Nach den tollen Anregungen, die ich von Euch auf meinen Tweet zur Frage der Gestaltung eines zweitägigen Workshops zur Digitalen Transformation in einem sozialen Träger bekommen habe, will ich hiermit einen kurzen „Review“ des Workshop Digitale Transformation versuchen.
Ich orientiere mich an den beiden Fragen:
- 1. Was habe ich gemacht?
- 2. Wie war es und was folgt daraus?
Zu 1. Was habe ich gemacht?
Wenn Du keine Lust hast, lange weiterzulesen, kannst Du hier meinen „Fahrplan“ (PDF) runterladen. Den erstelle ich immer, damit ich eine grobe Orientierung für meine Workshops habe. Ob ich mich dann daran halte, steht dann aber noch einmal auf einem komplett anderen Blatt 😉
Kurz zum Rahmen:
Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass es ein reiner „Führungskräfteworkshop“ ist. Kurz vor dem Workshop wurde dann aber klar, dass es eine komplett heterogene Gruppe ist. Das hat dann noch schnell zum obigen Tweet (und den vielen Anregungen für Workshophgestaltung) geführt.
Im Prinzip ist es natürlich super, eine entsprechende Gruppe gerade zum alle hierarchischen Grenzen sprengenden Thema Digitalisierung begleiten zu dürfen.
Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass die Realität anders aussieht: Die Auszubildende im 1. Lehrjahr wird nicht zwingend offen gegenüber ihrem direkten Vorgesetzten oder auch der (in meinem Fall super entspannten und offenen) Vorständin agieren. Und die Aussagen der genannten Vorständin haben in einer traditionellen, formal-hierarchisch strukturierten Organisation mit mehr als 1700 Mitarbeiter*innen eben ein anderes Gewicht – ob man das nun will, gut findet oder was auch immer.
Jetzt aber mal los und auf zum Ablauf …
Ablauf
Tag 1: Einstieg und Organisation
Nach dem obligatorischen Einstieg in einen Workshop, bei dem sich auch die Teilnehmer* innen (TN) untereinander nicht zwingend kennen, habe ich mit einem Impuls zu den Entwicklungen der digitalen Transformation begonnen.
Im Sinne eines bunten Blumenstraußes der digitalen Transformation bin ich von der gesellschaftlichen Ebene über organisationale Veränderungen bis hin zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf Menschen, jeden einzelnen TN, die Klient* innen bis hin zu neuen Anforderungen an Führungskräfte gegangen.
Schon während, vor allem aber im Anschluss an den Impuls haben die TN die wesentlichen Learnings gemeinsam in Kleingruppen reflektiert. Methodisch nehme ich dafür immer 1 – 2 – 4 – all aus den Liberating Structures.
Kurzer Exkurs zur Methode:
Für die TN sind die kurzen Intervalle zunächst irritierend. Mir gefällt aber, dass von Anfang an alle mit im Boot sind. Und im Laufe der Zeit gewöhnen sich die TN an die Rhythmen.
Vor kurzem habe ich darauf basierend (What? So What? Now What?) einen kompletten Tag mit einer Organisation zu deren strukturellen Herausforderungen verbracht.
Es hatte ein wenig was von einer „lösungsorientierten organisationalen Kurzzeitberatung“: Innerhalb eines (anstrengenden 😉 Tages hatten die TN die Strukturen der Organisation (Träger mit etwa 300 MA) neu gestaltet. Und auch die Moderation des Abends des Ortsverbands der Grünen in Endingen basierte auf der Methode.
Zurück zur digitalen Transformation.
Nach Reflexion der wesentlichen Learnings (und leckerem Mittagessen) sind wir explizit auf die Auswirkungen der Digitalen Transformation für die Organisation eingegangen.
Das ist aus meiner Perspektive insofern relevant, da man die digitale Transformation nicht ohne ganzheitliche Organisationsentwicklung denken kann. Ganzheitlich deshalb, weil alle Elemente oder – im Sinne des St. Galler Management-Modells – Grundkategorien berührt werden.
Mir ist das wichtig:
Erst dann, wenn klar ist, wo ich mit welchen Maßnahmen wie ansetze, können neue Entwicklungen zielführend implementiert werden.
Das ist vielleicht erst etwas zäh für die TN, denn es geht weniger um hippe agile Methoden oder „die Entwicklung einer App“, sondern um die genaue Analyse, wo in der Organisation die Herausforderungen liegen. Das können dann neue Produkte sein, von mir aus. Oft geht es aber erstmal darum, die Prozesse der Organisation, Geschäfts-, Führungs- und Unterstützungsprozesse, in den Blick zu nehmen. Das ist – wie gesagt – nicht besonders sexy.
Aber notwendig!
Mithilfe eines Mini-World-Cafés haben wir dann in Kleingruppen die Grundkategorien 1. Nutzer*innen 2. Kultur und Zusammenarbeit 3. Organisationsstruktur 4. IT-Infrastruktur 5. Prozesse 6. Strategie und Innovation in den Blick genommen.
Die Fragestellung irritiert im Sozialwesen dann auch immer:
Wo liegen die größten Probleme im jeweiligen Bereich?
Erst mein Hinweis, dass wir auch (und gerade?) in der Sozialen Arbeit für tolle Lösungen händeringend echte Probleme suchen, öffnet den Blick auf die Herausforderungen.
Denn erst, wenn Probleme klar auf dem Tisch liegen, können Lösungen für diese Probleme gesucht werden. Sonst kommen Pseudo-Lösungen heraus (wie bspw. eine App für was noch mal genau?).
Basierend auf der Frage zu den Problemen in den entsprechenden Kategorien ergeben sich hoch spannende Einblicke in die Organisation. Die Führungskräfte müssen da kurz mal viel aushalten. Den TN aber geht spätestens jetzt auf, dass die digitale Transformation nicht unbedingt eine App für irgendwas braucht, sondern vielmehr eine Haltung ist:
Offenheit, Teilen, Fehler machen, Reden, oder, wie es im Workshop auf den Punkt gebracht wurde:
#einfachmachen
Den ersten Tag abschließend haben wir die auf Flipcharts festgehaltenen Problembereiche priorisiert, um an diesen am Tag 2 weiterzuarbeiten: Wo liegen die wichtigsten Probleme?
Tag 2: Problemlösung und digitale Kompetenz
Den zweiten Tag haben wir (nach einem netten Pizza-Abend 😉 mit einem kurzen, individuellen Check In begonnen:
- – Wie bist du heute hier?
- – Was hat Dich gestern besonders interessiert?
- – Welche Fragen sind für Dich offengeblieben?
- – Was hat Dich gestern sehr irritiert?
- – Was muss heute unbedingt angesprochen werden?
Darauf basierend haben wir uns wieder den Problemen von Tag 1 zugewandt. Mein Ziel war, erste Ansätze agilen Arbeitens einzubringen im Wissen, dass es natürlich völlig utopisch ist, „agile Methoden“ zu vermitteln.
Aber die Frage ist wichtig: Wie gelingt es, Projekte so aufzusetzen, dass nicht die schon erwähnten „Pseudo-Lösungen“ überwiegen, sondern echte Probleme gelöst werden?
Die TN haben entsprechend einige der Themen aufgegriffen und mithilfe des „Project Vision Board“ (hier herunterladen) angegangen. Und auch hier natürlich die Einschränkung:
Nein, die Projekte konnten natürlich nicht umgesetzt, sondern nur aufgesetzt werden. Was die TN bzw. die Organisation dann daraus macht, bleibt erstmal offen.
Daran anschließend bzw. die beiden Tage abschließend haben wir uns der digitalen Kompetenz gewidmet. Hier bin ich mit der „digitalen Biografie„ eingestiegen. Das ist gerade bei altersgemischten Gruppen spannend. Den TN wird schnell deutlich, dass „Digitalisierung“ kein Generationenthema ist:
Junge Mitarbeiter* innen, die mit Tastentelefonen keine Lust auf Digital haben bis hin zu „alten Nerds“, die schon das erste Radio aufgeschraubt haben und immer noch verstehen wollen, wie „Digital“ im Kern funktioniert.
Als kleine Anekdote stellen wir an der Hochschule wieder Rechner auf, damit die Studis lernen, wie man eine Bewerbung auf Word schreibt und „in ein PDF konvertieren“ nichts mit Kirche, Religion, Gott zu tun hat, Inshallah…
Die digitale Kompetenz lässt sich aber wunderbar mit dem 4 – K Modell vertiefen (Hier übrigens findest Du einen tollen Beitrag zum Modell von Anja C. Wagner):
Die Kombination aus Kreativität, Kollaboration, Kommunikation und kritischem Denken ist für jeden einzelnen TN und genauso relevant für die Klientel sozialer Arbeit.
Meine Idee war dann, daraus ein neues, ggf. Digitales Produkt für die Förderung der digitalen Kompetenz der Klientel der TN zu entwerfen. Das wurde aber zeitlich recht eng. Das hing auch mit dem nächsten und letzten Teil zusammen:
Wir haben uns abschließend recht viel Zeit für die Reflexion genommen, da der Workshop in das Führungskräfteentwicklungsprogramm (langes Wort 😉 der Organisation aufgenommen werden soll.
A propos Reflexion:
Zu 2. Wie war es und was folgt daraus?
Spannend ist zur Beantwortung der rage schon der Unterschied zwischen dem eigenen (Achtung Spoiler: eher schlechten) Gefühl und dem (eher positiven) Feedback der TN.
Mein eher schlechtes Gefühl rührt daher, dass ich mich grundsätzlich frage, was diese Art der Workshopgestaltung zum Thema Digitale Transformation bringt: Das Thema ist so groß, dass immer irgendwas auf der Strecke bleibt. Oder anders gefragt:
Was ist eigentlich die „digitale Transformation“?
Diese Frage lässt sich zwar beantworten, umschifft dabei aber die Tiefen der mit ihr einhergehenden Themen: Fokussieren wir uns auf die Prozesse? Auf KI? Auf digitale Kompetenz? Auf Blockchain? Auf nette, agile Methoden? Auf die Entwicklung einer App, für was noch mal genau?
Mehr Fokus
Daraus folgt (für mich): Ein entsprechender Workshop braucht einen klaren Fokus. Dieser kann bei den Themen Führung oder zukunftsfähiger Organisationsentwicklung, Prozessgestaltung oder digitaler Kompetenz liegen (was mich persönlich freuen würde ;-). Er kann aber auch bei der Produktentwicklung mithilfe agiler Methoden liegen. Oder bei den Auswirkungen von Blockchain, Big Data etc. auf die jeweilige Organisation. Oder, oder, oder…
Klar ist, dass alle Bereiche irgendwie zusammenhängen. Aber einen unzusammenhängenden Brei, einen Blumenstrauß der Digitalisierung, einen Gießkannenworkshop zu gestalten, kann nicht gut sein.
Nutzer*innen
Was mir ebenfalls aufgefallen ist?
Wir reden immer noch (viel zu viel) über und nicht mit Nutzer*innen.
Das macht keinen Sinn und wird sich zum nächsten Durchgang ändern. Denn erst dann wird es spannend:
Wie sehen Nutzer*innen das Produktportfolio der Organisation? Wo lassen sich echte Innovationen, also Lösungen von Problemen für Menschen, angehen? Wie denken Betroffene über die Nutzung ihrer Daten, auch wenn es das Leben vielleicht irgendwie „leichter“ macht?
Diese und viele weiteren Fragen konnten nicht mit „echten“ Nutzer *innen geklärt werden, auch wenn die Arbeit mit Personas gut und wichtig war.
Feedback der TN zum Workshop Digitale Transformation, oder: Der Nutzen
Wie haben die TN den Workshop erlebt? Dazu habe ich ja schon gespoilert, dass er eigentlich ganz gut ankam:
Viele Themen waren neu, bei Twitter ist sowieso (fast) niemand und die Mitarbeiter *innen und Führungskräfte (irgendwie arbeiten die ja auch mit, oder?) an der Basis sind nicht mit meiner kleinen Filterblase zu verwechseln!
Das muss ich mir immer wieder vor Augen führen: Nicht jeder beschäftigt sich mit diesen Themen täglich und findet es auch noch ziemlich cool… ;-/
Und Du so?
Die Ausführungen sind nur ein kleiner Einblick in die zwei Tage, in den Ablauf und eine kurze Reflexion. Wie gesagt, es gibt wichtige Gründe, entsprechend vorzugehen. Zum nächsten Mal muss sich jedoch was ändern.
Aber was meinst Du? Was muss aus Deiner Sicht anders sein? Wo ist Potential? Was geht gar nicht? Vielleicht auch:
Wie baust Du oder wie würdest Du entsprechende Workshops aufbauen?
Ich bin gespannt…
P.S.: Mein Dank noch einmal abschließend an alle Mitschreiber*innen zum obigen Tweet und die netten Privatnachrichten dazu!!!
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3 comments on “Workshop Digitale Transformation? So, und doch anders!”
Hallo Hendrik,
spannend zu lesen was du aus den Rückmeldungen gemacht hast :).
Für mich wäre noch wichtig zu wissen, vermutlich hattest du die Info, was mit den Ergebnissen geschehen soll? War es ein „netter Impuls“ der dann hängen bleibt und versandet? Ein Einstieg oder Baustein in einen längeren Prozess?
Für solche Prozess nutze ich gerne Netzwerk- und Ressourcenkarten – mir fällt auf, die habe ich noch nie verbloggt – um allen Beteiligten deutlich zu machen, welche Ressourcen und Potenziale eigentlich vorhanden sind.
Frage aus Interesse: Gab es ein Leitbild und wenn ja, hat es eine Rolle bei euch gespielt?
Viele Grüße,
Christian
Lieber Hendrik,
spannend. Vielen Dank für Deine Rückmeldung zu den Tweets. Finde es super, zu sehen, was Du daraus entwickelt hast.
Mir fällt in diesem Zusammenhang noch auf, dass „Digitalisierung“ stets einen Kontext braucht, in dem die Dinge stattfinden, sprich: ein Zukunftsbild der gesamten Organisation, wie wir sie uns vorstellen unter den „geänderten Bedingungen“. Mein Eindruck ist es, dass es wichtiger ist als je, die Koppelung aller Maßnahmen zu diesem gemeinsamen Zukunftsbild, dieser Vision zu schaffen, damit alle Maßnahmen dieselbe Stoßrichtung haben. Sonst, so mein Eindruck, führen alle Einzelbemühungen zu einem ordentlichen, unstimmigen Durcheinander.
Auf einer zweiten Ebene lässt sich dann die eigene (Unternehmens)Strategie beschreiben, wobei ich diese als Zusammenfassung unserer Geschäftsprinzipien und -praktiken verstehe, keinesfalls als Zahlenwerk. Ich arbeite da sehr gerne mit Strategielandkarten, da sich darüber Zusammenhänge sehr prägnant darstellen lassen (https://blog.projektmensch.com/2010/10/07/machtiges-werkzeug-die-strategielandkarte/)
Die Strategie wiederum gibt Orientierung dafür, WIE die Maßnahmen angelegt sein müssen, damit sie möglichst schlüssig zu den anderen Initiativen in einer Organisation passen. Das reduziert die Transaktionskosten, da weniger Verhandlung über die richtige Ausgestaltung von Projekten und Maßnahmen nötig ist.
Mit den besten Grüßen
Holger
Lieber Holger,
Danke für deinen ausführlichen Kommentar! Fraglich für mich wäre dabei, inwieweit es sich um Workshop und inwieweit es sich um Organisationsentwicklung handelt… Kann man da unterscheiden?
LG
Hendrik