsey Global Institute.

Zusammenfassend zeigt sich eine bunte Diskussion zum Thema, die immer kritisch zu beleuchten ist: Wer definiert hier was als Kompetenzen der Zukunft und vor allem: Warum?

Ach ja, „kritisch beleuchten“ würde ich vielleicht schon hier als eine der Future Skills bezeichnen:

Nur weil Klaus irgendwas im Internet gefunden hat, muss das nicht stimmen!

https://cdn.unitycms.io/images/4EvIaY2dK7kBB_Ik_1Oth0.jpg?op=ocroped&val=2001,2000,1000,1000,0,0&sum=6hhMv___zv4

Zur Komplexitätsreduktion in diesem Beitrag werde ich die folgende Definition von Future Skills von Ehlers (2020, 57) zugrundelegen:

Future Skills werden hier als Kompetenzen definiert, „die es Individuen erlauben in hoch emergenten Handlungskontexten selbstorganisiert komplexe Probleme zu lösen und (erfolgreich) handlungsfähig zu sein. Sie basieren auf kognitiven, motivationalen, volitionalen sowie sozialen Ressourcen, sind wertebasiert, und können in einem Lernprozess angeeignet werden.“

Aus dieser Definition folgend wird davon ausgegangen, dass sich unsere Welt auch in Zukunft nicht „einfacher“, sondern zunehmend dynamisch und damit komplexer entwickeln wird. Damit ist es kaum möglich, Kompetenzen als einmal gelernt und feststehend zu definieren. Die Entwicklungen verdeutlichen vielmehr die Notwendigkeit des kontinuierlichen Lernens (s.u.). Dies gilt auch und insbesondere für Fachkräfte der Sozialen Arbeit. .

Wesentlich in der obigen Definition erscheint mir der Begriff der Emergenz:

„Insbesondere solche Handlungskontexte, die hochemergente Entwicklungen von Lebens-, Arbeits-, Organisations- und Geschäftsprozessen aufweisen, benötigen Future Skills zur Bewältigung der Anforderungen. Emergenz definiert also die Trennlinie, die bisherige oder traditionelle Arbeitsbereiche und zukünftige Arbeitsbereiche voneinander abgrenzt.“

Emergenz ist erläuterungsbedürftig:

Emergenz sagt, dass aus Unordnung oder auch „aus dem Nichts“ selbstorganisiert neue und geordnete Strukturen in und von Systemen entstehen. Auf der Mikro-Ebene kann man sich das gut vergegenwärtigen, wenn man an die Begegnung von zwei unbekannten Menschen denkt: Aus ihrem „jeweils individuellen Verhaltens-Repertoire (das wiederum durch „Persönlichkeit“, „Lebenserfahrung“ etc. beeinflußt wird)“ (Klick) bildet sich selbstorganisiert ein für dieses Paar spezifisches Interaktionsmuster heraus, das beobachtet, beschrieben und rekonstruiert werden kann. Das Interaktionsmuster ist aber „weder durch die individuellen vorherigen Verhaltensweisen noch durch Gesellschaft, Kultur etc. allein bestimmt“ (ebd.).

Auf der Organisationsebene zeigt sich, dass eine Unterdrückung von der Möglichkeit zur Emergenz, bspw. durch rigide Führung von oben, durch Verhinderung von Diversität, durch Nachbesetzung von Stellen durch Personen mit immer gleichen Eigenschaften etc., es dazu kommen kann, dass Fortschritt, Lernen und Innovation der Organisation nicht mehr möglich sind. Man „schmorrt im eigenen Saft“, ohne neue Entwicklungen.

Auf individueller Ebene ist bezogen auf die Future Skills hervorzuheben, dass es innerhalb dieser emergenten Handlungskontexte um die Lösung komplexer Probleme und die Notwendigkeit geht, handlungsfähig zu bleiben und nicht in „Schockstarre“ zu verfallen. Handlung und Problemlösung stehen vor dem Erwerb von „Fachwissen“:

„In Bezug auf Fachkompetenz und Wissensbestände zeigt die Future Skills Studie, dass sich in vielen Organisationen immer mehr die Erkenntnis durchsetzt, dass die Fähigkeit (…) zur Selbstinitiative, also dem Nachgehen und Umsetzen der (…) Impulse und Ideen und die damit eng verbundene Selbstkompetenz eine gleichwertige, wenn nicht vielleicht sogar wichtigere Rolle spielt als das Fachwissen“ (Ehlers, 2020, 16).

Der Blick auf die Arbeitsfelder Sozialer Arbeit zeigt, dass Emergenz und damit die Neubildung von Strukturen und Mustern in Systemen nicht nur Alltag ist (bspw. in der Begegnung der Sozialarbeiter_innen mit immer neuem Klientel), sondern sogar als Zweck Sozialer Arbeit definiert werden kann. Als Beispiel gilt es in der Gemeinwesenarbeit, die Voraussetzungen zu schaffen, dass sich neue Strukturen innerhalb der Quartiere (selbstorganisiert) gestalten können.

Aber jetzt etwas konkreter:

Welche Future Skills gibt es?

Noch einmal: Hintergrund dieser Ausführungen sind die Überlegungen ausgehend von der „NextSkills Studie“ , die Ehlers in dem o.g. Buch darlegt (vgl. näher ebd., 31ff). Ich nutze die Ausführungen von Ehlers auch vor dem Hintergrund, dass Beloch (2020, 73) diese als „in hohem Maße anschlussfähig für die Soziale Arbeit“ sieht.

Die Ergebnisse der Studie kommen übergreifend zu drei Dimensionen, anhand derer die Future Skills strukturiert werden (ebd., 61):

  1. „Individuell-entwicklungsbezogene Future Skills, die sich auf die Entwicklungsfähigkeit der eigenen Person beziehen, hier individuell-entwicklungsbezogene Kompetenzen genannt,
  2. solche Future Skills die sich auf den Umgang mit bestimmten Gegenständen, Arbeitsaufgaben und Problemstellungen beziehen, hier individuell-objektbezogene Kompetenzen genannt, und
  3. solche Future Skills, die sich auf den Umgang mit der sozialen, organisationalen und institutionellen Umwelt beziehen, hier als organisationsbezogene Kompetenzen bezeichnet.“

Im Folgenden werde ich die Kompetenzen aufgrund des damit einhergehenden Aufwands nicht in der Tiefe beschreiben (vgl. dazu Ehlers, 2020, 63ff), sondern zunächst nur auflisten und die kurze Erläuterung aus der tabellarischen Übersicht von Ehlers (ebd., 94ff) einsetzen, um sie dann im nächsten Schritt übergreifend in Verbindung zur Sozialen Arbeit zu setzen.

Kompetenzfeld I: individuell-entwicklungsbezogene Future Skills

Subjekt-entwicklungsbezogene Kompetenzen umfassen die Fähigkeiten im eigenen Professions- Umfeld subjektiv handlungsfähig und aus sich heraus, selbstgesteuert lernen und sich entwickeln zu können. Dabei spielen eine hohe Autonomie, Selbstkompetenz, Selbstwirksamkeit und Leistungsmotivation eine wichtige Rolle.

  • Future Skill Profil #1: Lernkompetenz

Lernkompetenz ist die Fähigkeit und Bereitschaft zum Lernen, insbesondere zum selbstgesteuerten Lernen. Sie erstreckt sich auch auf metakognitive Fähigkeiten.

  • Future Skill Profil #2: Selbstwirksamkeit

Selbstwirksamkeit ist die Überzeugung und das Selbst-)Bewusstsein dafür, die zu bewältigenden Aufgaben mit den eignen Fähigkeiten umsetzen zu können, dabei Verantwortung zu übernehmen und Entscheidungen treffen zu können.

  • Future Skill Profil #3: Selbstbestimmtheit

Selbstbestimmungskompetenz bezeichnet die Fähigkeit, im Spannungsverhältnis von Fremd- und Selbstbestimmung produktiv zu agieren und sich Räume zur eigenen Autonomie und Entwicklung zu schaffen, sodass die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse in Freiheit und selbstbestimmt angestrebt werden kann.

  • Future Skill Profil #4: Selbstkompetenz

Selbstkompetenz ist die Fähigkeit, eigene persönliche und berufliche Entwicklung weitgehend unabhängig von äußeren Einflüssen zu gestalten. Dazu gehören Teilkompetenzen wie zum Beispiel selbständige Motivation, Zielsetzung, Planung, Zeitmanagement, Organisation, Lernfähigkeit und Erfolgskontrolle durch Feedback, aber auch Cognitive Load Management und eine hohe Eigenverantwortlichkeit.

  • Future Skill Profil #5: Reflexionskompetenz

Reflexionskompetenz umfasst die Bereitschaft und Fähigkeit zur Reflexion, also die Fähigkeit, sich selbst und andere zum Zweck der konstruktiven Weiterentwicklung hinterfragen zu können sowie zugrundeliegende Verhaltens-, Denk- und Wertesysteme zu erkennen und deren Konsequenzen für Handlungen und Entscheidungen holistisch einschätzen können.

  • Future Skill Profil #6: Entscheidungskompetenz

Entscheidungskompetenz ist die Fähigkeit, Entscheidungsnotwendigkeiten wahrzunehmen sowie mögliche alternative Entscheidungen gegeneinander abzuwägen, eine Entscheidung zu treffen und diese auch zu verantworten.

  • Future Skill Profil #7: Initiativ- und Leistungskompetenz

Initiativ- und Leistungskompetenz ist die Fähigkeit zur Selbstmotivation sowie der Wunsch, etwas beizutragen. Beharrlichkeit und Zielorientierung formen die Leistungsmotivation. Zusätzlich spielt ein positives Selbstkonzept eine Rolle, sodass Erfolge und Misserfolge in einer Weise attribuiert werden, die nicht zur Senkung der Leistungsmotivation führen.

  • Future Skill Profil #8: Ambiguitätskompetenz

Ambiguitätskompetenz ist die Fähigkeit Vieldeutigkeit, Heterogenität und Unsicherheit zu erkennen, zu verstehen und produktiv gestaltend damit umgehen sowie in unterschiedlichen Rollen agieren zu können.

  • Future Skill Profil #9: Ethische Kompetenz

Ethische Kompetenz umfasst die Fähigkeit zur Wahrnehmung eines Sachverhalts beziehungsweise einer Situation als ethisch relevant einschließlich ihrer begrifflichen, empirischen und kontextuellen Prüfung (wahrnehmen), die Fähigkeit zur Formulierung von einschlägigen präskriptiven Prämissen zusammen mit der Prüfung ihrer Einschlägigkeit, ihres Gewichts, ihrer Begründung, ihrer Verbindlichkeit und ihrer Anwendungsbedingungen (bewerten) sowie die Fähigkeit zur Urteilsbildung und der Prüfung ihrer logischen Konsistenz, ihrer Anwendungsbedingungen und ihrer Alternativen (urteilen).

Kompetenzfeld II: Individuell objektbezogene Future Skills

In einer zweiten Gruppe von Kompetenzen befinden sich sogenannte individuell-objektbezogene Fähigkeiten. Dies sind Fähigkeiten, die sich darauf beziehen in Bezug auf bestimmte Gegenstände, Themen und Aufgabenstellungen kreativ, agil, analytisch und mit hohem Systemverständnis zu agieren, auch unter hochgradig unsicheren und unbekannten Bedingungen.

  • Future Skill Profil #10: Design Thinking-Kompetenz

Design Thinking-Kompetenz ist die Fähigkeit in einem gegebenen Kontext und in Bezug auf einen bestimmten gegebenen Gegenstand (Objekt) kreativ Veränderungen anzustreben, Rahmenbedingungen und Anforderungen des jeweiligen Kontexts wahrzunehmen und zu analysieren, daraus Ideen zu generieren und Handlungen abzuleiten. Dabei spielen Interdisziplinarität, die Fähigkeit zum Perspektivwechsel und Flexibilität in der Lösungssuche sowie Offenheit verschiedenen Ansätzen gegenüber einer besonders wichtigen Rolle.

  • Future Skill Profil #11: Innovationskompetenz

Innovationskompetenz ist die Fähigkeit und Bereitschaft zu experimentieren, und dabei kreativ Neues und vorher Unbekanntes zu schaffen, indem Assoziation, Dekonstruktion und Konstruktion genutzt werden.

  • Future Skill Profil #12: Systemkompetenz

Systemkompetenz ist die Fähigkeit und Bereitschaft, einzelne Phänomene als einem größeren System zugehörig zu erkennen, Systemgrenzen und Teilsysteme sowohl zu identifizieren als auch sinnvoll zu bilden, die Funktionsweise von Systemen zu verstehen und aufgrund der Kenntnis der Veränderungen einzelner Systemkomponenten Vorhersagen über die weitere Entwicklung des Systems zu machen sowie deren Umsetzung und Anwendung in verschiedenen Situationen und Kontexten. Dazu gehört auch die Fähigkeit sich an Systembedingungen anpassen zu können, um in einem System in gewünschtem Maße agieren zu können.

  • Future Skill Profil #13: Digitalkompetenz

Digitalkompetenz ist die Fähigkeit, digitale Medien zu nutzen, produktiv gestaltend zu entwickeln, für das eigene Leben einzusetzen und reflektorisch analytisch ihre Wirkungsweise zu verstehen sowie die Kenntnis über die Potenziale und Grenzen digitaler Medien und ihrer Wirkungsweisen.

Kompetenzfeld III: Organisationsbezogene Future Skills

In einer dritten Gruppe befinden sich Kompetenzen, die sich auf den Umgang mit der sozialen, organisationalen und institutionellen Umwelt beziehen. Hierzu gehören Fähigkeiten wie Sinnstiftung und Wertebezogenheit, die Fähigkeit, Zukünfte gestaltend mitzubestimmen, mit anderen zusammenzuarbeiten und zu kooperieren und in besonderer Weise kommunikationsfähig, kritik- und konsensfähig zu sein.

  • Future Skill Profil #14: Sensemaking

Sensemaking (Sinnstiftung) beschreibt den Prozess, mit dem Menschen, den über die Sinne ungegliedert aufgenommenen Erlebnisstrom in sinnvolle Einheiten einordnen. Je nach Einordnung der Erfahrung kann sich ein unterschiedlicher Sinn und damit eine andere Erklärung für die aufgenommenen Erlebnisse ergeben. Es ist insbesondere die Fähigkeit, in unterschiedlichen (organisationalen) Kontexten einerseits Strukturen und Werte zu erkennen und andererseits Erfahrungen und Wahrnehmungen produktiv und positiv in für sich sinnvolle Bedeutungen zu gliedern.

  • Future Skill Profil #15: Zukunfts- und Gestaltungskompetenz

Zukunftskompetenz ist die Fähigkeit mit Mut zum Neuen, Veränderungsbereitschaft und Vorwärtsgewandtheit die derzeit gegebenen Situationen in andere, neue und bisher nicht bekannte Zukunftsvorstellungen weiterzuentwickeln und diese gestalterisch anzugehen.

  • Future Skill Profil #16: Kooperationskompetenz

Kooperationskompetenz ist die Fähigkeit zur Zusammenarbeit in Teams, auch interkulturell, in Präsenzinteraktion oder durch Zuhilfenahme von Medien, innerhalb oder zwischen Organisationen, Zusammenarbeit so zu gestalten, dass bestehende Differenzen in Gemeinsamkeiten überführt werden können. Dabei spielen soziale Intelligenz, Offenheit und Beratungskompetenz eine wichtige Rolle.

  • Future Skill Profil #17: Kommunikationskompetenz

Kommunikationskompetenz umfasst neben sprachlichen Fähigkeiten auch Diskurs-, Dialog- und strategische Kommunikationsfähigkeit, um in unterschiedlichen Kontexten und Situationen situativ angemessen erfolgreich kommunikativ handlungsfähig zu sein.

Social Work Future Skills

Und? Hast Du die Kompetenzen „durchgearbeitet“? Spannend, oder?

Für mich insbesondere spannend, wenn man den unmittelbaren Bezug herstellt zu der Frage:

„Wo stehen wir in der Sozialen Arbeit in Bezug auf diese Kompetenzen?“

Für mich gibt es ein auf mehreren Ebenen sehr differenziertes Bild, das ich hier nur zusammenfassend wiedergeben kann:

Was fehlt?

Kritisch anzumerken ist, dass die für die Soziale Arbeit handlungsleitende Perspektive der Nutzer_innen im Future Skills Modell von Ehlers kaum berücksichtigt wird.

Einzig aus „Future Skill Profil #10: Design Thinking-Kompetenz“ lässt sich der in meinen Augen in den Sozialen Berufen dringend benötigte und ausbaufähige Perspektivwechsel hin zur Orientierung an den Bedarfen der Nutzer_innen oder, anders formuliert, hin zur Orientierung am „Willen anstatt am Wunsch“, wie Hinte im Konzept der Sozialraumorientierung ausführt (vgl. Hinte, 2019), ableiten.

Das ist nicht nur hinsichtlich der operativen Arbeit notwendig (bspw. Entwicklung von Angeboten unter Einbezug der Nutzer_innen), sondern auch hinsichtlich der politischen Lobbyarbeit bspw. der Wohlfahrtsverbände, die immer im Sinne der Nutzer_innen und nicht basierend auf dem eigenen Systemerhalt erfolgen sollte (und oft auch erfolgt).

Die Soziale Arbeit ist #FutureProfession

Auf den ersten Blick erscheinen die aufgezählten Future Skills überfordernd: „Das jetzt auch noch?“

Der zweite Blick zeigt jedoch, dass es sich bei den skizzierten Future Skills um Kompetenzen handelt, die sich als überfachliche und damit personale und sozial-kommunikative Kompetenzen definieren lassen: Es geht vornehmlich nicht um die Aneignung neuer Fachkompetenzen in einem spezifischen Feld. Vielmehr geht es übergreifend um die Aneignung von überfachlichen Sozial- und Selbstkompetenzen (vgl. näher dazu hier) für zukünftiges und damit – logisch – unbekanntes Handeln.

Die überfachlichen Sozial- und Selbstkompetenzen lassen sich als für profesionelles sozialarbeiterisches Handeln essentiell bewerten. So sind bspw. Fähigkeiten wie Kooperationsfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Durchsetzungsvermögen, mündliche und schriftliche Ausdrucksfähigkeit, Konfliktmanagement oder die Fähigkeit, die Gefühle, Sichtweisen und Interessen anderer zu berücksichtigen (Empathie) wesentlich auf Ebene der Sozialkompetenzen wesentlich für die Soziale Arbeit. Auf Ebene der Selbstkompetenzen tauchen Fähigkeiten wie die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, die Fähigkeit, sich auf veränderte Umstände einzustellen, die Reflexionsfähigkeit, um u.a. eigene Stärken und Schwächen einschätzen können oder auch Kreativität hinzu, die ebenfalls aus der professionellen Sozialen Arbeit nicht wegzudenken sind.

Ohne in die Tiefe gehen zu können lässt sich damit behaupten (und diesen Begriff nutze ich sehr bewusst), dass Sozialarbeiter_innen bereits eine gute Grundlage auch in Bezug auf die Future Skills mitbringen.

Beloch (2020, 73) kommt zu einer ähnlichen Auffassung, wenn er unter Bezugnahme des Modells von Ehlers, jedoch mit explizitem Fokus auf die Digitalisierung, schreibt, dass „das Studium der Sozialen Arbeit mit der Vermittlung von klassischen Schlüsselkompetenzen bereits einen wichtigen Beitrag zur Vorbereitung auf die Digitalisierung“ leistet.

Nicht umsonst schreibe ich immer wieder gerne von der #futureprofession, wenn es um die Soziale Arbeit geht. Hier sei erneut auf den Beitrag zu den 14 wichtigsten Kompetenzen für Soziale Arbeit verwiesen.

Spoiler: Diese Kompetenzen sind es, die im Beitrag angesprochen werden:

  1. Zuhören können
  2. Sich in andere einfühlen können (Empathie)
  3. Mit anderen kooperieren können (Teamfähigkeit)
  4. Über sich und sein Arbeit reflektieren können (Reflexionsfähigkeit)
  5. Konflikte austragen können (Konfliktfähigkeit)
  6. Wissen, wo man wie, welche Ressourcen mobilisieren kann
  7. Sich schnell auf neue Situationen einstellen können
  8. Widersprüche aushalten können
  9. Sich entscheiden können (Entschiedenheit)
  10. Kritisch denken
  11. Sich distanzieren können
  12. Sich gut in Rechtsfragen auskennen
  13. Humor haben und einsetzen
  14. Über viel Fachwissen verfügen

Da zeigen sich schon einige Parallelen zu den obigen Future Skills, oder?

Noch etwas professioneller ausgedrückt schreibt Völter (2022, 45):

„Vom Grundsatz her könnten Sozialarbeitende aufgrund der Entstehungsgeschichte und der Wissensbestände ihrer Disziplin besonders gut auf die verunsichernden gesellschaftlichen Bedingungen der Postmoderne resp. der Risikogesellschaft (Beck, 1986) eingehen, nämlich kreativ und selbstreflektiert, ethnografisch, fall- und biografieorientiert. Sozialarbeitende sollten diesbezüglich selbstbewusst wissen, und auch dies gehört im Kern zur Professionalisierung dazu, dass ihre Anwendung einzelner Instrumente und Methoden nicht unilinear zum gewünschten Ziel und Erfolg führt (Luhmann, Schorr, 1982, nannten das: „Technologiedefizit“).

Und doch bleiben einige Aspekte offen und entwicklungsbedürftig, die ich im Folgenden kurz skizzieren will:

Ausruhen? Auf keinen Fall!

Man könnte aufgrund der Ausführungen zu den bereits vorhandenen Sozial- und Selbstkompetenzen in der Sozialen Arbeit schnell zum Schluss kommen, dass wir uns getrost zurücklehnen und die Zukunft schon entspannt auf uns zukommen lassen könnten.

Das ist aber bei Weitem nicht der Fall.

Allein die kurzen Statements aus Personalverantwortlichen in der sozialen Praxis, die darauf hinweisen, dass die Studierenden „nach dem Studium erstmal bei uns ausgebildet werden müssen“, zeigen den enormen Entwicklungsbedarf.

Die Ausbildung von Kompetenzen im Zuge der Digitalisierung hinkt an Hochschulen hinterher (auch wenn es inzwischen einige wirklich gute Entwicklungen gibt). Und wenn man den Weg weiter von der Digitalisierung hin zur Entwicklung von Kompetenzen für eine „Kultur der Digitalität“ geht, wird es zunehmend einsamer. Und:

Digitalisierung und Digitalität ist mit Blick auf die Zukunft bei Weitem nicht alles. Nicht umsonst taucht die Digitalkompetenz nur in Future Skill Profil #13 explizit auf. Future Skills ist mehr als Digitalkompetenz.

Die von Ehlers aufgeführten Kompetenzen lassen sich eine nach der anderen in den Blick nehmen und mit der Realität in der Sozialen Arbeit abgleichen.

Beispielhaft ist zu fragen, ob wir in der Branche die Fähigkeit und Bereitschaft haben, zu experimentieren und dabei kreativ Neues und vorher Unbekanntes zu schaffen, indem Assoziation, Dekonstruktion und Konstruktion genutzt werden (Innovationskompetenz)? Haben wir die Fähigkeit mit Mut zum Neuen, Veränderungsbereitschaft und Vorwärtsgewandtheit die derzeit gegebenen Situationen in andere, neue und bisher nicht bekannte Zukunftsvorstellungen weiterzuentwickeln und diese gestalterisch anzugehen (Zukunfts- und Gestaltungskompetenz)? Und so weiter, und so fort…

Und ja, manche Menschen in der Sozialen Arbeit haben diese Kompetenzen, ganz klar, aber es gilt, unsere Branche, das Sozialwesen, zukunftsfähig aufzustellen, damit die Beschäftigten auch in Zukunft ihre Arbeit möglichst gut, sinnstiftend und im Sinne der Verantwortung für Menschen und Gesellschaft machen können.

Future Skills in der Sozialen Arbeit ist doppelte Verantwortung

Ach ja, a propos Verantwortung für Menschen und Gesellschaft:

Wir beschäftigen uns ja nicht nur mit uns selbst. Oben hatte ich kurz angesprochen, dass der Fokus auf die Zielgruppe in den Future Skills nicht umfassend genug angesprochen wird.

Aber Soziale Arbeit hat ja immer einen „Bildungsauftrag“: Wenn es in der Sozialen Arbeit darum geht, „gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen“ zu fördern, wie es in der Definition Sozialer Arbeit sehr passend heißt, ist es Pflicht der Beschäftigten in der Sozialen Arbeit die Menschen auf dem Weg in eine wie auch immer geartete Zukunft zu begleiten.

Future Skills sind damit nicht nur für uns als Profession relevant, sondern auch mit Blick auf unsere Zielgruppen:

Wie gelingt es, die uns anvertrauten Menschen auf dem Weg zur Erlangung von Future Skills zu begleiten, damit diese auch in Zukunft autonom und selbstbestimmt leben können?

Der in der Definition Sozialer Arbeit formulierte Auftrag an die Soziale Arbeit sollte doch Anreiz genug sein, sich selbst mit Future Skills zu befassen?

Organizational Future Skills, oder: Strukturen zur Entwicklung von Future Skills

Abschließend will ich aber noch einen Aspekt aufgreifen, der nicht unerwähnt bleiben sollte:

So schreibt Beloch in seinem Fazit (2020, 73), dass „individuelle Kompetenzanforderungen nie losgelöst von den strukturellen Bedingungen, in denen die Individuen agieren, betrachtet werden“ dürfen.

Anders formuliert: Die Entwicklung von Future Skills kann und darf nicht allein den Menschen in der Sozialen Arbeit überlassen werden. Vielmehr braucht es auch strukturelle Rahmenbedingungen, innerhalb derer Future Skills entwickelt werden können.

Konkret geht es bei den strukturellen Bedingungen um die sozialen Organisationen: Solange soziale Organisationen nicht selbst ihre Zukunftsfähigkeit in den Blick nehmen und die Organisationsentwicklung aktiv und orientiert an der Wertschöpfung der Organisation gestalten, ist es müßig, von dem Mitarbeiter_innen zu verlangen, dass sie sich doch mal „innovativ, agil, open minded“ verhalten und an ihrem „Mindset“ arbeiten sollen. Die Verlagerung struktureller Probleme innerhalb von Organisationen auf einzelne Menschen kann und wird nicht gelingen. Dieses Vorgehen ist nicht nur übergriffig, sondern widerspricht zudem allen Erkenntnisses des Funktionierens sozialer Systeme.

Es gilt somit, „organizational future skills“ (netter Begriff, ich lasse mir den patentieren…) zu gestalten, was alle Aspekte zeitgemäßer Organisationsentwicklung umfasst. Hervorheben will ich aber den Aspekt der Ermöglichung von „New Learning“ bzw. die Ausbildung von „New Learning Ecosystems“ in und von Sozialen Organisationen. Hier aus Platzgründen nur der Hinweis auf einen Beitrag zu „New Learning in der sozialen Arbeit“.

Die Ermöglichung von Strukturen für New Learning braucht jedoch auch die Entwicklung politischer Rahmenbedingungen, die die Entwicklung von „Organizational Future Skills“ ermöglichen. Aufgegriffen habe ich den Aspekt in einem Beitrag, in dem ich die zwei gegensätzlichen Funktionslogiken von sozialen Organisationen auf der einen und den Kostenträgern auf der anderen Seite beschrieben habe: Soziale Organisationen sind darauf angelegt und angewiesen, Komplexität gestalten, immer wieder neu, schnell und „agil“ im besten Sinne agieren zu müssen. Hingegen agieren Kostenträger sicherheits- und kontrollorientiert. Sie „fokussieren in ihren Strukturen und Handlungsweisen auf Rechtmäßigkeit und Berechenbarkeit bei hoher Zuverlässigkeit, Effektivität und Effizienz“ (Klick).

Ohne die Möglichkeit, dass die Leistungsträger neue Wege gehen können und dürfen und diese neuen Wege auch refinanziert bekommen, wird eine zukunftsfähige Ausrichtung der Sozialen Arbeit nur unter großem Aufwand gelingen.

Ende und Anfang

Noch mal kurz:

Die Soziale Arbeit verfügt bereits über enorme Ressourcen und Kompetenzen zur Gestaltung der Zukunft.

Und gleichzeitig gilt es, den Fokus auf die Entwicklung von Future Skills explizit zu richten. Dies nicht nur aus dem Grund, die eigene Handlungsfähigkeit auch perspektivisch sicher zu stellen, sondern insbesondere für die Nutzer_innen Sozialer Arbeit.

Zur Entwicklung von Future Skills reicht es jedoch nicht, auf die Verantwortung jeder_s Einzelnen zu setzen. Vielmehr braucht es „Organizational Future Skills“ sowie „Social Systems Future Skills“. Damit gelingt auch dieses New Work – innerhalb Sozialer Organisationen und in der Gesellschaft als Ganzes.

Unabhängig davon aber plädiere ich dafür, dass es dringend Zeit ist, sich auf den Weg zu begeben – jede_r Einzelne, die Ausbildungsstätten für Soziale Arbeit sowie die darüber hinausgehend Politik und die von Sozialer Arbeit tangierten Funktionssysteme. Long way to go!

Aber die Beschäftigung mit den Möglichkeiten der Zukunft ist unglaublich spannend, macht Spaß und ist deutlich zielführender als das ewige Gejammer darüber, was warum wie nicht geht. Und ich gehe für mich davon aus, dass ich mich vertieft damit befasse, wie es bestmöglich gelingen kann, Future Skills zu entwickeln. Dranbleiben lohnt sich 😉


P.S.: Und wie gelingt es Dir, Deine Future Skills zu entwickeln? Wo siehst Du Chancen und Möglichkeiten in (Organisationen) der Sozialen Arbeit? Und wo steht Deine Organisation in Bezug auf „Organizational Future Skills“? Lass doch gerne einen Kommentar hier…

Quellen:

  • Beloch, F. (2020): Digital Literacy, Future Skills und Co. – Kompetenzprofile in einer digitalisierten Sozialen Arbeit. Unveröffentlichte Masterthesis, Münster.
  • Ehlers, U.-D. (2020): Future Skills, Zukunft der Hochschulbildung – Future Higher Education. Wiesbaden, Springer.
  • Hinte, W. (2019): Sozialraumorientierung – Grundlage und Herausforderung für professionelles Handeln. In: Fürst, Roland; Hinte, Wolfgang (Hrsg.): Sozialraumorientierung. Ein Studienbuch zu fachlichen, institutionellen und finanziellen Aspekten. Wien. S. 9 – 28.
  • Völter, B. (2022): Die Soziale Arbeit als zukunftsweisende Wissenschaft und Profession. In: Rüve, G., Altvater, P. (2022, Hrsg.): Strategische Entwicklung von Hochschulen für Angewandte Wissenschaften. HIS-Institut für Hochschulentwicklung e. V., Hannover. S. 42 – 50.

Mitarbeiterbefragung – echt jetzt?

Tags: , , ,

In letzter Zeit kommen einige Anfragen zur Durchführung von Mitarbeiterbefragungen. Die Hintergründe dafür sind unterschiedlich: Die eine, kleine Organisation will ein Bild über die „Stimmung im Haus“, die andere Organisation will die bisherigen Mitarbeiterbefragungen auf den Prüfstand stellen, da diese bislang als Tool im Kontext der Entwicklung einer wie auch immer gearteten Organisationskultur betrachtet wurde, mit viel Aufwand, aber ohne nennenswerten Erfolg. Ein weiterer Grund für die Durchführung einer Mitarbeiterbefragung ist die Feststellung enormer Mitarbeiterfluktuation und die Hoffnung, darüber Gründe herauszufinden, wie man der Fluktuation entgegen wirken kann.

Aber machen Mitarbeiterbefragungen überhaupt Sinn? Wo liegen Chancen und Herausforderungen – mit einem expliziten Blick auf Organisationen der Sozialen Arbeit? Und wenn sie Sinn machen – wann ist ein guter Zeitpunkt für Mitarbeiterbefragungen? Aber vor allem: Wie ist ein gutes Vorgehen zu gestalten?

tl;dr: Ja, eine Mitarbeiterbefragung macht Sinn, wenn sie zielgerichtet und möglichst schlank ist sowie zu echten Veränderungen führt.

Im Beitrag hier will ich diese Fragen in den Blick nehmen. Vielleicht helfen Dir meine Anregungen ja für Deine Organisation?!

Warum und wozu lässt sich die Mitarbeiterbefragung einsetzen?

Ich habe oben schon einige Gründe angeführt, warum Mitarbeiterbefragungen sinnvoll sein können (!). Aber hier noch etwas systematischer:

Welche Gründe lassen sich anführen, eine Mitarbeiterbefragung durchzuführen? Dazu hier einige Ideen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

Motivation und Engagement

Über eine gut angelegte Befragung lassen sich Zusammenhänge zwischen den von den Mitarbeiter*innen wahrgenommenen Arbeitsbedingungen und dem Engagement, der Einsatzbereitschaft und dem Gestaltungswillen herstellen. Aus den Ergebnissen lassen sich dann gezielte Maßnahmen ableiten, wie die Motivation der Mitarbeiter *innen aufrecht erhalten werden kann (ich bin davon überzeugt, dass es nicht gelingt „Motivation zu fördern“, sondern darauf ankommt die vorhandene Motivation nicht zu zerstören).

Identifikation

Insbesondere in Zeiten massiven Fachkräftemangels, der ja leider in sozialen Organisationen an vielen Stellen eins der Hauptprobleme ist, steht die Frage im Raum, wie es gelingen kann, eine Identifikation der Mitarbeiter*innen mit der Organisation zu generieren, um damit die Mitarbeiter_innen zu halten. Aktuelle Studien zeigen zudem, dass die Identifikation mit der Organisation so gering ausgeprägt ist, wie nie zuvor. Entsprechend sinnvoll kann es sein, herauszufinden, was die Mitarbeiter an der Organisation schätzen: Was fördert die emotionale Bindung mit der Organisation und seinen Dienstleistungen? Was steckt hinter dem Wunsch, für das Unternehmen zu arbeiten? Und wo liegen natürlich auch die Aspekte in der Organisation, die Identifikation verhindern?

Fluktuation

Eng verknüpft mit dem vorherigen Punkt ist die Frage, warum die Fluktuation in der Organisation überdurchschnittlich hoch ist. Gibt es bei den Mitarbeiter_innen das Gefühl, nicht mehr dazuzugehören, keine Wertschätzung durch Führungskräfte zu erfahren, keine Perspektiven zu haben? Die damit einhergehenden Unzufriedenheiten führen zu Resignation, zur Ablehnung von Verantwortung, zum Rückzug innerhalb der Mitarbeiterschaft, zum nachlassenden Engagement, zur Absinken der Kreativität und Innovationsfähigkeit der Organisation.

Psychische Belastung

Das Sozialwesen steht auf Platz 1, wenn es um die Burnoutgefahr im Beruf geht. Herzlichen Glückwunsch. Entsprechend relevant sind Fragen nach psychischen Gefährdungen in der Organisation und vor allem Maßnahmen zur Reduzierung der psychischen Belastungen.

Orientierung an den Nutzer_innen

Der Zweck einer Organisation ist die bestmögliche Generierung sozialer Wertschöpfung. Die Erfassung und Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit ist damit kein Selbstzweck. Vielmehr geht es darum, einen guten Job im Sinne der Nutzer_innen zu machen. Entsprechend relevant können Fragen sein, die dazu dienen, herauszufinden, welche Aspekte der Organisation, welches Führungsverhalten und welche Kommunikationskultur die Orientierung an den Bedarfen der Nutzer_innen fördert.

Akzeptanz für Veränderungsprozesse

Wir wundern uns immer wieder über „Widerstände“ der Mitarbeiter_innen gegenüber Veränderungen. Dazu nur zwei Gedanken:

Zum einen sind Veränderungsinitiativen ohne Widerstand nicht relevant genug. So streben Menschen in der Regel nach Stabilität und Sicherheit. Und Veränderung bedeutet immer Instabilität. Wenn man aber „so weiter machen kann wie vorher“ oder man „die nächste Sau im Dorf“ schon entspannt aussitzen kann, ist der Aufwand gegenüber dem Ertrag der Veränderungen nicht gerechtfertigt. Veränderung soll nun mal etwas ändern.

Zum anderen bedarf es für gelingende Veränderung immer ein Verständnis der Mitarbeiter_innen für den Zweck der Veränderung: Warum und wozu machen wir das hier? Wo sind die auslösenden Faktoren, die Veränderung notwendig werden lassen und was ist die Vision der Veränderung, wo soll es hingehen? Hier können Mitarbeiterbefragungen hilfreich sein, herauszufinden, wie veränderungsbereit die Mitarbeiter_innen sind und wie gut es den Führungskräften gelingt, Veränderungen zu initiieren, zu kommunizieren und zu begleiten. Führungskräfte haben im Kontext von Veränderungen auf allen Ebenen eine wichtige Vermittlungs- und Überzeugungsfunktion.

Organisationsstrategie

Das Problem von Organisationsstrategien ist nicht deren Entwicklung, sondern die Umsetzung der Strategien. Entsprechend relevant ist es, die Umsetzung in den Blick zu nehmen und festzustellen, wie die Strategie von Führungskräften und Mitarbeiter_innen erlebt, gelebt und umgesetzt wird. Aber wie überzeugt sind die Führungskräfte und die Mitarbeiter_innen von den Zielen und Strategien? Kennen die Mitarbeiter_innen die Strategie überhaupt? Gibt es ein Grundvertrauen in die Strategie und die Führung der Organisation, die die Strategie zu verantworten hat?

Führung

Die Wechselbereitschaft ist enorm hoch. Das hat u.a. viel mit Führung zu tun, auch wenn es deutlich zu kurz gegriffen ist, zu behaupten, dass die Mitarbeiter_innen wegen der Führungskräfte die Organisationen verlassen. Spannender ist hier der Blick darauf, welche Strukturen der Organisation bedingen, dass Führungskräfte so führen können, dass es zum Wechsel der Mitarbeiter_innen kommt.

Aber unabhängig davon ist spannend, das Führungsverhalten in Befragungen in den Blick zu nehmen: Durch welches Führungsverhalten werden die Mitarbeiter_innen in ihrer Motivation gebremst? Was demotiviert in der Organisation am Meisten? Passt die Arbeitsorganisation, die Strukturen und Prozessen oder Kollaboration im Team und der Organisation (abteilungsübergreifend) zur Aufgabe? Das sind Aspekte, die durch die Führungskräfte beeinflusst werden können und damit Ansätze für Verbesserungen liefern.

Innovationskultur

Als hier abschließender Grund für Mitarbeiterbefragungen will ich den Aspekt der Innovation betonen, wobei ich Innovation ganzheitlich als „Lernen“ der Organisation, als Fortschritt betrachte und nicht nur aus Perspektive der Entwicklung von neuen Angeboten und Dienstleistungen.

Mitarbeiterbefragungen können unter diesem Fokus die Offenheit für neue Ideen und Entwicklungen in der Organisation in den Blick nehmen. So ist nachvollziehbar, dass das Engagement und die Identifikation sinkt, wenn eine innovationsfeindliche Kultur gelebt wird. Entsprechend sind Fragen nach Innovationshindernissen (bspw. dysfunktionaler Umgang mit Fehlern, eine ausschließlich auf das „Bewährte“ setzende Haltung von Führungskräften, ein nicht vorhandenes Innovationsmanagement) relevant, die Optionen für Verbesserungsmaßnahmen offenlegen.

Herausforderungen von Mitarbeiterbefragungen

Deutlich wurde:

Es gibt einige Gründe, warum Mitarbeiterbefragungen sinnvoll sein können. Fallen Dir noch mehr ein? Dann teile Deine Gedanken doch gerne hier in den Kommentaren.

Damit liegen die Chancen von Mitarbeiterbefragungen auf der Hand:

Gut gemacht (dazu unten mehr) können Mitarbeiterbefragungen gerade in größeren Organisationen viele wichtige Hinweise liefern, wo Handlungs- und Entwicklungsbedarf besteht.

Aber gibt es auch Herausforderungen?

Aber hallo. Insbesondere ist hier die strategische und inhaltliche Positionierung der Mitarbeiterbefragung (Wozu genau dient die Befragung?), der Folgeprozess (Wie geht’s weiter?), sowie die Fragebogenentwicklung (Was fragen wir eigentlich?) zu nennen.

Hier etwas ausführlicher:

Herausforderung 1: Wozu genau dient die Mitarbeiterbefragung?

Bei meiner kleinen Umfrage auf Twitter zeigt sich ein spannendes Bild bezogen auf die Sinnhaftigkeit von Mitarbeiterbefragungen:

https://twitter.com/HendrikEpe/status/1515942019767873539

(Danke an alle Antwortenden).

Klar ist aber: Wenn das Ziel der Befragung nicht feststeht, machen Befragungen keinen Sinn: Erst dann, wenn den Führungskräften und den Mitarbeiter_innen klar ist, warum was gefragt wird, wird ein Schuh draus. Dann wird es möglich, gezielte Fragen zu stellen, die echte Antworten und eine sinnvolle Auswertung dieser Antworten ermöglichen.

Dabei kann ein Ziel auch die allgemeine „Stimmung“ bzw. die Mitarbeiterzufriedenheit sein, wenn, ja wenn es dann zu Maßnahmen kommt, die dazu dienen, aus der allgemeinen Stimmung spezifische Ansatzpunkte für Veränderungen und Verbesserungen abzuleiten.

Herausforderung 2: Kein Folgeprozess

Ich selbst durfte in meinem vorherigen Berufsleben an einigen Befragungen teilnehmen. Diese fanden bspw. zum Zweck der Zertifizierung für ein bestimmtes QM-Framework statt. Aber halt: Ist der Zweck der Zertifizierung der Organisation ausreichend? Natürlich nicht: Eine Befragung der Mitarbeiter_innen, um die Zertifizierung durch irgendwelche externen Zertifizierer (ich habe das neun Jahre beruflich gemacht…) zu erreichen, darf nicht der Zweck der Befragung sein.

Der Zweck der Befragung muss immer der echte und konkrete Wunsch nach Entwicklung und nach Verbesserung und damit nach echter Veränderung sein.

Wenn also der Folgeprozess nicht definiert bzw. gewollt ist und das Angehen der Veränderungen aus den Rückmeldungen der Mitarbeiter_innen nicht erfolgt, wird die Befragung zur Farce. Das kann man (einmal) machen, aber spätestens bei der zweiten Befragung ist den Mitarbeiter_innen klar, dass sowieso nichts passiert. Entsprechend werden die Mitarbeiter_innen (nicht) antworten.

Aber Obacht: Nur weil sich Klaus aus Abteilung 13 eine Blume auf dem Schreibtisch wünscht, muss nicht jeder Klaus in der Organisation eine Blume auf dem Schreibtisch bekommen. Anders ausgedrückt ist es notwendig, angelehnt an das erste Prinzip des Fachkonzepts Sozialraumorientierung https://www.socialnet.de/lexikon/Sozialraumorientierung) zwischen Wunsch und Wille zu unterscheiden: „Ein Wunsch wird zu einem handlungswirksamen Willen, wenn ein Mensch ihn verwirklichen will.“

Damit rückt die Frage in den Vordergrund, was im Hintergrund, hinter dem Wunsch von Klaus nach der Blume auf dem Schreibtisch steht. Welche spezifischen Bedarfe lassen sich aus dem Wunsch ableiten? Wo finden sich Muster, die zu Veränderungen führen sollten? Wie können die Mitarbeiter_innen die Veränderungen selbstbestimmt initiieren?

Herausforderung 3: Die Fragestellungen gehen am Ziel vorbei

Es gibt die qualitative Sozialforschung, also die die Erhebung nicht standardisierter Daten und deren Auswertung. In der qualitativen Sozialforschung befassen sich Wissenschaftler_innen seit Jahrzehnten damit, Fragen zu stellen und dann Antworten zu generieren, die den Fragen entsprechen. Genutzt werden – unter anderem – auch Fragebögen, die teilweise in Interviewform, teilweise aber auch schriftlich genutzt werden.

Kurz: Die richtigen Fragen zu stellen, diese dann auszuwerten und daraus Rückschlüsse zu ziehen, ist nicht einfach. Und entsprechend hoch ist die Wahrscheinlichkeit, Fragen zu stellen, die zwar gut klingen und die auch beantwortbar sind. Die Antworten jedoch sind nicht mehr angemessen auswertbar, um zu wirklich nutzbringend Ergebnissen zu gelangen. Ein Beispiel:

Die Geschäftsführung veranlasst eine Mitarbeiterbefragung. Ziel ist „ein Stimmungsbild aus der Belegschaft“ (im Beispiel hier etwa 50 Personen) zu bekommen. Und da ließe sich doch wunderbar beim „Befinden“ ansetzen, oder? Fragen sind bspw.: “Ich erhalte genug Anerkennung von meiner Führungskraft!”, “Meine Führungskraft interessiert sich für mich als Person!”, “Ich habe Freunde und Bekannte im Büro!” (Zu beantworten jeweils auf einer Skala von „trifft voll und ganz zu“ bis hin zu „trifft überhaupt
nicht zu“).

Ist das Befinden der Mitarbeiter_innen relevant? Vielleicht ist es nett zu wissen, „wie es den Mitarbeiter_innen geht“ und es mag auch erstrebenswert sein „glückliche Mitarbeiter_innen“ zu haben, aber Glück und Befinden sind abhängig von drölfzig Faktoren, auf die die Organisation oder die Führungskräfte begrenzt Einfluss haben. Wichtiger aber ist, dass diese Faktoren kaum Auswirkungen auf die soziale Wertschöpfung der Organisation haben. So kann ich zwar komplett glücklich sein in meinem Leben und in meinem Job und gleichzeitig komplett an der eigentlichen Aufgabe vorbei arbeiten.

Viel relevanter sind bspw. Fragen danach, ob die Mitarbeiter_innen ein Verständnis der Ziele und Strategien der Organisation haben und sich mit diesen Zielen verbunden fühlen. Verbundenheit ist dann bspw. auch mit Blick auf das Team relevant: Sind es nette Leute, oder gelingt es, mit diesen Menschen wirklich etwas zu reißen? Gelingt es, dass sich das Team gegenseitig unterstützt? Steht beim Team die bestmögliche Erledigung der gesetzten Aufgaben im Vordergrund? Wie gesagt, Bier trinken am Abend mit den Kumpels ist super, aber darum geht es in der Organisation nicht primär. Abschließend hier noch ein Aspekt, der relevanter ist als das „Wohlfühlen“. Die „Leistungsfähigkeit“ der Mitarbeiter_innen ergibt sich aus mehreren Faktoren, die sich vielleicht im Konzept des „Flows“ treffen: Es geht darum, eine Aufgabe auszuführen, die nicht zu überfordernd und nicht zu unterfordernd ist. Passen also die Fähigkeiten zur Aufgabe? Hinzu kommt hier natürlich noch, ob die Mitarbeiter_innen die Möglichkeiten haben, sich in der Aufgabe weiterzuentwickeln, Informationen zu bekommen usw…

Es wurde hier hoffentlich deutlich, dass einige Anforderungen an Befragungen zu stellen sind, um zu wirklich aussagekräftigen Ergebnissen zu gelangen und damit die Möglichkeiten des Tools Mitarbeiterbefragung wirklich nutzen zu können. Aber wie gelingen jetzt gute Mitarbeiterbefragungen?

Der Prozess der Mitarbeiterbefragung

Aus meiner Perspektive ähneln sich alle Konzepte rund um Entwicklung und Verbesserung, ob Scrum, PDCA oder auch das Vorgehen zur Gestaltung von Mitarbeiterbefragungen mehr oder weniger. Natürlich haben sie jeweils völlig andere Zielsetzungen, aber im Grunde geht es um a) Planung, b) Durchführung, c) Retrospektive (bzw. hier die Auswertung der Ergebnisse) und d) Anpassung. Im Fall der Mitarbeiterbefragung lässt sich die Anpassung weiter in das Feedback an die Mitarbeiter_innen sowie die Generierung, Umsetzung und Bewertung von sich aus den Ergebnissen ergebenden Maßnahmen hinzu. Etwas ausführlicher:

a) Planung
Wie bereits erwähnt steht vor der Durchführung der Befragung die Frage nach der Zielsetzung. Daraus leitet sich dann die Gestaltung von Fragen und dem Vorgehen der Befragung (design) insgesamt ab. Außerdem ist schon zu Beginn das follow up, also der Prozess der Umsetzung der sich aus den Antworten ergebenden Maßnahmen in den Blick zu nehmen.

b) Durchführung
Bzgl. der Durchführung steht vor allem die Frage des Zeitraums im Fokus: Wann soll die Befragung starten? Wie lange ist die Rückmeldephase? Wann geschieht die Auswertung? Wann geht es danach weiter? Länger jedoch als zwei bis drei Wochen sollte die Rückmeldezeit nicht sein, ggf. sogar deutlich kürzer. Wichtig sind Aspekte wie Urlaubszeiten, Zeiträume mit einer höheren Krankheitsrate sowie Phasen mit erwarteter hoher Auslastung, die eine Beantwortung im Alltag erschweren.

c) Auswertung der Ergebnisse
Dies ist der Schritt der Auswertung der anonymisierten Daten. Je nach Umfang der Befragung und der Anzahl der Mitarbeiter_innen macht es Sinn, die (Durchführung und) Auswertung digital umzusetzen. Relevant ist hier die Aufbereitung der Antworten sowie die Zusammenführung der Antworten in mögliche Hypothesen, die als Grundlage für die zu treffenden Maßnahmen herangezogen werden.

d) Feedback
Zunächst ist es relevant (aber eigentlich selbstverständlich), den Mitarbeiter_innen zu vermitteln, dass ihr Feedback wahrgenommen und behandelt wird. Ohne diesen und die folgenden Schritte kann man das Engagement für zukünftige Befragungen aus naheliegenden Gründen vergessen… Wie die Rückmeldung der Ergebnisse erfolgt, ist abhängig von der jeweiligen Befragung (Umfang, Dauer, Anzahl der MA). Spannend ist bspw. die Frage, ob alle Mitarbeiter_innen unabhängig der Hierarchiestufe alle Ergebnisse bekommen, oder ob es da Unterscheidungen geben sollte. Ich plädiere jedoch immer für Transparenz (oder warum sonst führt man die Befragungen durch?). Gerade mit Fokus auf soziale Organisationen kann es Sinn machen, die Ergebnisse der Befragungen nicht nur schriftlich zurückzumelden, sondern mit angeleiteten Gruppengesprächen zu reflektieren, wodurch wiederum die Beteiligung an den e) Veränderungsmaßnahmen gesteigert werden kann.

e) Veränderungsmaßnahmen
Auch wenn es aus meiner Perspektive echt schräg ist, aber: Diese Phase kommt immer noch zu kurz. Das kenne ich leider auch aus eigener Erfahrung. Da werden dolle Befragungen gestartet, die teuer und aufwendig sind (was sie nicht sein müssen…) und dann werden die Missstände und mögliche Ansatzpunkte für Veränderungen nur ausfindig gemacht, aber nicht angegangen? Unfassbar, aber Realität. Für mich macht es Sinn, am Ende des Fragebogens immer die Frage einzubauen: „Basierend auf Deinen Antworten: Welche Hypothesen zur Verbesserung würdest Du aufstellen (Wenn wir XY machen, verbessern wir Z!)?“ Außerdem lohnt es sich immer, nachzufragen, was denn der nächste Schritt sein könnte: „Was wäre aus Deiner Perspektive der nächste Schritt, um wirkliche Verbesserungen in unserer Organisation zu erreichen?“. Und es natürlich klar, dass die Ergebnisse der Befragung in Management- und Teamrunden besprochen werden und nicht mal eben so 1 zu 1 umgesetzt werden können. Aber die Zusammenführung der Ergebnisse muss zu konkreten Handlungsempfehlungen führen, die dann umgesetzt werden (es sei denn, Du arbeitest in der absoluten Traumorganisation, wo es absolut nichts zu verbessern gibt…). Wichtig ist außerdem, dass zwischen Befragung und Umsetzung der ersten Veränderungen nicht zu viel Zeit vergeht. Sonst verpufft jegliche Energie, sich auf die Veränderungen einzulassen (und wir wundern uns über Wiederstände…).

f) Bewertung
Wie (eigentlich) immer steht am Ende des Prozesses die Bewertung bzw. Evaluation. Wichtig sind mir hier zwei Bewertungen: Zum einen die Bewertung der Befragung insgesamt (Was ist gut gelaufen? Was muss bei der nächsten Befragung anders, besser werden?). Zum anderen ist natürlich auch die Umsetzung der sich aus der Befragung ergebenden Maßnahmen bzw. der getroffenen und getesteten Hypothesen zu bewerten:

Hat sich tatsächlich etwas verbessert?

Zeitpunkt und Rhythmus der Mitarbeiterbefragung

(Fast) abschließend noch kurz der Blick auf die Überschrift des Beitrags:

Mitarbeiterbefragung – echt jetzt?

Ich glaube, wir haben das „echt“ geklärt:

Ja, Mitarbeiterbefragungen können Sinn machen, wenn sie als Projekt gut designt sind und daraus echte Entwicklung und Veränderung erfolgt. Ist dies nicht der Fall und wird die Mitarbeiterbefragung nur gemacht, „weil man das halt so macht“ (oder irgendwelche Zertifizieren irgendwelche Nachweise brauchen). In diesem Fall solltest Du tunlichst die Finger davon lassen.

Mitarbeiterbefragungen sind dann „pures Gift“, wie Florian hier so passend schreibt:

Offen ist dann aber noch die Frage, wann eine Mitarbeiterbefragung Sinn macht und wie häufig diese durchgeführt werden sollte.

Aus meiner Sicht bietet sich der aktuelle Zeitraum sehr gut an:

Wir sind irgendwie mehr oder weniger durch diese Pandemie gekommen (auch wenn ich diese Zeilen in Quarantäne tippe) und die Organisationen bereiten sich auf ein wie auch immer geartetes „Neues Normal“ vor.

Und genau hier macht es Sinn, auf die positiven wie negativen Erfahrungen der letzten Monate bzw. mehr als zwei Jahre zu schauen. Ich mache gerade recht häufig Retrospektiven, in denen wir entweder im Team oder der Gesamtorganisation (je nach Größe und Fokus) den Zeitraum der Pandemie in den Blick nehmen, um zu reflektieren, welche Veränderungen der letzten Jahre positiv und welche negativ waren, welche neuen Arbeitsweisen und Prozesse beibehalten werden sollten und welche dringend geändert werden müssen.

Ebenso wie die Retrospektive kann eine Mitarbeiterbefragung zum jetzigen Zeitpunkt ein guter (erster) Ansatz sein, um Schritte hin zu Veränderungen auf dem Weg in dieses „neue Normal“ zu finden. Um jedoch zu wirklich nachhaltigem Erfolg zu kommen, sollten Mitarbeiterbefragungen regelmäßig durchgeführt werden.

Regelmäßig kann jährlich bedeuten. Im Sinne der kontinuierlichen Entwicklung kann es aber auch Sinn machen, in deutlich kürzeren Abständen (halbjährlich oder quartalsweise) kurze Einblicke in die Entwicklungen der Organisation aus Perspektive der Mitarbeiter_innen zu bekommen. Sogenannte „Pulsumfragen“, die auf wenigen, einfach zu beantwortenden Fragen basieren, bieten die Möglichkeit, regelmäßig schnelle Antworten beinahe in Echtzeit zu bekommen, wodurch entsprechend frühzeitig reagiert werden kann.

Im Kontext sozialer Organisationen bin ich jedoch skeptisch, ob die Organisationskultur zu dieser Art der Befragungen passt. So stelle ich fest, dass die Mitarbeiter_innen zwar gerne und häufig die „mangelnde Wertschätzung“ seitens der Führungskräfte beklagen, sich jedoch bei zu viel Interesse schnell „kontrolliert“ fühlen. Hier gilt es, gut abzuspüren, welcher Rhythmus für die Organisation passend ist.

Hinzu kommt, dass die Mitarbeiter_innen nicht dauernd am Schreibtisch sitzen und sich auf jede neue Befragung freuen. Im Gegenteil agieren viele soziale Organisationen am Rande der Belastungsgrenze (und darüber hinaus), so dass für dauernde Pulsbefragungen keine Zeit (und in Teilen auch keine technischen Möglichkeiten) existieren.

Außerdem geht es – um es hier erneut zu betonen – ja nicht um die Befragung als Selbstzweck, sondern um echte Verbesserung der Strukturen, Strategien, Prozesse etc., damit die Organisation ihren Zweck bestmöglich erfüllen kann.

Entsprechend sollte der Fokus bei Mitarbeiterbefragungen (nicht nur) in sozialen Organisationen auf der Ableitung von handlungsleitenden Hypothesen und der zielgerichteten Umsetzung von Verbesserungsmaßnahmen liegen.

Kurz: Mitarbeiterbefragungen zielgerichtet und eher selten, aber regelmäßig und vor allem verbunden mit einem Fokus auf die Umsetzung der abgeleiteten Maßnahmen.

Mitarbeiterbefragung – Fazit und Besonderheiten in sozialen Organisationen

Wie bereits angesprochen können Mitarbeiterbefragungen ein sehr gutes Instrument sein, um Feedback der Mitarbeiter_innen zu bekommen. Das gilt jedoch nur, wenn diese zielgerichtet durchgeführt, ausgewertet und die abgeleiteten Maßnahmen auch angegangen und umgesetzt werden. Denn: Mitarbeiterbefragungen sind kein Selbstzweck (und dienen auch nicht der Befriedigung von Zertifizierer_innen). Befragungen mit diesem Fokus werden als Farce aufgefasst. Eine mangelnde Beteiligung ist dann nicht verwunderlich.

In sozialen Organisationen gilt es, zum einen die Rahmenbedingungen der Arbeit nicht aus dem Blick zu verlieren (Wann besteht überhaupt die Möglichkeit der Beantwortung?) und zum anderen den Austauschaspekt über die Ergebnisse nicht zu vernachlässigen (Diskussion in Gruppen, Ableitung von Hypothesen, Umsetzung von Maßnahmen).

Abschließend (wirklich!) noch mein Plädoyer (auch wenn dieses nicht zur Länge des Textes passt ;-):

Die Mitarbeiterbefragung und der damit einhergehende Gesamtprozess sollten so schlank wie möglich gehalten werden!

Neben den begrenzten Ressourcen sozialer Organisationen geht es nicht um die Befragung an sich, sondern um die Ableitung passender Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Wertschöpfung der Organisation.


Wie steht es um Mitarbeiterbefragungen in Deiner Organisation? Sinnvoll? Lasse doch gerne einen Kommentar hier, wie es bei Dir läuft…

P.S.: Und bei Interesse stehe ich Dir natürlich gerne für die Entwicklung passgenauer Befragungen für Dein Team oder Deine Organisation zur Verfügung. Meld‘ Dich einfach und wir schauen, ob ich Dir helfen kann.

Wie es gelingt, eine Kultur der Verbundenheit zu etablieren (und welche Rolle Verbindlichkeit dabei spielt)

Tags: , , , , , , , , ,

Es ist schon spannend, oder? Viele Unternehmen versuchen über Maßnahmen zur Weiterentwicklung der Organisationskultur, über großartig klingende Leitbilder, intensive Mitarbeitergespräche, über aufwendige Befragungen der gesamten Belegschaft und viele weitere Aktionen die Verbundenheit zur eigenen Organisation und zur eigenen Arbeit im Alltag zu erhöhen. Der Aufwand, den viele – auch soziale – Organisationen in diesem Bereich betreiben, ist hoch. Und dann kommt eine Pandemie, eine echte, ernsthafte Krise, die alles von den Mitarbeiter*innen, den Führungskräften und der gesamten Organisation abverlangt. Und ganz aktuell kommt auch noch der Ukraine-Krieg hinzu. Dabei ist noch unklar, was uns und Ihnen abverlangt werden wird. Zweifelsohne waren die Anstrengungen in der Krise mehr als belastend. Und sie sind es immer noch. Aber: Die Verbundenheit zur Organisation in der Krise steigt – zumindest kurzfristig. Wie aber kann es gelingen, diese Verbundenheit langfristig zu behalten und eine Kultur der Verbundenheit zu gestalten?

Dazu findest Du hier einige Gedanken, die ich als Impuls auf einer Führungskräfteklausur eines großen, sozialen Trägers einbringen durfte.

Arbeiten im Krisenmodus

In meinen Gesprächen und Beratungen in vielen Organisationen konnte ich feststellen, dass Zusammenhalt und Verbundenheit im Team, in der Abteilung, in der Gesamtorganisation in dieser Krise zugenommen hat.

Die Arbeit im Krisenstab, der regelmäßige, schnelle Austausch, auch Entscheidungen, die noch vor wenigen Wochen, Monaten, geschweige denn Jahren undenkbar gewesen wären, haben gezeigt, dass es in der Krise zählt, zusammenzustehen! Die aktuellen, dramatischen politischen Entwicklungen zeigen Ähnliches auf europäisches Ebene: Eine höhere Solidarität und ein höheres Gemeinschaftsgefühl gab es selten. Selbst die totgeredete NATO ist lebendiger denn je (auch wenn ich ko… könnte, dass ein Krieg und die damit einhergehenden massiven Massnahmen Auslöser dafür sind).

Klar ist aber: In der Krise müssen, können und wollen wir gemeinsam das Chaos bewältigen!

Ja, natürlich, das ist auch pauschal und funktioniert längst nicht immer!

Natürlich gab und gibt es auch gegenteilige Entwicklungen:

Homeoffice, digitale Arbeit und digitale Führung, – gerade im sozialen Bereich waren wir das nicht gewohnt –  führten, schlecht umgesetzt, auch zu Entfremdung und offener oder versteckter Distanzierung.

Und aktuell erlebten wir in der Gesellschaft Spaltungstendenzen, ein Auseinanderdriften mehr oder minder sachlich begründeter Meinungen, angefeuert durch die Debatten um die „richtigen“ Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie.

Innerhalb der Organisationen spitzen sich die Diskussionen zu, wenn es um die einrichtungsbezogene Impfpflicht geht. Wir beobachten:

Teams driften auseinander, Menschen, die vorher gemeinsam (und oft gut) miteinander gearbeitet haben, sprechen nicht mehr miteinander, beschimpfen sich, können oder wollen die Haltungen und Meinungen der jeweils anderen Seite nicht verstehen.

Lebensrelevanz

Hier will ich aber bei den positiven Auswirkungen der Krisenbewältigung bleiben (nicht: den positiven Auswirkungen der Krise. So finde ich den Ausspruch der „Krise als Chance“ ziemlich unpassend, da die Auswirkungen zu dramatisch sind und waren).

In vielen Gesprächen und Beratungen, die ich mit Menschen und in den unterschiedlichsten Sozialen Organisationen geführt habe, wurde in den letzten Monaten sehr klar erkannt und bekannt:  

Jetzt müssen wir ran, jetzt sind wir, die Mitarbeiter*innen und die Führungskräfte im Sozialwesen, gefordert. Jetzt, in der Krise, ist es Zeit, die uns anvertrauten Menschen in unseren Organisationen, Mitarbeiter*innen, vor allem aber unsere Klient*innen bestmöglich zu schützen und zu unterstützen!

Diesbezüglich hat sich – nicht zu Unrecht – der Begriff der „Systemrelevanz“ unserer Branche etabliert.

Da kann man schon mal klatschen, finde ich… ;-/

Dieser “neue” Begriff der Systemrelevanz trifft die Aufgabe zwar schon recht genau, aber aus meiner Sicht ist er zu schwach, sowohl in der Aufgabenbeschreibung wie in seinem Aufmerksamkeitswert:

Natürlich sind soziale Organisationen dafür da, das System, die Gesellschaft am Laufen zu halten (der Hinweis auf das Triple-Mandat Sozialer Arbeit sei hier nur kurz angeführt).

In vielen Fällen und gerade in stationären Einrichtungen der Arbeit mit Menschen mit Behinderung, mit alten Menschen und auch in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen geht es um mehr als Systemrelevanz.  Hier geht es um weit mehr:

Es geht um “Lebensrelevanz“!

Ja, und häufig geht es in unseren Organisationen sogar um “Überlebensrelevanz”!

Menschen in Sozialen Berufen haben in den letzten beiden Jahren mit aller Kraft versucht, das Überleben der anderen sicherzustellen. Das ist weit mehr als Systemrelevanz.

Und oft waren sie sich in dieser Aufgabe sehr nah, sehr miteinander verbunden.

Was aber liegt hinter der häufig spürbaren, häufig gewachsenen Verbundenheit in der Krise? Was bedingt, dass plötzlich alle oder zumindest fast alle Menschen in der Organisation „an einem Strang“ gezogen haben und dann auch noch in eine Richtung?

Was führt zur Verbundenheit in der Krise?

Ein Aspekt liegt auf der Hand: Im Vordergrund steht die gemeinsame Aufgabe. Der Zweck des Handelns in der Krise ist klar. In der Krise wird unmittelbar deutlich, um was es geht. Es geht um mehr als um einen beliebigen Job!

Die Diskussionen über das gemeinsame Ziel sind damit obsolet. Denn das gemeinsame Ziel liegt unmittelbar, offen-sichtlich, schmerzlich sichtbar vor uns: Krisenbewältigung! Wir müssen gemeinsam gut durch die Krise kommen!

Spannende Frage in diesem Zusammenhang:

Trägt das Fundament unserer wechselseitigen Beziehungen – auch in der Krise?

Ohne eine stabile Beziehungsbasis besteht die Gefahr, dass sich die Menschen in der Krise nicht auf das gemeinsame Ziel fokussieren, sondern einzig und allein auf die Rettung der eigenen Haut.

Hier lassen sich auch persönliche, innerfamiliäre Entwicklungen feststellen: In der Krise hat das engste Umfeld, haben Familie und Freunde Priorität. Das sind die Menschen, zu denen man die engste Beziehung hat.

Hier ein kleiner Filmausschnitt, den Du vermutlich kennst: Es ist die Schlussszene aus dem Film „Der Club der toten Dichter“.

Der Clip zeigt, wie stabil das Fundament der Beziehung der Schüler zu ihrem Lehrer ist. Ohne diese Basis, ohne die tiefe, innige Beziehung wäre niemand aufgestanden! Niemand hätte sich den formalen Vorgaben, den Regeln widersetzt!

Der Filmausschnitt zeigt aber auch, dass es manchmal notwendig, ja, unumgänglich ist, Dinge anzusprechen, die nicht der Regel, nicht der Kultur, nicht dem Mainstream entsprechen.

Nur dann, wenn es möglich ist, Dinge anzusprechen, die im tiefen Inneren verborgen liegen, kommt alles zur Sprache, was wichtig ist, um eine Situation, eine problematische Aufgabe, ja auch eine Krise gemeinsam zu bewältigen.

Wie lässt sich Verbundenheit über die Krise hinaus in der täglichen Arbeit gestalten?

Für den Arbeitsalltag als Führungskraft ist es wichtig, von Machbarkeitsfantasien Abstand zu nehmen:

Verbundenheit ist nichts, was sich gesteuert herstellen lässt!

Beziehung lässt sich nicht verordnen – unabhängig von der Position in der Hierarchie, unabhängig von “formalen” Macht.

Führungsaufgabe ist vielmehr, die Bedingungen und Strukturen zu gestalten, in denen Beziehung, in denen Verbundenheit erlebt und neu gelebt werden kann!

Und eine der Grundbedingungen für gelingende Beziehung der Menschen untereinander ist es, psychologisch sichere Gesprächsräume – Dialogräume zu schaffen.

Mit Dialogräumen – ich habe das im verlinkten Beitrag ausführlich beschrieben – meine ich Räume und Zeiten, in denen sich die Mitarbeiter*innen psychologisch sicher fühlen, Dinge anzusprechen, die ggf. nicht dem Mainstream, ggf. nicht der offiziellen Linie der Organisation entsprechen.

In derartigen Räumen und Zeiten muss es möglich sein,

  • Fragen zu stellen,
  • neugierig zu sein,
  • eigene Fehler zuzugeben,
  • unbequeme Informationen zu teilen,
  • oder auch Position gegen einen Vorschlag einer hierarchisch übergeordneten Person, Gruppe oder Stelle zu beziehen.

In den Dialogräumen ist es notwendig, echtes Zuhören gelingen zu lassen.

Zuhören bedeutet hier mehr, als den Fokus (nahezu) ausschließlich auf Daten und Fakten zu legen. Natürlich ist es auch im Bereich der “Daten und Fakten” wichtig, bewusst Unterschiede und Widersprüche zum Gewohnten wahrzunehmen und zu versuchen, diese mit gewohnten Mustern zu verknüpfen. Ganz klar: die sachliche Auseinandersetzung über Daten und Fakten öffnet das (logische) Denken. Dies ist aber nur die erste Ebene.

Die relevante (und leider oft zu wenig beachtete) Ebene des Zuhörens ist die Öffnung des Fühlens. Hier kommt Empathie ins Spiel und der Versuch, den Anderen wirklich, man könnte auch sagen: vollständig wahrzunehmen.

Erst wenn das Konkurrenzdenken überwunden wird, wenn das gemeinsame Lernen in den Vordergrund rücken, können die Beziehungen der einzelnen Stakeholder und das größer werdende Vertrauen einen echten Dialog auf Augenhöhe und – in seiner Folge –  vor allem gegenseitiges Verstehen ermöglichen.

Aus der Öffnung des Fühlens und des damit einhergehenden gegenseitigen Verständnisses der Menschen können dann neues Handeln, neue Ideen, echte Weiterentwicklung, tatsächlicher Fortschritt entstehen.

Hier wiederum der Hinweis auf die Theorie U, in der dieses Vorgehen umfassend dargelegt ist.

Konkret bedeutet dies, dass es – vor allem, aber nicht nur in konfliktbehafteten Situationen – Regeln bedarf, an die man sich in den Gesprächen verbindlich halten muss. Es gilt, den Mitgliedern eines Teams vorab definierte und damit für alle gleiche Redeanteile zuzugestehen – unabhängig von der hierarchischen Position.

Das kann in gesonderten Runden sein, in explizit einberufenen, zu bestimmten Themen stattfindenden Dialogräumen. Das kann aber auch im Alltag, bspw. in den gemeinsamen Teamsitzungen sein.

Hier lohnt sich eine Abwandlung des für Paare konzipierten „Zwiegesprächs, das nach festen Regeln jedem Partner feste und gleiche Redeanteile zuweist, um in verzwickten Situationen wieder zueinander finden zu können.

Agile Arbeit in einer Kultur der Verbundenheit verbindlich gestalten

Abschließend lohnt sich noch einen Blick auf die aktuellen Diskussionen rund um agiles Projekt-Management, agile Führung und die Arbeit in zunehmend selbstbestimmt agierenden Teams:

In den aktuell alle Bereiche unseres Lebens tangierenden dynamischen und komplexen Veränderungen, auf privater, beruflicher wie sich auf gesellschaftlicher Ebene, ist es entscheidend, schnell und anpassungsfähig zu agieren.

Die Entwicklungen der Pandemie in den letzten beiden Jahren haben die sowieso schon vorherrschende Veränderungsgeschwindigkeit auf noch mal ein neues Level gehoben und der Krieg in der Ukraine zeigen, dass wir ganz bestimmt nicht in ruhigere Zeiten kommen werden.

Und gerade in diesen komplexen Settings, wo der Weg zum Ziel ebensowenig klar ist wie das Ziel selbst, lohnt sich agiles Arbeiten.

Voraussetzung für agile Arbeit sind (mindestens) zwei Aspekte, die ich hier betonen will:

Zum einen ist Kern agilen Arbeitens, sich in kurzen Iterationen, Schleifen lernend voranzubewegen.

Nicht mehr das vorab definierte Ziel steht im Vordergrund und muss auf Teufel komm raus erreicht werden, sondern die Anpassung an sich verändernde Bedingungen und das schnelle Nachsteuern und Reagieren auf neue Entwicklungen ist relevant.

In der Projekt- und Angebots-, aber auch in der Organisationsentwicklung reden wir von Iterationen, die nur ein paar Wochen umfassen, in der Strategieentwicklung und -umsetzung können die Schleifen auch Quartale oder noch etwas längere Zeiträume umfassen. Wichtig ist, nach den Zeitintervallen Retrospektiven durchzuführen und gemeinsam zu lernen!

Zum anderen ist relevant, dass die für die selbstbestimmte Arbeit innerhalb der Zeitintervalle festgelegten Bedingungen, Regeln und Vorgaben verbindlich von allen Beteiligten eingehalten werden. Dabei stellen sich bspw. folgende Fragen, die vorab zu klären sind:

  • Wann werden die Fortschritte überprüft?
  • Wann finden Retrospektiven statt?
  • Wann werden Ergebnisse geteilt?
  • Über welches Medium kommunizieren wir unsere Arbeit?
  • Wer entscheidet über Änderungen?

All dies ist vorab zu klären und dann verbindlich einzuhalten.

Das heißt nicht, dass diese Regeln und Vorgaben in Stein gemeißelt sind und nicht mehr verändert werden dürfen. Aber für einen wiederum vorab definierten Zeitraum müssen sich alle Beteiligten verbindlich an die vorab definierten Regeln halten. Sonst kommt es zur Beliebigkeit.

Beliebigkeit aber macht es unmöglich, Fortschritte und Auswirkungen der Arbeit auf bestimmte Ursachen zurückzuführen. Beliebigkeit führt dazu, dass irgendwer irgendwas irgendwie macht und daraus vielleicht – vielleicht aber auch nicht – Entwicklung geschieht.

Interessant ist noch ein Blick auf die sog. Scrum-Werte, also Werte, die grundlegend für ein „Funktionieren“ der Methode Scrum sind und für ein guten Umgang miteinander und für (psychologische) Sicherheit sorgen sollen. Die fünf Scrum-Werte sind:

  • Mut,
  • Fokus,
  • Offenheit,
  • Respekt und
  • Verbindlichkeit.

Damit soll der angesprochenen Beliebigkeit innerhalb der selbstbestimmt agierenden Teams, die die Methode Scrum nutzen, entgegnet werden.

Denn Beliebigkeit führt vor allem dazu, dass die Verbundenheit zur Arbeit und zu den Menschen im beruflichen Umfeld leidet.

Wenn ich mich nicht mehr auf das verlassen kann, was vorab ausgemacht wurde, verliere ich das Vertrauen – in die Menschen, die Arbeit, die Organisation. Und verloren gegangenes Vertrauen untergräbt jede Beziehung und damit die Annäherung an Verbundenheit!

Sehr schmerzlich haben wir das, diesen Bruch und das damit einhergehende fehlende Vertrauen in den letzten Wochen auf internationaler Ebene erleben dürfen. Alle vorab definierten Regeln wurden gebrochen.

Damit wurde jegliche Verhandlungsoption aufgegeben und jegliches Vertrauen zerstört.

Eine Kultur der Verbundenheit entwickelt sich durch Verbindlichkeit

Abschließend will noch einmal zusammenführend:

Die Herstellung von Verbindlichkeit, das Einhalten von Vorgaben, gilt – neben dem agilen Arbeiten – auch für die vorab beschriebenen Gesprächsräume. Sie machen es möglich, sich trotz auch massiver Meinungsverschiedenheit wieder näher zu kommen, wieder zu einer gemeinsamen Verbundenheit zu kommen. 

Zu dem, was wirklich zählt!

Verbundenheit braucht Verbindlichkeit gegenüber vorab gemeinsam definierten Regeln und Strukturen, die einen Rahmen schaffen, wie wir miteinander sprechen und Zusammenarbeit gestalten wollen. Daraus entwickelt sich eine trag- und zukunftsfähige Kultur der Verbundenheit in Organisationen.


P.S.: Was tust Du in Deiner Organisation, um eine Kultur der Verbundenheit herzustellen? Schreib es doch kurz in die Kommentare, würde mich sehr freuen!

Und wenn Du auf der Suche bist nach jemandem, der einen inspirierenden Impuls auf der nächsten Veranstaltung Deiner Organisation hält, dann sprich mich gerne an und wir schauen, was ich für Dich tun kann.

Wie neues Lernen und die Gestaltung der Zukunft mithilfe der Theorie U gelingen kann

Tags: , , , , , ,

Im Rahmen des letzten #BarcampFR22, dem Barcamp Lernräume, das am 19.03.2022 endlich wieder in Präsenz an der PH Freiburg stattfinden konnte, durfte ich eine Session beisteuern. Die mich leitenden Gedanken und Fragen will ich hier mit Euch teilen. Und für die ganz Eiligen unter Euch: Es ging um die Frage, wie es gelingen kann, neues Lernen und überhaupt Zukunft mithilfe der Theorie U von Otto Scharmer zu gestalten.

Hintergrund der Fragestellung war die Feststellung, dass es in Organisationsentwicklungsprozessen in der Regel um die reaktive Lösung von akuten Problemen geht.

https://twitter.com/HendrikEpe/status/1505077467723317253

Sehr selten aber geht es um die proaktive Gestaltung von etwas Neuem – aus der entstehenden Zukunft heraus. Das klingt vielleicht noch etwas unkonkret? Deswegen hier ein paar Erläuterungen, wenn auch nicht umfassend, dazu:

Was ist die Theory U?

Die Theory U wurde vom deutschen Aktionsforscher Otto Scharmer, der am Massachusetts Institute of Technology (MIT) lehrt und forscht, entwickelt.

Der Impuls zur Entwicklung der Theory U basiert auf der Erfahrung von Scharmer, dass verhältnismäßig viele Veränderungsprozesse nicht gelingen. Selbst die aktuell stark propagierte (und auch aus meiner Sicht hochgradig relevante) system(theoret)ische Sichtweise auf Veränderungsprozesse scheint oftmals nicht mehr ausreichend zu sein, um echte Veränderung nachhaltig zu gestalten.

Ausgangspunkt der Überlegungen zur Theory U ist der „blinde Fleck“, der den meisten Veränderungsprozessen zugrundeliegt. Scharmer verdeutlich dies am Werk eines Künstlers, dessen Werk man aus der Perspektive des Ergebnisses (Bild) oder des Entstehungsprozessen (man kann den_die Künstler_in beim Malen beobachten) betrachten. Der Zeitpunkt jedoch, an dem der_die Künstler_in zu malen beginnt (die leere Leinwand, Zeitpunkt der „Intuition“) bleibt als blinder Fleck verdeckt.

Für Veränderungsprozesse gilt analog, dass das, was zu tun ist, gut zu beobachten ist, ebenso das „wie“. Aber der innere Ort, die Quellen unseres kreativen Denkens und Handelns, bleiben verdeckt.

Dieser blinde Fleck und damit die Idee, sich aus diesen „inneren Quellen“ heraus in die „im Entstehen begriffene Zukunft“ einzufühlen, ist Kern der Theorie U.

Otto Scharmer hat für dieses Einfühlen in die im Entstehen begriffene Zukunft den Begriff des Presencing erfunden – eine Wortschöpfung aus „presence“ (dem „ganz präsent“ sein) und dem „sensing„, dem Spüren.

Presencing – wie kommen wir dorthin?

Die Theorie U nennt sich Theorie U, weil der Prozess einem U gleicht:

Es gibt die linke Seite des U, in dem es – kurz gefasst – darum geht, nicht mehr „einfach“ auf Herausforderungen zu reagieren und damit die altbekannten (und oftmals hinderlichen) Muster der Vergangenheit zu wiederholen.

Über die tiefgehende, neugierige Beobachtung und das echte Einfühlen in die Situation, die Menschen, die Organisation oder die anstehende Herausforderung wird es – so Scharmer – möglich, die eigenen Denkmuster, Haltungen und vorschnellen Lösungsoptionen wirklich infrage zu stellen und Neues zu entwickeln.

Erst dann, wenn es gelingt, sich mit dem Quellort – dem inneren Ort – zu verbinden, von dem aus die im Entstehen begriffene Zukunft wahrnehmbar werden kann, wird es möglich, die Herausforderungen der Zukunft adäquat und mit nachhaltigen Optionen anzugehen. Diesen Ort bezeichnet Scharmer als presencing.

Die rechte Seite des U hingegen nimmt dann die Praktiken des Prototypings, des Entwickelns und „ins Leben bringen“ der Optionen, die sich auf der linken Seite durch „die Praktiken des Öffnen“ gezeigt haben, in den Blick.

Wiederum sehr kurz gefasst geht es hier darum, die Optionen zu verdichten um darüber ins Handeln zu kommen, Prototypen des Neuen zu entwickeln und auszuprobieren, oder: Das Neue ins Leben zu bringen.

Zusammenfassend in den Worten von Otto Scharmer:

„Theory U is three things (1) a framework, (2) a method, and (3) a movement.“

(Scharmer, 2018, 131)

Wie gesagt, diese Zusammenfassung ist viel zu kurz, um auch nur annähernd abbilden zu können, wie umfassend und tiefgehend die Auseinandersetzung mit der Theorie U sein kann.

Dazu habe ich unten einige Quellen verlinkt, die bei der tiefergehenden Auseinandersetzung dienlich sein können.

Zwei Herausforderungen der Theorie U

Im Folgenden will ich auf die Thesen eingehen, die ich im Barcamp zugrunde gelegt habe:

In Fragen der Organisationsentwicklung, der Veränderung von sozialen Organisationen, von Schule und dem Bildungssystem als Ganzes, in der Transformation auch anderer gesellschaftlicher Systemen (Wirtschaft, Gesundheit, Landwirtschaft, Politik…) bewegen wir in der Regel nur auf den „sichtbaren“ Ebenen der Veränderung:

Konkret a) reagieren wir in den meisten Fällen, ohne uns tiefergehende Gedanken gemacht zu haben. Seltener arbeiten wir b) an den Strukturen, die zu verändern sind. In noch selteneren Fällen arbeiten wir an c) den Prozessen, wodurch zumindest wirklich anderes Handeln notwendig werden würde. Und in den seltensten Fällen gelingt es uns, d) unser Denken, unsere Annahmen von Handeln, von Zukunft, von dem, was richtig ist, wirklich Infrage zu stellen. Und die Theorie U geht noch eine Ebene tiefer: In beinahe keinem Fall gelingt es und e) uns mit der im entstehen begriffenen Zukunft zu befassen und davon ausgehend ins Handeln zu kommen.

Daraus folgt, dass viele Veränderungsprozesse in Organisationen, Systemen und der Gesellschaft, genauso aber auch in unserem ganz individuellen Handeln scheitern (ja, auch individuell ist die Betrachtung der Theorie U hoch spannend), da wir nur an der Oberfläche der Herausforderungen kratzen, hier ein wenig Strukturen und dort ein paar Prozesse verändern. Aber schon unser Denken und damit die Option, dass es vielleicht komplett anders sein könnte, wird vernachlässigt.

Und auf die letzte Ebene, die Verbindung, das Presencing, kommen wir so gut wie nie.

Und ganz ehrlich – mir geht es in meinem Leben ganz genau so. Ich bleibe im Alten (das nicht immer nur schlecht sein muss) verhaftet, nehme die Lösungen aus der Vergangenheit für Probleme der Zukunft und wundere mich kontinuierlich, warum es denn so wenig voran geht…

Und gleichzeitig – darüber haben wir dann in der Session ausführlich gesprochen – bleibt die Frage:

Wie kommen wir denn dahin, auf diese fünfte Ebene, die Ebene des Presencing? Wie kommen wir zum „Quellort – unserem inneren Ort – von dem aus die im Entstehen begriffene Zukunft wahrnehmbar werden kann.“

In der Diskussion auf dem Barcamp wurde deutlich, dass es individuell, also als Einzelperson, noch gut gelingen kann:

Meditation, Ruhe, Natur, Hineinspüren in die eigenen Gefühlswelten usw. sind hier gute Optionen, die wirkungsvoll sein können, sofern man den Mut aufbringt, hinschauen und -fühlen zu wollen.

Deutlich herausfordernder ist dies jedoch bei Fragen des „System change“ – der Transformation ganzer Systeme und damit auch der wirklich tiefgehenden Organisationsveränderung. Wie schon angedeutet:

Die Führung der Organisation sieht zwar Probleme, bewegt sich (aus oftmals nachvollziehbaren Gründen) aber nur auf den oberen Ebenen des Prozesse:

Es erfolgen unmittelbare Reaktionen auf Probleme, manchmal erfolgt Strukturveränderung, manchmal auch die Entwicklung neuer Prozesse und Vorgehensweisen, selten kommt es zu wirklich neuem Denken und kaum kommt es zum Hinspüren in die im Entstehen begriffene Zukunft.

Herausforderung 1: Verhaften in bekannten Logiken

Dieses Verhaften in den bereits bekannten Denk- und Handlungslogiken bezeichne ich als Herausforderung 1: Wir kommen auf der linken Seite des U gar nicht in die Tiefe, um die eigentlichen Probleme anzugehen.

Und das liegt gar nicht an den nicht vorhandenen Methoden, auch kollektiv auf diese Ebenen vordringen zu können. So finden sich unter diesem Link bspw. einige der Tools, die im Presencing-Institut angeboten werden

Das Problem beginnt auf den Ebenen der Entscheider_innen, die ihr „Problem“ gelöst haben wollen. Aus Ressourcengründen soll dies möglichst schnell gehen, was – insbesondere in sozialen und Bildungseinrichtungen angesichts der angespannten Finanzierungssituation sowie operativem Druck – auch nachvollziehbar ist.

Hinzu kommt, dass wir alle – und insbesondere Entscheider_innen in Organisationen ebenso wie in der Politik – in die im jeweiligen System vorherrschenden Systemlogiken, Muster, Strukturen, Regeln, Rituale… eingebunden sind. Kurz gesagt:

Das System akzeptiert nicht, sich in der jeweiligen Position anders zu verhalten. Sich anders zu verhalten wäre aber notwendig, um neue Wege hin zu echten Lösungen zu entdecken.

Beide Punkte – Ressourcenknappheit und Systemlogiken – zeigen aber auch auf, dass es nicht die „Menschen“ sind, die „verbohrt, traditionell, bürokratisch, langweilig, mutlos…“ sind, sondern dass es die Rolle im System ist, die den Menschen – vermeintlich – kaum andere Handlungsoptionen eröffnen. Anders gesagt:

Nicht der Chef ist doof, sondern in der Rolle des Chefs bleibt dem Chef – vermeintlich – nur diese eine Handlungsoption.

Damit bleibt die Herausforderung 1, wirklich in die Tiefe des U, hin zum Presencing, zu kommen.

Herausforderung 2: Die linke Seite des U können wir, die rechte Seite weniger

Kernkompetenzen der Arbeit mit Menschen und damit auch sozialer Arbeit ebenso wie Arbeit in Bildungskontexten ist (bzw. sollte sein), sich auf andere Menschen und Gruppen einlassen zu können. Wir können „zuhören“ (wobei meine Frau da manchmal andere Auffassungen hat als ich…), wir kennen den Begriff Empathie und wissen, dass bspw. Carl Rogers Empathie als eine der Grundhaltungen gelingender Beratung definiert hat (neben Kongruenz und Akzeptanz).

Wir kennen sogar systemisches Denken und Handeln, da sich nur über die Betrachtung des Gesamtsystems, in dem Menschen eingebunden sind, nachhaltige Veränderungen erzielen lassen.

Ich will damit sagen, dass es uns – sofern die Bedingungen, Zeit und Ressourcen dafür gegeben sind – „leicht“ fällt, sich auf die linke Seite des U einzulassen, Methoden der Öffnung zu praktizieren, in die Tiefe von Menschen und Systemen zu spüren usw. Das sollten wir gelernt haben.

Aber die rechte Seite fällt uns schwer.

Ich will gar nicht sagen, dass wir Neues gar nicht entwickeln können. In Beratungen zur Entwicklung von Innovationsmanagementsystemen frage ich immer gerne danach, was in den letzten Jahren in den Organisationen Neues auf die Beine gestellt wurde. Und es ist sehr augenöffnend, festzustellen, dass es eine ganze Menge neuer Projekte und Angebote ebenso wie Entwicklungsinitiativen gab.

Gerade soziale Organisationen sind immer wieder herausgefordert, neu auf sich verändernde Umwelten zu reagieren. Die aktuellen Situationen rund um die Pandemie ebenso wie der Krieg Russlands gegen die Ukraine führen uns die Handlungsfähigkeit sozialer Organisationen und deren Fähigkeit, sich schnell auf neue Situationen einzustellen, eindrücklich vor Augen.

Aber die aktive Gestaltung „aus der entstehenden Zukunft heraus“ fällt uns schwer.

Das hat zum einen mit kaum vorhandenen Mitteln für die Zukunftsgestaltung zu tun: Soziale Organisationen haben kaum Budget, so etwas wie F&E – „Forschung und Entwicklung“ – aktiv zu betreiben. Nur größere Organisationen und Verbände haben entsprechende Ressourcen, auf die sie zugreifen können. Es fehlen sog. „Slack Ressources„, Puffer, die Neuentwicklungen aus der Organisation heraus möglich machen.

Hinzu kommt aber, dass wir es in sozialen Organisationen eher „gewohnt“ sind, zu reagieren, anstatt agil zu agieren. Die Muster der Gestaltung der Zukunft basieren auf langfristig geplanten, oftmals durch Projektgelder finanzierten Vorhaben, die wenig Offenheit für die aktive, wirklich anpassungsfähige Gestaltungen von Angebots- ebenso wie Prozess- und Strukturinnovationen lassen.

Gerade in der Projektarbeit muss das Ergebnis des Projekts vorab definiert und mit Meilensteinen hinterlegt werden. Agiles Arbeiten ist aber anders. Agiles Arbeiten setzt nicht vorab fest, was genau gestaltet werden bzw. wie das Ergebnis des Projekts am Ende aussehen soll.

Vielmehr geht es in der agilen Logik um die Gestaltung der Innovation im laufenden Prozess, um die Anpassung des Ergebnisses an die sich verändernden Bedarfe der Nutzer*innen. Nicht umsonst spricht Scharmer in der Theorie U vom „Prototyping“. Und Prototypen sind per Definition ein erster, zwar funktionsfähiger, aber immer weiterzuentwickelnder Versuch, Angebote, Prozesse, Geschäftsmodelle und ganze Organisationen neu zu gestalten.

Hier – in der Gestaltung dieser Prototypen – haben wir noch deutliche Luft nach oben. Es muss nicht feststehen, was am Ende herauskommt. Agilität – egal in welchem Kontext – bedeutet Anpassungsfähigkeit. Und damit auch die Anpassungsfähigkeit des Ergebnisses. Dieses muss nicht so aussehen, wie wir es uns als Expert_innen vorstellen, sondern so, dass es den Bedarfen der Nutzer_innen bestmöglich entspricht. Das gilt für Produkte, Angebote, Prozesse ebenso wie für die Transformation der Gesamtorganisation: Erfüllt die Art, wie die Herausforderung gelöst werden soll, die Bedarfe und den eigentlichen Zweck besser, als das bestehende Vorgehen?

Zusammenfassend Herausforderung 2: Wir müssen (weiter) lernen, agil im Besten Sinne und damit anpassungsfähig aus der entstehenden Zukunft heraus zu agieren, anstatt ausschließlich auf die auf uns einströmenden Herausforderungen zu reagieren.

Fazit, oder: Was tun, um Zukunft aus sich selbst heraus zu gestalten?

(c) Hendrik Epe

Abschließend will ich ein paar „Tipps“ mitgeben, wie es gelingen kann, „ins U abzutauchen“ und damit „Presencing“ zu ermöglichen sowie die Zukunft auch sozialer Organisationen aktiv, agil und damit anpassungsfähig aus der entstehenden Zukunft heraus zu gestalten.

  • Die Möglichkeiten sehen

Die aktuellen Herausforderungen lassen einen schnell in Resignation verfallen: Klima, Corona, Krieg und dann noch die zähe Entwicklung der eigenen Organisation führen zum Gefühl der Machtlosigkeit.

Wenn man den Blick jedoch wendet, zeigt sich ein anderes Bild: An vielen, kleinen und größeren Stellen zeigt sich, dass unglaublich viel Positives auf dieser Welt geschieht. Wenn wir den Blick abwenden von den Horrornachrichten der Welt hin zu dem, was du, ich und damit jede_r Einzelne gestalten kann, eröffnen sich Möglichkeiten des Handelns.

Das „Gelassenheitsgebet“ kann hier helfen:

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

  • Aus der Ferne betrachten

Um die Dinge zu sehen, die Du ändern kannst, hilft es oftmals, einen Schritt zurückzutreten und die Dinge, das System, die Organisation usw. aus der Ferne zu betrachten.

Wir sind oftmals gefangen in unserem täglichen Hustle, dass es uns schwer fällt, Situationen mit Abstand zu bewerten. Also:

Zurücktreten, innehalten, aus der Ferne betrachten, hinspüren, fühlen und reflektieren. Ach ja, das ist ja die linke Seite des U… 😉

  • Schreiben

Eine der (nicht nur) für mich wirkungsvollsten Strategien, um in die Tiefe zu gehen und meine eigenen Gedanken zu reflektieren, ist es, zu Schreiben. Deswegen auch der Blog hier 😉 Aber ernsthaft:

Schreiben verlangt, den eigenen Ideen und Gedanken auf den Grund zu gehen und diese zu sortieren. In den Ressourcen, die Scharmer für die Arbeit mit der Theorie U zur Verfügung stellt, gibt es das „Guided Journaling„. Es geht darum, angeleitet und an Fragestellungen orientiert, schnell und kompakt den eigenen, oft unbewussten Gedanken auf die Spur zu kommen. Vielleicht ist das ja eine Anregung, die auch Dir hilft.

  • Mutig handeln

Wenn die eigenen Möglichkeitsräume ausgelotet wurden (und es gibt immer Möglichkeitsräume), sollten diese genutzt werden. Das kann im ganz Kleinen beginnen:

  • Leave it

Wenn Du feststellst, dass gar nichts geht, kannst Du immer den Ort verlassen. Ja, ich weiß, mit allen Rahmenbedingungen, Herausforderungen, Unsicherheiten. Aber:

Wir haben die Freiheit, zu handeln. Wir müssen nur mit den Konsequenzen umgehen können. Das kostet noch mehr Mut und Überwindung. Einer meiner Lieblingssätze dazu lautet:

„Everything you’ve ever really wanted is on the other side of fear!

  • Gestalte das Neue

Wo, in Deinem Leben, Deiner Organisation, dem System, dass Du verändern willst, kannst Du mit einfachen Mitteln, ohne neue Ressourcen und in Deinem Verantwortungsbereich Neues gestalten? Auch hier lohnt es sich wieder, das Einfache in den Fokus zu nehmen:

Kannst Du das nächste Teammeeting anders gestalten? Kannst Du vielleicht mit einer Meditation beginnen? Kannst Du die Agenda anders vorbereiten? Müssen immer alle Menschen dabei sein, oder sind wirklich die Menschen bei der Teamsitzung, die etwas beizutragen haben?

Was geht einfach anders?

  • Lasse los und beginne zu verführen

Unsere Art, wie wir Arbeit, Organisationen und in vielen Teilen auch die Gesellschaft gestalten, basiert auf Steuerungsfantasien:

Wir haben die Fantasie, dass wir – wenn wir nur genug Pläne machen und lange Vorbereitungszeiten in Kauf nehmen, erfolgreich handeln können. Spätestens aber die Pandemie, der Krieg und die Klimakatastrophe haben gezeigt, dass Steuerung im klassischen Sinn nicht mehr möglich ist. Und auch die Arbeit mit Menschen in sozialen Organisationen, operativ an der Basis oder als Führungskraft von Teams und ganzen Bereichen, zeigt, dass Steuerung nicht funktioniert.

Anstatt Steuerung geht es vielmehr darum, das System in die gewünschte Richtung zu verführen.

Das gelingt über die Betrachtung der Herausforderung („Wo ist das Problem?“) und die Aufstellung von Hypothesen („Um das Problem zu lösen, können wir versuchen, XY zu tun!“). Die Hypothese ist dann über einen bestimmten Zeitraum zu testen und nach dem Zeitraum zwingend zu reflektieren: Haben sich positive Entwicklungen ergeben? Wenn nicht: Was können wir ändern?

Inspect and adapt, wie es im agilen Management so passend heißt.

Jetzt aber genug geschrieben. Ich hoffe, es waren einige interessante Gedanken dabei, die Dich auf dem Weg in die Zukunft aus der entstehenden Zukunft heraus begleiten können.

Und gerne stehe ich Dir zur Gestaltung des Neuen aus der Zukunft heraus zur Verfügung – für Dein eigenes Teams und Deine eigene Organisation – in der Hoffnung, unsere Systeme wirksam und zukunftsfähig zu gestalten. Freue mich auf Deinen Kontakt!

Und wenn die Informationen Dich in Deiner Arbeit weitergebracht haben freue ich mich, wenn Du mir davon berichtest – bspw. hier in einem Kommentar...

Quellen:

Beratung der Zukunft, BANI und die Kultur der Digitalität – ein paar Gedanken

Tags: , , , , , , , ,

Der folgende Beitrag ist eine bearbeitete Version meiner Keynote zur Beratung der Zukunft, die ich auf dem Fachtag „Blended Counseling – Beratung, die ankommt!“ zum Modellprojekt HeLB – Helfen. Lotsen. Beraten. vom donum vitae Bundesverband am 16. März 2022 in Berlin halten durfte.

Ich will die Grundthese meines Impulses direkt an den Anfang stellen und dann erläutern, wie ich zu dieser These komme.

Meine These, die dem Impuls zugrunde liegt, lautet:

„Beratung der Zukunft verlangt nach Resilienz, Empathie, Kontext und Transparenz!“

Jetzt reiben Sie sich vielleicht verdutzt die Augen und wundern sich über diese doch etwas triviale Aussage?!

Wirksame Beratung der Zukunft braucht Resilienz, Empathie, Kontext und Transparenz!

Denn:

Wie sonst soll wirksame Beratung erfolgen?

Es ist doch selbstverständlich, dass die Beratenden über Resilienz verfügen müssen und damit über Fähigkeiten, sich von den oft emotional belastenden Beratungsgesprächen zu erholen bzw. gesund auf neue Herausforderungen, Themen und Veränderungen zu reagieren?

Resilienz kann zudem als Ziel von Beratung gedacht werden: Wirksame Beratung sollte unter anderem darauf abzielen, die Anpassungsfähigkeit des/der Beratenden auf belastende Situationen zu erhöhen.

Es ist doch auch selbstverständlich, dass wirksame Beratung nur durch Empathie gelingen kann. Schon Carl Rogers hat mit Blick auf die personenzentrierte Gesprächstherapie Empathie, das einfühlende Verstehen und nicht wertende Eingehen, als eine der zentralen Grundhaltungen beschrieben (vgl. Rogers, C.: Der neue Mensch, 1981).

Und es ist auch selbstverständlich, dass der Kontext, die Lebenswelten und Systeme, in denen die zu Beratenden eingebunden sind, nicht außer acht gelassen werden können und dürfen. Die isolierte Betrachtung nur der Person oder gar nur einzelner ihrer Verhaltensweisen lässt enorme Potentiale ungenutzt. Die Betrachtung der Kontextbedingungen jedoch kann dazu führen, dass das, was eben noch gestört wirkte, plötzlich genutzt werden kann.

Und auch der letzte Punkt – die Transparenz – ist nun wirklich nichts Neues in der Beratung. Erfahrene Berater_innen treffen sehr spontane Aussagen, Einschätzungen häufig „aus dem Bauch“ heraus, sie nutzen ihre Intuition, und das auch, wenn bestimmte Gründe vorliegen, die eine anders basierte Entscheidung nahelegen. Und dies, die auf Intuition basierte Entscheidung, sollte immer möglichst transparent dargelegt werden.

Mit den vier Begriffen der „Resilienz“, „Empathie“, „Kontext“ und „Transparenz“ sind Basiskompetenzen der Beratung beschrieben.

Aber was hat das jetzt mit der Zukunft, was hat das mit der digitalen Transformation bspw. der Kultur der Digitalität zu tun?

Die Zukunft ist BANI

Zunächst will ich dazu auf „die Zukunft“ schauen, sofern das überhaupt möglich ist.

Die meisten von Ihnen kennen sicherlich die Abkürzung „VUCA“ oder werden schon einmal von der VUCA-Welt gehört haben, in der wir leben?

Nur ganz kurz will ich VUCA beschreiben, dass die Welt, in der wir leben, von V = Volatilität, also schnellen Veränderungen, von U = Unsicherheit, von C = Complexity, Komplexität und von A = Ambiguität, also Mehrdeutigkeit, geprägt ist.

Das Konzept und die dahinterliegenden Ideen sind immer noch aktuell und richtig, aber – auch wenn sie herausfordernd genug sind – sie reichen nicht mehr aus. Deswegen will ich Ihnen eine neue Abkürzung mitgeben, die aus meiner Sicht aktueller denn je ist. Die Abkürzung lautet BANI!

BANI steht für die englischen Worte

  • B:rittle (brüchig),
  • A:nxious (ängstlich, besorgt),
  • N:on-linear (nicht-linear) und
  • I:ncomprehensible (unbegreiflich)

Brittle = Brüchig:

Brüchig meint, dass von außen oftmals nicht feststellbar ist, dass Systeme, Häuser, Brücken, Staaten uvm. an die Belastungsgrenze kommen und plötzlich zusammenbrechen. Ein sprödes und brüchiges System in einer BANI-Welt kann die ganze Zeit signalisieren, dass es gut ist, dass es stark ist, dass es in der Lage ist, weiterzumachen, auch wenn es kurz vor dem Zusammenbruch steht. Sie kennen die Redensart „Alles gut!“ – die ich im Übrigen selbst sehr oft benutze…

Beispiele für die Brüchigkeit unserer Welt lassen sich an vielen Stellen finden. Brüchig sind bspw. Monokulturen, die durch den Befall eines einzelnen Schädlings von jetzt auf gleich zusammenbrechen. Ich selbst erlebe das gerade in meiner Heimat, dem Sauerland, geprägt von Fichtenmonokulturen, die durch den Befall des Borkenkäfers innerhalb von kürzester Zeit komplett absterben.

Borkenkäferwald im Sauerland (Bild von Lothar Epe)

Brüchig sind aber auch Werte, die als bislang feststehend galten. Der Krieg in Europa führt uns das vor Augen: Ja, die von Russland ausgehende Spannung an der ukrainischen Grenze war hoch, aber wer hätte wirklich mit einem Angriffskrieg der Russen gerechnet? Der Frieden in Europa war doch stabil? Und im individuellen Kontext zeigt sich, dass die Pandemie in vielen, eigentlich als gesund zu betrachtenden Menschen, die Belastungen so hochgefahren haben, dass diese – und hier insbesondere Frauen – zusammenbrechen. Coronabedingte Belastungsstörungen sind das Stichwort, mit dem Sie sicherlich privat oder in ihrer Arbeit konfrontiert sind.

Anxious = Ängstlich

Ängstlich meint, dass ein Gefühl der Hilflosigkeit um sich greift und – egal, was wir tun – es immer das Falsche sein kann. Jede Entscheidung kann potenziell katastrophal sein. Angst führt zu Passivität und Lähmung – und zur Verzweiflung:  keine Entscheidung treffen – eine falsche Entscheidung treffen. Und die Herausforderungen der aktuellen Zeit sind ja wirklich beängstigend. Es reicht die drei großen K zu nennen – Corona, Krieg und Klimakatastrophe 😉

Und diese Angst wird permanent geschürt durch das Medienumfeld und hier insbesondere die digitalen Medien: Ein Blick in die Trends auf Twitter lässt einen aufschrecken: Was ist wieder passiert? Wo, irgendwo auf der Welt, kommt die nächste Katastrophe auf uns zu? Sich dem zu entziehen, fällt unglaublich schwer, da Nachrichten in der digitalen Welt auf Klickzahlen angewiesen sind und negative Überschriften und Schreckensnachrichten deutlich häufiger geklickt werden als positive Nachrichten. Mal ehrlich: Wie lange hätten viele Nachrichten früher gebraucht, um in unserer analogen Timeline – also der Regionalzeitung – zu landen?

Non-linear = Nicht-linear

Nicht-linear lässt sich mit der Komplexität gleichsetzen: Kurz gesagt ist gemeint, dass Ursache und Wirkung von Ereignissen scheinbar völlig unzusammenhängend sind und die Auswirkungen oft unverhältnismäßig erscheinen. Insbesondere die Pandemie hat diese Nicht-Linearität deutlich gemacht: Das Ausmaß und der Umfang dieser Pandemie gehen weit über unsere bisherigen Erfahrungen hinaus. Die exponentielle Ausbreitung der Infektion, ausgelöst durch einen nicht sichtbaren Virus, war und ist immer noch unglaublich.

Aber auch die schon angesprochene Klimakatastrophe ist ein gutes Beispiel für Nicht-Linearität: Wir erleben jetzt und zukünftig zunehmend die Auswirkungen von unserem oftmals weit in der Vergangenheit liegenden Verhalten bzw. sind wir nur zu einem völlig unwesentlichen Teil an den massiven Auswirkungen schuld. Die Trägheit des Klimasystems ist gewaltig und die Auswirkungen der Veränderungen zeigen sich nicht sofort. Wenn, dann aber heftig: Die Flut im Ahrtal im letzten Jahr hat sich diesbezüglich wohl eingeprägt.

Incomprehensible = Unverständlich und unbegreiflich

Wir versuchen Antworten zu finden auf Ereignisse der Gegenwart, die uns selbst aber sinnlos und unlogisch erscheinen. Auch hier wieder die aktuellen politischen Ereignisse als Beispiel: „Warum hat Putin die Ukraine angegriffen?“ Für die meisten von uns ist es völlig unverständlich und unbegreiflich.

Ein anderes Beispiel sind aber auch hier die digitalen Entwicklungen rund um die künstliche Intelligenz, rund um Big Data, Blockchain oder das Metaverse.

Ein toller Beitrag zu BANI findet sich bei Stephan Grabmeier.

Chaos

Das Modell BANI als Beschreibung der Zukunft klingt zunächst resignativ, in Teilen gar apokalyptisch. Brüchigkeit, Angst, Nichtlinearität und Unverständlichkeit sind nicht unbedingt das, was wir uns in unserem Leben wünschen.

Aber der Blick zu unseren Sitznachbarn, der Blick in die Herausforderungen unserer Familien, der Blick in unsere Organisationen, der Blick in unsere Gesellschaft und der Blick über unsere Grenzen hinaus auf unsere Welt zeigt, dass BANI genutzt werden kann, um zunächst anzuerkennen, dass wir uns in einer neuen Phase, einer Umbruchphase, befinden könnten, in einem chaotischen Dazwischen.

Antonio Gramsci, italienischer Autor, bringt es gut auf den Punkt:

„Die alte Welt liegt im Sterben, die neue ist noch nicht geboren: Es ist die Zeit der Monster.“

Antonio Gramsci, ital. Autor, +1937

Was damals galt, gilt auch heute:

BANI gibt den Monstern, denen wir gerade begegnen, einen Namen, macht sie sprachfähig und damit – als erster Schritt – vielleicht weniger bedrohlich.

Den Monstern begegnen

BANI zeigt aber auch auf, wie wir den Monstern unserer Zeit begegnen können.

So folgt die Frage, wie wir mit der Brüchigkeit, Angst, Nichtlinearität und Unverständlichkeit in unserer Welt umgehen können.

Und Sie haben es vielleicht bereits erraten. Es schließt sich der Kreis zu meiner Ausgangsthese:

„Beratung der Zukunft verlangt nach Resilienz, Empathie, Kontext und Transparenz!“

Wir können versuchen,

  • der Brüchigkeit mit Anpassungsfähigkeit und Resilienz zu begegnen;
  • der Angst mit echtem Zuhören, mit Empathie zu begegnen;
  • der Nichtlinearität mit einer Betrachtung des Kontextes zu begegnen;
  • der Unverständlichkeit mit Transparenz und dem Verlassen auf unsere Intuition zu begegnen.

Die Grundhaltungen und Werte, die Sie in der Beratung Ihrer Klient*innen an den Tag legen, können dazu dienen, dass wir nicht nur selbst in dieser oftmals chaotischen Welt irgendwie zurechtkommen, sondern diese Welt gestalten können.

Gestalten setzt jedoch Aktivität, unser aller Aktivität voraus.

Vitali Klitschko bringt es in diesen Tagen auf den Punkt, wenn er schreibt:

„Keine Demokratie ohne Demokraten!“

V. Klitschko

BANI und die Kultur der Digitalität

Jetzt warten Sie wahrscheinlich schon lange darauf, was meine ausführliche Vorrede und das Konzept BANI mit der Beratung der Zukunft in einer Kultur der Digitalität zu tun hat?

Ich nutze sehr bewusst den Begriff der „Kultur der Digitalität“, denn in den letzten Jahren dürfte jedem Menschen in unserer Gesellschaft klar geworden sein, dass das mit dieser Digitalisierung nicht mehr vorüber gehen wird.

Die digitale Transformation läuft, an manchen Stellen schneller, an anderen Stellen, in manchen Organisationen und Branchen, eher langsamer. Aber wir kommen nicht darum herum, die digitale Transformation zu akzeptieren und vor allem:

Diese aus unserer Perspektive zu gestalten.

Der Begriff der „Kultur der Digitalität“ zeigt jedoch, dass es keine Trennung mehr gibt zwischen der „realen Welt“ und der „digitalen Welt“. Wenn Sie so wollen ist die Kultur der Digitalität der nächste Schritt nach der digitalen Transformation. Auf Wikipedia heißt es:

„Im Gegensatz zu den Begriffen der Digitalisierung oder der digitalen Transformation, die vor allem eine technologische Entwicklung bezeichnen, bezieht sich Digitalität viel stärker auf soziale und kulturelle Praktiken.“

Die Kultur der Digitalität

Und die Kultur der Digitalität basiert nach Felix Stalder darauf, dass die drei Ebenen Referentialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität in den Blick genommen und unser Leben bestimmen werden.

Referentialität meint, dass zunehmend auch kulturelle Erzeugnisse digital verfügbar gemacht werden und damit neu kombiniert und weiter entwickelt werden. Als Beispiel werden Bücher digitalisiert, stehen damit breit zur Verfügung und die Inhalte werden genutzt, um in bspw. Blogbeiträgen verbreitet und erweitert zu werden. „Everything is a remix“, wie ein Freund von mir einmal gesagt hat.

Die skizzierte Rekombination von allem Möglichen findet in Gemeinschaft statt. Unsere Identität finden wir zunehmend weniger in klassischen Konstrukten wie Familie, Arbeitsplatz oder Vereinen, sondern zunehmend in persönlichen, digital-sozialen Netzwerken. Wahrscheinlich stellen Sie das an Ihren Klient*innen fest, vielleicht sogar an ihren eigenen sozialen Netzwerken?

Mit Algorithmizität beschreibt Stalder die wachsende Bedeutung der Beeinflussung unseres Lebens durch Algorithmen. Wenn Sie bspw. eine Suche bei Google eingeben, bekommen Sie ein anderes Ergebnis als ich, da die Algorithmen bereits von Ihrer Suchhistorie gelernt haben und so unsere Welt „für jeden User eigens generier[en]“ (S. 189). Dadurch gestalten die Algorithmen, wie wir denken und handeln, was wir konsumieren, welche Filme wir schauen, welche Werbung wir sehen und so weiter.

BANI und die Digitalität

Der Blick auf diese Kultur der Digitalität erzeugt wiederum die Gefühle, die Sie auch beim Blick auf die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen und damit auf BANI hatten:

Das fühlt sich oft alles ziemlich überfordernd, beängstigend, nichtlinear und unverständlich an, oder?

Aber noch einmal:

Wenn es Ihnen gelingt, auch in der Kultur der Digitalität der

  • permanent vorhandenen Brüchigkeit mit Anpassungsfähigkeit und Resilienz;
  • der sich bei Ihnen und bei Ihren Klient*innen zeigenden Angst mit echtem Zuhören, mit Empathie zu begegnen;
  • der Nichtlinearität mit einer Betrachtung Ihres Kontextes und der Kontexte Ihrer Klient*innen und
  • der Unverständlichkeit den Veränderungen durch die Digitalisierung mit Transparenz und dem Verlassen auf unsere Intuition zu begegnen,

dann wird die Gestaltung der Beratung der Zukunft möglich.

Das klingt noch etwas abstrakt.

Handlungsoptionen in der Kultur der Digitalität

Deswegen will ich versuchen, Ihnen abschließend noch ein paar konkrete Handlungsoptionen mitzugeben, die wiederum die vier Grundhaltungen aufgreifen:

Entwicklung von Anpassungsfähigkeit und Resilienz

Zur Entwicklung von Anpassungsfähigkeit und Resilienz in einer Kultur der Digitalität lohnt es sich, auf die drei Ebenen Umwelt, Person und Prozess zu schauen.

  1. Umwelt bedeutet, dass Sie überlegen sollten, wo Sie Unterstützung zum Thema Digitalisierung in Ihrem Umfeld bekommen können.
  2. Ihre persönliche Ebene umfasst die Notwendigkeit der eigenen Auseinandersetzung mit den sich in der digitalen Welt vollziehenden Entwicklungen. Sie können viel Lernen, Weiterbildungen, Veranstaltungen besuchen usw., um darüber Ihre persönlichen digitalen Kompetenzen zu erweitern. Dadurch wiederum steigt Ihre Erwartung an Ihre Selbstwirksamkeit ebenso wie Ihre Problemlösungsorientierung.
  3. Und die Prozessfaktoren zur Entwicklung von Resilienz in einer Kultur der Digitalität lassen sich dahingehend fassen, dass in den Herausforderungen der Digitalisierung Chancen und Möglichkeiten erkannt werden. Es bedeutet aber auch, das zu akzeptieren, was Sie selbst nicht verändern können und Ihre Konzentration auf das zu richten, was Sie zum jetzigen Zeitpunkt mit den vorhandenen Ressourcen gestalten können.

Umgang mit Angst

Für den Umgang mit Angst habe ich in einem vorherigen Beitrag empfohlen, in Dialogräume einzutreten und aus dem echten Zuhören Zukunft zu gestalten.

Ohne in die Tiefe gehen zu können, bietet die Theorie U von Otto Scharmer hier sehr hilfreiche Hinweise, Methoden und Tipps, die aus meiner Sicht perfekt zur Arbeit in der Beratung passen.

Wo aber gibt es in Ihrer Arbeit diese Dialogräume, die explizit die Herausforderungen der Digitalisierung thematisieren und wo Sie mit Ihren Kolleg*innen angstfrei über die Möglichkeiten und Risiken sprechen können? Formate wie bspw. Barcamps helfen hier enorm.

Umgang mit Nichtlinearität

Und auch für den Umgang mit Nichtlinearität und der oft überwältigend erscheinenden Komplexität haben wir in der Sozialen Arbeit Werkzeuge, die enorm hilfreich sind. Insbesondere will ich hier das systemische Denken hervorheben.

Systemisches Denken zeigt zum einen die Kontexte, in denen Sie und auch ihr Klientel eingebunden sind. Systemisches Denken zeigt zum anderen sehr eindrücklich, dass wir viele Entwicklungen und vor allem unsere Organisationen nicht steuern können.

Es gilt vielmehr, über Impulse in die sozialen Systeme zu versuchen, diese in eine gewünschte Richtung zu verführen. Welche Richtung dies im Bezug auf die Digitalisierung ist, sollten Sie immer an der Frage der Sinnhaftigkeit festmachen: Wo macht es Sinn, digitale Tools zu nutzen, wo können Sie wirklich davon profitieren? Wo aber auch nicht? Wo sind analoge Treffen und Gespräche wichtiger und zielführender?

Umgang mit Unverständlichkeit

Und jetzt wirklich abschließend können Sie der Unverständlichkeit begegnen, indem Sie das, was Sie tun, so transparent wie möglich machen – in Ihren Organisationen, in den Beratungen mit Ihrem Klientel und in Ihrem privaten Umfeld. Zur Transparenz gehört dann auch das transparente Eingestehen, etwas nicht zu wissen, unsicher zu sein und viele Entwicklungen nicht in der Hand zu haben.

Übrigens basieren alle „neueren Organisationskonzepte“ – agiles Arbeiten, selbstbestimmt agierende Teams, New Work, wenn Sie so wollen – auf Transparenz, die im Gegensatz steht zur Abschottung und zur Nutzung von Wissen als Machtinstrument.

Damit noch einmal zum Abschluss:

Beratung der Zukunft verlangt nach Resilienz, Empathie, Kontext und Transparenz!

Nutzen Sie das, was Sie können!


P.S.: Sind Sie auf der Suche nach einem aktivierenden Impuls für Ihre Veranstaltung? Dann nehmen Sie doch direkt mit mir Kontakt auf und wir schauen, was ich für Sie tun kann!

P.P.S.: Sie können natürlich auch meinen Newsletter abonnieren und sich darüber inspirieren lassen 😉