Wohin denn eigentlich? – Eine Vision für innovative Organisationen der Sozialwirtschaft

Vision

Inhalt:

Mein Sohnemann schaut mich an und fragt mit großen Augen „Wo geh ma jetzt?“

Die Übersetzung ist nicht so kompliziert: Wohin geht es denn jetzt schon wieder? Er fragt das immer, da er unsere Pläne und Ideen nicht wirklich verfolgt, sondern lieber mit Autos spielt. Er ist dann immer ziemlich überrascht, wo es jetzt schon wieder hingeht. Manchmal ist er begeistert, beispielsweise bei Spielplätzen oder dem Schwimmbad. Manchmal ist er aber auch wenig begeistert, beispielsweise beim Thema Bett.

Wo geh ma?

Ja, wohin denn eigentlich? Was ist das Ziel aller Bemühungen? Eine vielleicht etwas übergreifende Fragestellung, die mich gerade mit Blick auf das Thema Innovation in Organisationen der Sozialwirtschaft ziemlich beschäftigt.

Hintergrund ist, dass ich vor ein paar Monaten mein Kolloquium zu meiner Master-Thesis hatte. In diesem Kolloquium haben wir (meine Prüfer und ich) uns lange über eben dieses Ziel, die Vision, unterhalten. Wohin soll es gehen? Was ist die wünschbare Zukunft?

So hat meine Arbeit zwar – zumindest der Note nach zu urteilen – das Thema Innovation in Organisationen der Sozialwirtschaft sehr gut aufgegriffen und auch mit Blick auf die Überwindung organisationaler Innovationsbarrieren einige Anregungen gegeben.

Aber bei der Frage bin ich etwas ins Schleudern gekommen:

Wohin denn eigentlich?

Innovation mag gut und schön sein. Vor dem Hintergrund der anstehenden sowie der schon realen gesellschaftlichen Entwicklungen wird die Sozialwirtschaft auch nicht um das Thema Innovation herumkommen, soviel ist sicher.

Aber damit ist das Ziel aller Bemühungen um Innovation noch lange nicht klar! 

Bedeutsam ist somit, dass zunächst einmal klar sein muss, dass Innovation kein Selbstzweck sein kann. Dazu nur kurz zwei Punkte:

Innovation darf kein Selbstzweck sein.

Was ist Innovation denn eigentlich?

Dazu habe ich mich zu einer sehr übergreifenden Definition entschieden. Unter einer Innovation in Organisationen der Sozialwirtschaft verstehe ich die zielgerichtete Durchsetzung von neuen sozialen Dienstleistungen, wirtschaftlichen, organisationsstrukturellen und -prozessualen sowie sozialen Problemlösungen, die darauf ausgerichtet sind, die Ziele der Organisation auf eine neuartige Weise zu erreichen.

Hintergrund für die Wahl dieser Definition ist die Zielsetzung:

Nicht allein die Spezifika von Innovationen bezogen auf die Angebote der Sozialen Arbeit, sog. soziale Dienstleistungsinnovationen (wie bspw. die Implementierung eines neuartigen Angebotes für die Arbeit mit Flüchtlingen) stehen im Vordergrund. Vielmehr wird die Sichtweise auf die organisationalen Bedingungen für die Ermöglichung von Innovationen gelenkt, unabhängig davon ob es sich um Produkt- bzw. (soziale) Dienstleistungsinnovationen, wirtschaftliche, organisationsstrukturelle, -prozessuale oder soziale Innovationen handelt.

Durch die Fokussierung auf Innovation als Möglichkeit, aktuellen sowie zukünftigen Herausforderungen von Organisationen der Sozialwirtschaft angemessen begegnen zu können, gerät jedoch leicht aus dem Blick, dass Innovation nicht per se als „besser“ bezeichnet werden kann und aus unterschiedlichen Perspektiven auch kritisch zu beleuchten ist.

Innovation darf kein Selbstzweck sein. Die Frage der Nutzenstiftung für die Organisation (Prozessinnovation) bzw. den Nutzer (soziale Dienstleistungsinnovation) muss im Vordergrund stehen.

Zunächst ist bei kritischer Betrachtung von Innovation aus organisationaler Perspektive bedeutsam, dass die „Öffnung“ der Organisation im Sinne der Ermöglichung von Freiräumen zur Entwicklung und Umsetzung von Innovation immer in Verbindung zur Stabilität und damit der Geschlossenheit der Organisation gesehen werden muss.

Oder anders: Die Wertschöpfung ist trotz aller Bemühungen, Innovation zu ermöglichen, im Blick zu halten, schon allein, um die Wirtschaftlichkeit der Organisation nicht zu gefährden. Aus der Perspektive der Mitarbeitenden kann eine auf Innovation ausgerichtete Organisation auch zu Überforderung der Mitarbeitenden führen, sofern diese nicht über Kompetenzen für den herausfordernden Umgang mit Innovation verfügen und die organisationalen Bedingungen Innovation nur als Nebenprodukt behandeln und Innovationsfähigkeit damit kein Ziel der Organisation ist.

Aus fachlicher Perspektive ist ferner relevant zu analysieren, welche Interessen hinter einer vermeintlichen Innovation stehen und welche Konsequenzen die Innovation für die Organisation und insbesondere die beteiligten Individuen hat. Beispielhaft anführen ließe sich die Entscheidung einer Leitungskraft einer stationären Pflegeeinrichtung, Pflegeroboter zur Entlastung der Mitarbeitenden einzustellen. Das vordergründige Ziel (Entlastung der Mitarbeiter) ist für alle Beteiligten nachvollziehbar. Dass jedoch mit dem Kauf der Roboter die Kosten gesenkt und zumindest mittelfristig Arbeitsplätze bedroht sein können, ist ebenfalls zu berücksichtigen. Auch ist es wenig sinnvoll, irgendwas mit Medien zu machen, eine tolle Facebook-Seite zu eröffnen und diese irgendwie zu bespielen. Digitalisierung ist ein wesentlicher Punkt hinsichtlich der Innovationsfähigkeit, aber es muss doch um deutlich mehr gehen, oder?

Diesen Punkt abschließend ist anzumerken, dass Innovation immer auch einen Unsicherheitsfaktor bezogen auf mit der Innovation einhergehende, jedoch nicht intendierte, Effekte beinhaltet.

Über wen reden wir eigentlich

Zuerst kurz zu den Organisationen:

Organisationen der Sozialwirtschaft sind komische Gebilde. Einerseits zeigen sich viele kleine Initiativen und Vereine, die versuchen, irgendwie über Wasser zu bleiben, ihr Überleben zu sichern und extrem regional Ziele verfolgen. Zu nennen sind bspw. kleine Elterninitiativen, die  Waldkindergärten in Kleinstädten gründen, weil die Beteiligten glauben, dass es gut ist. Auf der anderen Seite finden sich Organisationen mit konzernartigen Strukturen, die in größeren lokalen Zusammenhängen Quasimonopole bilden und in unterschiedlichen Regionen die größten Arbeitgeber stellen. Hier sind bspw. Caritasverbände mit tausenden von Mitarbeitenden zu nennen. Somit wird schon hier deutlich, dass es wichtig ist, die jeweils eigene Organisation vor dem Hintergrund der im Folgenden aufgezeigten Vision zu beleuchten.

In den Organisationen arbeiten aber immer noch und vornehmlich Menschen, meist sind es sogar Experten in ihrem Fach. Klingt komisch, ist aber so und wird auch im Sozialbereich, trotz fortschreitender Digitalisierung, noch länger so bleiben. Das heißt, dass es auch die Menschen sind, die die Vision umsetzen müssen. Wer sonst?

Die im Folgenden beschriebene Vision von innovativen Organisationen der Sozialwirtschaft richtet sich somit vornehmlich an Führungskräfte in Organisationen der Sozialwirtschaft.

Das hat den einfachen Hintergrund, dass einzig basierend auf einer Führung, die neu denkt, auch die Organisation nachhaltig und tiefgreifend verändert werden kann. Neben eigenen Erfahrungen erläutert auch die breite Führungsliteratur regelhaft die Aussichtslosigkeit, Organisationen von innen heraus oder – in einer hierarchischen Denkweise – von „unten“, also ausgehend von den Mitarbeitenden, zu verändern.

So schreibt bspw. Laloux von genau zwei Bedingungen, die es verhindern können, eine Organisation auf ein „nächstes Level“ zu heben:

  1. „Top leadership: The founder or top leader (let’s call him the CEO for lack of a better term) must have integrated a worldview and psychological development consistent with the Teal developmental level. (…)

  2. Ownership: Owners of the organization must also understand and embrace Evolutionary-Teal worldviews. (…)“

Kurz: Nur die oberste Führungsriege, die Trägervertretung oder auch der Vorstand in Organisationen der Sozialwirtschaft hat die Macht, die Möglichkeiten etc., die Transformation der Organisation zu ermöglichen.

Das ist hart, das ist deprimierend, aber: Das ist so!

Nur als blödes Beispiel: Selbstorganisation und Verantwortung der Mitarbeitenden zu predigen, aber gleichzeitig Urlaubsregelungen aufzustellen, die von der Führungskraft selber nicht eingehalten werden, führt im besten Fall dazu, dass die Führungskraft nicht mehr ernst genommen wird. Im Schlechtesten werden die Mitarbeiter anfangen, im Hintergrund über die Führungskraft zu lästern, nicht mehr offen zu kommunizieren und vor allem die Anstrengungen zu intensivieren, die geltenden Regelungen zu umgehen. Das Vertrauen ist dahin, Dienst nach Vorschrift ist das, was maximal noch herauskommt.  

Eine Vision, oder so ähnlich 

Geklärt ist also, a) was ich unter Innovation verstehe und dass b) Innovation nicht einfach nur „besser“ ist. Besser muss immer im Verhältnis stehen zu etwas. Besser muss einen wünschbaren Zustand in der Zukunft beschreiben. Geklärt ist auch, dass das „Bessere“, also die Vision vor allem bei den Führungskräften der Organisation greifen muss, bevor sie über Hochglanzbroschüren „nach unten“ weitergegeben wird.

Was aber ist der wünschbare Zustand?

Menschenbild

Der für mich wünschbare Zustand der Zukunft besteht grundlegend in einem Menschenbild, dass die Menschen aller Ebenen der Organisation als Menschen betrachtet. Menschen, die eigene Ziele verfolgen, die von Grund auf motiviert sind. Menschen, die Lust haben, die Welt ein Stück besser zu machen. Menschen, die zusammen an etwas Größerem arbeiten als daran, einen sicheren Arbeitsplatz zu haben und am Nachmittag Kaninchen zu züchten. dieses Bild bezieht sich auch auf die Klienten der Organisation, die Kinder in den Kitas, die Jugendlichen, die Obdachlosen, die Senioren und Menschen mit Behinderungen.

Das ist doch logisch? Naja, so logisch ist es anscheinend leider nicht. Ansonsten würde Marie-Luise Conen in ihrem lesenswerten Buch „Ungehorsam –  eine Überlebensstrategie“ (danke an Petra Buhl für den Tipp) die Auswirkungen von fehlendem Vertrauen und einem Menschenbild, dass grundlegend anders ausgerichtet ist, nicht so eindrucksvoll beschreiben:

„In sozialen Einrichtungen, in denen man nicht mehr auf das Vertrauen der Mitarbeiter baut, setzt man nun auf Kontrolle der Mitarbeiter.“

Aber mal ehrlich: Jeder von uns kennt doch die „Low Performer“ (wie ich diesen Begriff hasse). Jeder von uns kennt doch die Menschen, die ohne die geregelte Mittagspause am nächsten Tag wahrscheinlich krank sind, oder? Und viele von uns haben immer noch im Kopf, dass Menschen, die ein bedingungsloses Grundeinkommen bekommen, nicht mehr zur Arbeit erscheinen, sondern nur noch zu Hause in der Hängematte gammeln, oder?

Wenn man jedoch die Menschen selbst fragt, wie sie denn ihr Leben gestalten würden, wenn sie nicht mehr wegen dem Geld zur Arbeit müssten, dann sagen beinahe alle, dass sie trotzdem weiterarbeiten würden. Vielleicht etwas weniger, vielleicht auch in einer anderen Firma, vielleicht sogar eher selbständig. Aber niemand, den ich bisher gefragt habe, sagt, dass er die (soziale) Hängematte bevorzugt. Meister Maslow unterstützt dies mit seiner Bedürfnispyramide, da Hängematte auf Dauer wenig mit Selbstverwirklichung zu tun hat.

Ärgerlich bei diesem Menschenbild ist jedoch, dass es nicht einfach „herstellbar“ ist.

„Das eigene Menschenbild gilt häufig als so selbstverständlich, dass es kaum in Frage gestellt oder mit anderen Sichtweisen verglichen wird.“

Es ist auch nicht zu verändern durch ein tolles Seminar zur Persönlichkeitserweiterung. Hier kann man sich besser das Geld sparen. Vielleicht gibt es so etwas wie Erleuchtung, aber die Wahrscheinlichkeit ist relativ gering.

Was also tun?

Fehlerkultur

Menschenbilder, Einstellungen, Glaubenssätze ändern sich durch Erfahrungen.

Wenn man eine Erfahrung so oder so macht, vertieft sich dieser oder jener Glaubenssatz. Ein Haufen Glaubenssätze ergibt ein Menschenbild oder anders: Das Menschenbild lässt sich spezifisch als ein Gefüge von Einstellungen definieren, die wiederum Überzeugungen enthalten, die eine hohe persönliche Gültigkeit haben, sie sind aus der Erziehung und der individuellen Lebenserfahrung entstandene persönliche Konstruktionen und Interpretationen der Welt entstanden (hier mehr dazu).

Oha, echte Hausfrauenpsychologie. Aber nicht ganz unwahr, mit dem Blick auf die Möglichkeit, Menschenbilder zu verändern.

Wenn das Menschenbild aus individuellen Lebenserfahrungen konstruiert wird, dann ist es möglich, basierend auf Erfahrungen, neue Glaubenssätze zu verankern und damit peu á peu das eigene Menschenbild ins Wanken zu bringen.

Konkret heißt das für mich, dass ich mir als Vision innovative Organisationen der Sozialwirtschaft vorstellen, die sich trauen, „neue Lebenserfahrungen“ zu machen und immer wieder neue Dinge auszuprobieren.

Ja, ausprobieren, einfach nur Trial and Error.

Warum soll man nicht einfach mal ausprobieren, ob und wie Selbstorganisation funktioniert? Warum soll man nicht einfach mal alle Regeln, die in der Organisation herrschen, knallhart auf den Prüfstand stellen? Warum sollte man nicht einfach mal überlegen, wie die Mitarbeitenden und die Klientel der Organisation in die Entscheidungsfindung und die Strategieentwicklung der Organisation mit einbezogen werden können? Warum sollte man nicht einfach mal versuchen, die Urlaubsregelung komplett abzuschaffen und die Mitarbeitenden selbst entscheiden lassen, wann und wie sie Urlaub nehmen? Und auch noch wieviel?

Versuch und Irrtum bedeutet jedoch, dass Versuche auch scheitern können.

Eben – Irrtum. Irrtum geht aber wiederum nur, wenn Scheitern nicht als Scheitern, sondern als Lernmöglichkeit begriffen wird. Und dies wiederum setzt das oben angemerkte Menschenbild voraus, dass nicht davon ausgeht, dass Menschen von Grund auf – etwas übertrieben – faul und nur auf den eigenen Mehrwert bedacht sind.

Es ist jedoch wichtig, zu reflektieren, welche Lernmöglichkeiten sich denn genau aus dem Scheitern (und natürlich auch aus dem Erfolg) der jeweiligen Versuche ergeben. Die Feststellung, dass ein Versuch gescheitert ist und daraus zu schlussfolgern, dass jetzt Wahnsinnig was gelernt wurde, führt nicht weiter. So sehe ich meine eigene Schulkarriere, bei der ich bspw. aufgrund nicht überzeugender Mathenoten einzig gelernt habe, dass Mathe doof ist.

Reflexion

So doof ist Mathe aber bestimmt nicht. Fraglich ist viel eher, warum es mir in der jeweiligen Situation so schwergefallen ist, Mathe als sinnhaft und wichtig zu erfahren. Damit will ich sagen, dass es Zeiten und Räume bedarf, die Reflexion überhaupt erst möglich machen, woraus wiederum, in unserem Fall, organisationales Lernen erwachsen kann. ES bedarf ein regelmäßiges Hinterfragen des aktuellen Weges.

Als Vision, und da sind wir ja gerade, stelle ich mir Organisationen der Sozialwirtschaft vor, in denen die Mitarbeitenden regelmäßig und zusätzlich bei besonderen Anlässen innehalten und lernen zu spüren, wohin die Organisation steuert oder sogar, wohin die Organisation will.

Nach der Hausfrauenpsychologie von oben kommt jetzt auch noch der Eso-Krams hinzu? Spüren, wohin die Organisation will? Geht’s noch?

Ja, vielleicht hat es tatsächlich etwas mit Spiritualität zu tun, wobei auch das etwas ist, was jeder Mensch für sich selbst definiert. Wichtiger aus einer systemischen Denkweise ist es jedoch, zu erkennen, dass die Organisation als soziales System nicht wie eine Maschine gesteuert werden kann, sondern aufgrund des Zusammenwirkens verschiedener Kommunikationen selbst Wirklichkeit schafft. Oder einfacher: Kausale „wenn-dann-Beziehungen“ in Entscheidungen (und damit auch im Scheitern) funktionieren nicht. Das Scheitern eines Projektes, einer Idee, einer Innovation, löst in der Organisation etwas aus. Was jedoch als Ergebnis herauskommt, ist nicht (oder aufgrund der Komplexität zumindest nur sehr schwer) vorherzusagen.

Hier bedarf es somit immer wieder Räume, Zeiten und Möglichkeiten, zu reflektieren, was ist, und zu spüren, was kommen könnte.

Schwierig und abgedreht? Aber warum nicht einmal versuchen, die Mitarbeiterbesprechungen mit einem Innehalten zu beginnen? Warum nicht einmal versuchen, Meditationsräume zu schaffen? Ja, die sozialarbeiterischen Kennenlernspielchen bekommen hier wieder eine ganz neue Bedeutung.

Auf die Spitze treiben kann man die Überlegung mit spezifischen Reflexionsräumen, die – bspw. in Form von „Innovation-Labs“ – nicht nur die Zeit, sondern auch den Raum für Reflexion bereitstellen.

Partizipation und die Orientierung auf das Team

Es wird immer wieder so getan, als ob Innovation oder auch innovative Unternehmen Werke einzelner „Genies“ wären.

Angefangen von Edison, über Jobs und Gates bis hin zu Yunus oder Raiffeisen, werden Menschen nach außen verkauft, die „Großartiges“ geleistet haben. Das mag sicher richtig sein, diese Menschen haben großartiges geleistet und ohne diese Menschen wäre Innovation in ihrer jeweiligen Sphäre auch nicht möglich gewesen. Aber haben die Menschen das alleine hinbekommen? Sicher nicht. Alle haben auf ein Team oder zumindest Unterstützer zurückgreifen können, und wenn es nur die eigene Oma war, die immer wieder gut zugeredet hat.

Damit will ich sagen, dass die Weiterentwicklung der Organisation aus dem stillen Kämmerlein heraus nicht möglich ist.

Zwar lassen sich Ideen entwickeln, aber Innovation ist die Umsetzung von Ideen. Und zu dieser Umsetzung bedarf es den Rückhalt der Menschen, die von der Innovation betroffen sind.

Die Menschen, die in den Organisationen von den Innovationen betroffen sind, sind die Mitarbeitenden sowie die Klientel und – etwas größer gedacht – auch die Stakeholder der Organisation und die Umwelt. Eine Umsetzung der Ideen zu Innovation ohne Einbindung zumindest der direkt Betroffenen ist zum Scheitern verurteilt. Das ist oft anstrengend, bedarf auch oft Zeit, aber es führt zur nachhaltigen Umsetzung.

Als Vision formuliert stelle ich mir Organisationen vor, die die Mitarbeitenden mitnehmen auf dem Weg in die Zukunft. Das klingt nach einer platten Hochglanzbroschüre, gewinnt aber vor dem Hintergrund des oben beschriebenen ganz neue Bedeutung. Mitarbeiter mitnehmen bedeutet, diese in den Mittelpunkt des Führungshandelns zu stellen. Warum also nicht die Mitarbeitenden bei Personalauswahlentscheidungen mit einbeziehen? Warum also nicht – bspw. durch wechselnde Rollen – immer wieder neu und basierend auf den Kompetenzen der Mitarbeitenden zu versuchen, diese nach ihren Stärken und nicht nach Stellenbeschreibungen „einzusetzen“? usw.

Kommunikation

Organisationen der Sozialwirtschaft, die nicht über eine Homepage verfügen? Organisationen der Sozialwirtschaft, bei denen man die Kontaktadressen des Geschäftsführers im Telefonbuch suchen muss und diese da hoffentlich findet? Über soziale Medien, Facebook, Twitter und Co., reden wir gar nicht.

Hier geht es mir jedoch nicht darum, auf jeder Hochzeit mitzutanzen, jeden Hype mitzumachen und als Geschäftsführer einer Seniorenresidenz zwingend einen Snapchat-Account zu haben.

Mir geht es um Kommunikation und Offenheit der Umwelt gegenüber. So sind Organisationen, und insbesondere Organisationen der Sozialwirtschaft in Funktionssysteme eingebunden. Heiko Kleve fasst es wie folgt zusammen:

„In sozialarbeiterischen Organisationen geht es eben nicht nur um Soziale Arbeit, nicht nur um professionelle Hilfe oder Nicht-Hilfe, sondern eben auch um Recht, Politik, Wissenschaft, vielleicht sogar um Kunst und Religion und zweifellos um Geld, um Wirtschaft.“ 

Damit einher geht, dass es viele unterschiedliche Vertreter der jeweiligen Funktionssysteme gibt, deren Interessen im Blick gehalten werden müssen. Hinzu kommen bspw. ehrenamtliche Vorstände, Eltern von Klienten, Spender usw. Mit anderen Worten agieren Organisationen der Sozialwirtschaft, wie andere Organisationen auch, nicht im luftleeren Raum.

Es sind die Interessengruppen, neudeutsch Stakeholder, die im Blick zu halten sind. Mehr noch: Es sind Wege zu schaffen, wie die Organisation mit diesen Interessengruppen in einen fruchtbaren Austausch treten kann.

Wichtig ist hierbei, die Kommunikation mit den Interessengruppen zielgerichtet und  vor allem ehrlich für neue Ideen und den Austausch über diese neuen Ideen zu nutzen. Hier sind die sozialen Medien, Corporate Blogs und ähnliches, neue, spannende und wirklich gute Wege, Kommunikation „niederschwellig“ zu ermöglichen. Das geht aber nur dann, wenn nicht einfach der nächste Link irgendwo „in Facebook“ geteilt wird. Das geht nur, wenn auch auf diesem Weg gesehen wird, dass echte Menschen Kommunikation gestalten, auf beiden Seiten der Geräte.

Sinn

Mit Blick auf Bekannte, die ein Kind mit Behinderung haben, wird deutlich, dass man schnell Gefahr laufen kann, in das „Sozialsystem“ aufgenommen zu werden und beinahe keine Chance mehr hat, daraus zu entkommen.

Das heißt konkret, dass schnell das Gefühl aufkommen kann, das Organisationen der Sozialwirtschaft – aus unterschiedlichen, auch und leider vornehmlich finanziellen, Gründen – versuchen, sich selbst zu refinanzieren, was aufgrund der Finanzierungslogiken hinter dem System, oft basierend auf „Fallpauschalen“, aus Perspektive des Systems nachvollziehbar ist.

Oder kürzer: Eine gelingende Soziale Arbeit müsste sich eigentlich selbst abschaffen, tut es aus der Systemlogik heraus nachvollziehbar aber nicht.

Ein Freund von mir spitzt die Aussage zu:

„Eigentlich müsste es sozialen Organisationen gefallen, wenn die Welt immer mehr in Schieflage gerät. Mehr Schieflage = mehr Aufträge. Aber nein! Wir doch nicht! Wir wollen nur das Gute für die Menschen!

Bullshit… So lange die Finanzierung so läuft wie aktuell, werden sie sich kaum primär auf „den Menschen“ konzentrieren. Schließlich werden die Organisationen dafür belohnt, wenn sie ihr Klientel möglichst lange an sich binden!“

Hier ist meine Vision, dass die Organisationen verstärkt ihren eigenen Sinn verfolgen und die finanziellen Notwendigkeiten nicht einzig im Vordergrund sehen. Wenn man den Inklusionsgedanken ernst nimmt, sollte es darum gehen, die Stärken der Menschen zu finden und diese zu fördern und damit den Menschen neue Möglichkeiten – auch und vor allem außerhalb des Systems – zu schaffen.

Es kann nicht angehen, dass Menschen länger als notwendig in Einrichtungen „gehalten“ werden, nur um so die Finanzierung der Einrichtung zu sichern. Es kann nicht sein, dass im Gesundheitsbereich sinnlose Maßnahmen vorgenommen werden, nur, weil diese von den Kassen besser gegenfinanziert werden.

Viel eher sollte es – hier wieder der Schwenk zur Reflexion – Möglichkeiten geben, die Richtung der Organisation in partizipativen Prozessen immer wieder auf den Prüfstand zu stellen. Wo soll es hingehen? Wo sind Schwierigkeiten? Wer hat welche Bedenken, wenn man über die zukünftige Ausrichtung nachdenkt? Strategieentwicklung als Prozess aller Beteiligten? Warum nicht? Was will die Organisation eigentlich?

Und das liebe Geld? Hier bin ich davon überzeugt, dass sich Qualität durchsetzt. Auch wenn es nicht leicht wird.

Unternehmerisch Denken und Handeln

Bücher wie „Thank God, it’s Monday“, „Frei sein statt frei haben“, „Wir sind das Kapital“ oder „Rock your Idea“ begeistern mich aktuell. In den Büchern geht es in irgendeiner Form  immer darum, „sein eigenes Ding“ zu machen.

Sein eigenes Ding machen? Was will er denn jetzt schon wieder? Das passt doch gar nicht hierher!

In meinen Augen passt es wunderbar. Und zwar aus folgenden Gründen:

Wir verbringen in etwa 8 – 10 Stunden unseres Tages mit „Arbeit“. Ich persönlich pendele noch ein wenig durch die Gegend, da ich nicht an meinem Wohnort arbeite. Somit sind die 10 Stunden, die ich irgendwie für Arbeit aufwende, realistisch. Wenn ich mehrtägige Dienstreisen hinzunehme, kommt noch mehr dabei raus.

Ich verbringe damit deutlich mehr Zeit mit „Arbeit“ als mit meinen Kindern und meiner Frau, also den Menschen, die ich am meisten liebe. Ob das grundsätzlich sinnvoll ist, ist fraglich. Aber wenn ich jetzt noch eine Arbeit „verrichten“ würde, die mir 8 – 10 Stunden am Tag „auf den Sack“ gehen würde, dann wäre das ein echtes Problem.

Und hier setzt das „eigene Ding“ und damit das unternehmerische Denken und Handeln für mich an. Ein Unternehmer ist für mich ein Mensch, der es aus eigenen Mitteln schafft, Dinge zu bewegen, voranzutreiben, Verantwortung zu übernehmen, gestalten kann, Erfolge und Misserfolge hat, scheitern kann, gewinnen kann, persönlich weiterkommen kann. Und noch vieles mehr.

Unternehmerisch Denken und Handeln aus einer organisatorischen Perspektive bedeutet für mich, dass es die Organisation ermöglicht, Räume, Bedingungen, Möglichkeiten für „selbständiges Handeln“ ihrer Mitarbeiter zu schaffen. Jemand hat eine neue Idee? Wenn nicht etwas Wesentliches gegen die Idee spricht, warum nicht ausprobieren? Hier bedarf es organisationsstrukturell wiederum flacher Hierarchien, die es ermöglichen, Ideen ohne lange „Dienstwege“ zu forcieren und zu testen.

Es bedarf Raum für Selbstverantwortung.

Dazu braucht es aber auch einer Thematisierung von Unternehmertum bereits im Studium der Sozialen Arbeit. In meinen Augen ist es bislang so, dass Rahmenwerke wie bspw. der Qualifikationsrahmen Soziale Arbeit oder auch das Kerncurriculum Soziale Arbeit  hier wenig Anreize liefern, entsprechende Inhalte in den Curricula der Hochschulen zu verankern.

Zwar ist es so, dass diese Rahmenwerke nicht bindend sind. Gleichwohl ist es so, dass die Curricula Sozialer Arbeit aufgrund des für mich nachvollziehbaren und sinnvollen generalistischen Ansatzes eher wenig flexibel gestaltet sind. Wer in der wissenschaftlichen Community mitspielen will, muss sich – zumindest nach außen – in engen Grenzen bewegen.

Hier bieten sich ggf. für private Hochschulen besondere Möglichkeiten, die Verbindung von Unternehmertum und Sozialer Arbeit verstärkt zu fokussieren, wie es bspw.  auch die Bertelsmann-Studie für die Leitungskräfte in Kinderstagesstätten fordert.

Wo geh ma? oder: Fazit!Vision

Wo geh ma jetzt?

Eine spannende Frage, die so einfach nicht zu beantworten ist.

So fallen mir noch viele Aspekte ein, die ich für Organisationen der Sozialwirtschaft auf dem Weg in eine sinnvolle, nachhaltige, wirkungsvolle Zukunft sehe.

Beim Schreiben dieses Beitrags kommt es mir oft so vor, als sei die Sozialwirtschaft irgendwann vom Weg abgekommen. Sie hat sich dann Systemen unterworfen, die zwar nachvollziehbar, aber überhaupt nicht unproblematisch bestimmen, wo es langgeht.

Somit sollten wir wieder zurückkommen zum ursprünglichen Weg Sozialer Arbeit.

Nein, nicht zurück zu Schlabberpullis und Sozialarbeiterklischees.

Es macht, wenn man schon weit gelaufen ist, wenig Sinn, den Weg wieder zurück zu gehen. Es macht deutlich mehr Sinn, sich auf neues Terrain zu begeben, neue Wege zu finden, die aber in die richtige Richtung führen.

Zurückkommen heißt für mich: Menschen zu helfen. Zurückkommen heißt: Selbstbestimmung wieder zu erlangen. Zurückkommen heißt: Selbstorganisation, Sinn, Lebendigkeit, Innovationsfähigkeit und – als sehr großer Begriff – Freiheit für die Menschen und die Organisationen.

Wir müssen (wieder zurück) zu einem System kommen, dass die Menschen radikal in den Mittelpunkt aller Aktivitäten stellt – Mitarbeitende ebenso wie Leitungspersonen, die Klientel der Einrichtungen, aber auch Vertreter anderer Funktionssysteme, Stakeholder und die Gesellschaft, von mir aus.

Die damit einhergehende Aufgabe ist jedoch so komplex, dass es nicht möglich ist, hier mit Methoden des aus anderen Disziplinen adaptierten, klassischen Managements – Planung, Durchführung, Kontrolle (sehr verkürzt) – vorzugehen.

Hier ist es vielmehr notwendig, die Kräfte, die Stärken der Organisationen selbst zu nutzen und die Selbstorganisations- und Innovationsfähigkeiten der jeweiligen Organisation in den Vordergrund zu stellen.

Die zunehmende Komplexität kann entsprechend nur mit einer Abkehr von bisherigen Steuerungslogiken erfolgen. Dazu bedarf es eines neuen Verständnisses der Führung, der Organisation und des Managements sozialer Organisationen. Dafür bedarf es einer echten Vision jeder einzelnen Organisation! Dazu bedarf es aber, noch grundlegender, Visionen jedes einzelnen Menschen in den Organisationen!

Ich freue mich drauf.

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11 comments on “Wohin denn eigentlich? – Eine Vision für innovative Organisationen der Sozialwirtschaft

  1. Sabine Depew am

    Toller tiefgehender Beitrag! Visionen sind ein starker Motor. Damit es zu einer Bewegung wird, braucht es die von Dir genannten Stakeholder in Politik & Gesellschaft. Und so ist es: keine Innovationen der Innovationen wegen. Es ist leider häufig so, dass nur noch reformiert wird, damit die jeweilige Koalition in ihrer Legislaturperiode politische Erfolge nachweisen kann. Und manchmal werden Innovationen mit Einsparungen gleich gesetzt. Die soziale Arbeit braucht Veränderung aber auch alt Bewährtes. Das richtige Maß zu finden, ist die hohe Kunst.

    Antworten
    • Hendrik Epe am

      Danke!!! Ja, es macht keinen Sinn, alles neu zu machen, wenn die Richtung oder eben die Vision gar nicht klar ist! Dir ein gutes Wochenende! In Bonn auch so heiß?

      Antworten
  2. TMampel am

    Hat dies auf mampels welt rebloggt und kommentierte:
    „Es macht, wenn man schon weit gelaufen ist, wenig Sinn, den Weg wieder zurück zu gehen. Es macht deutlich mehr Sinn, sich auf neues Terrain zu begeben, neue Wege zu finden, die aber in die richtige Richtung führen.

    Zurückkommen heißt für mich: Menschen zu helfen. Zurückkommen heißt: Selbstbestimmung wieder zu erlangen. Zurückkommen heißt: Selbstorganisation, Sinn, Lebendigkeit, Innovationsfähigkeit und – als sehr großer Begriff – Freiheit für die Menschen und die Organisationen.

    Wir müssen (wieder zurück) zu einem System kommen, dass die Menschen radikal in den Mittelpunkt aller Aktivitäten stellt – Mitarbeitende ebenso wie Leitungspersonen, die Klientel der Einrichtungen, aber auch Vertreter anderer Funktionssysteme, Stakeholder und die Gesellschaft, von mir aus.“

    #word #hendrikepe

    Antworten
  3. anna_schmidt_berlin am

    Vielen Dank für diesen ausführlichen Blick … „Menschen, die zusammen an etwas Größerem arbeiten als daran, einen sicheren Arbeitsplatz zu haben und am Nachmittag Kaninchen zu züchten.“ … Ich habe mir erlaubt, es meinen KollegInnen in unserem internen Netzwerk als Leseempfehlung weiterzugeben. Herzliche Grüße von Anna

    Antworten
  4. Andreas Schiel am

    Lieber Hendrik,

    vielen Dank für den ausführlichen und persönlichen Text! Bin umso mehr interessiert, mal einen Blick in Deine Masterarbeit zu werfen.

    Eine Frage habe ich zum Punkt trial&error bzw. unternehmerisches Denken: In der Sozialwirtschaft denkt man ja leider im Regelfall eher so konservativ wie in einem Konzern oder einem mittelständischen Betrieb mit überkommenen Strukturen. In solchen Ohren klingt trial&error wahrscheinlich eher ziemlich furchterregend, und im Wortsinne unternehmerisch denken oder gar handeln möchte vermutlich zunächst niemand. Daher: Hast Du denn für Deine Masterarbeit (oder sonst) auch einige Innovationen identifizieren können, die mit hoher Wahrscheinlichkeit Zustand und Marktposition einer sozialen Organisation verbessern können? Also – wobei das Wort etwas abgedroschen klingt – so etwa wie Best-Practice-Beispiele? Das fände ich spannend!

    Herzliche Grüße,
    Andreas

    Antworten
    • Hendrik Epe am

      Hey Andreas,

      danke für Deine Rückmeldung. Ganz ehrlich: Nein, habe ich nicht. Hintergrund ist vor allem der methodische Zugang den ich gewählt habe: Aufgrund von Zeit- und Ressourcenmangel habe ich mich auf eine theoretische Arbeit fokussiert. Spannend ist hier sicherlich, wie es möglich ist, innovative Konzepte – die es zweifellos auch in der Sozialwirtschaft gibt! – zu erkennen und zu analysieren. Hier bin ich dran, was aber wohl einen nächsten Schritt bedeutet… Sende Dir die Arbeit gleich mal zu… 😉

      Gute Zeit Dir und freu mich auf das Interview…

      Hendrik

      Antworten

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