Rezension: Transformation in „sozialen“ Organisationen

Inhalt:

Oha, da habe ich mir was vorgenommen.

Vor einigen Monaten habe ich mir das Buch „Transformation in ’sozialen‘ Organisationen“ besorgt, verbunden mit der Ankündigung, eine Rezension dazu zu verfassen.

Und jetzt sitze ich hier und habe das Buch tatsächlich gelesen.

Insgesamt 583 Seiten nicht einfacher Stoff, in Zeiten von Facebook und Twitter, Weihnachten, Familie und Arbeit eine ganze Menge Holz.

Aber, soviel vorab: Es hat sich gelohnt.

Und jetzt will ich Euch ein wenig teilhaben lassen an meinen Gedanken zum Buch.

Worum geht es? 

Marlies W. Fröse – Expertin im Bereich von Organisation und Management in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft und aktuell Professorin an der Evangelischen Hochschule in Dresden – greift Fragen zur Sozialwirtschaft und zum Sozialmanagement und auch übergreifend zu komplexen sozialen Systemen aus einer großen, übergreifenden Perspektive auf.

Michel Winkler fasst den Anlass für das Buch in seinem Vorwort so:

„Anlass … ist der Tatbestand, dass die Organisationen und Unternehmen nicht nur im Feld der Sozialen Arbeit, sondern ein modernen Gesellschaften schlechthin seit bald einem halben Jahrhundert einem massiven, zuweilen gar nicht klar gefassten Veränderungsdruck unterliegen, der einen Wandel der Organisationen schlechthin, vor allem aber in den Formen des Umgangs mit dem beteiligten Personal verlangt.“

Das alleine reicht, um den Spannungsbogen aufrecht zu erhalten und sich einem Buch zu widmen, das nicht einfach zu lesen ist und immer wieder auf verschlungenen Pfaden versucht, die verborgenen Komplexitäten von sozialen Systemen und die damit einhergehende Nicht-Planbarkeit zum Anlass zu nehmen, das Management in Organisationen der Sozialwirtschaft in seinem herkömmlichen Sinne in Frage zu stellen.

Statt Komplexität zu reduzieren, muss Komplexität gewahrt, wenn nicht sogar gesteigert werden, um neue Erkenntnisfelder zu eröffnen“ (22).

Dazu sind die internen Prozesse, Strukturen und die Kultur sozialer  Organisationen ebenso zu betrachten wie deren Umwelt sowie deren Beziehungen zu unterschiedlichsten Interessengruppen.

Sich darauf einzulassen, das habe ich gemerkt, ist nicht einfach, eröffnet aber für diejenigen unter Euch, die sich mit dem Wandel von Organisationen und deren echter Entwicklung (im Gegensatz zur einfachen Anpassung) auseinandersetzen wollen, neue Wege, wo es in Zukunft hingehen kann.

„Entwicklung heißt im Kontext des systematisch-evolutionären Theorieverständnisses: Es ereignet sich nicht nur ein äußerer Wandel, sondern mit den Veränderungen wird tatsächlich Neues gestaltet“ (160).

Und darauf lassen wir uns jetzt mal ein…

Gliederung

Das Buch, übrigens die Habilitationsschrift von Marlies W. Fröse, untergliedert sich in neun Kapitel.

So legt das erste Kapitel einige begriffliche Grundlagen zu „Komplexität“ und (sozialen) Organisationen. Das passiert aber nicht im herkömmlichen Sinn und in der trockenen Art, wie man dies so häufig von wissenschaftlicher Literatur kennt. Vielmehr werden Bilder, Geschichten und Metaphern herangezogen, mit denen die Begriffe eingerahmt werden. Ferner werden Vordenker zu den Themen Führung und Leitung sowie die Bedeutung der Tugenden für das Führen und Leiten vorgestellt, die unser übliches Denken über Organisationen prägen. Das Kapitel abschließend wird der der Untersuchung zugrundeliegende Organisationsbegriff definiert.

Für mich spannend dabei ist der immer wieder herangezogene Blick auf die Studiengänge des Sozialmanagements, die aus Sicht von Marlies W. Fröse „vor allem betriebswirtschaftliche Grundlagen“ (27) vermitteln, die dadurch „einen Stellenwert erhalten, der diesem Feld nicht gerecht wird“ (ebd.).

Das zweite Kapitel fokussiert auf die „Transformationen in Organisationen“. Wie oben schon angedeutet sind damit Umwälzungen gemeint, die eine grundsätzliche Neuausrichtung zur Folge haben. Marlies W. Fröse betrachtet diese Neuausrichtung aus dem Blick des Change-Managements, der Organisationsberatung, der Arbeitspsychologie sowie der Gesellschafts- und Sozialpolitik. Dabei werden diese Umwälzungsprozesse aus einer „negativen“, also nicht gelingenden Perspektive angesprochen, die auf individueller Eben zu psychosozialen Konflikte und Krankheiten, vor allem Burnout und Überlastung, führen.

Auf Ebene der Organisationen führen nicht gelingende Transformationen aus Perspektive von Marlies W. Fröse ebenfalls in einen „Burnout-Zustand“, einen Zustand der Erschöpfung und Überforderung.

Hier ist aus meiner Sicht spannend, dass Marlies W. Fröse als Antreiber für das Misslingen von Transformationsprozessen neben anderem die Debatten um die Wirkungsmessung von sozialer Arbeit, deren zunehmende Monetarisierung sowie die Beschleunigung des Lebens insgesamt identifiziert. Als Alternative bietet Marlies W. Fröse an, die aufgezeigten entstehenden Spannungen nicht zu ignorieren, sondern sie bewusst wahrzunehmen und auszuhalten. Aus ihrer Sicht ist „eine Verlangsamung beziehungsweise eine Entschleunigung unerlässlich, um die anstehenden Veränderungen produktiv, zukunftsfähig und nachhaltig zu gestalten“ (110).

Kapitel Drei nimmt die das Sozialmanagement und die Sozialwissenschaft in den Blick. Es wird die Verortung dieser Begriffe in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und dazugehörigen Netzwerken untersucht mit dem Ergebnis, dass eine Theorie des Sozialmanagements bzw. der Sozialwirtschaft nicht ausreichend fundiert vorliegt. Marlies W. Fröse schlägt begründet vor, vom „Management sozialer Organisationen“ zu sprechen und damit auf einen eigenen Managementbegriff zu verzichten. Ich bin da etwas skeptischer, da sich die Frage stellt, welche Organisationen nicht „sozial“ sind.

Das vierte Kapitel wendet sich exemplarisch Alltagsphänomen sozialer Organisationen zu, um deren Komplexität zu verdeutlichen. Dazu werden das Feld der Organisationsberatung und insbesondere dessen häufiges Scheitern analysiert. Dabei Sätze zu lesen wie „Man weiß inzwischen, dass ein Zuviel an Qualittssicherungsprogrammen bei problematischen Wettbewerbsbedingungen zu Mittelmäßigkeit oder Erosion von Qualitätsstandards führen kann“ (157) lassen mich aufhorchen, allerdings nicht unbedingt überrascht, sondern eher darin bestätigt, was ich in meinem beruflichen Alltag feststelle. Das ist aber wiederum ein anderes, vielleicht auch sehr privates Thema 😉

Marlies W. Fröse stellt – um zu einer qualitativen Entwicklung im Kontext sich ändernder Bedingungen zu kommen – das Darmstädter Management-Modell in seinen Grundideen vor, die aus ihrer Sicht diese Entwicklung ermöglichen.

Das fünfte Kapitel weicht dann tatsächlich völlig vom üblichen „Stil“ ab. Marlies W. Fröse fokussiert hier auf die Themen Organisationsentwicklung und  Konfliktmanagement, allerdings anhand der Biografie von Friedrich Glasl.

Basis ist ein Interview über mehrere Tage, das dessen Biografie nachzeichnet. Ich war ja anfänglich mehr als skeptisch, mich darauf einzulassen. Aber mit einer zunehmenden Vertiefung in die Gedanken- und Lebenswelt von Friedrich Glasl haben sich auch für mich ganz neue und weiterführende Optionen für eine am Menschen ausgerichteten Entwicklung von Organisationen ergeben, die ich auch einmal hier in einem Beitrag zusammengeführt habe.

Kapitel sechs stellt Leadership und die mit den Transformationsprozessen einhergehenden neuen Herausforderungen für Führung und Leitung (auch) von Organisationen der Sozialwirtschaft in den Fokus.

„Management“ wird zu Beginn von „Leadership“ abgegrenzt, wobei Leadership die Kompetenz zur Gestaltung von persönlichen und organisatorischen Transformationen („to do the right thing“) umfasst. Wiederum für mich aus beruflicher Perspektive spannend stellt Marlies W. Fröse einen Vergleich verschiedener Curricula von Masterstudiengängen zum Themenfeld „Leadership“ vor und untersucht, wie das Thema Leadership in deren Curricula verankert ist.

Kapitel sieben vertieft Leadership über das „Mixed Leadership“ als „gleichzeitiger Machtzugang von Frauen und Männern zu den wichtigen Schlüsselpositionen der Gesellschaft und Organisationen nach dem Gebot der Fairness“ (323).

Es werden die Erkenntnisse der Gender-Forschung für Organisationen nachgezeichnet und mit dem Konzept „Gendered Management in Gendered Organizations“ (346) die Voraussetzungen von Mixed Leadership herausgearbeitet. Ehrlich gesagt ist dieses Gender-Thema nicht so meins, auch wenn mir die Bedeutung mehr als bewusst ist (schon als Vater von drei Kindern und den damit insbesondere für meine Frau einhergehenden Herausforderungen). Es ist gleichwohl ein Thema, dass – auch vor dem Hintergrund einer zunehmenden Feminisierung – an Bedeutung gewinnen wird und muss.

Interessanter finde ich hier die Steigerung der Diversität auch in Leitungspositionen als Möglichkeit zur Steigerung der Innovationsfähigkeit der Organisation.

Das achte Kapitel liefert durch interdisziplinäre Dialoge „Zwischenantworten“:

„Zwischenantwort“ als „Zwischenantworten“ gedeutet, impliziert (…) die Frage, ob es „die“ Antwort überhaupt gibt“ (417).

Übrigens sind es Zwischenantworten auf die Frage, wie das aus Sicht von Marlies W. Fröse bislang eher technokratisch-bürokratisch ausgerichtete Sozialmanagement hin zu einem an den Menschen orientierten Management entwickelt werden kann.

„Aus Gründen des Selbsterhalts verharren soziale Organisationen in der Systemimmanenz wie in einem Korsett, das immer nur besser und perfekter werden muss, um Sinne der Exzellenzhaftigkeit – als wenn das helfen würde, soziale Organisationen abzusichern“ (423).

Marlies W. Fröse plädiert hier für eine Würdigung des Normalen sowie für eine Debatte über Menschenwürde, die gesellschaftliche und die individuelle Bedeutung der Arbeit und über die ethischen Grundlagen eines „guten Wirtschaftens“. Des legt wiederum einen Verweis auf die Ausführungen von New Work, verstanden im Sinne von Friethjof Bergmann .

Kapitel Neun führt die umfänglichen Ausführungen zusammen. Gleichzeitig werden weiterführende Fragen zum Thema erarbeitet. Insbesondere die drei Begriffe Verstehen, Verantwortung und die „innere Stimme von Leadership“ als erweitertes Bildungsverständnis werden diskutiert.

Zentral bleibt bei Marlies W. Fröse das „Denken ohne Geländer“  (Hannah Arendt).

Fazit, Bewertung und verborgene Komplexitäten

Bin ich überfordert von dem, was ich gelesen habe?

Ja, ehrlich gesagt, ich bin! 

Der Titel des Buchs „Transformation in Sozialen Organisationen“ klingt verführerisch. Wie, zum Henker, funktioniert denn jetzt diese immer wieder auftauchende, überall thematisierte Transformation? Da müssen sich doch ein paar nette Ansätze finden lassen im Buch von Marlies W. Fröse, so, wie es in den meisten Büchern zu den Themen Management von Organisationen der Sozialwirtschaft eben der Fall ist: „How to“ Anleitungen eben! Es kann doch alles nicht so schwer sein!

Vielleicht habe ich auch einfach nur – in meinem nicht mehr ganz so jugendlichen Leichtsinn – den Untertitel überlesen: Verborgene Komplexitäten!

Denn genau diese Komplexitäten sind es, die das Thema der Transformation von Organisationen so vielfältig und – eben – so komplex machen. Marlies W. Fröse geht mit ihrem Buch nicht den leichten Weg des Versuchs der Komplexitätsreduktion. Nein, sie geht vielmehr den Weg, die Komplexität zu erhöhen, um damit neue Denk- und  Handlungsmöglichkeiten für das Management und die Leitung von Organisationen der Sozialwirtschaft zu ermöglichen, die dann wiederum bei der Transformation in einer sich wandelnden Zeit und Welt genutzt werden können. Und überhaupt die Frage, welches Management- und Leitungsverständnis wir oftmals unreflektiert mit uns herumtragen, wird diskutiert.

Und noch so vieles mehr!

Ich stelle mir mit Blick auf schnell zu erlernende Methoden, überschaubare Modelle, kurze Antworten auf komplexe Fragen, die Vorherrschaft von technokratischen Denk- und Organisationsmodellen, mit Blick auf das Zeitalter des „Post-Faktischen“ etc. jedoch die Frage, ob und inwieweit dieses Buch zu einer unbedingt notwendigen Weiterentwicklung des Managements von sozialen Organisationen beitragen und deren Transformation in einer sich zunehmend radikaler verändernden Welt befruchten und begleiten kann. Vielleicht ist es meiner eigenen Beschränktheit geschuldet, aber es bedarf eines enormen Mitdenkens, um überhaupt folgen zu können.

Wenn man es aber schafft, sich auf das Buch einzulassen, dann ergeben sich enorme Potentiale, sich selbst, die eigene Organisation, das eigene Management-Verständnis sowie die aktuellen und zukünftigen gesellschaftlichen Entwicklungen zu reflektieren und neue, sowie, wie gesagt, dringend notwendige Denk- und Handlungsoptionen zu entwickeln, die übrigens auch die Frage nach Innovation in Organisationen der Sozialwirtschaft enorm bereichern können.

Falls Ihr Lust bekommen habt, Euch auf das Buch einzulassen, hier klicken: „Transformation in ’sozialen‘ Organisationen“!

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