Irgendwas ist immer.
Vor allem ist immer irgendwas mit Digitalisierung. Da kommt man nicht drum herum in unserer heutigen Zeit. Fraglich ist aber, welche Kompetenzen Sozialarbeitende brauchen, um in einer zunehmend digitaler werdenden „Irgendwas-ist-immer-Welt“ „bestehen“ zu können. Das will ich im heutigen Beitrag erläutern.
Der Beitrag selbst ist auch ein (kritischer) Rückblick auf ein Seminar, das ich an der Evangelischen Hochschule in Freiburg zu dem Thema gehalten habe.
Digitale Kompetenz, oder: das gallische Dorf
Manchmal kommt es mir so vor, als agierten Sozialarbeitende im Angesicht der Digitalisierung wie die Gallier in ihrem Dorf: Außen ändert sich alles (und mit „alles“ meine ich „alles“). Nur die Sozialarbeitenden gehen weiter auf die Jagd nach Wildschweinen und freuen sich über ein paar begrenzt intelligente Römer, denen man mit seinen doch so wahnsinnig wichtigen Kompetenzen (dem Zaubertrank) auf die Mütze hauen kann.
Ich spreche hier jedoch bewusst nicht von „der Sozialen Arbeit“, sondern von den Professionellen in der Profession der Sozialen Arbeit.
Diese Unterscheidung ist insofern relevant, als dass ich das Gefühl habe, dass sich im wissenschaftlichen Kontext – also mit Blick auf die Disziplin der Sozialen Arbeit – bereits viele Gedanken gemacht werden, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf die Soziale Arbeit haben wird – auch wenn dies so noch nicht in die Breite getragen wird.
Digitale Kompetenz für Sozialarbeitende – worüber sprechen wir eigentlich?
Zunächst jedoch ist es wichtig, einzuordnen, um was es bei dem Thema überhaupt geht. Ganz ehrlich: Diese Einordnung ist mir im Seminar selbst nicht gut gelungen, auch wenn dies wichtig gewesen wäre. Die Kritik der Studierenden war berechtigt: Die einen wollten mehr Praxis, die anderen mehr Theorie (oder ist das etwa immer so?).
Einordnen lässt sich das Thema „Digitale Kompetenz für Sozialarbeitende“ dahingehend, dass ausgehend vom grundlegenden Begriff der Digitalisierung als Digitale Revolution (im Gegensatz zur Digitalisierung als Dias auf CD brennen) eine Einordung erfolgen kann in die – ich habe das Bild schon öfter verwendet – Makro-, Meso- und Mikroebene.
Makro-Ebene der Digitalisierung
Auf der Makro-Ebene umfasst Digitalisierung die gesellschaftlichen Veränderungen, die durch die Digitalisierung ausgelöst werden. Angefangen von Entgrenzungstendenzen über eine sich radikal wandelnde Arbeitswelt (aus einer Meta-Perspektive) bis hin zu einer Zunahme der Komplexität in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen (um nur ein paar Beispiele anzuführen) lassen sich gesellschaftliche Veränderungen finden, die auch für die Profession und Disziplin der Sozialen Arbeit von enormer Relevanz sind.
Meso-Ebene der Digitalisierung
Auf einer Meso-Ebene rücken die gesellschaftlichen Funktionssysteme und die Organisationen in den Fokus. Die Fragestellung lautet: Wie verändert sich durch die Digitalisierung die Arbeit in den Organisationen. Rückblickend auf das Seminar war spannend zu sehen, dass dieser Themenkomplex eigentlich nicht „auszuklammern“ ist. So wurden immer wieder organisationale Anpassungsnotwendigkeiten gesehen und diskutiert, die Regelungen und Strukturen in den Organisationen, in denen die Studierenden tätig sind, direkt betreffen: Braucht es Regelungen zur Nutzung privater Devices in den Organisationen? Welche Erwartungen bestehen seitens der Führungskräfte an die Beantwortung von Mails, die zu unmenschlichen Zeiten versendet werden? Wie müssen sich Organisationen der Sozialwirtschaft insgesamt auf die Veränderungen durch die Digitalisierung einstellen, um zu einer organisationalen Digitalkompetenz zu gelangen?
Mikro-Ebene der Digitalisierung
Der Fokus der Veranstaltung sollte jedoch auf der Mirko-Ebene liegen. So zumindest mein Plan. Die Mikro-Ebene bezieht sich auf den Mensch, der sich in gesellschaftlichen ebenso wie in organisationalen Kontexten bewegt und dort professionelle Soziale Arbeit leisten will, auch unter den Bedingungen des Wandels durch Digitalisierung. Hier geht es also um personale Kompetenzen.
Kompetenz und Digitalisierung
Forschung zu Kompetenzen wird aus unterschiedlichen disziplinären Zugängen betrieben. Hervorzuheben sind insbesondere die Pädagogik, die Psychologie sowie die Betriebswirtschaft.
Nach Schaper (2012, 12) wird „das Konstrukt ‚Kompetenz’ (…) in Bezug auf seinen Bedeutungsgehalt sehr unterschiedlich aufgefasst und definiert.“
Es geht „im Kern (…) um die Fähigkeiten und Dispositionen zur Bewältigung kontextspezifischer Anforderungen“ (ebd.).
Bei näherer Beschäftigung mit dem Kompetenzbegriff wird deutlich, dass dieser in unterschiedlichsten Zusammenhängen verwendet wird.
Um nur ein Beispiel herauszugreifen, lässt sich die „Kompetenzorientierung“ als ein wesentliches Ziel der Gestaltung von Bachelor- und Master-Studiengängen herausgreifen: Die in den Studiengängen vermittelten Kompetenzen sollen nicht nur in den Modulbeschreibungen dargelegt, sondern in „kompetenzorientierten Prüfungssystemen“ auch abgeprüft werden (vgl. bspw. KMK, 2010). Die in den Studiengängen vermittelten Kompetenzen beziehen sich dabei auf individuelle Kompetenzen.
Zusammenfassend beziehen sich „Digitale Kompetenzen für Sozialarbeitende“ also auf die individuellen Fähigkeiten und Dispositionen, um Anforderungen der Sozialen Arbeit in Verbindung mit der Digitalisierung bewältigen zu können.
Ach ja, falls jemand doch eine Master-Thesis zu dem Thema verfassen will: Hier ist auf jeden Fall noch Luft nach oben, wie es mir scheint.
Orientierung im Dschungel der digitalen Kompetenz
Welche Orientierung findet sich aber jetzt, um die „Digitalen Kompetenzen für Sozialarbeitende“zu definieren? Oder ist die Definition digitaler Kompetenzen schon eigentlich der grundfalsche Ansatz? Weil es eben auf die individuellen Fähigkeiten ankommt, die jeder für sich selbst definieren muss?
Für mich spannend und als gute Orientierung nutzbar habe ich die Ausführungen im Europass empfunden. Die dort vorgenommene Einteilung anhand der Bereiche
- Datenverarbeitung
- Kommunikation
- Erstellung von Inhalten
- Sicherheit
- Problemlösung
liefert aus meiner Perspektive schon eine gute Ausrichtung an dem, was für eine digitale Zukunft und damit auch für eine digitale Soziale Arbeit wesentlich ist. Die Ausführungen im Europass liefern noch dazu eine Niveauunterteilung in die „elementare Verwendung“, die „selbständige Verwendung“ und die „kompetente Verwendung“. Über die Begrifflichkeiten lässt sich sicher streiten, eine Orientierung ist dadurch aber gut möglich: Auf welchem Niveau der digitalen Kompetenz bewege ich mich (in etwa)?
Datenverarbeitung
Unter diesem Punkt finden sich Ausführungen angefangen von der Nutzung von Suchmaschinen über die Sicherung von Daten und Suchergebnissen bis hin zur Nutzung von spezifischen Strategien und Hilfsmitteln in der Nutzung von Datenverarbeitungsmöglichkeiten (bspw. RSS-Feeds). Aus sozialarbeiterischer Perspektive ist die Bewegung zumindest auf Ebene der selbständigen Verwendung angebracht, was aber eigentlich allein durch das absolvierte Studium gegeben sein sollte. Darüber hinaus verwenden zunehmend mehr Organisationen (beileibe nicht alle) EDV für ihre internen Prozesse (bspw. Word und Excel 😉
Kommunikation
Kommunikation im Reigen der Digitalen Kompetenz umfasst von der Kommunikation mithilfe elektronischer Medien (von Mails bis Skype) über die Nutzung von E-Collaboration-Tools bis hin zur aktiven Beteiligung an der Nutzung und Erstellung von Inhalten von entsprechenden Tools und Medien. Auf Ebene der sozialen Arbeit sehe ich auch hier zumindest die Notwendigkeit einer Kompetenz auf dem Niveau der selbständigen Verwendung. Nur so ist es möglich und bleibt es möglich, mit den Nutzerinnen und Bedarfsgruppen (schöner Beitrag dazu von Christian Müller, übrigens) Sozialer Arbeit auf angemessener Weise zu kommunizieren.
Erstellung von Inhalten
Hier wird es in meinen Augen spannend: Die Erstellung von Inhalten als Digitale Kompetenz umfasst – angefangen von der Erstellung einfacher digitaler Inhalte über die Erstellung von Blogs und Webseiten bis hin zur Erstellung von Inhalten mittels aktueller Programmiersprachen und Tools – eine große Bandbreite an digitalen Möglichkeiten. Hier ist es zumindest anzustreben, dass sich Sozialarbeitende flächendeckend auf Ebene der elementaren Verwendung bewegen. Nur so können zumindest „Basic-Tools“, bspw. im Kontext von Social Media Marketing für Organisationen der Sozialwirtschaft, genutzt werden.
Sicherheit
Sicherheit umfasst Aspekte wie das Ergreifen einfacher Maßnahmen zum Schutz eigener Geräte, die Verwendung von Programmen und Tools zur Erhöhung der Sicherheit oder die Verschlüsselung von Kommunikation (wie Mail etc.). Allein aus Gründen des Datenschutzes sind hier für die Soziale Arbeit ziemlich umfangreiches Wissen und Kompetenzen notwendig. Auch wenn ich mich beim Lesen der Kompetenzen zum Bereich Sicherheit oftmals an die eigene Nase fassen muss. Hier ist noch Luft nach oben…
Problemlösung
Problemlösung fokussiert auf die Möglichkeit, Hilfe bei Problemen mit Geräten, Programmen etc. zu bekommen. Angefangen vom Wissen, wer helfen kann, über die eigene Lösung auftretender Probleme bis hin zur Lösung „fast aller Probleme, die bei der Nutzung digitaler Technologien entstehen“. Naja, gut, hier können wir uns etwas entspannen: Es reicht, zu wissen, wo wir Hilfe bekommen, oder?
Digitale Rollenkompetenz
Mir persönlich fehlt in der Liste Digitaler Kompetenzen von Europass noch der Aspekt einer „digitalen Rollenkompetenz“. Unter digitaler Rollenkompetenz verstehe ich die Notwendigkeit, sich bei allem, was ich (als Person und übrigens ebenso als Organisation) im Netz tue, poste, einstelle, kommentiere etc., darüber bewusst zu sein, in welcher Rolle, in welcher Funktion ich das tue. Dadurch ist nicht vorprogrammiert, dass es keinen „Shitstorm“ gibt. Dazu ist das Netz zu offen, Gott sei Dank. Aber es besteht die berechtigte Hoffnung, dass sich die Wahrscheinlichkeit für Shitstorms verringert. Flache Videos mit „Fünf Tipps für Alleinerziehende“ ließen sich dann ggf. einfacher vermeiden, wenn vorher über die Wirkung des Beitrags auf die Betroffenen nachgedacht würde.
Das ist alles?
Ne, sicherlich nicht. So ist „die“ Digitalisierung mehr als dynamisch und erfordert wohl auch eine entsprechende Dynamik im Erwerb digitaler Kompetenzen. Es wird Anpassungen an den Ausführungen geben müssen und es wird die Bereitschaft geben müssen, sich auf immer neue Kompetenzen einstellen zu müssen, da sich die Welt um uns herum in einer bislang nie dagewesenen Geschwindigkeit verändert.
Digitale Kompetenz erwerben
Der Erwerb digitaler Kompetenz ist jedoch gar nicht so einfach. Ich habe hier mal drei Bereiche ausgemacht, die in meinen Augen wesentlich sind:
Individuelle digitale Kompetenz
Auf individueller Ebene müssen Sozialarbeitende zumindest eine offene Haltung gegenüber digitalen Technologien, Möglichkeiten, Tools und Medien entwickeln. Damit ist noch lange nicht gesagt, dass alles gut geheißen werden muss – eher im Gegenteil! Es ist wichtig, Trends, Methoden, Herangehensweisen, den Umgang mit Medien etc. kritisch zu hinterfragen. Um jedoch kritisch hinterfragen zu können, muss ich mich zumindest mit den Möglichkeiten beschäftigt haben. Und das – ehrlich gesagt – vermisse ich in der Sozialen Arbeit. Hier regiert oftmals die einfache Ablehnung gegenüber neuen Möglichkeiten, es regiert eine oberflächliche Meinungsmache, ohne sich vertieft mit Chancen, Risiken und Möglichkeiten der Digitalisierung für unsere Branche zu befassen.
Ausbildung zur digitalen Kompetenz
Damit komme ich zu dem zweiten Punkt: Im Studium und der Ausbildung für Soziale Berufe muss das Thema „Digitale Kompetenz“ einen deutlich höheren Stellenwert einnehmen, als es bislang der Fall ist. Ja, auch im Studium kann ich mich nicht in der vollständigen Tiefe mit einem Thema wie der Digitalisierung befassen. Aber es ist zumindest die Aufgabe von Hochschulen, die oben genannte offene Haltung dem Thema gegenüber zu entwickeln. Und dann ist es wiederum Aufgabe der Studierenden, sich mit dem Thema – kritisch – weiter zu befassen. Und ich denke auch, dass viele Professorinnen und Professoren im Kontext Sozialer Arbeit – so wie ich zumindest viele Lehrende kennengelernt habe – dem Thema grundsätzlich offen gegenüber stehen. Diese Offenheit sollte sich auf die Studierenden übertragen – vielleicht über Querschnittsmodule zum Thema, vielleicht in jedem Modul als wichtiger Aspekt. Darüber müsste man in der Konzeption der Studiengänge nachdenken. Digitalisierung fehlt bspw. im Qualifikationsrahmen Soziale Arbeit ebenso wie im Kerncurriculum der DGSA als explizites Schlagwort (auch wenn Digitalisierung natürlich unter verschiedene Bereiche zu packen ist). Denkbar wäre auch, dass Hochschulen Weiterbildungen spezifisch im Kontext von Digitalisierung und Sozialer Arbeit anbieten. Dies ist mir bislang zumindest so noch nicht begegnet (mit Ausnahme von Master-Studiengängen zur Sozialinformatik, vielleicht).
Organisationale Digitalkompetenz
Die dritte Ebene ist die Ebene der Organisationen: Hier spreche ich das Thema der organisationalen Digitalkompetenz an. Diese führt dazu, dass Mitarbeitende mit dem Thema der Digitalisierung experimentieren können, um durch diese Experimente neue Wege gehen zu können. Die Möglichkeiten des Experimentieren in Organisationen der Sozialwirtschaft sind jedoch – so zumindest meine Einschätzung – oftmals durch Regelungen, Strukturen, Prozesse und Datenschutzregelungen sowie durch eine grundsätzlich bornierte Haltung dem Thema gegenüber mehr als eingeschränkt. Welche Organisation schickt seine Mitarbeitende bspw. in Co-Working-Spaces, um dort in inspirierenden Umgebungen an neuen, innovativen Lösungen und digitalen Geschäftsmodellen arbeiten zu lassen und auch einfach: um neu zu lernen? Welche Organisation lässt ihre Mitarbeitenden mit digitalen Lösungen für vielleicht noch gar nicht bekannte Fragen experimentieren? Ganz ehrlich: Die Kosten dafür halten sich in Grenzen.
Evolution
Digitalisierung bedeutet eine Notwendigkeit zur permanenten Anpassung an sich wandelnde Bedingungen. Eine konkrete Festlegung dessen, was Menschen in Sozialen Berufen genau als „digitale Kompetenz“ benötigen, ist aufgrund dieser permanenten Anpassung kaum festzulegen.
Es bedarf vielmehr einer offenen Haltung von Menschen in Organisationen der Sozialwirtschaft dem Thema gegenüber. Es bedarf aber auch offenen, experimentierfreudigen, lebendigen Organisationen, in dem die offene Haltung der Mitarbeitenden zur Geltung gebracht werden kann.
Hier passt ein Zitat von Darwin ziemlich gut:
„Es ist nicht die stärkste Spezies die überlebt auch nicht die intelligenteste sondern diejenige die am ehesten bereit ist sich zu verändern.“
Damit wird deutlich, dass es mit der digitalen Kompetenz nicht so einfach ist. Und:
[Tweet „Der Blick einzig auf die Person als Fokus digitaler Kompetenz greift deutlich zu kurz.“]
Somit muss zunächst eine Darlegung der Rahmenbedingungen erfolgen, in denen Digitalisierung, verstanden als digitale Transformation der Gesellschaft, eingeordnet werden kann. Und diese Rahmenbedingungen betreffen neben der Person auch die Organisation, in denen Sozialarbeitende tätig sind.
Diese können noch so „digital native“ aufgewachsen sein, noch so viele digitale Kompetenzen mitbringen: Wenn die Organisation nicht will, wird es maximal frustrierend.
Frustrierte Mitarbeitende kann sich im Sozialen Sektor nun wirklich keine Organisation mehr leisten. Oder?
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