Mehr Komplexität wagen!

Komplexität

Inhalt:

Haben Sie auch das Gefühl, in Ihren Aufgaben zu versinken? Haben Sie das Gefühl, dass die Anforderungen um Sie herum permanent steigen? Haben Sie das Gefühl, Ihren Mitarbeitenden ebenso wie Ihren Klientinnen und Klienten nicht mehr wirklich gerecht werden zu können? Haben Sie das Gefühl, dass es so doch irgendwie nicht mehr lange weitergehen kann? Dass die Komplexität ständig zunimmt und das ganze System irgendwann platzt, zum Stillstand kommt, explodiert, stirbt, was auch immer? 

Mir zumindest geht es – insbesondere mit Blick auf Organisationen der Sozialwirtschaft – immer wieder so:

  • Fachkräftemangel,
  • steigende Qualitätsanforderungen bei gleichzeitig sinkender Qualität der Arbeit aufgrund abnehmender Standards,
  • Forderungen nach verstärkter Wirkungsmessung bei gleichzeitig abnehmender finanzieller Ausstattung,
  • formale Trägervorgaben, die kaum noch zu erfüllen sind,
  • irgendwas mit Digitalisierung,
  • Globalisierung,
  • Individualisierung
  • und so weiter und so fort.

Manche sprechen von einer VUCA-Welt (wie ich dies hier auch schon einmal getan habe), andere sehen dieses VUCA-Konstrukt mehr als kritisch, da nicht wirklich zu Ende gedacht.

Mehr externe Komplexität

Sicher ist aber, dass all die oben genannten Entwicklungen zur Zunahme der Komplexität (nicht nur) in der Umwelt Ihrer Organisation (mehr dazu, was unter der Umwelt des Systems verstanden werden kann, hier) führt. Es ergibt sich ein Gefühl vollkommener Unsicherheit, ein Gefühl der Unkontrollierbarkeit, der Disruption, ein Gefühl, an der Grenze der Belastbarkeit angekommen zu sein.

Automatisch stellt sich die Frage danach, wie mit diesen Entwicklungen umzugehen ist. Es stellt sich umgehend die Frage danach, was Sie, ganz konkret, tun können, um auf die Anforderungen, die Rahmenbedingungen, die gestiegene externe Komplexität zu reagieren!

Keine vier Schritte

Diese Frage stellen sich viele Menschen. Einige dieser Menschen schaffen es wunderbar, Marketing zu betreiben und Kochbücher auf den Management-Markt zu bringen, die versprechen, mit ein paar Zutaten Ihre Probleme zu lösen:

  • In vier Schritten zu einer schlanken Organisation! Oder:
  • Die fünf Punkte, wie gute Führung auch in Zukunft gelingt! Oder:
  • Wie Sie Ihre Komplexität verringern!

Ich will die Liste hier nicht weiterführen, Sie kennen entsprechende Bücher, Ratgeber, sicherlich!

Aber: Es gibt keine einfachen Rezepte. Es gibt keine vier Schritte im Umgang mit Komplexität. Und:

Die Komplexität lässt sich auch nicht verringern!

Das Versprechen postbürokratischer Organisationsformen

Die Komplexität lässt sich nicht verringern? Aber das versprechen doch all diese neuen, diese postbürokratischen Organisationsformen*, oder?

Mehr Selbstorganisation, weniger Hierarchiestufen, mehr Lean, weniger Taylor, agiles Management und intrinsische Motivation soll doch, verflixt noch mal, die Komplexität verringern und Arbeit überhaupt wieder möglich und die Organisation wieder lebendig machen, oder? Innovation soll möglich werden, alle sollen irgendwie happy werden und so?

Leider geistern immer noch entsprechende Vorstellungen durch die Netze: Führen Sie Methode XY ein, machen Sie alles lean, agil und whatever, und alles wird einfacher! Leider:

Nein!

Mehr interne Komplexität

Zunächst einmal führen all diese „neumodischen“ Organisationsformen dazu, dass sich die Komplexität innerhalb Ihrer Organisation erhöht.

Und: Das ist gut so!

Gut??? Mehr Komplexität soll gut sein?

Warum weniger Regeln zu mehr Komplexität führen

Bevor ich beantworte, warum mehr Komplexität gut ist, zunächst ein kurzer Blick darauf, warum die Komplexität in der Organisation erhöht wird, wenn die Regelungen, Routinen, Strukturen, Hierarchien weniger werden.

Dies ist eigentlich recht einfach:

Solange Sie versuchen, Ihre Organisation „bürokratisch“ oder tayloristisch, von mir aus auch „klassisch“ zu führen, haben Sie viele Regelungen, an die sich die Mitarbeitenden halten müssen. Sie haben Dienstanweisungen, Arbeitszeitregelungen, festgelegte Budgets und Zielvereinbarungen (und noch einiges mehr).

Diese ganzen Regelungen sind zwar mehr als anstrengend, führen aber zu einer ziemlich hohen Eindeutigkeit: Wenn dies und jenes passiert, dann ist dies und jenes zu tun. Wenn die Mitarbeitenden die komplizierten Prozesshandbücher befolgen würden, wäre alles einfach. Abweichungen gibt es nicht, zumindest nicht offiziell. Es ist geregelt und schriftlich fixiert, was dann und dann zu tun ist. Dienstreise? Dienstreiseantrag! Computer defekt? Ticket an die IT! Die Komplexität – also die Unvorhersehbarkeit von Ereignissen basierend auf Entscheidungen – ist recht gering ausgeprägt (zumindest gefühlt).

Wenn Sie jetzt beginnen, die Regelungen, Routinen, Dienstanweisungen, Prozesshandbücher etc. sukzessive herunterzufahren, steigt zwangsläufig die Komplexität innerhalb Ihrer Organisation: Wenn es keine Regelung mehr gibt, können Sie nicht mehr vorhersagen, wie Mitarbeiterin XY in Situation Z reagiert. Die Mitarbeiterin wird eine eigene, situationsadäquate Entscheidung treffen. Diese Entscheidung ist aber ggf. eine andere als Ihre. Sie werden nicht mehr kontrollieren können, was Ihre Mitarbeiter tun, entscheiden, machen.

Und noch einmal:

Und das ist auch gut so.

Warum mehr interne Komplexität lebendig hält

Jetzt aber: Warum soll mehr Komplexität gut sein? Der Laden soll doch endlich mal wieder funktionieren! Sie als Geschäftsführer, als Führungskraft sind doch auf der Suche nach Möglichkeiten, die Komplexität in den Griff zu bekommen, oder?

Ja, Ihre Gedanken und Gefühle sind nachvollziehbar: Der Wunsch nach Kontrolle ist legitim.

Allerdings ist es unmöglich, diese Kontrolle in sozialen Systemen wirklich „zu haben“. Soziale Systeme sind nicht steuerbar. Das gilt in besonderem Maße für Organisationen, die sich mit Menschen beschäftigen und personenbezogene, soziale Dienstleistungen anbieten.

Und, wenn Sie ehrlich sind: Die Kontrolle hatten Sie auch mit vielen Regeln, Prozessen und QM-Handbüchern nicht wirklich, oder? Durch die Prozessbeschreibungen konnten Sie allerhöchstens im Nachhinein nach Schuldigen suchen, die einen Prozess ggf. nicht eingehalten haben. Hinzu kommt, dass viele Prozesse nur dafür eingerichtet wurden, Ausnahmen zu regeln. Gerade in Organisationen der Sozialwirtschaft sind – so mein Eindruck – die Ausnahmen jedoch Alltag, was wiederum nicht mehr regelbar ist.

Mehr als digitale Transformation

Jetzt ändert sich jedoch die Umwelt ziemlich radikal: Transformation allerorten.

Zu der sowieso schon enormen Unsicherheit und Widersprüchlichkeit in der Führung sozialer Organisationen kommen noch die gesellschaftlichen Veränderungen hinzu. Damit wird die Umwelt, in der Sie Ihre Organisation lebendig halten wollen, immer komplexer.

Noch einmal die (unvollständige) Liste von oben:

  • Fachkräftemangel,
  • steigende Qualitätsanforderungen bei gleichzeitig sinkender Qualität der Arbeit aufgrund abnehmender Standards,
  • Forderungen nach verstärkter Wirkungsmessung bei gleichzeitig abnehmender finanzieller Ausstattung,
  • formale Trägervorgaben, die kaum noch zu erfüllen sind,
  • irgendwas mit Digitalisierung,
  • Globalisierung,
  • Individualisierung
  • und so weiter und so fort.

Das ist mir wichtig: Wir reden über deutlich mehr als die digitale Transformation!

Auf diese zunehmend komplexe Umwelt mit mehr Regeln, mehr Struktur, mehr Prozessen, mehr Vorgaben und Dienstanweisungen zu reagieren, macht keinen Sinn. Dies wird – so mein Eindruck – zwar noch an vielen Stellen versucht. Hier gehe ich jedoch davon aus, dass dies nur passiert, weil gute Alternativen in den Köpfen der Verantwortlichen fehlen.

Mehr interne Komplexität für mehr externe Komplexität

KomplexitätSinn macht es jedoch, den alternativen Weg zu gehen, sich auf die Unsicherheit erhöhter Komplexität innerhalb Ihrer Organisation einzulassen, die Regelungen, Prozesse, Vorgaben, Routinen zu hinterfragen und herunterzuschrauben, um damit der Komplexität außerhalb Ihrer Organisation zu begegnen.

Geben Sie Ihren Mitarbeitern Verantwortung, auch wenn die Mitarbeitenden erst lernen müssen, diese neuen Freiheiten auszuhalten. Spüren Sie Ihre eigene Unsicherheit auf den neuen Wegen und versuchen Sie, Möglichkeiten zu finden, mit diesen Unsicherheiten umzugehen.

Machen Sie Experimente und bezeichnen Sie neue Wege auch so: Experimente, die wieder eingestellt werden können. Lassen Sie sich begleiten, suchen Sie sich Unterstützung, gehen Sie den Weg gemeinsam. Aber:

Gehen Sie!

Es lohnt sich.


Wo sehen Sie als Führungskraft in Organisationen der Sozialwirtschaft die aktuell größten Herausforderungen? Wie versuchen Sie darauf zu reagieren?

Lassen Sie uns ins Gespräch kommen und voneinander lernen.

Zum Weiterlesen:

*Den Begriff „postbürokratische Organisation“ nutzt Stefan Kühl in dem o.g. Buch „Wenn die Affen den Zoo regieren: Die Tücken der flachen Hierarchien“ für neue Organisationsformen, die verstärkt auf Selbstverantwortung und Selbstorganisation der Mitarbeitenden setzen.

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